Dienstag, 16. April 2024

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"Wir können technisch gesehen noch höhere Häuser bauen"

Die Zahlen sind schwindelerregend: über 800 Meter hoch, über 160 Stockwerke. Der Burj Dubai, der bis dato höchste Wolkenkratzer, wird heute eröffnet. Baustellenkoordinator Uwe Hinrichs versichert, das Gebäude ist einsturzsicher: Die Statik basiere auf einem alten Prinzip - dem Melkschemel.

Gerwald Herter im Gespräch mit Uwe Hinrichs | 04.01.2010
    Gerwald Herter: Nicht nur Flieger wollen hoch hinaus; die Sehnsucht nach Höhenluft treibt auch Architekten und Bauherren zuverlässig an. Ob das Empire State Building in New York oder die City Hall in Philadelphia, diese Gebäude waren Spitzenreiter, doch längst sind sie Hochhaus-Rekordgeschichte. Der Turm von Dubai stellt sie alle in den Schatten. Gleich werde ich mit dem Deutschen Uwe Hinrichs sprechen, der die Arbeiten auf der gigantischen Baustelle in Dubai jahrelang koordiniert hat. Heute wird der Turm von Dubai eingeweiht.
    Nun bin ich mit dem Bremer Uwe Hinrichs in Dubai verbunden. Er war an ganz entscheidender Stelle am Bau des höchsten Gebäudes der Welt beteiligt. Er hat die Arbeiten auf der Baustelle koordiniert. Guten Morgen, Herr Hinrichs.

    Uwe Hinrichs: Einen wunderschönen guten Morgen.

    Herter: Herr Hinrichs, sind Sie froh, dass Sie Ihren Auftrag endlich erfüllt haben, dass die ganze Sache zumindest bald für Sie vorbei ist?

    Hinrichs: Das kann man wohl sagen, ja.

    Herter: Wie fühlt man sich, wenn man sozusagen Baugeschichte geschrieben hat?

    Hinrichs: Das ist jetzt eine Frage, welches Gefühl man jetzt meint. Von der körperlichen und mentalen Belastung her ist man natürlich einigermaßen fertig, wie wir hier oben im Norden sagen. Auf der anderen Seite ist man natürlich froh über das, was man da nun mit anderen möglich gemacht hat. Wir sind am frühen Nachmittag noch mal komplett mit dem Team um den Turm herumgelaufen und haben uns diverse Dinge noch mal angeguckt und dann kommt doch schon trotz allen Ärgers, den man da so zwischendurch hatte, Freude auf.

    Herter: Haben Sie das Gefühl, sich irgendwie verewigt zu haben? Baugeschichte, das ist das höchste Gebäude der Welt, so schnell wird kein anderes höheres Gebäude entstehen.

    Hinrichs: Ich glaube, das ist noch ein bisschen zu früh. Das muss sich alles noch so ein bisschen setzen, denn wir sind ja in den letzten Tagen noch voll drin. Wir haben jetzt die Vorbereitungen getroffen für die Einweihungsfeier und dazu sind natürlich draußen eine Menge Dinge notwendig gewesen, die alle noch irgendwo mit dem Bau zu tun haben. So richtig ist man sich, glaube ich, noch nicht ganz darüber im Klaren, was eigentlich passiert ist und was man hier aufeinander gebracht hat.

    Herter: Können Sie uns kurz erklären, was dazu führt, dass dieses Gebäude stabil ist, trotz dieser riesigen Höhe nicht in sich zusammenfällt?

    Hinrichs: Das sind eine Reihe von Geheimnissen. Ein Geheimnis ist sicherlich die Statik. Das ist ein sehr simples System, das Dreibein-System. Das kennen wir ja aus der landwirtschaftlichen Frühgeschichte vom Melkschemel. Die meisten Melkschemel waren Dreibeiner. Ein Dreibein fällt so leicht nicht um. Dann gibt es eine ganze Reihe von statischen Dingen wie die Qualität des Betons, die Anordnung der Betonwände, die Bewehrung. Dann haben wir eine Menge sogenannter Links in dem Gebäude. Das heißt, wir haben Stahlträger, die jetzt die einzelnen Flügel des Gebäudes miteinander über den zentralen Teil des Gebäudes verbinden.

