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"Wir dürfen jetzt bitte nicht glauben, Griechenland ist gerettet"

Mit der Beteiligung von 85 Prozent der privaten Gläubiger am Schuldenschnitt für Griechenland habe der Privatsektor Solidarität gezeigt, sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, Michael Kemmer. Für die Finanzmärkte sei es kein gutes Signal, dass die Eurozone zugelassen hat, dass ein Staat seine Schulden nicht vollständig zurückbezahlt.

Michael Kemmer im Gespräch mit Peter Kapern | 09.03.2012
    Peter Kapern: Gestern Abend um neun lief die Frist ab - die Frist, bis zu der die privaten Kreditgeber Griechenlands mitteilen mussten, ob sie mit ihrer Beteiligung an einem Schuldenschnitt einverstanden sind oder nicht. Um 107 Milliarden Euro sollte so die Schuldenlast Griechenlands gemindert werden. Dafür hätten rund 90 Prozent aller Gläubiger zustimmen müssen. Gleichzeitig hatte die griechische Regierung aber einen Plan B für den Fall ausgearbeitet, dass die Marke nicht ganz erreicht würde. Punkt sieben Uhr wollte das Finanzministerium in Athen dann wissen lassen, wie die Zahlen für den Anleihetausch genau aussehen.

    Am Telefon ist jetzt Michael Kemmer zugeschaltet, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Banken. Guten Morgen, Herr Kemmer!

    Michael Kemmer: Schönen guten Morgen.

    Kapern: Herr Kemmer, wie reagieren Sie auf diese Nachrichten aus Athen, eine Beteiligung am Schuldenschnitt von gut 85 Prozent?

    Kemmer: Das ist natürlich eine gute Nachricht. Sie kommt nicht unerwartet. Wir sind eigentlich immer davon ausgegangen, dass der private Sektor sich hier solidarisch zeigen wird und dass er ganz klar mitmachen wird bei diesem Schuldenschnitt. Das ist schmerzhaft und zeigt aber, dass letztlich jeder seiner Verantwortung hier auch gerecht wird. So gesehen ist es eine gute Nachricht, sie kommt wie gesagt auch nicht sehr überraschend. Ich persönlich hatte eine etwas geringere Annahmequote erwartet, aber 85,8 Prozent ist schon sehr, sehr gut. Wir müssen allerdings natürlich schon bei aller berechtigten Freude über dieses Thema sagen, dass damit letztendlich Griechenland auch wieder nur Zeit erkauft und kein Weg daran vorbei führt, dass sie endlich ihre Hausaufgaben machen und die Haushaltskonsolidierung angehen, ihre Sparprogramme durchziehen, die Privatisierung angehen. Das ist ganz, ganz wichtig und bei aller berechtigten Freude über das gute Ergebnis darf man das nicht vergessen.

    Kapern: Über all die Freude über dieses Ergebnis darf man auch etwas anderes nicht vergessen, nämlich dass die Sache ja doch noch nicht unter Dach und Fach scheint. Nun will die Regierung - jedenfalls sieht es danach aus -, die Athener Regierung diejenigen Schuldner, die nicht freiwillig beim Schuldenschnitt mitmachen, in einem gesetzlichen Verfahren dazu zwingen. Das ist ein kompliziertes Verfahren, das haben wir gerade von unserem Korrespondenten gehört. Könnte die Sache nicht auch noch scheitern?

    Kemmer: Ich glaube nicht, dass die Sache noch scheitern kann. Es sind ja etwa 90 Prozent der Anleihen nach griechischem Recht begeben, da kann die griechische Regierung, das griechische Parlament per Gesetz rückwirkend diese Umschuldungsklauseln einführen, das hat sie getan. Da gehe ich davon aus, dass hier nichts mehr anbrennen wird. Bei den restlichen zehn Prozent kann es schwierig werden. Das ist das, was Ihr Kollege gerade zurecht beschrieben hat, dass hier möglicherweise auch Leute darauf spekulieren, dass sie vollständig ausbezahlt werden, oder dass Kreditausfallversicherungen greifen. Das ist sicherlich noch ein schwieriger Prozess, aber der scheint ja nur für einen vergleichsweise kleinen Teil der Summe in Gang gesetzt werden zu müssen. Für den großen Teil der Summe dürfte das bei allen rechtstechnischen Problemen, die noch offen sind, aber im Großen und Ganzen reibungslos über die Bühne gehen. Das heißt, die Unsicherheit in dem Bereich ist, glaube ich, nicht mehr sehr groß.

    Kapern: Das heißt, Sie gehen auch fest davon aus, dass die EU-Finanzminister dann heute beschließen, das 130 Milliarden Rettungspaket für Griechenland freizugeben?

    Kemmer: Ich gehe davon aus, dass das Rettungspaket freigegeben wird. Ob das bereits heute in der Telefonkonferenz erfolgt oder erst Anfang nächster Woche, wird man sehen. Aber das war ja auf jeden Fall die Bedingung von Anfang an, und diese Bedingung ist jetzt erfüllt. Deshalb sehe ich nicht, warum das Rettungspaket nicht freigegeben werden sollte. Aber noch mal: Wir dürfen jetzt bitte nicht glauben, Griechenland ist gerettet und die Krise ist vorüber. Das ist ein wichtiger Baustein, hier hat der Privatsektor Solidarität gezeigt, das ist gut so, aber die Arbeit geht jetzt erst richtig los.

