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"Wir können nicht die Menschenrechte teilen"

Helmut Schäfer, ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt, hat scharfe Kritik an der Haltung der Bundesregierung im Nahost-Konflikt geäußert. Es sei ein "vollkommener Unsinn", sich aus falsch verstandener Staatsräson an israelischen Zielvorstellungen zu orientieren, sagte Schäfer. "Wer glaubt, mit Gewalt und dem Bruch der Genfer Konventionen könne er Frieden erreichen, der wird scheitern", betonte der FDP-Politiker.

Moderation: Oliver Thoma | 04.08.2006
    Oliver Thoma: Sogar US-Außenministerin Condoleezza Rice hat ja inzwischen von Waffenruhe gesprochen, die nur noch eine Frage von Tagen sein dürfte. So wie es aussieht, kann es aber wohl noch etwas länger dauern, und die internationale Staatengemeinschaft spricht immer noch nicht mit einer Stimme. Auch in New York konnte man sich im Weltsicherheitsrat nicht auf eine Resolution einigen. Warum aber eigentlich funktioniert diese Krisendiplomatie heute nicht mehr wie vielleicht vor zehn Jahren noch? Helmut Schäfer war von 1987 bis 1998 Staatsminister im Auswärtigen Amt bei den FDP-Außenministern Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel. Und er hat viele schwierige diplomatische Missionen erfolgreich absolviert. Jetzt ist er am Telefon. Guten Morgen, Herr Schäfer!

    Helmut Schäfer: Guten Morgen!

    Thoma: Ja, war Frieden machen vor zehn Jahren vielleicht noch einfacher als heute?

    Schäfer: Nein. Es war nicht einfacher. Wir haben ja, wenn Sie sehen, in den vergangenen Jahrzehnten ganz ähnliche Konflikte schon gehabt. Israel ist schon 1982 im Libanon einmarschiert. Damals wurden schon zivile Ziele bombardiert wie jetzt wieder. Damals hat man die PLO verjagt; Hisbollah ist als Folge entstanden. Alle Bemühungen, die Roadmap, die letzte Bemühung, die es eigentlich gibt im Zusammenhang mit der Lösung des Nahost-Konfliktes, das ist die Roadmap, der Versuch, das entscheidende Problem, nämlich das Palästinenserproblem in den Griff zu bekommen und zu einer Lösung zu kommen, die nicht nur nach israelischen Vorstellungen gehen kann, ist wiederum blockiert worden durch die unerträglichen Ereignisse in den letzten Wochen und Monaten. Ich sehe im Augenblick eine ganz schreckliche Entwicklung. Denn selbst wenn es in den nächsten Tagen zu einer diplomatischen Lösung - Frankreich und die Vereinigten Staaten sind ja im Augenblick dabei, eine Resolution vorzubereiten - kommen wird, also wenn man für Israel sozusagen- oder für die Menschen im Libanon, durch die Schaffung einer Zone im Südlibanon - all das hat es ja auch schon gegeben, ohne Erfolg nebenbei bemerkt - kommt, hat man natürlich das Problem in keiner Weise gelöst. Denn das Problem kreist ja nicht um die Frage der Beseitigung der Hisbollah, das ist eine völlig naive Vorstellung.

    Sondern es geht ja darum, jetzt endlich etwas zu tun, auch Israel zu bewegen, dass in Verhandlungen eine Lösung gefunden wird, die auf zwei Staaten beruht, also die Umsetzung dessen, was wir Roadmap nennen, das kann man nicht einfach als erledigt erklären. Hier geht es also wirklich jetzt um die Frage: Dieser schreckliche Konflikt muss der letzte sein in diesem Zusammenhang, und jetzt müssen wirklich Lösungen gefunden werden, unter Umständen auch mit Druck, sonst kommen wir nicht mehr weiter.

    Thoma: Sie sprechen von Druck. Wie könnte denn der Druck aussehen, tatsächlich?

