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"Wir möchten von den Amerikanern geliebt werden"

Es knirscht unüberhörbar im deutsch-amerikanischen Verhältnis. Doch antiamerikanischer seien die Deutschen seit dem Fall Snowden nicht geworden, glaubt der Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen, Claus Leggewie. Es bleibe eine ambivalente Beziehung.

Claus Leggewie im Gespräch mit Katja Lückert | 13.07.2013
    Katja Lückert: Der Fall Snowden bewegt die Gemüter seit über fünf Wochen und ähnlich wie einst im Fall Assange gibt es täglich neue Nachrichten darüber, wo Edward Snowden ist, wo er gedenkt hinzugehen, welches Land ihn aufnehmen will. Obama telefoniert mit Putin, aber herausgekommen ist offenbar noch nicht sehr viel. Snowden bleibt weiterhin in Russland, er könne dort sogar politisches Asyl bekommen. Der deutsche Innenminister Friedrich bezieht Schelte von der Opposition, seine Reise nach Amerika sei eine Luftnummer – und überdies knirscht es unüberhörbar im deutsch-amerikanischen Verhältnis. - Die Frage geht an den Amerika-Kenner und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen, Claus Leggewie: Herr Leggewie, wagen Sie eine Bestandsaufnahme nach dem Friedensnobelpreis für Präsident Obama noch vor vier Jahren? Werden die Deutschen antiamerikanischer?

    Claus Leggewie: Nein, das kann man nicht sagen. Die jüngste Aufwallung hat schon viele Episoden vorher erlebt. Wir sind den Amerikanern gegenüber eigentlich im ganzen 20. Jahrhundert und bis in die Gegenwart hinein äußerst ambivalent.

    Lückert: Man hört ja aus Deutschland gern den schönen Spruch, wie man in den Wald hineinruft, so klingt es heraus. Man könnte manchmal den Eindruck gewinnen, unser Verhältnis zu Amerika ist von Schadenfreude eher als von Empathie geprägt, was immer auch diesem Land zustößt?

    Leggewie: Na ja, es gab immer beides. Man muss sich das vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung darstellen. Deutschland war bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts eigentlich aus dem eigenen Verständnis heraus keine westliche Nation und hat sich eigentlich immer mit Amerika, sowohl seiner Politik, seiner Kultur, seiner Wirtschaftsform, seiner militärischen Dominanz, die immer stärker wurde, entgegengesetzt. Das war dann erst 1945 in den 50er-Jahren eigentlich beendet. Das heißt, man musste das nolens volens anerkennen. Es gab aber immer Ressentiments und es gab auch immer Konflikte. Die Ressentiments sind dann so ein bisschen an die politischen Ränder gegangen. Antiamerikanismus war in, sowohl bei der äußersten Rechten als auch bei der radikalen Linken, und da gab es immer so eine unselige Gleichung: Antiwestlich gleich antiliberal gleich antiamerikanisch, oft auch antikapitalistisch. Das hat sich durchgehalten, Sie können heute noch in beiden Milieus auf Menschen stoßen, die mit dem Brustton der Überzeugung Amerika kritisieren, ohne jemals dort gewesen zu sein. Diese Tendenz war immer da und das Verhältnis zu den USA war auch nach 1945 nie konfliktfrei.
    Der Gegenstrom war natürlich immer die tatsächliche Amerikanisierung unseres Alltags, unserer Lebenswelt. Die beiden Tendenzen führen zu dieser Ambivalenz. Wir haben gewissermaßen immer zwei Seelen in unserer Brust: die eine möchte Distinktion, Unterscheidung gegenüber Amerika, und die andere hat im Grunde genommen das, was von Amerika oft ja auch so überzeugend ausgeht, vollständig verinnerlicht, geradezu inkorporiert.

    Lückert: Wie würden Sie es heute bewerten? Brauchen wir Amerika überhaupt noch?

