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"Wir müssen alles dafür tun, dass wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen"

Auf dem UN-Klimagipfel in Doha müsse die EU ihre Klimaziele engagiert vertreten, sagt Matthias Groote (SPD). Der Klimawandel lasse sich nur global bekämpfen, so der Vorsitzende des Umweltausschusses des EU-Parlaments. Die EU müsse dafür sorgen, dass ihr "schärfstes Instrument, der Emissionshandel, vernünftig funktioniert".

Matthias Groote im Gespräch mit Benjamin Hammer | 21.11.2012
    Benjamin Hammer: Der Hurrikan Sandy traf die USA nur für wenige Stunden. Die Folgen aber, sie waren verheerend. Die finanziellen Schäden werden auf 50 Milliarden US-Dollar geschätzt. Extreme Wetterereignisse werden häufiger, darin sind sich die meisten Forscher einig. Und es gibt, so die gängige Meinung, einen Zusammenhang mit dem Klimawandel.

    Den Klimawandel begrenzen, das will die internationale Gemeinschaft seit 20 Jahren. Es klappt aber einfach nicht. Im Gegenteil: noch nie wurde so viel CO2 in die Luft gepustet wie im Moment. Das Europaparlament befasst sich heute mit dem Thema. Es geht auch um die Frage, wie die EU beim UN-Klimagipfel in Doha auftreten wird, der beginnt schon in wenigen Tagen. –

    Am Telefon bin ich nun mit Matthias Groote verbunden, er sitzt für die SPD im Europaparlament und ist dort Vorsitzender im Umweltausschuss. Guten Morgen, Herr Groote!

    Matthias Groote: Guten Morgen, Herr Hammer.

    Hammer: Auf zwei Grad will man die Erderwärmung begrenzen. Nur dann, sagen Forscher, halten sich die Folgen halbwegs im Rahmen. Herr Groote, im Moment deutet vieles darauf hin, dass das Ziel nicht erreicht wird. Mal ganz ehrlich: Rechnen Sie noch damit?

    Groote: Also wenn wir so weitermachen wie bisher, dann werden wir eher bei dreieinhalb Grad beziehungsweise vier Grad landen, und das hat unübersehbare Folgen für uns: einmal finanziell, aber auch für die Umwelt und für das gesamte Leben auf diesem Planeten.

    Hammer: Sie sind jetzt Umweltpolitiker. Warum erreichen Sie niemanden, wenn Sie vor diesen Folgen warnen?

    Groote: Weil zurzeit andere Probleme auf der Tagesordnung sind. Klima, Klimawandel, Klimapolitik ist nicht Priorität Nummer eins. Aber es sollte eigentlich die Priorität Nummer eins haben, denn Klimawandel wird eine Menge Geld kosten, und die Folgen in den Griff zu bekommen und Klimawandel zu bekämpfen, das hat Parallelen zur Finanzkrise und zur Haushaltskrise, die wir zurzeit durchlaufen, aber mit dem Unterschied: wenn eine gewisse Gradzahl erreicht ist, dann haben wir vielleicht einen irreparablen Schaden an diesem Globus, und das gilt es, unbedingt abzuwenden.

    Hammer: Wenn man das abwenden will, dann braucht man eine Fortschreibung des Kyoto-Protokolls. Das läuft ja Ende des Jahres aus und dann gibt es ein Vakuum im Grunde genommen bis 2020. Jetzt ist die Rede von einer zweiten Verpflichtungsperiode. Das Problem aber ist: außer Ihnen, außer der EU will sich kaum jemand auf so eine Verpflichtung einlassen.

    Groote: Richtig. Da müssen wir verhandeln und wir müssen dafür werben. Man sieht ja vorsichtige, vorsichtig optimistische Bewegung in der Richtung, einmal Amerika nach der Wahl, aber auch, dass andere Kontinente wie Australien jetzt im Emissionshandel der Europäischen Union zukünftig mitmachen werden. Das stimmt mich vorsichtig optimistisch, und die Betonung ist auf vorsichtig.

    Hammer: So richtig optimistisch kann man aber nicht sein, wenn man sich die EU selbst anguckt. Da war lange Zeit die Rede immer wieder von 30 Prozent weniger CO2-Ausstoß bis 2020. Das war eine Zahl, die ziemlich gut klang. Jetzt sieht es so aus, als ob sich Länder wie Polen innerhalb der EU durchsetzen und das Einsparungsziel weiter bei 20 Prozent belassen wird. Hat die EU damit ihre Vorreiterrolle verloren?