    Schäfer: Der Druck könnte so aussehen, dass, was man anderen Staaten gegenüber tut, auch Israel gegenüber tut. Das heißt, zu sagen, wenn sie weiterhin die Genfer Konvention derart massiv verletzen, wie sie das getan haben und im Augenblick in Gaza tun und im Libanon tun - und zwar eben nicht der Kampf gegen die Hisbollah, sondern die Beeinträchtigung der gesamten libanesischen Bevölkerung. Sie müssen sich ja einmal ansehen, was dort geschehen ist, was dort also wirklich an Verheerungen angerichtet worden ist: fast eine Million Menschen auf der Flucht, Hunderte von Leuten tot. Es geht doch nicht um die Frage eines versehentlich, angeblich versehentlichen Angriffes auf ein Hochhaus in Kana, sondern es geht darum, dass hier die Infrastruktur eines Landes zerstört wird. Damit können sie doch auf Dauer, bei allen diplomatischen Lösungen, den Hass gegen dieses Land nicht mindern, sondern er wird weltweit sich fortsetzen. Und die Konflikte sind vorprogrammiert, wenn es jetzt nicht endlich zu einer Lösung kommt.

    Thoma: Druck wäre aber nur möglich, wenn dann tatsächlich auch alle mit einer Stimme sprechen. Und man hat das Gefühl, gerade im Westen ist das immer schwieriger geworden. Früher gab es noch klare Feindbilder, hat der Westen zusammengehalten. Jetzt ist man zerstritten. Sogar in Deutschland in der großen Koalition gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob man nun sofort Waffenruhe fordern soll oder nicht.

    Schäfer: Ja also, es ist leider so, dass mit dem Wechsel von Regierungen nicht immer neuer Sachverstand einzieht, sondern zum Teil auch Leute wieder zum Zug kommen, die die gesamte Nahost-Problematik - und das ist in Deutschland eine Tragödie, seit Jahren schon - ausschließlich sehen unter der Bewältigung unserer fürchterlichen geschichtlichen Syndrome und glauben, dadurch dass man sich also mit Staatsräson und sonstigen Formulierungen immer wieder und nahezu ausschließlich orientiert an israelischer Zielvorstellungen, könne man hier Frieden schaffen. Das ist natürlich ein vollkommener Unsinn. Ich darf jetzt einmal hinweisen auf einen der wenigen großen Leute der amerikanischen Administration Bush senior, Herr Scowcroft, der ehemalige Sicherheitsberater, hat am Wochenende in der "Washington Post" in einem Artikel, den man wirklich zur Grundlage machen kann, für das was geschehen muss, gesagt, es geht nicht an, dass diese Tragödie dadurch beendet wird, dass man hier irgendeine Sicherheitszone schafft. Sondern er hat gesagt, es muss jetzt die Chance genutzt werden zu einer endgültigen Lösung. Und da muss man auch wirklich sagen, es müssen die Bedingungen erfüllt werden, die darauf hinauslaufen, den Menschen, zum Beispiel in den von Israel seit 1967 besetzten Gebieten, endlich eine Chance zu geben. Es muss darauf hinauslaufen, dass man Gefangene - nicht nur die gefangenen Israelis - freilässt, sondern mal an die herangeht, an die über 9000 Häftlinge in israelischen Gefängnissen.

    Thoma: Aber noch einmal zur deutschen Haltung, Herr Schäfer: Hätten Sie sich gewünscht, dass die Deutschen da eine klarere Position beziehen, mehr Kritik an Israel?

    Schäfer: Ja, das wünsche ich mir seit Jahren schon. Ich verstehe ja die Rücksichtnahmen, die wir haben. Ich verstehe auch, dass viele Politiker unter dem massiven Druck stehen der Versuche, sie als Antisemiten abzutun, wenn sie wagen, eine Kritik an Israel zu äußern. Nur, so kann es ja nicht weitergehen. Was für Serbien richtig war, muss für andere Staaten gut sein. Wir können nicht die Menschenrechte teilen. Und wenn von Staatsräson geredet wird, dann muss ich wirklich sagen, müssen wir mal als oberste Staatsräson festhalten, dass wir für Menschen- und Völkerrecht eintreten. Und wenn das irgendwo durch irgendjemanden, egal durch wen, gebrochen wird, müssen wir hier konsequent bleiben und dürfen nicht im einen Fall sagen "Augen zu und durch" und im anderen Fall große Proteste anmelden. Das ist das Problem der Deutschen. Es ist nach wie vor nicht gelöst. Nur die deutsche Bevölkerung, was ich höre aus dem Auswärtigen Amt, die Briefe, die dort kommen, sehen vollkommen anders aus. Die Leute verlangen, dass jetzt endlich etwas auch unsererseits geschieht. Und ich sage noch einen Punkt: Wenn wir in wenigen Wochen am Ende sogar noch gesagt bekommen wieder, von wem auch immer in der Regierung, es sei jetzt an der Zeit, dass Deutschland die von Israel zerstörte Infrastruktur des Libanon wieder aufbaut, werden sie hier massive Proteste bekommen. Es wird in Deutschland nicht mehr mitgemacht.

