Donnerstag, 18. April 2024

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"Wir müssen an den Aufbau der afghanischen Wirtschaft denken"

Heute ist Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) zum einem Besuch in Afghanistan eingetroffen - aus Sicherheitsgründen war die Reise nicht vorher angekündigt worden. Rupert Neudeck, Vorsitzender der Hilfsorganisation Grünhelme, fordert, dass Entwicklungshilfe weiterhin ohne eine Bindung an die Bundeswehr geleistet werden kann.

Rupert Neudeck im Gespräch mit Gerd Breker | 01.04.2010
    Gerd Breker: Sie haben es vielleicht gehört, meine Damen und Herren: Entwicklungsminister Dirk Niebel ist heute zu einem aus Sicherheitsgründen vorher nicht angekündigten Besuch in Afghanistan eingetroffen. Der FDP-Politiker will sich ein Bild vom deutschen Engagement und der Lage vor Ort in Afghanistan machen. Verbunden bin ich nun mit Rupert Neudeck, er ist Mitbegründer der Hilfsorganisation Grünhelme und auch deren Vorsitzender. Guten Tag, Herr Neudeck.

    Rupert Neudeck: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Herr Neudeck, wie viele Projekte betreuen die Grünhelme in Afghanistan?

    Neudeck: Wir haben im Westen Afghanistans, wo nun nachweislich keine deutschen Soldaten sind, 31 Schulen in Dörfern der Provinz gebaut, sind jetzt bei der 32. und bauen ein Gymnasium, also die 33. Schule, und bauen dabei auch noch eine Skateboard-Bahn für die jungen Leute, die in dieser Provinz nichts eigenes für sich selbst haben. Das sind im Moment die Projekte, die gehen. Die kann man dort machen, ohne dass man sich unbedingt und in allererster Linie darum bemühen muss, wie man für sich selbst Schutz erringt.

    Breker: Das heißt, Entwicklungshilfe nur dort, wo die Bundeswehr stationiert ist, das kommt für die Grünhelme nicht in Frage?

    Neudeck: Nein, und zwar aus verschiedenen Gründen. Ich finde das auch für die Afghanen ein falsches Signal, denn die Afghanen fühlen sich ausdrücklich, ganz gleich ob sie Usbeken, Tadschiken, Paschtunen, Hasaras sind, immer als unsere Freunde aus der Geschichte. Das ist eine lange, 200 Jahre alte Geschichte der Freundschaft. Und weshalb wir jetzt Afghanistan teilen müssen in das Mandatsgebiet der Bundeswehr, wie das Frank Capellan ja eben schon geografisch situiert hat, Masar-e Scharif, Kundus, Faisabad, Kabul, und die anderen Gebiete, das verstehe ich nicht. Es würde zum Beispiel bei so einer rigorosen Politik auch der Reinhold Erös ausgeschaltet, der im Osten Afghanistans, in Dschalalabad, ganz wunderbare Projekte auch für Mädchen macht, ein Waisenkinderheim jetzt aufgebaut hat. Das kann eigentlich nicht gut sein, wenn wir Afghanistan teilen, da wir nämlich die Freunde Afghanistans sind.

    Breker: Allerdings, Herr Neudeck, müssen Sie dann auf die Gelder der Bundesregierung künftig verzichten?

    Neudeck: Nein! Das ist so: Es gibt einige Organisationen, die noch an die alte reine Form der Nichtregierungsorganisation glauben und das auch so durchführen. Wir zum Beispiel bei den Grünhelmen – das gilt auch für meine alte Organisation Cap Anamur, das gilt auch für die Kindernothilfe aus Ulm von Reinhold Erös – stellen gar keine Anträge und wir haben auch keine Regierungsgelder. Wir haben das vielleicht ein bisschen gerochen, dass mal ein Minister kommen könnte, der sagen würde, ihr kriegt diese Mittel entzogen, wenn ihr nicht schnell unter das Dach der Bundeswehr kommt.

    Breker: Nun sagt ja Dirk Niebel ausdrücklich, eine embedded Entwicklungshilfe solle es nicht geben. Nur was ist denn das anderes, was da im Norden gerade geschieht?

