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"Wir müssen Standards der Einwanderung setzen"

Der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch meint, Kriterien der Zuwanderung müssten Integrationswille und -fähigkeit sein. Dazu sollten Standards für Einwanderung definiert werden.

Roland Koch im Gespräch mit Jürgen Liminski | 11.10.2010
    Jürgen Liminski: Heidegger meinte einmal, Worte seien in der Geschichte oft wirkmächtiger als die Dinge und Taten. Wer manche Worte in Deutschland ausspricht, macht in der Tat diese Erfahrung, etwa das Wort "Baustopp" oder der Satz, "Der Islam gehört auch zu Deutschland". Wer da widerspricht, wird gern mit anderen Worten belegt, zum Beispiel "reaktionär", "brutal" oder "konservativ", auch wenn das eine mit dem anderen eigentlich nichts zu tun hat. Dennoch sei die Frage in den Raum gestellt: Ist Bahnhof abreißen und Islam aufwerten konservativ, oder wertet der Konservative andere Kulturen eher ab, und wie verhält sich ein Konservativer zur Präimplantationsdiagnostik, der PID, ein derzeit heißes Thema in der Union? Was also ist konservativ? – Zu diesen Fragen begrüße ich den Autor des Buches mit dem Titel "Konservativ – ohne Prinzipien und Werte ist kein Staat zu machen". Es ist der Noch-Politiker und stellvertretende Vorsitzende der CDU, Roland Koch. Guten Morgen, Herr Koch.

    Roland Koch: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Koch, zwei CDU-Politiker stehen im Zentrum der beiden am heftigsten diskutierten Themen in diesen Tagen. Deshalb die Frage: Ist Bahnhof abreißen und Islam aufwerten konservativ?

    Koch: Das Problem derjenigen, die sich als Konservative beschreiben, ist, dass sie weniger als auf der linken Gegenseite die Fähigkeit haben, platte Antworten zu geben, und deshalb in tagespolitischen Fragen oft differenzierter antworten, wie ich das jetzt auch tue. Einen Bahnhof abzureißen, um ein neues Werk zu schaffen, um Menschen Erwerb für die nächsten Generationen zu geben, kann unsere Wirtschaftsordnung, unseren Lebensstil, auch die Chance aller sozial beteiligt zu sein, sehr erhalten und deshalb sehr konservativ sein. Konservative ringen ganz sicherlich heute mit der Frage, welchen Platz sie Menschen nach ihrem Menschenbild, dass alle Menschen auf der Welt gleich sind, einräumen müssen, die eine andere religiöse Überzeugung haben, ohne dabei ihre eigenen Ansprüche zu verlieren. Der Bundespräsident hat ja in seiner Rede durchaus auf beides hingewiesen, nämlich darauf, dass Religionen willkommen sind in einer Gesellschaft, aber dass diese Gesellschaft geprägt ist, nämlich genau so geprägt ist, wie Sie es anfangs beschrieben haben, und dass wer die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen nicht ziehen will, eben in unserer Gesellschaft auch dauerhaft keine Heimat haben kann.

    Liminski: Ein anderer Unionskollege, CSU-Chef Horst Seehofer, heizt jetzt die Integrationsdebatte mit der Forderung nach einer Zuwanderungsbegrenzung für Menschen aus anderen Kulturkreisen an. Ist es konservativ, sich vor anderen Kulturkreisen zu schützen oder gar abzuschotten? Ist der privilegierte Ort des Konservativen der Stammtisch?

    Koch: Nein. Es gibt keinen Grund, vor Stammtischen zu fliehen, weil sie gehören zu einer Gesellschaft von Menschen, die sich austauschen über die Zukunft, genauso dazu wie die akademischen Zirkel der Universität. Aber das, was Horst Seehofer umtreibt und was uns umtreiben muss aus der Sicht einer konservativen Politik ist, wie die Rahmenbedingungen eigentlich lauten, unter denen man bestehende positive Erfahrungen, auch möglicherweise leidvolle Erfahrungen, weil das Jüdisch-Christliche der letzten 2000 Jahre ist ja eben kein akademischer Prozess, sondern ist eine Häutung und Veränderung einer Gesellschaft durch Kampf, in dem viele, viele Menschen ihr Leben gelassen haben in Konflikten, die daraus entstanden sind, und das, was Gott sei Dank daraus gelernt worden ist, um daraus ein friedliches Gemeinwesen zu machen. Deshalb ist die Frage, wie kann man Integration hinbekommen, und in einer Schulklasse in Berlin, in der von 30 Schülern nur zwei einen Hintergrund haben, deren Eltern aus Deutschland kommen, und einen religiösen Hintergrund haben, der mit dem Jüdisch-Christlichen zu tun hat, wird Integration in der Tat zu einer fast unlösbaren Aufgabe. Deshalb: Wir haben über zu viele Jahre Zuwanderung nicht vernünftig gesteuert, wie das die Amerikaner, die Australier, die Kanadier oder die Briten getan haben, und deshalb werden wir jetzt etwas präziser darüber sprechen müssen, wie wir Zuwanderung ermöglichen, aber in einer Weise, dass es die wichtigen Ziele der Integration in der Gesellschaft nicht gefährdet.

