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"Wir erleben mittlerweile einen Stellvertreterkrieg"

Im Syrien-Konflikt stehen entscheidende Tage bevor: Der UNO-Sondergesandte wird möglicherweise sein Amt niederlegen - und die USA überlegen, die Aufständischen mit Waffen zu versorgen. Der Politologe Michael Lüders prognostiziert, dass der Druck auf die USA, sich weiter militärisch zu engagieren, wachsen wird - auch vonseiten Israels.

Michael Lüders im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 02.05.2013
    Tobias Armbrüster: Im Bürgerkrieg in Syrien steht in diesen Tagen eine Entscheidung an, die den weiteren Verlauf dieses Konflikts entscheidend beeinflussen könnte. Die USA überlegen offenbar, Teile der aufständischen Truppen im Land mit Waffen zu versorgen. Grund dafür ist die Überzeugung innerhalb des Pentagons, dass die syrische Armee Giftgas eingesetzt hat. Präsident Obama hat das immer als sogenannte rote Linie bezeichnet. Jetzt muss er also etwas unternehmen, wenn er nicht als unglaubwürdig dastehen will. Es gibt darüber hinaus eine Personalie, die die internationale Syrien-Diplomatie an diesem Donnerstag beschäftigt: Offenbar will der UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, sein Amt niederlegen. Am Telefon ist jetzt der Publizist und Nahost-Experte Michael Lüders. Schönen guten Tag, Herr Lüders!

    Michael Lüders: Schönen guten Tag, Herr Armbrüster, hallo!

    Armbrüster: Herr Lüders, bleiben wir zuerst mal bei dieser Personalie. Was würde ein solcher Rücktritt des obersten Vermittlers der Vereinten Nationen bedeuten?

    Lüders: Es wäre ein weiterer Rückschlag auf dem Weg, eine friedliche Lösung herbeizuführen. Für den Konflikt in Syrien ist dann der zweite Unterhändler der Vereinten Nationen nach Kofi Annan, der seinen Job nicht weiter ausführen kann, und das wäre natürlich ein klares Signal, dass die Friedensbemühungen gescheitert sind.

    Armbrüster: Aber haben denn die Vereinten Nationen in diesem Konflikt bislang eine irgendwie hilfreiche Rolle für eine Beendigung gespielt?

    Lüders: Die Vereinten Nationen konnten eigentlich nicht mehr tun, als sie geleistet haben. Das gilt insbesondere für Lakhdar Brahimi und Kofi Annan, die beide durchaus versucht haben, den Konflikt zu lösen. Aber das kann kaum gelingen, wenn auf der einen Seite die Aufständischen nicht gewillt sind, mit den Regierungsvertretern zu verhandeln und umgekehrt die Regierung glaubt, sie könne die Rebellion militärisch beenden. Was in Syrien geschieht, hat sich ja längst entfernt von einer normalen Aufstandsbewegung. Wir erleben mittlerweile einen Stellvertreterkrieg zwischen zwei Lagern, auf der einen Seite die westlichen Staaten, die die Aufständischen unterstützen mit dem Ziel, Bashar al-Assad zu stürzen und die enge Beziehung, die es gibt zum Iran, zu untergraben. Und auf der anderen Seite Russland, China und der Iran, die um jeden Preis an Bashar al-Assad festhalten wollen aus machtpolitischen Gründen. Das ist die Quadratur des Kreises, hier eine friedliche Lösung herbeizuführen.

    "Aktive Unterstützung westlicher Militärberater für die Aufständischen"

    Armbrüster: Alle Welt redet jetzt über Waffenlieferungen an die Aufständischen in Syrien. Es gibt allerdings viele Beobachter, und auch wir hier im Deutschlandfunk kriegen das immer wieder von einigen Hörern zu hören, die sagen, der Westen liefert doch längst Waffen und Munition, möglicherweise verdeckt, und es seien auch bereits westliche Militärs im Land unterwegs. Was ist da dran Ihrer Kenntnis nach?

    Lüders: Es gibt natürlich eine aktive Unterstützung westlicher Militärberater für die Aufständischen. Nicht zuletzt die Amerikaner sind hier sehr aktiv in der Türkei, in Jordanien. Aber es gibt bislang nur Zurückhaltung mit der Lieferung von Waffen. Und das hat zu tun mit der Struktur des syrischen Widerstands. Vor allem die sehr stark gewordene Nusra -Front, eine Al-Qaeda-Organisation, die aus dem Irak eingesickert ist in Syrien und hier nun die größte militärische Herausforderung stellt für die Regierung unter Bashar al-Assad. Sie ist eine große Sorge in den westlichen Hauptstädten, und deswegen ist auch in den USA selbst, in der amerikanischen Regierung die letzte Entscheidung noch nicht gefallen. Teile der Administration wollen die Aufständischen unterstützen, natürlich die Gemäßigten, nicht die Al-Nusra -Kämpfer, aber wie will man das trennen? Und andere, vor allem der US-Präsident, sie mahnen zur Vorsicht, weil sie sagen, wir können am Ende nicht wirklich sichergehen, dass die Waffen nicht doch in die falschen Hände fallen. Und vor allem: Wenn man einmal anfängt mit der Bewaffnung der Aufständischen in großem Umfang, stellt sich irgendwann die Frage, wollen wir eine Flugverbotszone einrichten, um die Aufständischen zu unterstützen und dergleichen Dinge mehr. Und schon sind die USA mittendrin in einem Waffengang in Syrien, der sich dann sehr schnell zu einem Stellvertreterkrieg in der Region insgesamt, vor allem mit dem Iran, entwickeln könnte.

