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"Wir hoffen ganz stark darauf, dass das Nachtflugverbot bestätigt wird"

Seit Jahren kämpft die vom Fluglärm des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens besonders betroffene Stadt Flörsheim für leisere Nächte. Bürgermeister Michael Antenbrink (SPD) will mindestens eine Deckelung des Lärmpegels, bessere Entschädigungen für Anwohner - und Klimaanlagen für Anwohner, die nachts ihre Fenster schließen müssen.

Das Gespräch mit Michael Antenbrink führte Christiane Kaess | 13.03.2012
    Christiane Kaess: Am Anfang stand eine Mediation zum Flughafenausbau Frankfurt am Main und das Ergebnis galt als vorbildlich: Kein Ausbau ohne Nachtflugverbot, so konnte man es zusammenfassen. Aber dann kam alles anders. Ende 2007 genehmigte die hessische Landesregierung (damals noch unter Roland Koch) den Bau einer neuen Landebahn, ohne wie versprochen die Nachtruhe einzuhalten. Kommunen und Privatpersonen im Rhein-Main-Gebiet klagten also vor dem Verwaltungsgerichtshof Kassel. Dieser bestätigte zwar die Genehmigung des Landes für die Flugbahn, verhängte aber ein Nachtflugverbot. Dagegen legte die hessische Landesregierung Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein. Kommunen und Privatleute wiederum verlangen vor der höheren gerichtlichen Instanz weitere Betriebsbeschränkungen für den ausgebauten Rhein-Main-Airport. Ab heute wird in Leipzig verhandelt.
    Am Telefon ist jetzt Michael Antenbrink (SPD), Bürgermeister der Stadt Flörsheim und Vizevorsitzender einer Bürgerinitiative, die sich gegen den Fluglärm in der stark belasteten Stadt einsetzt. Guten Tag, Herr Antenbrink.

    Michael Antenbrink: Guten Tag, Frau Kaess.

    Kaess: Herr Antenbrink, welche Entscheidung erhoffen Sie sich von dem Bundesverwaltungsgericht?

    Antenbrink: Zunächst einmal ganz oben steht natürlich die realistische Erwartung, dass das Nachtflugverbot von 23 bis fünf Uhr bestätigt wird. Aber die Stadt Flörsheim am Main kämpft jetzt seit über zehn Jahren gegen diese Landebahn und wir haben natürlich nach wie vor das Ziel, dass diese Landebahn jetzt wieder geschlossen wird.

    Kaess: Aber ist das wirklich realistisch?

    Antenbrink: Na ja, was ist realistisch? Man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Wenn man sich die Belastungen anschaut in Flörsheim am Main, wenn man sieht, wie unsere Grundschule, die Paul-Maar-Schule, in 280 Meter Höhe alle zwei Minuten überflogen wird bei Ostbetrieb, dann muss man fragen, ist das die richtige Entscheidung gewesen. Und wenn man sich die Frage mal kritisch stellt, dann wird man feststellen, dass es nicht die richtige Entscheidung war, und dann muss man falsche Entscheidungen korrigieren.

    Kaess: Was könnte sich dann nach so einer Gerichtsentscheidung konkret an der Situation bei Ihnen in Flörsheim ändern?

    Antenbrink: Wie gesagt, wir hoffen ganz stark darauf, dass das Nachtflugverbot bestätigt wird, und es geht ja auch um die Nachtrandstunden von 22 bis 23 Uhr und von fünf bis sechs Uhr. Da sollen ja auch mehr Flüge zugelassen werden, und da hat der Verwaltungsgerichtshof in Kassel gesagt, das ist zu viel. Da hoffen wir, dass es da auch ein Zurück gibt, und wenn wir das erreichen, dann sind wir schon mal zufrieden, dann haben wir unser Minimalziel erreicht. Aber wir kämpfen weiter dafür, dass diese Landebahn wieder geschlossen wird, weil es des Guten einfach zu viel ist. Auch in Flörsheim leben wir in dem Widerspruch, dass wir die Belastungen haben und dass viele am Flughafen arbeiten. Wir wissen, wir sind uns der Tatsache bewusst, dass der Flughafen für die Region wichtig ist, aber wie alles im Leben gibt es auch dort eine Grenze des Zumutbaren, und diese Grenze ist bis heute noch nicht definiert.

