Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Wir haben nichts von dieser Zelle gewusst"

Manfred Murck sagt, dass man gegenwärtig noch keine Schlussfolgerung für Ermittlungsprobleme beim Verfassungsschutz ziehen könne. Für ihn sei die eigentliche Frage, warum nach neun ermordeten Ausländern keine Rechtsextremen unter Verdacht geraten seien.

Manfred Murck im Gespräch mit Anne Raith | 15.11.2011
    Anne Raith: Die Neonazi-Gruppe konnte, obwohl schon im Visier der Fahnder, untertauchen, über Jahre unbemerkt schwere Straftaten begehen, und das in ganz Deutschland. Morde an neun ausländischen Geschäftsleuten, an einer Polizistin sollen auf ihr Konto gehen, ebenso der Nagelbomben-Anschlag in Köln vor sieben Jahren und eventuell ein weiterer Anschlag in Köln. Bei der Suche auf die Antwort nach der Frage, wie die drei Jahre lang unbemerkt handeln konnten, rückt nun immer mehr der Verfassungsschutz in den Mittelpunkt, auch, weil von legalen illegalen Papieren die Rede ist, Papieren nämlich, die Behörden verdeckten Ermittlern oder Kronzeugen ausstellen. - Am Telefon begrüße ich nun Manfred Murck, den Präsidenten des Hamburger Verfassungsschutzes. Einen schönen guten Morgen!

    Manfred Murck: Guten Morgen, Frau Raith.

    Raith: Herr Murck, welche Schlussfolgerung ziehen Sie denn aus all dem, was wir in den vergangenen Tagen gehört haben?

    Murck: Ich denke, im Moment ist es noch zu früh, da wirklich Schlussfolgerungen zu ziehen, weil die Nachricht, dass für diese Serie von Morden Leute zuständig waren, die rechtsextremistisch motiviert wahrscheinlich waren, zumindest in der rechtsextremen Szene bis 1998 verankert waren, die kennen wir erst seit vergangenen Donnerstag und seitdem laufen natürlich die Köpfe und die Drähte heiß. Wir fragen uns, was war, gibt es Versäumnisse. Aber das ist alles noch nicht so klar, dass man jetzt eindeutige Schlussfolgerungen ziehen sollte. Das werden sicher A die Ermittlungen in den nächsten Tagen und Wochen durch das BKA dann noch ergeben, welche konkreten Fragen und Fehler auftauchen, und B - Sie haben es vorhin angesprochen - die Kontrollgremien nicht nur des Bundes, sondern auch der Länder werden sicher tagen, die Verfassungsschutzbehörden werden sich fragen und prüfen und die Polizei auch.

    Raith: Aber Herr Murck, pardon, kann man wirklich davon ausgehen, dass der Verfassungsschutz nichts wusste, bei all dem, was man jetzt zusammenträgt, dass es eben lange Zeit Informanten des Verfassungsschutzes gab beim Thüringer Heimatbund, dass da legale illegale Papiere im Spiel gewesen sein sollen, dass da eineinhalb Millionen Euro in bar geflossen sein sollen? Kann man davon ausgehen, dass da niemand von wusste?

    Murck: Da würde ich jedenfalls auch nicht von ausgehen. Nach dem ersten Augenschein, so wie er sich darstellt, kann das gut so gewesen sein. Sie fragen mich jetzt nur als Hamburger Verfassungsschützer und für uns kann ich sagen, wir haben dieses Trio nicht gekannt, wir haben damals zwar einzelne Kontakte von Hamburger Neonazis zum Thüringer Heimatschutz gehabt, aber das Trio taucht bei uns in den Dateien nicht auf. Also so gesehen - da bin ich jetzt als Hamburger etwas überfragt - liegen die eigentlichen Fragen dann doch eher in Thüringen, vielleicht beim Bundesamt und bei ein, zwei anderen Ämtern. Es sagt ja niemand im Moment, dass das alles sozusagen gut und sauber aussieht.

    Ich darf aber zum Beispiel auf einen einzelnen Punkt hinweisen, weil sich im Moment die Nachrichten und damit dann vielleicht auch Fehler kolportieren. Diese legalen illegalen Papiere, die Sie angesprochen haben, die wurden als sehr starkes Argument dafür genommen, dass der Verfassungsschutz da gewesen sein muss. Gestern haben wir nun gehört, es waren keine legalen illegalen Papiere, sondern es waren einfach gefälschte Papiere, wo man das Foto ausgetauscht hat. Das kann dann schon wieder jeder. Also deswegen meine Bitte, da noch einen Moment sich zurückzuhalten, aber nicht, um irgendwas zu vertuschen - also aus unserer Sicht, Hamburger Sicht sehe ich da jetzt gar keinen Grund für -, sondern einfach, um zu schauen, was ist wirklich dran an den vielen Einzelheiten, die in den letzten Tagen kolportiert worden sind.

