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"Wir lehnen Stuttgart 21 nach wie vor ab"

Am 27. März wird in Baden-Württemberg gewählt. Winfried Kretschmann, Spitzenkandidat der Grünen, sieht keine Chance für Schwarz-Grün und nennt die Arbeit von CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus "die Linie eines Hasardeurs".

Winfried Kretschmann im Gespräch mit Michael Brandt | 20.02.2011
    Brandt: Winfried Kretschmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Baden-Württembergischen Landtag, Mitbegründer der Grünen in Baden-Württemberg vor 32 Jahren mittlerweile, Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken, Familienvater, Oberschwabe aus Sigmaringen, Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl, Ministerpräsidentenkandidat.
    Herr Kretschmann, 57 Jahre ist die CDU in Baden-Württemberg an der Macht, und jetzt sieht es erstmals so aus, als ob es einen Regierungswechsel geben könnte. Muss es denn gleich ein grüner Ministerpräsident sein?

    Kretschmann: Ja, wenn schon eine Herausforderung, ein Politikwechsel, dann richtig. Insofern glaube ich, würde das mal ganz gut passen. Der Länge der eigenen Regierungszeit entspricht dann die Qualität des Wechsels.

    Brandt: Vor einem Vierteljahr sahen die Umfragen eindeutig nach einem Regierungswechsel aus - mit einem grünen Ministerpräsidenten Kretschmann. Nach den neuen Umfragen von EMNID und der Forschungsgruppe Wahlen ist der Vorsprung ein wenig weggeschmolzen. Sind die Badener und die Württemberger möglicherweise dann doch noch vernünftig geworden?

    Kretschmann: Nein, die Vernunft liegt, glaube ich mal, richtig auf unserer Seite, denn ohne dass Baden-Württemberg grüner wird sehe ich nicht, wie sein Wohlstand erhalten werden kann. Also ich meine, mit der Vernunft das ist so eine Sache, aber mir war natürlich klar, dass wir jetzt nicht auf so einen Höhenflug, auf einem fliegenden Teppich winkend, in die Villa Reitzenstein fliegen. Das war schon klar, man muss da schon kämpfen.

    Brandt: Gibt es noch eine Chance, können Sie es schaffen?

    Kretschmann: Ja selbstverständlich, das Rennen ist völlig offen.

    Brandt: Baden-Württemberg ist ein Bundesland der Wirtschaft, ein Bundesland der mittelständischen Wirtschaft, ein Bundesland, wo sich die mittelständische Wirtschaft, aber auch die Automobilindustrie in den vergangenen Jahren, Jahrzehnten, hervorragend entwickelt hat - gemeinsam mit einer CDU-Regierung oder unter einer CDU-Regierung. Gibt es da kein Problem mit den Grünen und der Wirtschaft?

    Kretschmann: Nein, aber man muss sehen: In der Wirtschaftskrise war unsere Wirtschaft besonders schwer betroffen, insbesondere unser großes Automobilunternehmen. Und ich glaube, gerade von dort kommen Signale. Die Produktlinien der Zukunft werden grün sein, also ressourcen- und energiesparend. Nur mit solchen Produktlinien kann man heute auf den Weltmärkten konkurrenzfähig bleiben. Und darum geht die Wirtschaft in eine grüne Richtung und ist da schon sehr viel weiter als schwarz-gelb.

    Brandt: Gleichwohl ist die Automobilindustrie eine Industrie, die auf den Individualverkehr ausgerichtet ist. Das geht ja nicht in jeder Hinsicht einher mit den Zielen der Grünen. Die Grünen sind vielmehr für den öffentlichen Verkehr und gegen das Auto.

    Kretschmann: Also, erst mal ist es so: Die Automobilindustrie muss die richtigen Autos bauen. Und da steht ganz oben dran, sie müssen spritsparend sein. Und sie müssen natürlich auch Mobilitätskonzepte entwickeln, die sich mit den anderen Verkehrsträgern vernetzen. Auch da gibt es sehr gute Beispiele. Also insofern geht auch da die Zukunft weiter, und sie geht eben nicht mehr in die eindimensionale Richtung - möglichst spritfressende starke schnelle Autos, sondern das werden Autos sein, die sich gut einpassen in vernetzte Verkehrsträger. So sieht grüne Mobilität für die Zukunft aus. Und ich denke, auf diesen Weg muss sich auch die Automobilindustrie machen.