    Liminski: Also die Kriterien für Zuwanderung sind nicht kulturell, sondern eher wirtschaftlich?

    Koch: Die Kriterien der Zuwanderung sind nach meiner Sicht Integrationswille, Integrationsfähigkeit, und zur Integrationsfähigkeit gehört sicherlich auch sozusagen die gelebte und anerkannte Bereitschaft, sich nach den Regeln zu verhalten und in die Welt einzuordnen, in die man einwandert. Wenn ich sehe, wie etwa in meiner hessischen politischen Erfahrung der heutige hessische Ministerpräsident Volker Bouffier vor einigen Jahren – fünf, sechs Jahre her, nicht ewig lange her – geziehen worden ist, als er das erste Mal von Einwanderungstests sprach, die heute ja gesetzlicher Standard sind, als wir verlangt haben, dass die deutsche Sprache gekonnt werden muss, bevor man in das Land kommt, was heute Gott sei Dank durchgesetzt ist, da war das alles aus der linken Seite sozusagen genauso heftig attackiert, wie heute manche Diskussionen, die wir führen unter dem Gesichtspunkt ja, wir müssen Standards der Einwanderung setzen. Ich glaube, da darf man sich dann auch deshalb nicht abbringen lassen, weil zum Beispiel der Konservative weiß, dass wenn der Konsens über bestimmte Verhaltensweisen in einer Gesellschaft erst einmal zerfallen ist, kann er nicht durch Gesetzgebung zurückgebracht werden, sondern er bedarf dessen, was ich in dem Buch ein patriotisches Band nenne, also etwas, was aus der inneren Überzeugung kommt, und wir müssen Menschen, die zu uns kommen, sehr früh sagen, dass wir das erwarten, und wir müssen auch die Konsequenz haben zu sagen, wenn sie das nicht erfüllen wollen, sind sie willkommene Gäste, aber sie werden nie Bürger unseres Staates werden können.

    Liminski: Ein weiteres Streitthema, das der Union ins Haus steht und wo sie im Begriff ist, sich von einem weiteren Essential ihrer Programmatik zu verabschieden, ist die Frage der Präimplantationsdiagnostik, kurz PID. Partei- und Fraktionsführung wollen auf Wunsch der FDP das Verbot der PID aufweichen oder aufgeben. Was sagt ein Konservativer dazu?

    Koch: Nach meiner Einschätzung wird in den nächsten Jahren die Frage des Umgangs mit dem menschlichen Leben durch Menschen zu einer immer schwierigeren und drängenderen Frage werden, weil der Mensch kann heute mehr – PID ist ein gutes Beispiel dafür -, er steht damit vor den Verführungen und Herausforderungen, und in einer globalisierten Welt werden nationale Entscheidungen immer schwieriger. Mein Plädoyer ist bei Fragen wie dem Umgang mit Leben am Anfang und Ende des Lebens, auch dann in Deutschland mit unserer, auch sehr spezifischen historischen Erfahrung strikter zu bleiben, als das möglicherweise unsere Nachbarn sind, selbst wenn man damit in kauf nehmen muss, dass es eine bestimmte Form des Tourismus leider Gottes gibt und geben wird, denn wir werden nicht die Augen davor verschließen können, dass etwa bei der Präimplantationsdiagnostik die Regeln in anderen, unseren Nachbarländer und in Europa längst sehr viel aufgeweichter sind. Dennoch: Ich persönlich werbe dafür, die Möglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik wirklich extremst zu begrenzen. Heißt: Ich glaube, dass es Sinn macht, dass bei Menschen, die nachgewiesene Erbschädigungen haben, eine solche Untersuchung möglich wird, denn es ist nicht sehr konsequent, ein Gesetz zu haben, das später erlauben würde, solche Kinder abzutreiben, um dazu zu kommen aber eine solche Untersuchung nicht vornehmen zu können. Aber ich würde es im Strafgesetz regeln. Das heißt: Ein Arzt, der es an anderen Gesichtspunkten macht, müsste damit rechnen, dafür auch wirklich bestraft zu werden, und das kann man sehr einfach, sehr, sehr einfach nachprüfen. Ich meine, dass wir diese Grenze erhalten sollten, und aus konservativer Sicht muss man auch sagen, wer diese Grenze weiter verschiebt, der muss wissen, dass die Manipulation, die Wunschkindersuche immer mehr zu dem neuen Traum einer Gesellschaft wird, und das kann man, wenn man das christliche Menschenbild vor Augen hat, nicht wollen.

