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"Wir müssen mehr Geld für Gesundheit ausgeben"

Angesichts des drohenden Milliardenlochs im Gesundheitsfonds will die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU, Annette Widmann-Mauz, prüfen, wo Leistungen wirtschaftlicher erbracht werden könnten. Eine Erhöhung des Beitragssatzes sei aber nicht notwendig.

Annette Widmann-Mauz im Gespräch mit Jasper Barenberg | 07.10.2009
    Jasper Barenberg: Für ein bürokratisches Monster halten die Liberalen den Gesundheitsfonds, die FDP will ihn abschaffen und den Einheitsbeitrag gleich mit. Stattdessen sollen aus den Kassen private Versicherungsunternehmen nehmen, die ihre Beiträge selbst festlegen. Anders als früher lehnt die Union eine solche Rosskur inzwischen allerdings ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst hat schon eines deutlich gemacht: eine grundsätzliche Abkehr vom Fonds kommt für sie nicht in Frage. Schwierige Verhandlungen stehen Union und FDP also ins Haus. Weiter erschwert werden sie, weil die Wirtschaftskrise das Gesundheitswesen tief in die roten Zahlen treibt.

    Die dramatische Schieflage im Gesundheitsfonds wird sicherlich eine Rolle spielen bei den Koalitionsverhandlungen heute in Berlin. Mit am Tisch sitzen wird dann auch die CDU-Gesundheitspolitikerin Annette Widmann-Mauz, die ich jetzt ganz herzlich am Telefon begrüße. Einen schönen guten Morgen!

    Annette Widmann-Mauz: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Frau Widmann-Mauz, die FDP will den Gesundheitsfonds abschaffen, für die CDU ist er Tabu. Wird also am Ende der Verhandlungen alles so bleiben, wie es derzeit ist?

    Widmann-Mauz: Nein. Wir haben ja in den Gesundheitsverhandlungen mehr zu diskutieren als über den Gesundheitsfonds. Die FDP will diesen Fonds abschaffen, dann muss sie einen Vorschlag machen, der dieses System mit seinen Ansprüchen für die Versicherten und für die medizinische Versorgung in unserem Land sicherstellt. Diesen Vorschlag hat sie nicht, sie will eine Privatisierung des Gesundheitswesens. Das kommt mit der Union nicht in Frage und deshalb werden wir uns intensiv über Zukunftsmodelle unterhalten, die am Ende auch das gewährleisten, was die Menschen in unserem Land von einer gesetzlichen Krankenversicherung erwarten, nämlich Schutz und Weitergabe des medizinischen Fortschritts auch in ländlichen Regionen.

    Barenberg: Welche Maßnahmen, welche Korrekturen sind denn für Sie denkbar, vorstellbar?

    Widmann-Mauz: Zunächst einmal muss man ja feststellen, dass die Ergebnisse, die der Schätzerkreis der gesetzlichen Krankenversicherung gestern präsentiert hat, deutlich machen, dass wir trotz Wirtschaftskrise eine stabile Einnahmebasis erwarten und dass wir größere Probleme beim Ausgabenanstieg in verschiedenen Leistungsbereichen haben. Dabei ist auch festzustellen, viele davon sind politisch gewollt, denken Sie an die Ausgabensteigerungen im Krankenhaus oder an die Ausgabensteigerungen für die ärztliche Behandlung.

    Wir waren der Meinung, dass die Menschen in diesen Bereichen auch besser verdienen müssen. Deshalb schauen wir uns sehr genau an, wo wir wirtschaftlicher werden können in den Leistungsausgaben, und wir werden dann mit den Instrumentarien, die wir in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Finanzierung haben, allgemeiner Beitragssatz, Steuereinnahmen und Eigenbeiträge der Versicherten, sehr klug und sehr verantwortungsbewusst umgehen müssen.

    Barenberg: Lassen Sie uns das doch mal im einzelnen durchdeklinieren. Das Milliardenloch ist ja gewaltig. Mehr Steuergelder in den Fonds pumpen, ist das eine Möglichkeit, über die Sie nachdenken?

    Widmann-Mauz: Mehr Steuergelder in der gesetzlichen Krankenversicherung bieten Vorteile zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen. Sie bieten auch den Vorteil einer gerechten Finanzierung, die die wirkliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt. Aber wir müssen auf der anderen Seite auch erkennen: Die Wirtschaftskrise hat die öffentlichen Haushalte in besonderem Maße belastet, sodass der Spielraum mittlerweile ein begrenzter ist.

    Barenberg: Also eher nein?

    Widmann-Mauz: Er ist begrenzt und es kommt sehr darauf an, wo und wie wir Prioritäten im Bundeshaushalt auch in anderen Bereichen setzen können.

    Barenberg: Eine andere Möglichkeit wäre, den allgemeinen Beitragssatz, der derzeit auf 14,9 Prozent ist, anzuheben. Es gibt diesbezüglich schon Forderungen aus den Reihen der AOK, die davon ausgeht, dass das Defizit eben nicht zu begleichen sein wird mit dem allgemeinen Beitragssatz, der heute gilt. Wäre das eine Möglichkeit, die Sie in Erwägung ziehen, den allgemeinen Beitragssatz zu erhöhen?

    Widmann-Mauz: Wir haben im Gesetz geregelt, dass der allgemeine Beitragssatz nachzujustieren, sprich anzuheben ist, wenn die Gesundheitsausgaben nicht mehr zu 100 und noch nicht einmal mehr zu 95 Prozent durch den Fonds gedeckt wären. Das ist auch nach den Zahlen, die gestern vorgelegt wurden, nicht notwendig. Man muss auch sagen, wenn wir dieses tun, dass wir die Wirtschaft und damit Arbeitsplätze in unserem Land über Lohnnebenkosten weiter belasten. Es wäre sicherlich nicht das beste Signal für die deutsche Wirtschaft.