    Brandt: Also Sie sagen, die Grünen können mit der Automobilindustrie, die Grünen können ein Partner von der Automobilindustrie sein in Baden-Württemberg?

    Kretschmann: Schon vor wenigen Jahren hatten wir Leute aus dem Vorstand von Daimler-Benz auf unserem Parteitag und haben uns darüber gestritten. Und ich glaube, wenn sie schon damals auf uns gehört hätten, wären sie schneller aus der Krise herausgekommen als jetzt. Also, ich sehe da kein grundsätzliches Problem.

    Brandt: Wie hätte das gehen sollen, dass sie schneller aus der Krise herauskommen mit Ihnen, als das jetzt gegangen ist? Denn dass es schnell gegangen ist, wie sie aus der Krise herausgekommen ist, das ist doch relativ eindeutig.

    Kretschmann: Ja, mit schneller meine ich, dass sie viel früher auf unsere Forderungen eingestiegen wären, ihre Flotte auch ökologisch auszurichten. Wir dürfen nicht vergessen: Die Automobilindustrie hier exportiert vor allem Luxuskarossen nach China. Daher kommt der Aufschwung. Ob das nachhaltig ist, daran darf man auch mal ein Fragezeichen setzen.

    Brandt: Gleichwohl lässt sich nicht bestreiten, dass Baden-Württemberg unter schwarz-gelben Koalitionen in den vergangenen Jahren erfolgreich war. Das ist zum einen die Wirtschaft, das ist zum anderen auch im weitesten Sinne der Bildungsbereich. Bei den Pisa-Studien liegen die baden-württembergischen Schulen relativ weit vorne, Universitäten in Baden-Württemberg sind unbestritten ganz hervorragend. Müssten nicht auch gerade Sie als ein eher konservativer Grüner auch dafür sein, dass es so weitergeht, dass es möglicherweise Schwarz-Grün gibt?

    Kretschmann: Eben nicht. Man darf sich nie auf seinen Erfolgen ausruhen. Es muss immer neuer Wind rein, auch in die Wirtschaft. Und für den werden wir sorgen. Also insofern: Ohne einen ökologischen Umbau der Wirtschaft hat sie keine Zukunft. Wir müssen ja unseren Wohlstand in Übereinstimmung bringen mit dem Problem etwa der Klimaerwärmung. Das kann nur Grün machen, dafür stehen wir. Wir sind heute in der guten Situation: Mit grünen Ideen kann man eben schwarze Zahlen heute schreiben, und nur, wenn das zusammengeht - Kampf gegen den Klimawandel und gute Jobs schaffen für unsere jungen Leute mit Umwelttechnologie -, dann meistern wir die Zukunft.

    Brandt: Vor fünf Jahren nach den letzten Landtagswahlen gab's ja einen kurzen - sagen wir mal - schwarz-grünen Flirt. Da schien ein paar Wochen lang, ein paar Tage lang eine schwarz-grüne Koalition denkbar zu sein. Der heutige Ministerpräsident und damalige Fraktionsvorsitzende Stephan Mappus hat die ganze Sache dann relativ schnell beendet. Ist Schwarz-Grün tot?

    Kretschmann: Ja, erst mal unter Mappus schon. Er tritt ja einen rückwärts gewandten Kurs an. Er hat ja im Kampf in der CDU den Sieg gegen Umweltminister Röttgen davongetragen. Es kommt noch mal zu einer dramatischen Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken, er stützt noch mal die alten Monopole. Und das kann ich gar nicht verstehen. Das ist ein historischer Fehler der CDU. Mit so einer CDU wollen wir nicht koalieren. Die Dynamik liegt bei den regenerativen Energien, sie liegt bei den Stadtwerken, sie liegt im umwelteffizienten Technologien und nicht in den Dinosaurier-Technologien der Atomkraft. Also ein falscher Weg, den gehen wir nicht mit, auch nicht wirtschaftspolitisch.