    Leggewie: Umgekehrt muss man fragen: Washington braucht uns nicht mehr. Die besondere Zuneigung der Amerikaner, die ja nie symmetrisch war, sondern die immer asymmetrisch war – Amerika hat immer seine Großmacht und Sicherheitsinteressen in den Vordergrund gerückt, und auf dieser Basis laufen auch seit fünf Jahrzehnten die Geheimdienstkontakte, die nie abgebrochen sind, auch nach 1990 nicht, als Deutschland souveräner wurde. Washington braucht uns nicht mehr. Früher waren wir ein Faustpfand im Kalten Krieg. Die deutsche Frage war eine entscheidende für die Amerikaner. Die Blickrichtung der Amerikaner hat sich verändert, sie geht in den pazifischen Raum. Aber die Welt ist auch polyzentrischer geworden. Auch wir haben was mit China, wir haben was mit Brasilien zu tun. Insofern ist, was wir jetzt im Moment erleben, so eine gewisse Moderierung einer dann immer doch sehr stark auf Amerika fixierten Ausrichtung. Das freudige Gesicht, mit der unser Innenminister verkündet hat, dass er dem Vizepräsidenten kurz die Hand drücken durfte, oder diese freudige Erregung unseres Präsidenten, als er neben Obama stand, das bleibt. Wir möchten geliebt werden von den Amerikanern, geradezu geherzt werden, aber die Amis machen was sie wollen und stürzen uns damit in ein Wechselbad der Gefühle enttäuschter Liebe.

    Lückert: Andererseits ist es natürlich auch so, dass wir diesem Land immer versuchen, Lektionen zu erteilen.

    Leggewie: Ja. Das ist ja manchmal etwas präpotent, wenn die Deutschen das tun. Was hier in der NSA- und Snowden-Affäre passiert, ist natürlich ein klarer Verstoß gegen das Recht, und da muss man sich auch zur Wehr setzen. Das Lektionen erteilen machen wir auch gerne im Bereich zum Beispiel des Umwelt- und Klimaschutzes. Man muss einfach sehen, dass wir unterschiedliche Interessenlagen haben, die im Grunde genommen, was selten verstanden wird, auf eine zentrale Differenz im deutsch-amerikanischen Verhältnis zurückgehen. Amerika ist nicht so säkular wie Europa und gerade auch Deutschland, gerade auch Ostdeutschland. Amerika ist ein sehr viel religiöseres Land und davon leiten sich bestimmte Eigenschaften des "American Exceptionalism", der amerikanischen Ausnahme ab und wir sollten hier in aller Nüchternheit und Abwägung keine Lektionen erteilen, sondern unsere Interessen definieren und gelegentlich auch dann durchsetzen, zum Beispiel in dem jetzt anstehenden Freihandelsabkommen. Da gibt es eine ganze Menge von Agenden, wo ich raten würde den Europäern, nicht einzuknicken – Beispiel die kulturelle Ausnahme, aber auch vieles, was wir so an nicht tarifären Handelshemmnissen haben.

    Lückert: Wie sähe eine Welt aus, in der wir einander beide nicht brauchen und der atlantische Graben recht unüberwindbar geworden wäre?

    Leggewie: Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass die gegenwärtige Krise nicht das Ende der deutsch-amerikanischen Freundschaft bedeutet und dass es auch Kooperationsbeziehungen geben muss. Viele Probleme in der Welt sind sehr dringend, da gehört die Sicherheitsproblematik dazu, gehört aber auch der globale Klimaschutz dazu, da gehören globale Entwicklungsziele dazu. Und hier eine amerikanisch-europäische Allianz zu bilden gegen viele Tendenzen in der Welt, die uns nicht so passen, beispielsweise was von China ausgeht, halte ich immer noch für ratenswerter als den Bruch.
    Was die Selbstkritik auch der gegenwärtigen Vorgänge anbetrifft, sind die Amerikaner unübertroffen. Die Kritik an dem, was im Moment am Sicherheitsstaat der Vereinigten Staaten seit 2001 sich negativ entwickelt, ist in den Vereinigten Staaten sehr viel luzider, sehr viel ausgeprägter, sehr viel differenzierter, als sie bei uns ist. Diese Nation ist immer noch in der Lage, sich auch selbst zu kritisieren und auch bis zu einem bestimmten Punkt neu zu erfinden. Es wäre schön, wenn wir das als Europäer in einer ähnlichen Weise schaffen können.

    Lückert: Ein Blick in Geschichte und Gegenwart des deutsch-amerikanischen Verhältnisses – der Politikwissenschaftler Claus Leggewie war das.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.