    Herter: Und dann verjüngt sich das Gebäude nach oben. Ist das richtig?

    Hinrichs: Der zentrale Teil, der sogenannte Center Core, verjüngt sich überhaupt nicht. Der geht in gleicher Größe vom Basement B2 bis nach oben auf Level 160. Der zentrale statische Teil des Gebäudes verändert sich gar nicht, der ist gleich groß.

    Herter: Dieses Hochhaus soll windstabiler sein als vergleichbare Hochhäuser, die natürlich niedriger sind. Wie ist das zustande gekommen?

    Hinrichs: Das ist im Wesentlichen dadurch zustande gekommen, dass man diese Terrassen eingesetzt hat, die sich im bestimmten Rhythmus um den Turm herum entgegen der Uhrzeigerrichtung verkleinern. Das heißt, das Gebäude verkleinert sich nach oben hin, verjüngt sich. Insofern haben Sie recht. Aber das ist keine gleichmäßige Verjüngung wie bei einem Kegel oder so, sondern das geht einfach zurück von Terrasse zu Terrasse. Dadurch überlistet man den Wind sozusagen. Der möchte gerne das Gebäude angreifen, aber der hat nichts so richtig, weil die Terrassen auf den verschiedenen Höhen und in den verschiedenen Positionen den Wind ableiten.

    Herter: Okay. – 2004 haben zunächst 2000 Menschen auf der Baustelle gearbeitet, zuletzt waren es 14.000 Arbeiter und die sind aus gut 45 Nationen gekommen. Wie sind Sie mit der babylonischen Sprachverwirrung auf der Baustelle zurechtgekommen?

    Hinrichs: Die Vertragssprache auf dem Projekt ist natürlich Englisch, aber wir müssen ja im täglichen Leben mit Leuten fertig werden, die aus Vietnam kommen oder aus Bangladesch, aus Indien, Pakistan, Malaysia, Singapur. Wir haben Techniker und Ingenieure aus allen Ländern der Erde, von Polen bis nach Australien hin oder von Chile bis nach Kasachstan. Die normale Verkehrssprache ist natürlich Englisch, aber wir müssen ja dem einfachen Arbeiter zum Beispiel beibringen, wie er sich sicherheitstechnisch zu verhalten hat, und dafür haben wir eben Leute, die diese Sprachen sprechen, teilweise Übersetzer mit eingesetzt und zum Teil sprechen unsere eigenen Mitarbeiter auch drei, vier Sprachen.

    Herter: Es gab also klare Regeln, die für alle gelten. Ist das sozusagen das Erfolgsrezept, wenn man mit so unterschiedlichen Leuten zusammenarbeiten muss?

    Hinrichs: Es gibt ganz, ganz klare Regeln und das geht ja auf einem solchen Projekt überhaupt nicht anders. So ein Projekt ist wie ein großes Unternehmen. Die Vertragssumme war ursprünglich mal in der Gegend von knapp unter einer Milliarde Dollar und dann gucken Sie sich mal Firmen an, die einen solchen Umsatz in vier Jahren machen. Davon gibt es schon mal gar nicht so ganz viele in Deutschland. Das ist hier eine große Firma und die muss man natürlich vernünftig organisieren, die muss vernünftige Regeln haben, die Sicherheitsbestimmungen gehen nach internationalen Regeln, die Security-Probleme werden nach internationalen Regeln geregelt, das geht gar nicht anders.

    Herter: Trotzdem gibt es in jedem Unternehmen mal Krisen und jeder, der schon mal ein Haus gebaut hat oder auch nur eine Wohnung renoviert hat, schlägt irgendwann die Hände überm Kopf zusammen. Gab es auch bei Ihnen einen Punkt, wo Sie gesagt haben, jetzt geht es eigentlich nicht weiter?

