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"Wir merken gar nicht mehr, dass Ironie alles durchdringt"

Ihr Essay "How to Live Without Irony" versetzte vor allem die us-amerikanischen Hipster in Aufregung - denn sie kommen dort nicht besonders gut weg. Im Corsogespräch spricht die Princeton-Professorin Christy Wampole über das richtige Maß an Ironie.

Von Gesine Kühne | 11.12.2012
    Gesine Kühne: Christy Wampole, Sie wurden im Jahr 1977 in Texas geboren, Sie singen in einer Band, tragen gern Vintage-Mode und werden von Ihren Freunden als "hip" bezeichnet. Ich bin Jahrgang 78, Berlinerin, trage heute Turnschuhe mit Leopardenprint, ein Run-DMC-Sweatshirt und wie immer eine große Brille, heute in weiß und meine Freunde nennen mich ab und zu Hipster. Was ist der Unterschied zwischen uns beiden?

    Christy Wampole: Das ist eine gute Frage. Ich glaube nicht, dass es so große Unterschiede zwischen uns gibt. Mit meinem Artikel fordere ich die Leser auf, darüber nachzudenken, wie übertrieben in den USA Ironie eingesetzt wird. Damit meine ich, dass Ironie inzwischen zum Beispiel weit über Polit-Satire hinausgeht. Sie ist Teil von unserem Leben, von unserer Alltagsrhetorik. Ironie bestimmt sogar, wie wir uns kleiden. Unsere Ironie-Sensoren sind überreizt, deshalb plädiere ich in meinem Artikel in der New York Times für die Nacheichung dieser Sensoren.

    Kühne: Das Essay heißt ja "How to Live Without Irony" – das hört sich für mich erstmal nach einer Anleitung zum ironiefreien Leben an. Ist das tatsächlich so gedacht?

    Wampole: Nein, ich meine, wie lebt es sich ohne Ironie, mit der Betonung auf "leben". Ich liebe Ironie – ich wurde in den Medien als unironische Person und Hipsterfeindin dargestellt, aber das ist nicht wahr. Ich liebe Ironie, ich bin ein großer Freund des politischen Witzes, in dem Ironie benutzt wird. Ironie ist eigentlich ein effektives Mittel in der politischen Kultur und Debatte. Das Problem ist aber, dass Ironie überall benutzt wird. Wenn also jemand Ironie als notwendiges und wichtiges, sprachliches Mittel einsetzen möchte, geht das im weißen Rauschen der allgegenwärtigen Ironie unter. Ich möchte nur, dass wir uns alle ein bisschen Zeit nehmen, uns überprüfen und darüber nachdenken, ob wir in unserem täglichen Leben vielleicht zu sehr auf Ironie setzen. Zum Beispiel auf Facebook oder in unseren Twitternachrichten. Wir merken ja gar nicht mehr, dass Ironie alles durchdringt.

    Kühne: Einen kritischen Blick auf sich selbst richten – das ist ihr Anliegen, so viel habe ich auch herauslesen können, dafür holen sie am Anfang aber ganz schön weit aus und beschreiben den Hipster haarklein von Fixed-Gear-Fahrrädern hin zu nicht ernst gemeinten Statement-T-Shirts und hässlicher Nerdbrille. Warum ist der Hipster für Sie eine so wichtige Schlüsselfigur bei der selbstkritischen Betrachtung?

    Wampole: Erstmal möchte ich einen Unterschied zwischen den deutschen und amerikanischen Hipstern machen. In Deutschland wird der Hipster so umschrieben: Wahrscheinlich ist er politisch aktiv und eher linksgerichtet - und er zeigt mit seiner Kleidung, wie er denkt. Klar, für manche ist Kleidung einfach nur ein Mode-Ding, aber es macht den Eindruck, als gäbe es in Deutschland noch den Zusammenhang zwischen ernsthaftem, politischem Engagement und diesem Hispter-Style. In den Staaten hingegen gibt es die Tendenz, besonders in den Metropolen und großen Universitätsstädten, dass sich sehr große Gruppen, also sehr viele Menschen von diesem Stil angezogen fühlen. Erst adaptieren sie die ironisch gemeinten Klamotten. Das geht dann meistens weiter und wird zu einem ironischen Lebensstil. Alles, was sie tun, ist ironisch gemeint. Alles, was sie kaufen, ist ironisch gemeint. Sie konsumieren weiter, verstecken sich aber hinter der Ironiemaske. So können sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

    Kühne: Haben sie deshalb auch diesen Text in Berlin-Neukölln geschrieben, weil sie beides gut beobachten konnten, zum einen den amerikanischen Hipster und auch den deutschen?