    Liminski: Sie haben solche Lebensfragen gleich zu Anfang in Ihrem Buch behandelt. Nun macht die FDP Druck, sie wollen das Embryonenschutzgesetz ändern. Würden Sie das als Konservativer mittragen?

    Koch: Ich persönlich würde es nicht mittragen. Ich glaube, dass die CDU dort anderer Meinung ist. Ob wir damit eine gesellschaftspolitische Mehrheit haben, das heißt, ob wir in dem politischen Prozess uns durchsetzen können, das hängt davon ab, wie stark wir sind. Und je stärker die FDP ist in solchen Fragen, in denen legitimerweise es unterschiedliche gesellschaftliche Strömungen gibt, indem man sie auch ein Stück etwa zwischen dem Liberalen und dem Konservativen sehen kann an dieser Stelle – das schadet ja nichts, dass die Öffentlichkeit vielleicht ein Stück mitbekommt; es ist ja der Sinn des Buches, was ich geschrieben habe, der Öffentlichkeit ein Stück zu sagen, ja, Konservative sind durchaus etwas Spezifisches, sie sind allerdings nicht die alleinigen Machthaber einer Gesellschaft, sondern sie sind eine der wesentlichen Kräfte. Ich versuche, das auf die griffige Formel zu bringen, sie sind nicht der Nabel der Welt, aber wenn der Nabel in der Mitte bleiben soll, dann müssen Konservative kräftig festhalten. Das gilt für diese Frage ganz besonders, und deshalb hoffe ich und wünsche ich mir, dass meine Partei in dieser Frage kämpft, und dann werden wir sehen, was am Ende der politischen Debatte dabei herauskommt, wie das in der Demokratie so ist. Aber der Standpunkt, der dahinter steht, den ich hier formuliere, der muss auf den Tisch, der darf nicht verdeckt sein und man muss über solche Fragen, ja was ist, wenn die Eltern dann in das Nachbarland gehen, auch mit einem gewissen Selbstbewusstsein sprechen können, zu sagen ja, wir haben an bestimmten Stellen Werte und Tugenden, die sind vielleicht nicht internationalisierbar, aber die sind spezifisch bei uns. Die muss man nicht mit Arroganz vortragen, aber mit Selbstbewusstsein.

    Liminski: Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, sieht in dieser Frage einen Test, wie christlich die CDU noch sei. Sehen Sie das auch so grundsätzlich?

    Koch: Ich sehe es sehr grundsätzlich. Ich bin vorsichtig mit solchen allgemeinen Worten, weil auch der Christ ist erstens fehlbar und zweitens differenziert. Aber die Tatsache, diese Punkte, die mit dem Anfang und dem Ende des Lebens zusammenhängen, sind sehr, sehr spezifisch mit unserem Menschenbild verbunden. Das gibt es nicht auf der ganzen Welt. Das sehen Menschen auch teilweise auf dem Planeten ganz anders. Und wenn das Spezifische aufgegeben wird, ist das gefährlicher als mancher pragmatische Kompromiss, den man in anderen Fragen, die auch sehr wichtig sind in der Gesellschaft, vielleicht manchmal sogar in den Schlagzeilen mehr in dem Vordergrund stehend, stellt.

    Liminski: Lebensschutz, Primat des Rechts vor dem Willen der Straße, eigene kulturelle Identität oder Leitkultur, das sind Elemente konservativen Denkens, sagt Roland Koch, noch stellvertretender Vorsitzender der CDU und Autor des Buches "Konservativ – Ohne Werte und Prinzipien ist kein Staat zu machen", hier im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Koch.

    Koch: Auf Wiederhören!