    Neudeck: Ich fürchte, wir haben schon einen leichten Sündenfall dort zu verzeichnen. Ich bin darüber auch in lebhaftem Kontakt gewesen mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Deutschen Roten Kreuzes, mit Professor Ipsen. Ich glaube, dass wir schon jetzt sagen können, dass Organisationen, die sich Nichtregierungsorganisationen nennen, schon verstoßen haben gegen das Urgesetz, die Urverfassung der Organisationen. Das sind die Genfer Rotkreuz-Konventionen. Die besagen ausdrücklich, eine humanitäre Organisation ist geradezu dadurch ausgezeichnet, dass sie nicht zusammen etwas macht mit Bewaffneten, ganz gleich welcher Art und woher sie kommen. Ich denke, das ist ein Ruhmestitel der humanitären Arbeit seit dem 18. Jahrhundert und wir sollten daran nicht rühren, wir sollten das auch nicht zusammenführen. Das ist kein Urteil über die Arbeit der Bundeswehr oder der Italiener, die in Herat als Truppen tätig sind, sondern es ist nur ein Urteil darüber, humanitäre Arbeit ist immer dann richtig gelaufen, wenn sie immer ganz unabhängig von Kombattanten gelaufen ist und wenn sie durchgeführt wird, ohne dass sie sich um einen Schutz von deren Seite bemüht.

    Breker: Allerdings, Herr Neudeck, muss man zugeben, seit acht Jahren wird der Wiederaufbau in Afghanistan gefördert und der Kollege Frank Capellan hat eben gesagt, die Hörer haben es vielleicht gehört, noch zwei Jahre habe man Zeit, ansonsten hätte man den Kampf gegen die Taliban verloren. Eine Erfolgsgeschichte war das bisher noch nicht?

    Neudeck: Nein, aber wir haben vergessen, dass wir 2002 bis 2005 einschließlich drei ganz volle Jahre hatten, in denen alles möglich war im Lande, in denen wir durch das Land fahren konnten, ohne uns um irgendeinen Schutz zu bemühen, in denen der Wiederaufbau hätte laufen können auf voller Pulle. Damals haben wir ein bisschen geschlafen. Damals hätte die Bundesregierung Afghanistan zu einem ausdrücklichen großen Schwerpunktland der deutschen Entwicklungshilfe machen können. Es hat dies aber nicht getan, und deshalb stehen wir jetzt ein bisschen im Regen, weil wir sind ein bisschen in die Militärfalle gerutscht. Je mehr Soldaten wir in Afghanistan haben, desto weniger Sicherheit war es, und das ist ein Urteil, das uns zu denken geben muss. Ich denke, es ist immer noch alles möglich, aber wir müssen Afghanistan einen wirtschaftlichen Wiederaufbau ermöglichen. Diese Leute sind so unglaublich fleißig und tüchtig, aber sie laufen jetzt wieder aus dem Land heraus, nämlich in den Iran. Es sollen 2,5 Millionen Afghanen schon im Iran sein, die suchen dort Arbeitsplätze. Wir müssen an den Aufbau der afghanischen Wirtschaft denken, das ist das alles vorrangige.

    Breker: Gebt allen Strom, gebt allen einen Fernseher. Ist das der richtige Weg? Das klingt nach Brot und Spielen.

    Neudeck: Nein. Das ist vielleicht richtig gemeint. Ich vermute, der Bundeswehrsoldat hat das richtige gemeint. Die Menschen müssen da bleiben können. Sie müssen auch ihre Gelder im Lande erwerben können. Deshalb geht es um den Aufbau von verarbeitender Industrie. Afghanistan hat im letzten Jahr wieder eine Rekordernte eingefahren. Es geht darum, dass nichts mehr von außen reingebracht wird an Nahrungsmitteln. Es geht darum, dass die Straßen fertig werden, denn Wirtschaft läuft nur mit einer guten Verkehrsinfrastruktur. Es müssen die Flughäfen so gemacht werden, dass das afghanische Exil, das zu Hunderttausenden ist, von Hamburg und von Kanada nach Afghanistan fliegen kann, dort Ferien machen kann und dort auch Geld hinbringen kann. Wirtschaft ist das entscheidende Stichwort, das man jetzt sagen muss.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Vorsitzende der Grünhelme, Rupert Neudeck. Herr Neudeck, danke für dieses Gespräch.

    Neudeck: Danke auch!