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"Wir können Gesundheit auf Dauer nicht nur mit den Löhnen finanzieren"

Laut Jens Spahn bringt die vorgesehenen Erhöhung die Kassenbeiträge gerade einmal auf den Stand vor Ausbruch der Finanzkrise. Außerdem habe die Regierungskoalition mit einer Weiterentwicklung der lohnunabhängigen Zusatzbeiträge auch eine strukturelle Reform vereinbart.

Jens Spahn im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.07.2010
    Christoph Heinemann: Millionen Kassenpatienten müssen schon bald mit höheren Kosten rechnen, die Regierungskoalition plant, die Beiträge von 14,9 auf 15,5 Prozent anzuheben. Diesen Aufschlag von 0,6 Prozentpunkten sollen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen. Auch bei den Zusatzbeiträgen, die die Kassen von ihren Versicherten erheben können, wird eine Erhöhung erwogen. Die zahlen dann die Versicherten allein. Hans Heinrich Driftmann, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, warnt die schwarz-gelbe Koalition in der "Bild"-Zeitung vor dem Bruch eigener Versprechen, steigende Lohnzusatzkosten wären das Gegenteil einer tragfähigen Reform, ohne den Einstieg in die einkommensunabhängige Gesundheitsprämie in Verbindung mit einem steuerfinanzierten sozialen Ausgleich verabschiede sich die Koalition von ihren eigenen Versprechen. Am Telefon ist Jens Spahn, CDU-Mitglied des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen!

    Jens Spahn: Schönen guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Spahn, also anstelle einer Strukturreform werden die Einnahmen erhöht?

    Spahn: Nein, beides geht zusammen. Der Beitragssatz wird im Übrigen auf die Höhe gebracht, auf der er schon vor der Krise war. Wir haben in der Krise auf 14,9 gesenkt, eben auch um Unternehmen in der Krise zu unterstützen. Wir gehen jetzt langsam, aber sicher aus der Krise raus, und da ist es nur fair, dann auch wieder auf den alten Stand zurückzukehren. Aber richtig ist, diese Beitragssatzerhöhung muss kombiniert werden mit einer Perspektive, die auch lohnunabhängig ist, und deswegen gehören die Zusatzbeiträge und deren Weiterentwicklung dazu.

    Heinemann: Und wo ist die Strukturreform?

    Spahn: Das ist die Strukturreform. Die Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge, also des lohnunabhängigen Teils, ist ja die eigentliche Perspektive für die Zukunft. Wir können Gesundheit auf Dauer nicht nur von den Löhnen finanzieren, von den 28 Millionen abhängig Beschäftigten und ihren Arbeitgebern, sondern wir brauchen eine breitere Grundlage. Und da sind die Zusatzbeiträge und gerade auch ihre Entwicklung ganz, ganz entscheidende Strukturreformen.

    Heinemann: Also Ihre Strukturreform heißt für die Bürger weniger brutto vom Netto?

    Spahn: Na ja, die Wahrheit ist, in einer Gesellschaft, die älter wird, in einer Gesellschaft, die medizinischen Fortschritt will – wenn es um Krebs geht, wenn es um MS-, Parkinson-, Demenzmedikamente etwa geht –, eine solche Gesellschaft wird mehr Geld für Gesundheit ausgeben müssen. Dann können wir darüber streiten, wie wir es finanzieren, ob über Beiträge, über Steuern oder eben über lohnunabhängige Zusatzbeiträge oder Prämien. Und genau da einen ausgewogenen Mix zu finden, genau das haben wir jetzt vor, aber in der Perspektive – ich sag es noch mal – muss klar sein, die Zusatzbeiträge sind das eigentliche Instrument für die Steigerung in der Zukunft.

    Heinemann: Wie wäre es mit Einsparungen?

    Spahn: Die werden wir ja auch vornehmen, das war ja auch schon Diskussion in den letzten Wochen. Wir werden bei den Ärzten, bei den Zahnärzten, bei den Krankenhäusern, auch bei den Verwaltungskosten der Krankenkassen die Zuwächse im nächsten Jahr begrenzen. Das ist jetzt eine Gemeinschaftsaufgabe. Wir haben das größte Defizit der gesetzlichen Krankenversicherungen seit Bestehen im nächsten Jahr, zehn Milliarden Euro, da muss gespart werden bei Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern, da müssen Arbeitgeber ihren Beitrag leisten, aber auch die Versicherten.

    Heinemann: Wir sprechen mit dem CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn. Wie hoch beziffern Sie das Finanzloch im Gesundheitsfonds? Da gab es unterschiedliche Meldungen ja, die Regierung sprach von elf Milliarden, im "Handelsblatt" war gestern zu lesen, dass eigentlich nur 3,4 Milliarden fehlen.

    Spahn: Na ja, die Zahl, die da genannt worden ist gestern, ist ziemlicher Humbug. Wir haben ein Defizit, das um die zehn Milliarden Euro liegt, genau kann das natürlich noch niemand sagen. Das hängt davon ab, wie die Wirtschaft sich entwickelt. Wir wollen aber auch im Übrigen eine Reform machen, die ja nicht nur auf das nächste Jahr schielt, sondern die auch die steigenden Ausgaben der nächsten Jahre auffangen kann, eine Perspektive bietet für deren Finanzierung. Und deswegen kann es nicht nur darum gehen, irgendwie fürs nächste Jahr ein Defizit zu stopfen, sondern langfristig Strukturen zu verändern. Und dazu gehören vernünftige Zusatzbeiträge.