    Wampole: Genau, mein Partner ist Deutscher und ich bin jedes Jahr in Deutschland, verbringe dort viel Zeit. Den Artikel habe ich in Neukölln geschrieben. Ich hab oft Leute vom Fenster aus beobachtet und zwischendurch gelesen: "Der Idiot" von Dostojewski. Der Protagonist, Fürst Myschkin, ist die unironischste Figur der Weltliteratur. Mich überraschte die Diskrepanz zwischen dem, was ich las, und dem, was ich durch das Fenster beobachten konnte. Auf der Straße waren nicht nur deutsche Hipster unterwegs, sondern auch amerikanische, die beschlossen hatten, dass Berlin die coolste Stadt der Welt ist. Ich wusste nicht, was mich mehr anzog: die Ernsthaftigkeit der Romanfigur oder das, was sich auf der Straße abspielte? (...) Ich habe mich gefragt: Kann ein ernsthafter, junger Mensch in dieser Welt der Ironie überhaupt überleben?! Und ich muss sagen: Ich habe Emails aus allen Teilen der Welt bekommen – von Menschen, die mir sagen wollten, dass sie wissen, was ich meine. Gerade auch mit Blick auf die USA. Und sie meinten keine Hipster, sondern diese ironische Schicht, die sich auf all unsere Medien und Nachrichten gelegt hat. Einer hat geschrieben: Wir sind alle große Kinder und nicht in der Lage erwachsen zu werden. Es gibt Menschen auf der Welt, die es viel schwerer haben als wir. Aber unsere einzige Methode, damit klar zu kommen, scheint dieses ständige Gackern zu sein und die Unfähigkeit, sich dem wahren Leben zu stellen.

    Kühne: In einem Interview mit ihnen habe ich gelesen, dass sie ganz klar unterscheiden zwischen Ironie und ironischem Lebensstil. Was macht denn das eine, was das andere aus?

    Wampole: Ich weiß nicht, ob Sie in Deutschland diese beiden Sendungen kennen: "The Colbert Report" mit Stephen Colbert und die Daily Show mit Jon Stewart? Beides sind Comedy-Shows, die großen Einfluss auf diese gewisse Altersgruppe haben. In diesen Shows wird das Tagesgeschehen mit einem ironischen Dreh präsentiert. Das ist sehr wirksam. Es hat viele Menschen dazu veranlasst, mal mit kritischem Blick unsere politische Landschaft zu betrachten – das ist ein Beispiel von sinnvoll eingesetzter Ironie. Aber mit einem ironischen Lebensstil, der nichts ernst nimmt, gehen wir jeglicher Verantwortung aus dem Weg. Seien es politische oder auch ästhetische Entscheidungen, du vermeidest vorbeugend jegliche Kritik. Wenn du zum Beispiel absolut lächerliche Kleidung trägst und dir jemand sagt, dass du bescheuert aussiehst, kannst du sagen: Was denn, verstehst du das etwa nicht? Ich meine das doch nicht ernst. Also, ist der ironische Lebensstil ein Weg, um der Verantwortung bezüglich seiner Entscheidungen aus dem Weg zu gehen.

    Kühne: Um es noch mal zusammen zu fassen: Sie sind weder weltfremd noch unironisch noch ein Hipsterfeind. Sie haben einen Sinn für Ironie und Ihre Freunde sind vermutlich auch ironisch, denn unironische Menschen sind einfach auch unerträglich – dann doch nochmal die Frage zum Schluss: Warum musste dieser Artikel geschrieben werden?

    Wampole: In dem Artikel nenne ich ein Beispiel für sehr gefährliche, nicht-ironische Menschen. Diktatoren und Fundamentalisten gehören zu dieser Gruppe. Die führen ein absolut ironiefreies Leben. Aber ständig alles ins Lächerliche zu ziehen – das ist auch keine Lösung. Wenn wir das doch tun, bleiben wir in dieser Blase der ewigen Kindheit. Somit beschreibt mein Artikel eher unsere bürgerlichen Pflichten und politische Verantwortung. Es geht mir nicht nur um eine gewisse Ästhetik und um Style. Es gibt einen Song von Ton, Steine, Scherben, in dem es eine tolle Zeile gibt, die zu dem passt, was ich sagen will: "Macht kaputt, was euch kaputt macht."

    Kühne: Vielen Dank