Donnerstag, 28. März 2024

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"Wir haben ja versucht, eine große Koalition hinzubekommen"

In den USA würde man ihn wohl "lame duck" nennen - in Nordrhein-Westfalen regiert Jürgen Rüttgers gemäß Landesverfassung trotz gescheiterter Regierungsgespräche mit der SPD weiter. Einen Rücktritt schließt er aus.

14.06.2010
    Gerwald Herter: Nordrhein-Westfalen ist das bevölkerungsreichste deutsche Bundesland. Es kann niemandem in diesem Land kalt lassen, dass nach einem schwierigen Wahlergebnis die Regierungsbildung in NRW vorerst gescheitert ist. In diesem Fall bleibt der Ministerpräsident einfach im Amt. Das sieht die Landesverfassung so vor.
    Nun bin ich mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) telefonisch verbunden. Guten Morgen, Herr Rüttgers.

    Jürgen Rüttgers: Guten Morgen, Herr Herter.

    Herter: Herr Ministerpräsident, ein paar Telefonanrufe, eine kurze Erklärung würden wohl genügen. Müssen Sie im Interesse des Landes Nordrhein-Westfalen nicht auf Ihr Amt verzichten, um den Weg für eine Große Koalition frei zu machen?

    Rüttgers: Das verbietet die Landesverfassung, Herr Herter. Da steht drin, dass der amtierende Ministerpräsident und das Landeskabinett weiterarbeiten müssen zum Wohle des Landes, wenn es keine Mehrheit im Landtag gibt, wenn es nicht möglich ist, eine neue Regierung zu bilden.

    Herter: Aber die SPD in NRW hat deutlich gemacht, sie will die Regierung führen, und durch einen Rückzug – nennen wir es nicht Rücktritt – könnten Sie dafür sorgen, dass eine große Koalition zustande käme.

    Rüttgers: Frau Kraft hat es ja offensichtlich nicht geschafft – Sie haben gerade darüber berichtet -, für ihr Programm eine parlamentarische Mehrheit zu bekommen, sicherlich aus verschiedenen Gründen, sicherlich aber auch, weil die Kompromissbereitschaft nicht so hoch war. Wir haben ja versucht, eine große Koalition hinzubekommen, dafür gibt es eine Mehrheit. Man kann also auch sagen, das ist das, was die Wählerinnen und Wähler gewollt haben, auf der Basis wäre es möglich gewesen, eine stabile Regierung zu bilden. Jetzt müssen wir nach der Entscheidung der SPD mit dieser sicherlich schwierigen Situation fertig werden. Das wird in einem Fünf-Parteien-Parlament sicherlich in Zukunft häufiger der Fall sein. Das heißt, die Kompromissbereitschaft der Parteien muss nach meiner Auffassung in den kommenden Jahren wachsen und eine große Koalition werden wir sicherlich häufiger erleben.

    Herter: Sie kreiden der SPD an, dass sie sich nicht kompromissbereit gezeigt habe, aber Sie haben sich auch nicht kompromissbereit gezeigt. Tragen hier nicht Ihre Partei und auch die SPD gemeinsam die Schuld für diese Verhältnisse?

    Rüttgers: Wir haben in den Sondierungsverhandlungen in einer Vielzahl von Punkten gesagt, da können wir aufeinander zugehen. Es gibt eine große Anzahl von Punkten, wo man sich in den Sondierungsverhandlungen schon einig war. Um mal zu sagen: Wir hätten ein Gesetz gegen sittenwidrige Löhne voranbringen können, man hätte ein fortschrittliches Integrationsgesetz ausarbeiten und beschließen können, in der schwierigen und zentralen Frage der Kommunalfinanzen hätte man sich auf einen Entschuldungsfonds einigen können, die Landesfinanzen, das heißt der Abbau der Schulden, der Neuverschuldung auf dem Hintergrund der Schuldenbremse und auf dem Hintergrund der Vorschriften der Landesverfassung, wäre ein großes Thema gewesen, und ich bleibe dabei: Selbst bei der Schulpolitik hätte man unter den Stichworten Schulkonsens und Schulvielfalt Lösungen finden können.

    Herter: Aber nicht in Personalfragen, und da lag der Ball in Ihrem Feld.

    Rüttgers: Es gibt einige demokratische Regeln, und diese demokratischen Regeln sagen, dass bei einer Koalitionsbildung die stärkste Partei den Regierungschef stellt. Die stärkste Partei im nordrhein-westfälischen Landtag ist die CDU und ich habe noch keine Partei gesehen, die eine Regelung für sich akzeptiert, dass der politische Gegner, oder der politische Partner, festlegen kann, mit welchem Personalangebot man in eine Regierung geht. Das sind die beiden Punkte, auf die wir hingewiesen haben, und die hat die SPD nicht akzeptieren wollen, Themen und Bedingungen, die sie in jeder anderen Regierung in Deutschland bisher selber so für sich in Anspruch genommen hat.

    Herter: Herr Althaus ist in Thüringen gegangen.

    Rüttgers: Das war, wie Sie wissen, auch eine ganz besondere Situation. Die haben wir aber in Nordrhein-Westfalen nicht.

