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"Wir essen alles"

Das Museum Morsbroich in Leverkusen zeigt gerade Fotos von Michael Schmidt. Mit seinen teilweise schockierenden Bildern aus Lebensmittelbetrieben will der Künstler aber nicht werten - aber er sagt: "Wenn die Bioäpfel nicht schmecken, dann schmecken sie nicht".

Von Peter Backof | 05.03.2012
    "Ich bin eventuell mit einem Vorurteil in die Dinge reingegangen – und mit einer Offenheit wieder raus."

    Michael Schmidt hat in fünf Jahren 26 Orte in Europa bereist und fotografiert, wie Lebensmittel produziert werden. Ein monumentaler Fotoessay, ein Trip durch Europa: die Reisetasche eines Feldarbeiters, die mutmaßlich auf eine Erntearbeiterbiografie schließen lässt, der gewaltige Stapel Gemüsekartonage, der fast so aussieht wie Ackerfläche aus der Satellitenperspektive - Mikro-Makro-Kosmos in ganz erstaunlicher Parallelität:

    "Ich wollte kein Manifest erstellen. Aber man geht natürlich aufgrund seiner eigenen Erfahrungen, die man eben hat, schon vom Geschmacklichen her, geht man natürlich ran und denkt: das ist alles Pappe, aber so einfach kann man sich es eigentlich nicht machen."
    Der Metatrend, den Michael Schmidt mit der Auswahl von rund 170 Fotos herausdestilliert: die Industrialisierung der Landwirtschaft. Tomaten und Küken auf Fließbändern, ohne Angabe, wo genau ein Foto entstanden ist und ohne Wertung. Stille, fast entspannt wirkende Begleitbilder zu dem vielstimmigen Wort- und Bildgewitter, das die Medien aktuell zum Thema "Ernährung" anbieten:

    O-Ton aus "We Feed the World": "Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind, alle vier Minuten verliert jemand das Augenlicht wegen Vitamin A-Mangels ..."

    Klagt zum Beispiel Jean Ziegler an, UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, in der Dokumentation "We Feed the World."

    O-Ton aus "We Feed the World": "Und letztes Jahr sind 842 Millionen Menschen schwerstens permanent unterernährt gewesen."

    Woran das Prinzip der Profitmaximierung der Lebensmittel-Weltkonzerne Schuld sei und die gentechnische Veränderung von Lebensmitteln. Alles ein Gräuel, wahrscheinlich – und auch: Realität.

    "Nee, ich will ja mit meiner Arbeit auch nicht verändern. Ich möchte nur die Realität zeigen; das Urteil sollen sich andere bilden."
    Plädoyers für besseres Essen, durch die Hintertür. Zwar zeigt Schmidt, als Spion in Lebensmittelbetrieben, auch äußerst Unappetittliches, Fleischreste-Pressware, den stieren Blick einer Kuh, verwesendes Gemüse - gegessen und gekauft wird dieses trotzdem. Der Sinn gehobener Küche, sagte einmal Paul Bocuse, besteht darin, die Herkunft der Lebensmittel möglichst geschickt zu verschleiern. Und Michael Schmidts Blick ist ein entlarvender: Wir essen, zumal, wenn wir Hunger haben, alles.

    "Es gibt ja in dieser Ausstellung auch Bioprodukte, die ich fotografiert hab. Und wenn sie nicht schmecken, dann schmecken sie nicht. Dann sind sie zwar eventuell gesünder, aber sie sind nicht besser."

    Politische, wirtschaftliche, ökologische, geschmackliche Parameter, ein weites Feld. Fast schon metaphorisch, das Foto eines Apfels: ein Bioprodukt mutmaßlich, denn er hat braune Flecken im satten Grün seiner Schale, und erinnert an René Magrittes berühmtes Gemälde "Dies ist kein Apfel" – In Schmidts Foto ist er: ein Apfel, wie er früher einmal war, und im Film "We feed the world" heißt es über ihn:

    "Die Kinder werden sich nimmermehr erinnern, wie eine Tomate geschmeckt hat oder ein Apfel. Der Fortschritt, der lässt sich eben nicht aufhalten, so schaut es aus!"

    Der Ernährungsbewusste greift dann im Laden gezielt zu der fleckigen Ware, vermutet ethisch besseren Anbau und Geschmack. Die Diskussion um die sogenannte "Biolüge" zeigt aber, dass Flecken auf der Oberfläche ein Lebensmittel nicht immer besser machen.

    "Ja, aber darüber sind wir uns ja alle im Klaren, dass die Werbewelt eine andere Welt überhaupt darstellt, als die reale."