    Brandt: Gleichwohl hat Stephan Mappus in seinem Kabinett Umweltministerin Tanja Gönner, doch eine der profilierten Unions-Umweltpolitikerinnen. Steht das nicht dafür, dass auch mit Mappus und auch mit Schwarz in Baden-Württemberg ein ökologischer Kurs möglich ist?

    Kretschmann: Nein, ich sehe ihn überhaupt nicht. Wie gesagt, er hat den Rückwärtsgang eingelegt.

    Brandt: Einer der großen Konfliktpunkte der Landespolitik im Augenblick ist der Ankauf von 45 Prozent Anteile der EnBW, des größten baden-württembergischen Energieversorgers, vor einigen Wochen, der jetzt in diesen Tagen perfekt gemacht worden ist. Vor einigen Tagen haben Sie, Herr Kretschmann, mit Ihrer Partei Zahlen vorgelegt, aus denen hervor geht, dass der Deal für das Land ein schlechtes Geschäft ist. Inwiefern?

    Kretschmann: Der Kauf ist überteuert, er hat es zu einem überteuerten Preis gekauft. Das heißt, die strategischen Partner, die er da vielleicht im Kopf gehabt hat, wie regionale Energieversorger oder Stadtwerke, die können zu diesem Preis gar nicht einsteigen, die wollen es auch gar nicht, da das Portfolio der EnBW ja mit ihrem Atomstromanteil eh nicht attraktiv ist. Also war das ein schlechtes Geschäft. Und die Gefahr, dass uns das haushaltspolitisch auf die Füße fällt, ist enorm groß, wenn das mit dem Aktienkurs nicht mehr stimmt. Und vor allem: Die Dividende muss ja höher sein als die Zinsen. Das heißt, im Notfall muss er das Unternehmen so zusagen melken. Und das ist keine gute Grundlage für eine strategische Option für dieses Unternehmen. Man hat es auch gesehen auf der letzten Pressekonferenz: Das Unternehmen fährt seine Investitionen ausgerechnet bei regenerativen Energien zurück. Dann brauchen wir keine Anteile an einem Energieversorgungsunternehmen. Wozu soll die öffentliche Hand so ein Unternehmen kaufen, das eine falsche Strategie vorschlägt?

    Brandt: Zunächst hatten Sie aber selber - die Grünen - den Kauf begrüßt, als der Ministerpräsident das bekannt gegeben hat, allerdings nur relativ kurz.

    Kretschmann: Ja, ich meine, wir wussten ja über nichts bescheid, er hat ja diesen Deal völlig am Parlament vorbei gemacht. Und dass er die Werthaltigkeit dieses Unternehmens gar nicht untersucht hat, davon konnten wir nun wirklich nicht ausgehen. Das heißt, unser Misstrauen gegenüber Ministerpräsident Mappus ist immer noch zu gering.

    Brandt: Der Ministerpräsident sagt, er musste diesen Deal, diesen EnBW-Kauf ohne das Parlament machen, sonst hätte es nicht geklappt. Genau das kritisieren Sie ganz heftig. Sie sagen darüber hinaus: Der gesamte Regierungsstil des Ministerpräsidenten in den vergangenen Monaten ist genau von dieser Mentalität geprägt. Was meinen Sie damit genau?

    Kretschmann: Ja, er will immer nur schnelle Erfolge, egal auf welche Weise er sie erringt. Hier war das ganz typisch - am Parlament vorbei, fünf Milliarden ist die Größenordnung, um die es da geht, also das Haushaltsrecht außer Kraft gesetzt, das Parlament an die Wand gespielt. Und das sehe ich bei all seinen Aktionen, bei Stuttgart 21 mal Milde, mal Härte, so wie es ihm passt. Oder jetzt bei den Beamten klappt sein Vorgriffschrittmodell nicht. Dann schmeißt er ihnen gleich mal zwei Prozent hinterher - vor Tarifverhandlungen. Dieser Ministerpräsident hat keinen Kompass und keinen Kurs, er macht einen Zick-Zack-Kurs, immer nur, um schnelle Erfolge zu erzielen. Dahinter steht keine klare Urteilskraft über die Dinge selber, sie zu durchdenken und dann zu entscheiden. Und wer nur schnelle Erfolge will, hat zum Schluss gar keine.

