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"Wir drängen mehr als irgendjemand auf eine solche Besteuerung"

An der Entschiedenheit der Bundesregierung, für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zu kämpfen, fehle es nicht, betont Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Doch Steuern müssten in der EU einstimmig beschlossen werden. Das gelte auch für die Eurozone - damit die Abgabe nicht umgangen werden kann.

Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Friedbert Meurer | 29.03.2012
    Friedbert Meurer: Heute beginnt der Deutsche Bundestag mit seinen Beratungen über den Fiskalpakt, also jenem Vertrag, der EU-weit die Regierungen zur Haushaltsdisziplin zwingen soll. Der Fiskalpakt ist von so grundlegender Bedeutung, dass er eine Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen muss. Die SPD, die Opposition, ist bereit, die Grünen auch - allerdings unter der Bedingung, die Bundesregierung soll endlich dafür sorgen, dass spekulative Finanzgeschäfte besteuert werden. Bundesfinanzminister Schäuble würde gerne, sagt aber, der Widerstand in Europa sei erheblich. Mitgehört hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Guten Morgen, Herr Schäuble!

    Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Es gibt eine Koalition der Willigen für eine Steuer. Sie werden dazugerechnet, wie wir gerade gehört haben. Ist der Unwillige in Wahrheit die FDP?

    Schäuble: Nein, überhaupt nicht, sondern das Problem ist: Man kann eine solche Steuer in der EU nur einstimmig einführen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine einstimmige Entscheidung zu Stande bringen, ist, wie eben in dem Bericht ja dargelegt worden ist, sehr gering. Wir werden das morgen, übermorgen noch einmal intensiv in Kopenhagen diskutieren, aber die Hoffnung, dass alle mitmachen, ist begrenzt. Auch in der Eurozone können wir es nur einstimmig einführen.

    Meurer: Das ging ja auch beim Fiskalpakt schon nicht, weil sich Großbritannien quergelegt hat. Trotzdem kommt der Fiskalpakt. Also gibt es doch einen Weg!

    Schäuble: Na ja, man muss da unterscheiden. Steuern in Europa gehen eben nur einstimmig, das sieht der Vertrag so vor. Man kann natürlich nationale Steuern einführen und man kann sich dazu verabreden. Aber wir bräuchten ja, wenn wir die Umgehungen vermeiden wollen oder einigermaßen begrenzt halten wollten, zumindest eine Einigung aller Mitgliedsstaaten der Eurozone, damit wir für die eine Währung, die wir in der Eurozone haben, nicht unterschiedliche Umsatzsteuern haben. Denn natürlich wollen wir auf alle Fälle eine Umsatzsteuer machen und nicht nur eine Steuer auf Gewinne.

    Meurer: Warum müssen es alle Eurostaaten sein, Herr Schäuble?

    Schäuble: Weil wir eine Währung haben und weil es natürlich sehr leicht ist, innerhalb des einen Währungsgebiets auszuweichen. Und nun ist es leider so, wie Ihre Kollegin gesagt hat in dem Bericht, dass es eine Reihe von Ländern gibt, die sagen, ja, in der EU-27 machen wir das, aber nur in der Eurozone, da haben wir bedenken. Deswegen werden wir auch darüber intensiv reden müssen, ob wir einen Weg finden. Ich bin ganz sicher: Wir werden eine Lösung finden. Die Bundesregierung bemüht sich in jedem Fall um eine Lösung. Es ist übrigens so: Die Kommission musste lange gedrängt werden, bis sie den Vorschlag gemacht hat, den Herr Barroso jetzt in Ihrem Beitrag verkündet hat. Es war die deutsche Regierung, es war die französische Regierung, die ein Jahr lang die Kommission gedrängt haben, einen solchen Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen. Also wir drängen mehr als irgendjemand auf eine solche Besteuerung, um eben auch die Ausnahme von der allgemeinen Umsatzbesteuerung, die wir ja haben für Finanzdienstleistungen, abzuschaffen.

    Meurer: Wir werden eine Lösung finden, sagen Sie, Herr Schäuble. Wird das eine Lösung sein, die wirklich alle Finanztransaktionen erfasst?

    Schäuble: Das hoffe ich sehr, aber in den Einzelheiten steckt immer der Teufel im Detail. Das ist so und da muss man sehen: Wir müssen uns mit anderen verständigen, wir können niemanden zwingen, es muss einstimmig gehen. Die, die mitmachen, müssen mitmachen. Und es macht natürlich nur Sinn, wenn wir wenigstens innerhalb der gemeinsamen Währung eine Regelung so finden, dass sichergestellt ist, dass nicht alle diese Steuer umgehen können. Dann hätten wir am Ende gar nichts erreicht, lediglich die Finanzplätze in den Mitgliedsländern der Eurozone geschädigt. Das macht keinen Sinn! Es muss eine sachlich richtige Lösung sein. Sie wird wahrscheinlich gar nicht ganz schnell gehen, aber an der Entschiedenheit der Bundesregierung, dafür zu kämpfen, fehlt es wirklich nicht. Hat es nicht gefehlt und wird es auch in der Zukunft nicht fehlen.

    Meurer: Es gibt große Zweifel, ob der FDP-Part der Bundesregierung diese Entschiedenheit hat.

    Schäuble: Nein!

    Meurer: Ich zitiere mal Rainer Brüderle, den FDP-Fraktionschef, Herr Schäuble: "Wir halten es für falsch und wollen es nicht, das ist eine Besteuerung der Bankkunden. Wir wollen keine Wettbewerbsverzerrung in Europa."