    Hinrichs: Nein, das hat es nie gegeben. Wir haben sicherlich die eine oder andere Situation gehabt, die wir nicht gerne gehabt haben, aber das waren einzelne Fälle, die den gesamten Ablauf des Bauens überhaupt nicht beeinflusst haben. Das sage ich jetzt nicht, weil ich auf dieser Baustelle arbeite, sondern das ist wirklich so. Wir haben sehr, sehr gute Mitarbeiter gehabt, die sich wirklich hundertprozentig eingesetzt haben. Während der Hochzeiten des Betonierens haben unsere Mitarbeiter nachts auf der Baustelle geschlafen, weil wir ja der Temperaturen wegen nur nachts betonieren konnten. Die haben in den Zeiten, wo nicht betoniert werden konnte, sich irgendwo ein Feldbett hingestellt und vor sich hingeschlafen.

    Herter: Das war tagsüber, da konnte man nicht betonieren, weil es einfach zu heiß war. Richtig?

    Hinrichs: Das ist zu heiß, ja. Wir haben hier ja tagsüber in der Regel in Dubai irgendwo bei 43 bis 45 Grad, ganz selten wird es mal 46, aber das ist eben zu viel. Der Beton darf nicht über 35 Grad gehen.

    Herter: Allerdings sollte der Burj Dubai schon vor einem Jahr fertig werden. Das war zumindest zu lesen. Was war denn der Grund für die Verzögerung?

    Hinrichs: Der Hauptgrund für die Verzögerung war die Erhöhung gegenüber dem ursprünglichen Entwurf. Das hat natürlich Folgen nach sich gezogen in dem strukturellen Bereich. Und es hat auch Verbesserungen im internen Design gegeben, die der Bauherr veranlasst hat.

    Herter: Das war dann aufwendiger?

    Hinrichs: Ja. Das ist aber im Prinzip im Einvernehmen mit dem Bauherrn vonstattengegangen.

    Herter: Finanziell geht es Dubai nicht mehr ganz so gut wie früher. Das ist wirklich kein Geheimnis. Haben Sie im Zusammenhang mit dem Bau dieses Gebäudes irgendetwas davon mitbekommen?

    Hinrichs: Das kann man natürlich nicht bestreiten, dass es hier in Dubai finanzielle Probleme gibt, die sich in allen Bereichen hier darstellen, denn alle Leute, die hier auf dieser Baustelle gearbeitet haben und noch arbeiten, haben ja auch auf anderen Projekten gearbeitet, die aus welchen Gründen auch immer ausgefallen sind. Daran sind ja auch zum Teil europäische sogenannte Investoren nicht ganz unschuldig, die die Krise ja selber auch übernommen haben. Es haben sich ja nicht nur die Dubaier übernommen, sondern da gibt es eine ganze Reihe von sogenannten Developern, die sich da ein bisschen überhoben haben. Dadurch ist natürlich jeder Einzelne ein bisschen klamm bei Kasse. Der Cashflow ist also nicht so, wie er eigentlich sein sollte, und dann macht natürlich eine Verzögerung einer Zahlung oder der Ausfall einer Zahlung wesentlich mehr Kummer, als wenn man voll am Arbeiten ist. Wir können aber hier vom Turm selber eigentlich nicht sagen, dass große Zahlungsverzögerungen da gewesen sind.

    Herter: Inzwischen ist sogar von Hochhäusern die Rede, die noch höher sein könnten, über 1000 Meter hoch. Halten Sie solche Vorstellungen nach Ihren Erfahrungen für realistisch?

    Hinrichs: Technisch gesehen ja. Wir können technisch gesehen noch höhere Häuser bauen als dieses hier. Wir hätten auch dieses noch höher bauen können, aber irgendwo muss ja auch die Wirtschaftlichkeit einsetzen. Es hat ja nicht viel Sinn, dass man Häuser baut, die man nicht mehr vermieten oder nicht verkaufen kann. Es ist ja nicht jedermanns Sache, auf der 160. Etage zu sitzen und nach draußen zu gucken.

    Herter: Nein, weiß Gott nicht. – Was werden Sie als Nächstes bauen, Herr Hinrichs?

    Hinrichs: Keine Ahnung, ehrlich gesagt nicht.

    Herter: Herr Hinrichs, vielen Dank. – Uwe Hinrichs war das, Chefkoordinator auf der Baustelle des Burj Dubai, des höchsten Gebäudes der Welt. Das Gespräch mit ihm haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.

    www.burjdubai.com/ (Wegen des großen Interesses ist mit langen Ladezeiten zu rechnen)