    Brandt: Kann man nicht sagen, dass er ein Ministerpräsident ist, der dazulernt? Er selber stellt das ja so dar. Er geht zuerst einen Kurs, dann stellt er fest, es geht nicht. Und dann lernt er eben dazu. Muss man das nicht auch einem Ministerpräsidenten, der erst relativ wenige Monate in diesem Amt ist, zubilligen?

    Kretschmann: Ich meine, da müsste er vorsichtiger agieren und nicht denken, er müsste immer Coups landen. Seine Vorgänger haben, wenn sie solche Geschäfte gemacht haben, das Parlament mit einbezogen. Und er denkt, er kann das am Parlament vorbei machen. Also, das ist so zusagen die Linie eines Hasardeurs und nicht eines bedächtigen Landesvaters. Also, insofern hat er da keinen Rabatt, er hat da in einem Jahr mehr Fehler gemacht als seine Vorgänger in der ganzen Legislaturperiode.

    Brandt: Würden Sie es anders machen? Wie würden Sie als Regierungschef agieren?

    Kretschmann: Ja, ich würde die Dinge durchdenken, sie mit den Bürgern und den zuständigen Institutionen sorgfältig durchsprechen. Erst dadurch entsteht Vertrauen. Und dann kann man Entscheidungen fällen, das hat Stuttgart 21 klar gezeigt. Diese Politik des von oben Durchregierens muss ein Ende haben. Das werden wir anders machen. Oder ein anderes Beispiel aus der Bildungspolitik: Da schlagen hundert Schulleiter aus Oberschwaben vor, doch auch integrative Schulmodelle zuzulassen. Statt mit ihnen sich mal darüber zu unterhalten und zu reden, werden sie aufs Regierungspräsidium geschickt und müssen sich einen Beamtenrüffel abholen. Das ist nicht die Politik, die mir vorschwebt. Ich will sie gestalten mit den Bürgern und nicht immer von oben runter, im Notfall auch gegen sie. Natürlich muss man irgendwann entscheiden, aber faire Debatten vorher, und hinterher dann sich beklagen, dass einem die Dinge aus dem Ruder laufen.

    Brandt: Ist es nicht so, dass die Baden-Württemberger möglicherweise doch einen Regierungschef wollen, der als starker Mann auftritt? Wollen das die Baden-Württemberger nicht, jemand, der klare Linie vorgibt, wie das eben Mappus macht?

    Kretschmann: Ja, klare Linie vorgeben ist ja richtig. Das macht er ja gerade nicht. Wo gibt er denn eine klare Linie vor? Ich sehe keinen einzigen Vorschlag, der Hand und Fuß hat bei der Haushaltssanierung, keinen einzigen. Wo gibt er die vor? Das sehe ich gar nicht. Er spielt den starken Mann, aber in Wirklichkeit ist er schwankend und unsicher.

    Brandt: Soviel zur Regierungspolitik. Wir sprechen mit Winfried Kretschmann, dem baden-württembergischen Grünen-Fraktionschef im Interview der Woche im Deutschlandradio. Ein anderes Thema, Herr Kretschmann, ist der Wahlkampf. Er hat begonnen. Er nimmt im Augenblick gewissermaßen Fahrt auf, um dann ich die Hochphase zu kommen. Wie sehen sie den Wahlkampf, der im Augenblick in Baden-Württemberg gefahren wird?

    Kretschmann: Der Wahlkampf kommt richtig in Schwung und ich sehe - wie schon gesagt - ein übergreifendes Thema, das heißt Bürgerbeteiligung. Wie kommen wir einen Schritt weiter in die Bürgergesellschaft?

    Brandt: Da spielt natürlich das Thema Stuttgart 21, das große Thema Stuttgart 21 eine ganz erhebliche Rolle dabei. Vor allem die Gegner von Stuttgart 21 hatten ja in den vergangenen Wochen, in den vergangenen Monaten das Thema gewissermaßen zum Thema der Landtagswahl erklärt, die Landtagswahl zur Abstimmung über Stuttgart 21 erklärt. Wie ist Ihre Position zu Stuttgart 21 im Augenblick?