    Kaess: Grenze des Zumutbaren, sagen Sie. Beschreiben Sie uns noch ein bisschen die Situation. Sie haben gerade ein Beispiel genannt. Wie viele Leute sind denn eigentlich betroffen?

    Antenbrink: Man kann etwa sagen, stark betroffen, hoch betroffen ist etwa ein Drittel von dem Ortskern Flörsheim selbst. Da reden wir über so 4000 bis 5000 Menschen, die dort leben, die unmittelbar von diesen niedrigen Überflügen betroffen sind.

    Kaess: Niedrig heißt wie niedrig ungefähr?

    Antenbrink: Das schwankt zwischen 270 und 320 Meter. Das ist so die heiße Zone, wenn ich das mal so formulieren darf. Dort leben Menschen, die dort neu gebaut haben, unmittelbar bevor die Entscheidung für die Landebahn fiel; die dort heute leben, die sich finanziell gebunden haben, die dort auch teilweise nicht mehr weg kommen, weil sie sich es finanziell nicht erlauben können, die dort mit ihren Kindern leben, die dort unter dem Dach schlafen, und alle diese Menschen haben jetzt Angst vorm Sommer. Im Sommer haben wir überwiegend Ostbetrieb. Das heißt, die müssen bei über 30 Grad unterm Dach schlafen bei geschlossenem Fenster. Wie das gehen soll, kann mir kein Mensch erklären.

    Kaess: Und diese Betroffenen würden sich auch mit einem besseren Lärmschutz zufriedengeben?

    Antenbrink: Was bleibt ihnen anderes übrig letztendlich, wobei man natürlich auch sagen muss, wir kämpfen natürlich auch dafür, dass nicht nur die Fenster verbessert werden, optimal gestaltet werden – das ist immer noch nicht genug -, wir kämpfen auch dafür, dass gerade dieses Schlafen unterm Dach, die Problematik des Sommers, dass das geregelt wird. Da hat ja die hessische Landesregierung, ich sage mal vorsichtig, Signale ausgesendet, dass sie da was tun will, und dazu gehört zum Beispiel eine Klimatisierung der Räume unterm Dach, eine bessere Dämmung der Dächer, dass man da dann im Sommer auch schlafen kann.

    Kaess: Da haben Sie jetzt schon eine Maßnahme angesprochen. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier von der CDU verspricht ja, dass es leiser wird, und er hat mehr als 300 Millionen Euro für den Lärmschutz und ein Paket von Maßnahmen versprochen. Haben Sie kein Vertrauen?

    Antenbrink: Ich meine, Vertrauen in die Maßnahmen im Prinzip schon. Aber letztendlich muss man ganz nüchtern feststellen, das ist nur Schadensbegrenzung. Wie das im Detail aussieht, ist ja noch zu klären. Da warten wir gespannt ab und hoffen, dass wir auch beteiligt werden. Aber das ist wie gesagt nur Schadensbegrenzung. Die Seite des aktiven Lärmschutzes, die der Herr Ministerpräsident da angekündigt hat und die Luftverkehrswirtschaft, das geht an Flörsheim, an den Problemen von Flörsheim völlig vorbei. Wir sind einfach viel zu dicht am Flughafen dran, als dass dort aktive Maßnahmen noch was bewirken können. Die Anhebung der Anfluggrundlinie um 0,2 Grad bedeutet in Flörsheim nichts anderes, dass die Flugzeuge gerade mal 17 Meter höher fliegen, dann mit größer ausgefahrenen Landeklappen, was bedeutet, es wird nicht leiser, sondern vielleicht sogar noch lauter.

    Kaess: Aber nun hat ja die Betreibergesellschaft Fraport ein Immobilienprogramm aufgelegt, in dem sie den ganz stark belasteten Menschen, die gerne wegziehen möchten, deren Immobilie abkauft. Das ist doch ein faires Angebot?

    Antenbrink: Das haben wir auch vehement gefordert und das Angebot, das die Fraport zunächst gemacht hat, war viel zu gering, hat viel zu wenig Leute erreicht. Jetzt ist das Angebot vergrößert worden, das ist ein Schritt in die richtige Richtung, das muss man honorieren. Aber es kann ja nicht, sage ich mal, das Ziel oder die Lösung des Problems sein, dass man alle Leute aus Flörsheim jetzt wegkauft, sozusagen. Aber die, die weg wollen, sollen eine faire Chance haben, weggehen zu können.