    Herter: Herr Koch hat seinen Rücktritt angekündigt, ohne große Not. Herr Oettinger ist ohne viel Federlesens nach Brüssel gegangen. Herr Wulff, der Ministerpräsident von Niedersachsen, kandidiert als Bundespräsident. In dieser Reihe wollen Sie nicht stehen?

    Rüttgers: Sie wissen, dass ich die Verantwortung für das schlechte Wahlergebnis der CDU am Wahlabend übernommen habe, auch bereit war, die Konsequenzen zu tragen. Die Situation hat sich so entwickelt, dass man mir gesagt hat – und ich habe diese Verantwortung dann übernommen -, du musst jetzt die Gespräche führen. Jetzt sagt die Landesverfassung, du musst deine Arbeit für das Land weitermachen. So ist es jetzt gekommen.

    Herter: Sie haben keine Handlungsmöglichkeiten mehr, Sie müssen die Situation akzeptieren. Freuen Sie sich auf Ihre Amtszeit, wenn ich das mal so nennen kann?

    Rüttgers: Ich weiß natürlich, dass wir den Auftrag durch die Landesverfassung haben, geschäftsführende Regierung zu sein, aber wenn Sie sich die Landesverfassung anschauen, dann werden Sie sehen, dass wir handlungsfähig sind. Ich glaube aber – und das will ich auch tun -, dass wir angesichts der besonderen Mehrheitssituation im Parlament, nämlich keine gestaltende Mehrheit, aber eben eine Mehrheit, die die Regierung nicht trägt, uns aufeinander zubewegen müssen, dass wir den Versuch machen müssen, da, wo es im Interesse der Menschen des Landes notwendig ist, dann im Einzelfall kompromissbereit zu sein.

    Herter: Wie wollen Sie sich wehren, wenn die Landtagsmehrheit versucht, die Studiengebühren abzuschaffen?

    Rüttgers: Es gibt für solche Fragen natürlich Regelwerke. Wenn man hingeht und sagt, ich fasse einen finanzwirksamen Beschluss, dann muss jeder – jede Regierung muss das, aber auch jede Opposition muss das – in politischer Verantwortlichkeit sagen, woher das Geld kommt. Die Frage muss man dann gemeinsam miteinander erörtern. Wir werden auf jeden Fall – davon können Sie ausgehen – die Mehrheit, den Willen des Landtages, wenn er dann in irgendeiner Form sich artikuliert, respektieren.

    Herter: Und wenn die Landtagsmehrheit einige Knackpunkte, die ja in den Koalitionssondierungen aufgetaucht sind, aus dem Wege räumt, könnte man sich dann nicht doch noch über eine Regierung verständigen?

    Rüttgers: Ich bin nicht ein Mensch, der jetzt die Zukunft vorhersagen kann. Ich persönlich – das habe ich ja eben auch gesagt – glaube, dass man bei gutem Willen, auch der Bereitschaft, auf andere zuzugehen, die Chance gehabt hätte, politische Mehrheiten und damit eine stabile Regierung zu bekommen. Vielleicht kristallisiert sich das in den nächsten Monaten heraus.

    Herter: In den Sondierungen war die SPD bisher federführend. Warum eigentlich war das so? Wäre es besser gewesen, von Anfang an die Initiative zu ergreifen?

    Rüttgers: Ja, das hat sich am Wahlabend so ergeben, weil Sie wissen, da gab es über lange Zeit die Meldungen, dass die SPD stärkste Partei im Landtag geworden wäre. Das ist erst nach zwei Uhr dann geändert worden, daraus hat sich so ein Ablauf ergeben. Wir haben darüber diskutiert. Ich bin nicht jemand, der in einer solchen Situation dann sagt, jetzt muss das aus protokollarischen Gründen geändert werden. Am Schluss hätte man sagen müssen, was man will, es ist leider nicht dazu gekommen, jetzt müssen wir sehen, wie es weitergeht.

    Herter: Einen Vorteil hat das ja für die Union und die FDP: Schwarz-Gelb behält die Mehrheit im Bundesrat. Ist Ihnen das viel wert?

    Rüttgers: Ich bin gewählt worden auch jetzt in dieser Situation, um das Interesse des Landes zu wahren und mich für die Interessen der Menschen im Land einzusetzen. Das ist das Kriterium. Für mich ist der Bundesrat keine Plattform für Parteipolitik.

    Herter: SPD-Chef Gabriel unterstützt dennoch die Kritik an der NRW-SPD. Halten Sie das für bemerkenswert?

    Rüttgers: Sie werden verstehen, dass ich das jetzt nicht kommentieren möchte. Mir geht es darum, dass wir jetzt in dieser Woche und in den nächsten Tagen Wege finden, dass man das, was zu regeln ist, regelt. Das heißt, es müssen ja bestimmte Entscheidungen jetzt, nachdem die Koalitionsverhandlungen nicht zustande kommen, getroffen werden.

    Herter: Das war der amtierende Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers (CDU), über das zumindest vorläufige Scheitern einer Regierungsbildung im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland. Herr Rüttgers, danke für dieses Gespräch.