    Kretschmann: Wir lehnen Stuttgart 21 nach wie vor ab und die Schlichtung hat ja die Schwächen dieses Projektes nun wirklich ans Tageslicht gebracht. Jetzt soll ein sogenannter Stresstest gemacht werden, das heißt geprüft werden, ob dieser neue Bahnknoten 30 Prozent Verkehr unter guten Bedingungen überhaupt bewältigen kann, denn das konnte die Bahn in der Schlichtung nicht nachweisen, dass dieser Bahnhof funktioniert. Darum geht es jetzt zuerst, dass der fair unter Beteiligung der Gegner durchgeführt wird. Und dann sehen wir, was dabei herauskommt. Wir nehmen an, da muss erheblich nachgebessert werden, 9. und 10. Gleis, Endungen in Zulaufstrecken. Dann wird das Projekt noch mal teurer und dann steht es erst recht auf dem Prüfstand, weil sein Kosten/Nutzenverhältnis noch schlechter wird gegenüber einem sanierten Kopfbahnhof.

    Brandt: Gleichwohl ist das Ergebnis der Schlichtung, es soll Stuttgart 21 geben. Heiner Geisler hat gesagt, Stuttgart 21 plus, also ein erweitertes Stuttgart 21. Wenn nun tatsächlich beim Stresstest herauskommen würde, dass Stuttgart 21 plus möglich ist, haben die Grünen, wenn sie Regierungsverantwortung übernehmen, nicht nach dem 27. März ein riesengroßes Problem, weil sie eben Stuttgart 21 bauen müssen?

    Kretschmann: Nein, denn es ist ja gar nicht geklärt, wer dann diese Mehrkosten bezahlen soll. Ich meine, das muss man auf den Tisch legen. Die Bahn wehrt sich ja da mit Händen und Füßen dagegen. Also, da haben erst mal andere ein Problem. Jedenfalls, wenn wir mit den Sozialdemokraten die Regierung stellen, werden wir dann darüber einen Volksentscheid einleiten. Und dann hat die Bevölkerung das letzte Wort in dieser Frage.

    Brandt: Wie kann ein Volksentscheid funktionieren über ein Projekt, das in Wirklichkeit längst beschlossen ist, auch parlamentarisch beschlossen?

    Kretschmann: Ja, ich meine, das Volk kann darüber entscheiden, ob es diese Zuschüsse an das Projekt tätigen will oder nicht. Damit korrigiert es natürlich die Entscheidung von zuvor. Das ist völlig normal in der Demokratie. Es ist da möglich. Es ist natürlich selten der Fall, aber dass eine schon beschlossene Entscheidung auch wieder umgestoßen wird, ist in der Demokratie möglich, und überhaupt nur in der Demokratie möglich.

    Brandt: Aber das wäre dann kein Volksentscheid über Stuttgart 21, sondern das wäre ein Volksentscheid - wenn ich das richtig verstehe - über eine möglicherweise nötig werdende Nachfinanzierung, die so hoch ist, dass man im Land darüber abstimmen muss.

    Kretschmann: Gut, also das müssen wir dann entscheiden, ob wir über die gesamten Subventionen für dieses Projekt abstimmen oder nur über die Mehrkosten. Das müssen wir dann entscheiden, wenn der Stresstest vorliegt, wenn man weiß, was das kostet und da realistische Berechnungen hat. Also, das ist etwas, was wir heute noch nicht so sagen können. Jetzt müssen wir erst mal das Ergebnis dieser Simulation abwarten.

    Brandt: Sie können aber auf der anderen Seite auch nicht ausschließen, dass Stuttgart 21 gebaut wird, auch unter einer Regierung mit grüner Beteiligung?

    Kretschmann: Nur, wenn das Volk uns durch einen Volksentscheid dazu verpflichtet.

    Brandt: Aber Sie als Wahlkämpfer können es nicht ausschließen?