    Thoma: Welche Rolle kann denn Deutschland aktiv sonst spielen? Nur vermitteln, möglicherweise mit Soldaten helfen, oder?

    Schäfer:... wirklich versucht jetzt, bei der Friedenslösung deutlich zu machen. Es geht nicht nur um die Sicherheitszone im Südlibanon, zum Schutz Israels und natürlich auch zum Schutz der Libanesen vor Israel. Sondern es geht jetzt darum, den Impetus wieder aufzunehmen, der Roadmap, in der wir ja in der EU, mit Russland zusammen, mit den Vereinigten Staaten zusammen, bemüht sind, eine zusammenfassende Lösung, eine comprehensive solution zu finden. Und die muss eben auch diese Gebiete umfassen, um die es geht, die die Ursache des gesamten Konfliktes sind. Das ist die Frage der Palästinenser. All diese Terrororganisationen sind in den letzten Jahren entstanden, der Islamismus nimmt zu, der Terrorismus nimmt zu, wenn dieses Problem nicht gelöst wird. Und wir können es nicht hinnehmen, deshalb muss Deutschland hier drängen, im Weltsicherheitsrat, beziehungsweise auch in den Gremien in der EU und innerhalb der so genannten Roadmap, dass wir jetzt an diese Lösung herangehen und uns nicht darauf einlassen, ausschließlich die Libanonfrage zu klären.

    Thoma: Bedeutet das auch, mit Syrien und mit Iran reden, und die mit einzubeziehen in den Konflikt?

    Schäfer: Ja das wird doch getan, es wird ja mit dem Iran ständig geredet, auch mit Syrien geredet. Nur die Frage stellt sich, wer eigentlich von diesen beiden Ländern faktisch in diesen Konflikt bisher verwickelt war. Das behaupten einige, aber es ist doch eine ganz andere, die Konfliktlage ist ja eine völlig andere. Sehen Sie sich den Gazastreifen an, was dort Tag für Tag passiert. Es ist unerträglich, und man muss wirklich sagen, wer glaubt, mit Gewalt und den Bruch der Genfer Konventionen könne er Frieden erreichen, der wird scheitern. Aber auch das Ansehen des Westens leidet durch diese Verhaltensweise, durch das zögerliche Verhalten der Vereinigten Staaten. Hier muss man auch die Frage stellen dürfen, diese Zerstörungen im Libanon, die massiven Zerstörungen, die es hier gibt, die Beschädigung des Öltanks jetzt, diese Umweltkatastrophe, die Bombardements der Elektrizitätswerke in Gaza als Antwort auf die Gefangennahme eines israelischen Soldaten, das muss man sich bitte alles einmal vorstellen. Das kann nicht dazu führen, dass hier Ruhe eintritt und Frieden und alle Nachbarstaaten klatschen in die Hände, wenn es da eine Sicherheitszone gibt. Sondern hier muss die Frage gestellt werden, Regress muss gezahlt werden, auch von denen, die immer noch diese Waffenruhe hinauszögern. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien sind in allererster Linie zu nennen durch ihre Vetos. Das muss wirklich jetzt auf den Tisch und da muss man auch den Mut haben, die Dinge einmal anzusprechen.

    Thoma: Helmut Schäfer war das. Er war von 1987 bis 1998 Staatsminister im Auswärtigen Amt für die FDP bei den Außenministern Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Schäfer.

    Schäfer: Bitte sehr.