    Raith: Die Verantwortung wird also noch zu klären sein. Aber zumindest von, sagen wir, Kommunikationsproblemen können wir reden, wenn über Jahre einfach die verschiedenen Verfassungsschutzämter ganz offensichtlich nicht zusammengearbeitet haben.

    Murck: Das ist grundsätzlich natürlich gar nicht so. Die Verfassungsschutzbehörden arbeiten sehr eng zusammen, sind gesetzlich verpflichtet, zusammenzuarbeiten, und gerade in den letzten Jahren sind alle Gremien intensiviert worden und zusätzliche Dateien/Maßnahmen gebildet worden. Das ging da zunächst mal natürlich um islamistisch motivierten Terrorismus. Aber es gibt zum Beispiel eine Koordinierungsgruppe für den Rechtsextremismus, das spielt auf allen möglichen Tagungen eine Rolle. Also ich glaube weniger - kann ja sein; dann werden wir uns da sicher ändern müssen und dann wird man auch Fehler eingestehen müssen -, ich glaube weniger an Kommunikationsprobleme in dem Routineaustausch der Verfassungsschutzbehörden, sondern wenn, dann müssten einzelne Ämter etwas gewusst oder verpasst haben und das den anderen nicht kommuniziert haben. Dann werden wir also hier im Bereich von wirklichen Fehlern bei der Übermittlung, aber nicht bei den Strukturen der Zusammenarbeit. Da mag es auch Fehler gegeben haben. Die sehe ich aber im Moment nicht im Vordergrund. Wir haben einfach nichts von dieser Zelle gewusst, sie taucht in unseren Dateien nicht auf. Das gilt für uns, das gilt für andere, viele andere Landesbehörden für Verfassungsschutz. Also ist die Frage, das finde ich richtig, wieso hat man sie eigentlich nicht entdeckt, als sie abgetaucht sind. Da meine ich schon, die wurden ja auch polizeilich gesucht, das waren ja nicht nur einfach irgendwelche Jungs, die sich da aus der Szene verabschiedet haben, sondern ...

    Raith: Das heißt, da wurde möglicherweise absichtlich getäuscht, auch vonseiten des Verfassungsschutzes? Das implizieren Sie, wenn Sie sagen, die Kommunikation funktioniert eigentlich gut.

    Murck: Ich sage nicht, es wurde absichtlich getäuscht. Ich würde nur sagen, ich vermute, dass sozusagen die Ermittlungsprobleme oder auch Übermittlungsprobleme, wenn es denn welche gab, sich eher konzentrieren in einzelnen Behörden, aber nicht in der Zusammenarbeit. Die andere Frage, die fast alle Landesbehörden trifft, Verfassungsschutzbehörden, auch den Bund, ist die Frage, die ist ja auch diskutiert worden, warum ist man, nachdem neun Ausländer quasi hingerichtet worden sind, nicht darauf gekommen, das könnten Rechtsextreme sein. Ich weiß, dass diese Frage auch mit dem BKA fallweise diskutiert worden ist, aber man hat eben keine wirklichen bestätigenden Anhaltspunkte dafür gefunden. Also ich denke, der Schlüssel liegt eigentlich in der Frage, wie konnte eine solche Gruppe abtauchen und klandestin über mehr als ein Jahrzehnt agieren. Das muss geklärt werden und wird auch geklärt werden.

    Raith: Haben Sie mit Blick auf den Verfassungsschutz denn darauf schon eine Art Antwort?

    Murck: Ich bin im Moment davon entfernt, mit Ferndiagnosen irgendwie jetzt Kollegen in schlechtes Licht zu rücken, sondern das werden die Kontrollkommissionen oder möglicherweise auch unabhängige Kommissionen, die zusätzlich eingerichtet werden, klären. Und alle Länder prüfen im Moment, die Verfassungsschutzbehörden prüfen, welche Kenntnisse sie ins Umfeld hatten, ob sich von daher neue Ermittlungsansätze ergeben. Es tauchen ja jetzt auch neue Personen auf. Also die erste Idee, die seien ganz allein und nur ein Trio gewesen, war schon letzte Woche klar, dass das nicht so war, dass eine vierte Person eine offensichtlich wichtige Rolle gespielt hat. Jetzt tauchen weitere Namen auf und in diesem Zusammenhang tauchen dann wahrscheinlich auch Fragen auf, wie Sie sie angesprochen haben.

    Raith: Heute Morgen im Deutschlandfunk Manfred Murck, Präsident des Hamburger Verfassungsschutzes. Haben Sie besten Dank für das Gespräch.

    Murck: Gern geschehen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.