    Kretschmann: Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass das Volk anders entscheidet als wir. Dann bräuchte ich ja keinen Volksentscheid. Das ist ja der Sinn des Volksentscheides, dass das Volk selber entscheidet und nicht mehr die Regierung oder das Parlament. Daran muss man sich natürlich halten.

    Brandt: Am 27. März, in fünf Wochen, Herr Kretschmann, wird gewählt in Baden-Württemberg. Welche Konstellationen sind Ihrer Einschätzung nach möglich? Sieht es nach Linkspartei aus? Wird es vier Parteien geben? Wenn vier Parteien im Landtag sitzen, wäre dann möglicherweise auch eine große Koalition möglich?

    Kretschmann: Also, erst mal sehe ich das so, dass die Linkspartei nach ihrer bizarren Kommunismusdebatte nicht in den Landtag kommen wird. Davon gehe ich fest aus und bin mir mal da wenigstens mit Ministerpräsident Mappus einig. Und ansonsten, wenn es zu einem Vierparteienparlament kommt, dann wird es entweder Schwarz-Gelb oder Grün-Rot geben. Eine andere Konstellation sehe ich erst mal nicht, denn Ministerpräsident Mappus hat ja beides ausgeschlossen, sowohl eine große Koalition als auch Schwarz-Grün. Und ich nehme nicht an, dass er dieses Versprechen brechen wird.

    Brandt: Wie würden Sie sich mit der SPD verstehen?

    Kretschmann: Ich verstehe mich vor allem mit ihrem Spitzenkandidaten Nils Schmid sehr gut. Er ist Wahlkreiskollege von mir. Wir kennen uns sehr gut und liegen auch im politischen Denken auf einer Linie. Er ist auch für eine solide Haushaltspolitik, ist da bis jetzt finanzpolitischer Sprecher. Das ist uns ein großes Anliegen. Insofern sehe ich, dass wir das Land zusammen gut regieren können.

    Brandt: Vor einigen Wochen auf dem Parteitag der Grünen in Bruchsal haben Sie das Wort 'Ausschließeritis' in den Mund genommen. Sie haben gesagt, man dürfte keine Ausschließeritis betreiben, was mit Sicht auf die Linkspartei gemeint ist. Wie ist da jetzt die Position? Sie haben eben gesagt, Sie rechnen nicht damit, dass sie reinkommt, aber was, wenn doch?

    Kretschmann: Also, das ist nicht nur mit Blick auf die Linkspartei gemeint, das ist ganz grundsätzlich gemeint. Ich meine, wir haben ja in der Republik sogar eine Jamaika-Koalition. Auch das kann ich mir so gut wie nicht vorstellen. Es geht mir darum, dass, wenn der Wähler eine Entscheidung fällt, die zu keinem klaren Ergebnis führt, dass wir handlungsfähig bleiben, dass wir alle miteinander verhandeln können und dass wir nicht handlungsunfähig bleiben. Wir können ja nicht zu den Wählern sagen, passt uns nicht, euer Ergebnis, ihr müsst noch mal wählen. Das geht ja wohl nicht. Nur darum geht es mir. Immer in so schwierigen Situationen muss man unter Umständen ungewöhnliche Sachen machen und die Offenheit muss man haben, sonst ist man nicht handlungsfähig. Darum geht es.

    Brandt: Aber das bedeutet auch, dass eine mögliche Zusammenarbeit nicht auszuschließen ist?

    Kretschmann: Ich sage ja, keine Ausschließeritis. Aber was dann gemacht wird, muss man sehen. Das ist dann die Dynamik des Augenblicks. Da müssen sich alle bewegen, und wohin das dann geht, das muss man wissen. Also ich kenne ja zum Beispiel diese Linken überhaupt nicht, ich weiß gar nicht, was das für Leute sind in Baden-Württemberg. Was soll ich jetzt da für ein Urteil vorher fällen, was mit denen geht? So wie ich sie sehe, kann mit dieser Wünsch-dir-was-Partei nicht regieren.