    Schäuble: Ja! Aber die FDP ist völlig derselben Meinung, wie ich das ausgedrückt habe: Es darf diese Steuer nicht einfach umgangen werden können. Das wäre die Wettbewerbsverzerrung. Wenn wir sie in ganz Europa schaffen - das haben wir gemeinsam beschlossen -, dann werden wir es machen. Wenn wir das in ganz Europa nicht hinbringen, dann war es der von Ihnen eben genannte Kollege Rainer Brüderle, der ja den Vorschlag gemacht hat, dann lasst uns einen anderen Weg gehen. Lasst uns gewissermaßen, wie man heute neudeutsch sagt, "bottom-up" sagen: Wir gehen von dem Ansatz der britischen Steuer aus (das ist auch eine Umsatzsteuer) und nehmen aber auch Derivate in die Besteuerung ein, nicht nur Aktien, und machen das auf eine möglichst breite Bemessungsgrundlage und ergänzen es um regulatorische Regelungen durch die Bankenaufsicht und durch die Regeln für den Finanzsektor, indem wir den Hochgeschwindigkeits-Börsenhandel, der ja diese Exzesse mit befördert, durch Regulierung, durch Aufsicht beschränken oder auch teilweise ausschließen.

    Meurer: Wenn es doch dieses Ansässigkeitsprinzip gibt - jeder bezahlt Steuern für seine Derivate in dem Land, in dem er lebt -, wo ist denn da noch die Wettbewerbsverzerrung?

    Schäuble: Ja, das kann ich Ihnen erklären. Das kann Ihnen jeder, der mit Steuern ein bisschen was zu tun hat, sagen. Sie müssen ja irgendwo wissen, sie müssen die Umsätze erfassen. Ganz so einfach ist das nicht. Das kann man leicht in Pressekonferenzen ankündigen, es muss dann in der Praxis auch zu verwirklichen sein. Sie können natürlich ihre Umsätze jederzeit bei einer Bank in Deutschland oder genauso bei einer Bank außerhalb Deutschlands machen. Wenn das noch in derselben Währung geht, ist die Umgehung ziemlich leicht. Und wer dann kontrolliert, dass die Steuer auch tatsächlich bezahlt wird, das müssen sie dann erst durch entsprechende Regeln sicherstellen.

    Meurer: Anfang der Woche hat Bundeskanzlerin Angela Merkel entschieden, die beiden Rettungsfonds EFSF und der dauerhafte Mechanismus ESM sollen parallel laufen. Das hat die Bundesregierung lange abgelehnt. Müssen Sie einräumen, Herr Schäuble, dass das Salamitaktik ist - erst wird etwas ausgeschlossen und dann nach ein paar Monaten doch gemacht?

    Schäuble: Neun! Herr Meurer, wir müssen schon in der Berichterstattung ein bisschen korrekt sein. Beim Europäischen Rat im Dezember vergangenen Jahres - das kann jedermann in dem Kommuniqué nachlesen -, also bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs -, ist ausdrücklich beschlossen worden, dass im März dieses Jahres die Staats- und Regierungschefs noch einmal prüfen werden, weil man ja damals beschlossen hat, den ESM früher in Kraft zu setzen. Ursprünglich war der erst für 2013 vorgesehen.

    Meurer: Dann sagen wir so: eine kleine Hintertür haben sie sich also offen gelassen?

    Schäuble: Lassen Sie mich bitte den Satz zu Ende führen, sonst kann ich es nicht erklären und Sie stellen es wieder falsch dar und das verwirrt die Menschen. Damals ist schon beschlossen worden, dass im März das endgültige Volumen des Rettungsschirms in der Kombination von EFSF und ESM noch einmal überprüft werden soll. Damit haben die Staats- und Regierungschefs Anfang dieses Monats die Finanzminister beauftragt und wir werden morgen und übermorgen diesen Auftrag erfüllen. Ich habe über die Vorstellungen der Bundesregierung - das ist keine Salami-Taktik - die Fraktionen informiert, wir haben darüber intensiv gesprochen, wir werden auch im Bundestag heute darüber reden. Und dann wollen wir schauen, dass wir so eine einvernehmliche Lösung hinbekommen. Wir haben immer gesagt, wir können diese Krise nur Schritt für Schritt lösen. Zunächst müssen in den Ländern, wo die Probleme entstehen, in Portugal und Irland, in Griechenland, die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden. Dann brauchen wir eine Fiskalunion, einen Stabilitätspakt, dass alle Länder sich an die vereinbarten Regeln halten und dass diese Regeln nicht wie 2003/2004 unter dem Bundeskanzler Schröder gebrochen werden, dann hat es nämlich keinen Sinn. Wir brauchen eine Stabilitätsunion für die gemeinsame Währung. Und wenn wir diese Schritte haben, dann können wir auch über einen dauerhaften Rettungsschirm entscheiden, und das tun wir heute in der richtigen Reihenfolge. Das ist nicht Salamitaktik, sondern eine verantwortungsvolle Strategie zur Sicherung der Stabilität unserer Währung und zur Sicherung nachhaltigen Wachstums.

    Meurer: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble heute Morgen im Deutschlandfunk über Fiskalpakt, Finanzmarktsteuern und Euro-Rettungsschirme. Herr Schäuble, besten Dank und auf Wiederhören nach Berlin.

    Schäuble: Bitte sehr! Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.