    Armbrüster: Hat sich da also Präsident Obama mit seinem Aufzeichnen einer roten Linie in eine Sackgasse manövriert?

    Lüders: Es war vielleicht, im Rückblick gesehen, ein bisschen unvorsichtig, dass er diese rote Linie so klar benannt hat, denn er lässt sich daran natürlich messen. Und er wird daran auch vorgeführt, nicht zuletzt von israelischer Seite. Der israelische Journalist Gideon Levy hat heute in der linksliberalen israelischen Zeitung "Haaretz" einen Leitartikel veröffentlicht, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Er sagt, die israelische Regierung versucht, über diese rote Linie den amerikanischen Präsidenten zu einem Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg zu veranlassen. Nicht, weil man in Israel glauben würde, dass man militärisch den Konflikt in Syrien lösen könne, sondern man will die USA in Syrien wissen, wohl in der Überlegung, dass der nächste Schritt dann sein wird ein Angriff auf den Iran. Über Syrien soll der nächste Schritt der Eskalationsstufe erreicht werden, so die Ansicht von Gideon Levy. Und in der Tat war es das israelische Militär, das den Sarin-Gas-Vorwurf an die Adresse der syrischen Regierung erhoben hat. Ob daran etwas wirklich dran ist an diesem Vorwurf oder nicht, wissen wir nicht, solange es keine unabhängigen Untersuchungen gibt. Aber klar ist auch: 70.000 Menschen sind gestorben, es werden noch sehr viele weitere Menschen sterben, und es gibt leider keine einfache Lösung. Selbst wenn man Soldaten entsendet – welches Kriegsziel hätten sie? Man darf nicht vergessen, dass diese Regierung von Bashir al-Assad, so skrupellos sie ist, immer noch die Unterstützung von Teilen der syrischen Bevölkerung genießt, und die müsste man dann ebenfalls militärisch niederkämpfen.

    "Die Amerikaner werden auf Zeit spielen - doch das wird nichts nützen"

    Armbrüster: Was ist denn Ihre Einschätzung? Was werden die USA als Nächstes tun?

    Lüders: Ganz schwer zu ermessen. Es wird jetzt ein Tauziehen geben zwischen den Pragmatikern und den Hardlinern im Weißen Haus und im Kongress. Die Amerikaner wissen natürlich, was sie erwartet, wenn sie sich in Syrien militärisch engagieren. Es ist so, dass wahrscheinlich eine Form der Hilfe erfolgen wird, militärischer Art, politischer Art, für die Aufständischen, aber unterhalb der Ebene einer direkten militärischen Intervention. Also, bis die Amerikaner sich entscheiden, Soldaten in Richtung Syrien zu entsenden, bis dahin wird noch viel geschehen müssen. Die Amerikaner werden auf Zeit spielen, aber das wird ihnen nichts nützen. Es steht eine Entscheidung an: Entweder, man arrangiert sich mit dem Regime von Bashar al-Assad oder man muss etwas tun. Seine Truppen sind gerade dabei, die Aufständischen in Teilen des Landes wieder zurückzudrängen. Also der Druck auf die amerikanische Regierung wird zunehmen, sich militärisch zu engagieren. Und von Syrien nach Iran ist, da muss man Gideon Levy Recht geben, es nur noch ein kleiner Schritt.

    Armbrüster: Herr Lüders, ganz kurz zum Schluss. Wir haben noch eine halbe Minute. Wenn jetzt in den USA über Waffenlieferungen gesprochen wird, dann heißt es immer, solche Waffen sollen nur an die moderaten Kräfte gehen. Lässt sich so was überhaupt durchsetzen?

    Lüders: Nein, das ist völlig ausgeschlossen. In dem Moment, wo man Waffen übergibt an syrische Oppositionelle, ist nicht auszuschließen, dass die auch in die Hände von anderen geraten, und sei es, dass man sie verkauft. Aus diesem Grund versuchen die Amerikaner, von der jordanischen Grenze aus, gemäßigte syrische Aufständische auszubilden. Aber ob das gelingt, ist völlig offen.

    Armbrüster: Der Nahostexperte und Publizist Michael Lüders, live hier heute bei uns in den Informationen am Mittag. Besten Dank, Herr Lüders, für das Gespräch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Der UNO-Sondergesandte Lakhdar Brahimi spricht in Damaskus mit dem syrischen Außenminister Walid al-Moallem (r.)
    "Die Quadratur des Kreises, hier eine friedliche Lösung herbeizuführen": Der noch UNO-Sondergesandte Lakhdar Brahimi spricht in Damaskus mit dem syrischen Außenminister Walid al-Moallem (r.) (picture alliance / dpa / Youssef Badawi)
    Blick auf die Manas Air Base der US-Armee in Kirgisien.
    "Man will die USA in Syrien wissen": Die Manas Air Base der US-Armee in Kirgisien. (AP)