    Brandt: Herr Kretschmann, heute wird in Hamburg gewählt, Bürgerschaftswahlen am anderen Ende der Republik. Nach dem Bruch von Schwarz-Grün dort sieht es so aus, als ob auch die Grünen Federn lassen müssen, aber als ob es dennoch einen Regierungswechsel geben wird. Wird ein Regierungswechsel in Hamburg irgendwelche Auswirkungen auf Baden-Württemberg und auf den Wahlkampf, der uns jetzt noch bevorsteht, haben?

    Kretschmann: Also, ich bin überzeugt, wir lassen da überhaupt keine Federn, sondern bin ziemlich sicher, wir kommen da an die Regierung, und das wird uns beflügeln.

    Brandt: 57 Jahre CDU-Regierung in Baden-Württemberg, Herr Kretschmann. Man kann sagen, das Land, die Verwaltung, die Landräte, alles hat sich ein wenig daran gewöhnt. Wie schwierig würde es werden, als Grüner dieses Land zu regieren? Denn mit genau diesen Verwaltungen und mit diesen Menschen, die dahinter stecken, muss man ja zusammen arbeiten.

    Kretschmann: Wenn nach 57 Jahren die CDU hier endlich mal auf den Oppositionsbänken sitzt, das ist ein epochaler Umbruch für dieses Land. Da entstehen ganz neue Kräfte und Dynamiken. Und deswegen habe ich da einen großen Glauben und ein großes Vertrauen. In einer solchen historischen Umbruchsituation, da wachsen einem die Kräfte auch zu, dass man gut regieren kann, auch gegen die Widerstände, die es da geben wird. Also, da habe ich keine große Angst davor. Aber Respekt schon.

    Brandt: Gleichwohl ist es natürlich so, dass da die Beharrungskräfte groß sind. Sie waren ja selbst in der ersten rot-grünen Regierung in einem Bundesland in Deutschland, in Hessen, unter Joschka Fischer im Umweltministerium tätig. Und damals war es ja ausgesprochen schwierig für die Grünen, die Verwaltung auf Grünen-Kurs zu bekommen. Wird es solche Probleme hier nicht auch geben?

    Kretschmann: Doch, solche Probleme wird es auch geben. Aber die werden wir lösen, denn wir haben ja inzwischen reichlich Regierungserfahrung und wissen, dass es geht. Und wir haben hier eine gute Verwaltung in Baden-Württemberg und ich setzt natürlich auf deren Loyalität. Das ist ja das Prinzip der Demokratie, dass die Verwaltung demokratischen Entscheidungen und Wahlen folgt. Das unterscheidet uns ja von einer Bananenrepublik.

    Brandt: Fünf Wochen Wahlkampf liegen in Baden-Württemberg noch vor uns. Ein Teil davon wird obendrein in die Fastnachts- oder Faschingszeit fallen. Was erwarten Sie noch? Es hat ja in den vergangenen Wochen schon ganz erhebliche Schärfen gegeben.

    Kretschmann: Ich sehe, dass die CDU eine aggressive und auch nicht faire Kampagne macht. Also, wenn zum Beispiel Ministerpräsident Mappus behauptet, ich sei von Cem Özdemir ferngesteuert, ist das eine völlig haltlose Behauptung. Und wenn ein Ministerpräsident solche Gerüchte in die Welt setzt, finde ich das nicht anständig. Und ich kann nur hoffen, dass die CDU wieder zu einem fairen Wahlkampf zurückkehrt, der durchaus hart in der Sache sein darf, aber bitte keine solchen fiesen Gerüchte.

    Brandt: Sie hoffen es, glauben Sie auch daran?

    Kretschmann: So richtig glaube ich bis jetzt noch nicht daran, denn ich sehe, dass die CDU ja lustig so weiter macht bisher. Aber vielleicht tobt sie sich ja in der Fastnacht aus und kommt dann wieder auf einen realistischen Boden zurück, sich nämlich mit mir auseinander zu setzen, mit dem, was ich und meine Partei vertreten und nicht irgendwelche Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen.

    Brandt: Winfried Kretschmann, Spitzenkandidat der Grünen für die Landtagswahl am 27. März in Baden-Württemberg. Vielen Dank für das Gespräch.

    Kretschmann: Ich danke auch.