    Barenberg: Mehr Steuergelder halten Sie also für schwierig, den allgemeinen Beitragssatz wollen Sie nicht anheben. Was bleibt? Die Leistungen kürzen?

    Widmann-Mauz: Nein. Ich glaube, Leistungen zu kürzen ist nicht die richtige Antwort, denn wir stellen ja fest, dass wir einen erheblichen Versorgungsbedarf haben in einer älter werdenden Gesellschaft. Dieses zu ignorieren wäre falsch, aber umgekehrt ist es unbedingt erforderlich, dass wir wirtschaftliche Verfahren und Strukturen entwickeln, die das knappe Geld dann auch am besten und am sinnvollsten einsetzen. Wir haben den Weg eingeschlagen mit einer Kosten-Nutzen-Bewertung für innovative Arzneimittel. Hier sind wir noch bei Weitem nicht am Ziel angelangt. Die Verfahren werden immer noch diskutiert. Hier müssen wir schneller, hier müssen wir besser werden, denn wir können es uns nicht leisten, dass die Arzneimittelkosten gerade in diesem Sektor ständig überproportional stark ansteigen.

    Barenberg: Wäre es also eine Idee, die Pharmaunternehmen endlich wirksam zu zwingen, die Preise für Medikamente zu senken?

    Widmann-Mauz: Ich glaube, dass wir über diesen Themenkomplex intensiv reden werden in den Verhandlungen und dass wir hier zu besseren Lösungen finden müssen. Wir haben eine Vielzahl von Instrumenten in der Preisregulierung auf dem Arzneimittelmarkt. Teilweise widersprechen sich diese Instrumente. Und wir haben in unserem Regierungsprogramm, das wir vor der Bundestagswahl als Union vorgelegt haben, auch angekündigt, dass wir diesen Bereich sorgfältig überprüfen und auch vor dem Hintergrund reformieren wollen, dass wir zielgerichtetere und bessere Maßnahmen brauchen.

    Barenberg: Wie wäre das denn möglich?

    Widmann-Mauz: Wir werden sehr genau schauen müssen, ob wir in Bereichen, wo Preisverhandlungen bislang nicht üblich sind, stärker zu Preisverhandlungen kommen.

    Barenberg: Was heißt das?

    Widmann-Mauz: Dass zum Beispiel Krankenkassen mit Arzneimittelherstellern früher, als das heute der Fall ist, in Preisverhandlungen eintreten.

    Barenberg: Eine Möglichkeit haben wir noch nicht diskutiert. Das ist die Möglichkeit, die Zusatzbeiträge der Kassen zu erhöhen. Bisher ist die Möglichkeit, Zusatzbeiträge zu erheben, ja gestaffelt und gedeckelt auf maximal ein Prozent des Einkommens, eine wesentliche Forderung damals der SPD. Wollen Sie das ändern?

    Widmann-Mauz: Ich glaube, dass Zusatzbeiträge dann, wenn sie pauschal erhoben werden, sozial flankiert sein müssen, denn es macht einen Unterschied, ob Pauschalbeiträge von Geringverdienern oder von Verdienern an der Beitragsbemessungsgrenze bezahlt werden. Zusatzbeiträge im pauschalen System brauchen immer eine soziale Flankierung.

    Barenberg: Jetzt habe ich aber noch nicht rausgehört, ob Sie grundsätzlich bereit wären, diese Ein-Prozent-Regelung aufzugeben, das heißt, dass künftig die Kassen beliebig Zusatzbeiträge von ihren Versicherten verlangen können?

    Widmann-Mauz: Diese Zusatzregel bringt gewisse Schwierigkeiten in der Finanzierung insbesondere der Beitragsautonomie für Krankenkassen mit sich, dann, wenn flächendeckend Zusatzbeiträge erhoben werden. Bislang erhebt eine Krankenkasse meines Wissens Zusatzbeiträge. Deshalb ist diese Frage noch nicht virulent, aber Sie können davon ausgehen, dass auch dieses Thema in den Koalitionsverhandlungen angesprochen werden wird.

    Barenberg: Zum Schluss, Frau Widmann-Mauz, werden am Ende die Versicherten die Zeche zahlen müssen für weitere Risiken, weitere Kostenrisiken im Gesundheitswesen?

    Widmann-Mauz: Ich glaube, dass wir uns klar machen müssen, wenn wir den Anspruch, den wir an medizinische Versorgung stellen, an Fortschritt und Weitergabe des Fortschritts in der Medizin, wenn wir diese Standards halten wollen - und wir als Union wollen sie halten -, dann wird das angesichts der demografischen Entwicklung die Folge haben, dass wir mehr Geld für Gesundheit ausgeben müssen. Die Frage, wie wir das am gerechtesten verteilen und wie wir die Lasten auf möglichst breite Schultern legen, die wird relevant sein für die Zukunft. Aber es entbindet uns nicht von der Verantwortung, auch insbesondere bei den Ausgaben sparsam und effizient zu arbeiten und zu wirtschaften.

    Barenberg: Heute Morgen im Deutschlandfunk Annette Widmann-Mauz, die CDU-Gesundheitspolitikerin. Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Widmann-Mauz.

    Widmann-Mauz: Bitte schön! Gerne, Herr Barenberg.