    Groote: Nein. Wir haben miteinander vereinbart, 2008 während des Klima- und Energiepaketes, dass wir 30 Prozent Reduktion intern bewerkstelligen, wenn internationale Partner mitmachen. Das ist nicht der Fall. Ich glaube, auch wenn wir 2009 nach Kopenhagen gefahren wären mit einem deutlich höheren Ziel, wir hätten keinen anderen Ausgang der Konferenz gehabt. Insofern: wir müssen weiter ambitioniert sein in der Europäischen Union. Wir müssen den Weg weitergehen. Aber Klimawandel lässt sich nur global bekämpfen.

    Hammer: Sie sprechen von ambitionierten Zielen, 30 Prozent, 20 Prozent. Wenn es jetzt bei den 20 Prozent bleibt, ist das nicht eine Milchmädchenrechnung? Umweltschützer sagen, das Ziel hat die EU im Grunde genommen längst erreicht.

    Groote: Wir haben das Ziel fast erreicht. Aber wir haben die Zielerreichung erfüllt durch wirtschaftliche Stagnation und durch Rezession ist es erfüllt worden. Das heißt, wir müssen, wenn es jetzt wieder bergauf geht, wenn die Wirtschaft wieder anspringt, dafür Sorge tragen, dass dort der Deckel drauf kommt, dass unser schärfstes Instrument, nämlich der Emissionshandel, vernünftig funktioniert. Das macht er nämlich zurzeit nicht vernünftig. Er funktioniert, aber nicht vernünftig. Und dieses ist eine Aufgabe, die wir spätestens ab 2014 anpacken müssen, wenn die neue Kommission in Amt und Würden ist und auch das Europaparlament sich nach den Europawahlen konstituiert hat.

    Hammer: Herr Groote, das klingt für mich danach, die EU fliegt nicht mit 30-Prozent-Ziel nach Doha, sondern mit 20 Prozent und man ist vor Polen und anderen Ländern eingeknickt.

    Groote: Nein, nein! So darf man das nicht sehen. Das ist die aktuelle Ausgangslage, die wir haben. Wir müssen alles dafür tun, dass wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen, und wir haben, glaube ich, auch die Hand ausgestreckt. Ein ganz anderes wichtiges Feld wird sein der Flugverkehr, weil hier zeichnet sich ab, dass wir vielleicht ein internationales Abkommen im nächsten Jahr haben können. Und ich bin fest davon überzeugt: Wenn im Flugverkehr ein internationales Abkommen, was den Emissionshandel angeht, möglich ist, dann wird es in anderen Bereichen auch möglich sein. Dann ist die Tür in die richtige Richtung aufgestoßen worden. Ich glaube nicht, dass mit irgendwelchen Festlegungen und Kämpfen jetzt in der EU, dass wir uns da verkämpfen, dass wir irgendeinen internationalen Partner bewegen können, jetzt mitzumachen, sondern es muss die Notwendigkeit noch mal unterstrichen werden, das Zwei-Grad-Ziel, dass das erreicht werden muss. Wir sind für elf Prozent der Emissionen weltweit verantwortlich und wir müssen internationale Partner mit ins Boot holen.

    Hammer: Herr Groote, ganz kurze Frage: Wie geht es Ihnen im Moment mit Ihren Kollegen? Zeigen die nach Deutschland und sagen, ha ha, eure Energiewende, die ist sehr, sehr teuer, wir haben es euch immer gesagt?

    Groote: Ich sage mal, die Hiobsbotschaften, die wir bekommen, dass zwei Offshore-Windprojekte auf Eis gelegt worden sind, dass Rätselraten besteht, wie der Netzausbau weitergeht, das führt nicht gerade dazu, dass Vertrauen geschaffen wird in Richtung Energiewende. Ich würde mir wünschen, dass das Thema ganz oben auf der Tagesordnung ist und dass man wirklich den Knoten durchschlägt, dass man vereinbart, welche Infrastrukturmaßnahmen müssen wann durchgeführt werden, und wir diskutieren dort im Nebulösen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich kann das Wort Energiewende nicht mehr hören. Energiewende findet seit 91 in Deutschland statt, aber unter dem Deckmantel Energiewende hat man, hat man ja, viel Hoffnung ist dort drin, aber wenig Konkretes ist bis jetzt bei allen angekommen.

    Hammer: Matthias Groote, Vorsitzender des Umweltausschusses im Europaparlament. Besten Dank!

    Groote: Vielen Dank, Herr Hammer.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.