    Kaess: Sie haben es aber auch schon angedeutet: Es gibt ja auch Leute, die anders denken, auch bei Ihnen. Was sagen Sie denn denjenigen, für die der Flughafen und die Fraport ein zuverlässiger Arbeitgeber ist?

    Antenbrink: Ich sage das, was ich eigentlich immer schon gesagt habe, dass der Flughafen für diese Region richtig und wichtig ist. Aber wie alles im Leben gibt es eine Grenze des Zumutbaren. Ich habe immer das schöne Beispiel der Kopfschmerztabletten. Ich sage, eine Kopfschmerztablette ist hilfreich und macht uns wieder gesund, aber zehn Kopfschmerztabletten sind eben des Guten zu viel. Und so gilt das auch beim Fluglärm, bei den Flugbewegungen. Das Minimum, was wir noch brauchen, wenn die Landesregierung diese Bahn betreiben darf und die Fraport, ist eine Deckelung des Lärms, damit die Menschen, die hier bleiben, die hier leben wollen, auch wissen, wie weit es noch gehen wird, und sich darauf einstellen können. Jeder, der ein Haus kaufen will in Flörsheim, oder rund um den Flughafen, der muss doch wissen, was noch an Lärmbelastung auf ihn zukommt, und davor, vor dieser Aussage hat sich die Landesregierung bisher gedrückt. Da hat sie Angst vor der Luftverkehrswirtschaft.

    Kaess: Aber wie soll denn diese Deckelung, die Sie sich wünschen, zustande kommen, denn die Betreiber gehen ja fest davon aus, dass die vierte Bahn, um die es geht, unverzichtbar ist?

    Antenbrink: Ja gut. Selbst wenn die Bahn bestehen bleiben darf, wenn sie betrieben werden darf, kann man trotzdem sagen, wir begrenzen die Zahl der Flugbewegungen, und man kann ja auch darüber reden, dass das, was an Lärmminderung tatsächlich erreicht wird, dann beiden Seiten zugutekommt. Dann wäre auch die Luftverkehrswirtschaft endlich gezwungen, konkret was zu tun, denn die Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes werden uns ja schon seit über zehn Jahren versprochen, sind ja immer Teil der Mediation gewesen und zum Großteil nie umgesetzt worden. Erst der öffentliche Druck, die vielen Demonstrationen haben bewirkt, dass man jetzt ernsthaft sich an das Thema des aktiven Lärmschutzes überhaupt heran begibt.

    Kaess: Aber wie soll das denn beiden Seiten zugutekommen? Die Lufthansa sagt ja, schon das Nachtflugverbot schade ihr ganz konkret. Keine vergleichbare Drehscheibe in Europa hat ein Nachtflugverbot.

    Antenbrink: Das stimmt so sicherlich nicht. Es gibt viele Flughäfen, die ein Nachtflugverbot haben, auch die großen. Von daher: Das ist eine eindeutig falsche Aussage, die ist auch längst widerlegt. Und darüber hinaus muss man sagen, die Luftverkehrswirtschaft, die Fracht, dieser schöne Spruch "Die Fracht braucht die Nacht", auch das ist längst widerlegt. Wenn man mit den Speditionen redet, stellt man fest, auch am Frankfurter Flughafen, dass denen die Nacht überhaupt nicht wichtig ist, dass in der Nacht verladen wird und am Tag geflogen wird. Das ist das gängige Prinzip. Von daher ging es eigentlich immer nur darum, zum Beispiel Touristikflieger ihre Umläufe machen zu lassen, das ist reines Geld verdienen, und die Passage in der Nacht fliegen zu lassen. Das ist ja auch der Grund, warum der VGH, sage ich mal, das Nachtflugverbot installiert hat.

    Kaess: Michael Antenbrink war das, er ist Bürgermeister der Stadt Flörsheim und Vizevorsitzender einer Bürgerinitiative, die sich gegen den Fluglärm in der Stadt einsetzt. Vielen Dank für das Gespräch.

    Antenbrink: Danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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