    Kapern: Herr Kemmer, was bedeutet es für das Langzeitgedächtnis der Finanzmärkte, dass ein Eurostaat einen Schuldenschnitt durchzieht?

    Kemmer: Das ist genau die entscheidende Frage, die Sie stellen. Das ist eine sehr zwiespältige Angelegenheit. Auf der einen Seite hilft es Griechenland. Griechenland muss von seinen Schulden runterkommen, weil die Schulden das Land erdrückt hätten. Auf der anderen Seite ist das natürlich kein gutes Signal an die Finanzmärkte, dass die Eurozone einen Staat, ich will jetzt nicht sagen, hat fallen lassen, aber es zumindest zugelassen hat, dass ein Staat seine Schulden nicht vollständig zurückbezahlt, und das wird natürlich die Finanzmärkte dazu veranlassen, künftig genauer hinzuschauen, welche Bonität die einzelnen Staaten aufweisen, und das wird auch dazu führen, dass die Zinsaufschläge, die Risikoaufschläge für die europäischen Staaten sich stärker spreizen werden. Das heißt, dass schwache Staaten höhere Zinsen bezahlen müssen. Das ist für die Staaten schwierig, aber ist natürlich nach den Marktgesetzen eigentlich ganz normal.

    Kapern: Heißt das nicht im Umkehrschluss, dass Banken zu leichtgläubig Kredite an Griechenland vergeben haben?

    Kemmer: Das ist schwierig, im Rückblick das genau zu beurteilen. Es gab ja letztendlich von der Eurozone eine unausgesprochene, ich will jetzt nicht sagen, Garantie, aber schon eine unausgesprochene Zusage, dass man hier niemanden im Regen stehen lässt. Natürlich gab es die sogenannten No-Bail-out-Klauseln - das heißt also, kein Staat muss formal für den anderen einstehen -, aber es gab schon verschiedene Signale, dazu gehört auch die Nullgewichtung bei den Banken, das heißt, dass man die Anleihen nicht mit Eigenkapital unterlegen musste und einiges mehr, die schon sehr stark darauf hingewiesen haben, dass das Risiko hier sehr gering und sehr begrenzt ist, und es gab ja auch vor einigen Jahren kaum zusätzliche Risikoaufschläge für die schwachen Staaten. Auch das hat darauf hingedeutet, dass eigentlich alle davon ausgegangen sind, dass es hier zumindest eine unausgesprochene Solidarität gibt. Und da ist man jetzt relativ hart in der Realität aufgeschlagen - hat auf der anderen Seite vielleicht auch sein Gutes, weil man dann künftig etwas genauer hinschauen wird.

    Kapern: Es gibt viel Kritik daran, dass die 130 Milliarden Euro, die jetzt in dem Rettungspaket zur Verfügung gestellt werden, eigentlich nur der Zahlung von Zinsen und Tilgung dienen und nicht etwa der Ankurbelung der Wirtschaft. Ist das Griechenland-Rettungspaket in Wahrheit ein Banken-Rettungspaket?

    Kemmer: Nein. Diese Kritik kann ich nicht nachvollziehen, denn Sie müssen ja sehen: Der Privatsektor verzichtet zunächst mal auf 53 Prozent des Nominalbetrages, und wenn Sie die Zinsen mit einkalkulieren, auf mehr als 70 Prozent dessen, was aussteht. Das heißt, das was zurückkommt an Zinsen und Tilgung, beläuft sich mal gerade auf etwa ein Viertel. Zum anderen müssen Sie sehen: Es ist natürlich im Interesse des Schuldners, dass er auch deutlich macht, dass er zumindest einen Teil seiner Schulden zurückzahlen kann. Denn der Schuldner möchte ja auch künftig wieder an den Kapitalmarkt gehen und Geld aufnehmen können. Deshalb ist es, glaube ich, nichts Ungebührliches, dass zumindest ein Teil der Schulden zurückbezahlt wird. Der Fehler liegt ja nicht daran, dass letztlich die Banken oder wer auch immer hier zu gierig gewesen wäre, sondern der Fehler liegt daran, dass Griechenland sehr stark über seine Verhältnisse gelebt hat. Und wenn es jetzt einen Schuldenschnitt gibt, der mehr als drei Viertel ausmacht und das restliche Viertel bezahlt wird, kann man sagen, dass der Schuldner sehr, sehr glimpflich davon gekommen ist.

    Kapern: Kommt denn auch der Steuerzahler glimpflich davon, denn die Verluste der Banken werden doch als geringere Steuerzahlung bei der Allgemeinheit landen?

    Kemmer: Na gut, die Verluste, die die Banken haben, müssen sie natürlich zu Lasten ihrer Gewinn- und Verlustrechnung und damit auch zu Lasten ihrer Steuerbilanz oder ihrer steuerlichen Gewinn- und Verlustrechnung abbuchen. Auf der anderen Seite war das Jahr 2011 für die Banken ein gutes Jahr, es gab wenig Risikovorsorge aus dem normalen Firmenkundengeschäft aufgrund der guten Konjunkturlage in Deutschland. Das heißt, die Banken haben diese Abschreibungen gut verkraften können, sie weisen ganz, ganz überwiegend nach wie vor gute Gewinne aus. Das heißt, auch der Steuerzahler kommt hier nicht zu kurz.

    Kapern: Michael Kemmer war das, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Banken. Herr Kemmer, danke, dass Sie sich heute Früh Zeit für uns genommen haben, und einen schönen Tag noch.

    Kemmer: Gerne! Ihnen auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.