    Heinemann: Herr Spahn, der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagt, höhere Zusatzbeiträge belasten nicht die Spitzenverdiener, sondern vor allem die mittleren Einkommen bis 3000 Euro – eine Tendenz, die wir ja schon vom Sparpaket der Regierung kennen.

    Spahn: Nun, ich bin immer wieder verwundert, wie gut Herr Lauterbach sich mit den Problemen schon auskennt, bevor die Details veröffentlicht worden sind, aber das ist dann noch mal eine andere Baustelle. Unabhängig davon ist sicher richtig: Wir müssen einen vernünftigen Sozialausgleich auch bei den Zusatzbeiträgen haben, der gerade Gering- und Mittelverdiener nicht zusätzlich belastet, der vor allem diejenigen, die gut verdienen, und zum Teil auch die, die über der Beitragsbemessungsgrenze verdienen – das wird ja heute gar nicht herangezogen, das Einkommen über 3700 Euro –, mit hineinnimmt in die Finanzierung. Nur lohnabhängig geht eben für die Zukunft nicht mehr, sondern über Steuersystem, über einen steuerfinanzierten Sozialausgleich müssen auch andere Einkommensbestandteile für die Finanzierung herangezogen werden. Das ist ganz, ganz wichtig, sonst bezahlen nur die abhängig Beschäftigten in Deutschland und ihre Arbeitgeber die Krankenversicherung, und das trägt auf Dauer nicht.

    Heinemann: Habe ich das jetzt richtig verstanden, dass die Kopfpauschale doch noch nicht vom Tisch ist?

    Spahn: Ach, ich halte nichts von diesen Begriffsauseinandersetzungen, die insbesondere im Wahlkampf geprägt worden sind. Entscheidend ist für uns, für diese Koalition, dass es einen Einstieg, eine Weiterentwicklung bei lohnunabhängigen Beiträgen gibt, weil wir eben sagen, auf Dauer funktioniert es nicht. Ein System, das Fortschritt will, das große Steigerungen von Jahr zu Jahr hat wegen dieses Fortschrittes, nur über die Grundlöhne zu finanzieren, weil sie auch in der Krise nicht so stark steigen. Das muss jedes Jahr ein Loch, ein Defizit produzieren, und deswegen brauchen wir auf Dauer eine andere Finanzierung, und da gehören die Zusatzbeiträge dazu.

    Heinemann: Noch mal, damit ich es richtig verstehe: Die CSU sagt ganz klar Nein zur Kopfpauschale, und Sie setzen sich, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, ein für eben eine solche einkommensunabhängige Gesundheitsprämie?

    Spahn: Nein, was wir vereinbart haben in der Koalition, ist die Weiterentwicklung der bestehenden lohnunabhängigen Zusatzbeiträge. Und jetzt können wir Begriffsklauberei machen oder nicht, alle drei Parteien, auch alle drei Parteivorsitzenden haben sich darauf verständigt, die bestehenden Zusatzbeiträge weiterzuentwickeln und vor allem – und das ist wichtig – sozial auszugleichen aus Steuermitteln. Und das ist die entscheidende Strukturveränderung, da will ich jetzt auch nicht über Begriffe streiten.

    Heinemann: Ach, können Sie es mir noch mal erklären: Ist jetzt die Kopfpauschale vom Tisch oder nicht?

    Spahn: Also im Übrigen war die nie auf dem Tisch. Der Begriff suggeriert, man müsse pro Kopf in Zukunft eine Prämie, einen Beitrag zahlen – das stimmt nicht. Es bleibt bei der beitragsfreien Mitversicherung von Kindern und von Ehepartnern. Allein deswegen ist der Begriff schon immer Humbug gewesen und war eigentlich nur einer aus dem Wahlkampf.

    Heinemann: Ist das jetzt eigentlich eine weitere Niederlage für den Gesundheitsminister?

    Spahn: Ich weiß jetzt nicht, wie Sie überhaupt auf weitere kommen. Entscheidend ist, dass die Koalition insgesamt es schafft, bei diesem wichtigen Themenfeld voranzukommen, auch vor allem eine Perspektive für die künftige Finanzierung zu bieten. Und mein Eindruck ist, dass so, wie wir das wahrscheinlich nächste Woche auf die Bahn bringen, das durchaus ein Erfolg für den Minister ist.

    Heinemann: Herr Spahn, wichtig für die Gesundheit sind Erfolgserlebnisse und Freude. Mit welchem Ergebnis des Spiels Deutschland–Argentinien rechnen Sie heute?

    Spahn: Ich rechne nach einem spannenden Spiel, im Übrigen mit vielen Emotionen, mit 2:1 – für uns natürlich.

    Heinemann: Sagt der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn. Danke schön fürs Gespräch und auf Wiederhören!

    Spahn: Gerne!