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"Wir müssen um Moskau werben"

Die Situation in Syrien Die Situation in Syrien "ist inzwischen dramatischer", sagt Andreas Schockenhoff, Koordinatorder Bundesregierung für die deutsch-russische Zusammenarbeit. Russland müsse den Weg für eine Lösung ohne Assad freimachen. Der Westen wolle jedoch keine Gegnerschaft mit Russland konstruieren.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Jasper Barenberg | 15.10.2012
    Jasper Barenberg: Von einem Alptraum spricht Lakhdar Brahimi, der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, für Syrien, und in der Tat: Mehr als 200 Syrer sind allein an diesem Wochenende getötet worden Schätzungen zufolge, in erbitterten Gefechten zwischen Regierungstruppen und Rebellen. Von Schusswunden verletzt schleppen sich Flüchtlinge über die Grenze in die Türkei, in das Land, das selbst immer tiefer in den Bürgerkrieg hineingezogen wird. Inzwischen haben beide Länder ihren Luftraum für den Nachbarn gesperrt. Entlang der Grenze herrscht Alarmstimmung. Mehr Gewalt, mehr Tote, mehr Flüchtlinge, wachsende Sorge in den Nachbarländern – all das hat die nimmermüde Krisendiplomatie nicht verhindern können, nicht einmal eindämmen, was viel mit der harten Haltung Russlands zu tun hat, unter anderem im Weltsicherheitsrat. Das meint auch der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz.

    "Ruprecht Polenz: Die Situation mit Russland ist in jedem Falle die Schlüsselsituation. Auf der einen Seite sagt Russland ja nach wie vor, es gibt eine militärische Zusammenarbeit mit Syrien, daraus macht Russland kein Geheimnis, andererseits schadet Russland natürlich diese Unterstützung des Assad-Regimes in der arabischen Welt enorm."

    Barenberg: Ruprecht Polenz im Deutschlandfunk vor wenigen Tagen, der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss im Bundestag. Kurz vor dieser Sendung hatte ich heute Morgen Gelegenheit, mit Andreas Schockenhoff zu sprechen, und ich habe den Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russische Zusammenarbeit gefragt, ob auch er meint, dass mit Blick auf Syrien der Schlüssel in Moskau liegt.

    Andreas Schockenhoff: Ja, Russland droht, seine Rolle in der arabischen Welt für eine Zeit nach Assad zu verspielen. Heute glaubt Russland, seiner Rolle als Weltmacht zu schaden, wenn es den wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten fallen lässt. Aber von den Nachbarn, Jordanien, Libanon, sogar Ägypten, die gesamte Arabische Liga, glaubt niemand mehr, dass sich Assad halten kann. Deswegen muss Russland erkennen, dass es jeden Einfluss, jede Glaubwürdigkeit verliert, wenn es an Assad festhält, der inzwischen, nach einem jüngsten Bericht von Human Rights Watch, Streubomben gegen sein eigenes Volk einsetzt und deshalb nicht mehr Teil einer Übergangslösung sein kann.

    Barenberg: Wenn das so ist, Herr Schockenhoff, hat die Bundesregierung dann eine ganz besondere Verantwortung, auf Russland einzuwirken?

    Schockenhoff: Die Verantwortung hat die Bundesregierung wie alle anderen europäischen Staaten wie die internationale Gemeinschaft. Es gibt eine Schutzpflicht der internationalen Gemeinschaft, deshalb müssen wir immer Russland drängen, in den Vereinten Nationen endlich eine Resolution passieren zu lassen. Der türkische Premierminister Erdogan hat kürzlich gesagt, Syrien dürfe kein zweiter Balkan werden. Dort haben wir zu lange gewartet und haben dann erst nach dem schrecklichen Völkermord in Srebrenica auch außerhalb eines UN-Mandates gehandelt. Da war Russland dann nicht mehr Teil einer Lösung. Deswegen muss es auch im russischen Interesse liegen, dass es im Rahmen der Vereinten Nationen die Möglichkeit gibt, eine Übergangsregelung zu moderieren. Wir wissen heute nicht, wie die aussieht. Die Oppositionsgruppen sind viel zu verstritten. Aber wenn wir den Russen sagen, wir wollen euch nicht rausdrängen, ihr seid Teil einer Lösung, ihr seid – wie bei den E3+3-Formaten in den Verhandlungen mit dem Iran, wie beim Nahost-Quartett, dass die Verhandlungen zwischen den Palästinensern und Israel moderiert – Teil einer Lösung. Aber wenn ihr selbst euch in der Region völlig diskreditiert, dann habt ihr letztendlich der eigenen Rolle Russlands geschadet.

    Barenberg: Nun betrachtet ja die Bundesregierung die Beziehungen zu Moskau durchaus als strategische Partnerschaft, das wird ja ein ums andere Mal betont. Das hat während der großen Koalition begonnen, und das ist ja nach wie vor die Art, wie die Beziehungen zu Russland beschrieben werden. Hat dann Deutschland nicht doch eine ganz besondere Verantwortung, in Moskau tätig zu werden?

    Schockenhoff: Natürlich, diese Partnerschaft ist ja viel älter. Wir sind auf russisches Abgas angewiesen, aber Russland ist genauso auf die Lieferung von Gas nach Deutschland und nach Westeuropa angewiesen. Es ist mehr als eine strategische Partnerschaft. Deutschland und auch die Europäische Union haben Russland eine Modernisierungspartnerschaft angeboten im umfassenden Sinne, das ist mehr, wir müssen die Hand ausgestreckt lassen, wir können Russland nicht abschreiben, wir wollen ein starkes, ein demokratisches, ein auch international handlungsfähiges Russland, aber im Moment droht Russland seine internationale Handlungsfähigkeit zu verlieren. Russland akzeptiert die Schutzpflicht der internationalen Gemeinschaft eben nicht als völkerrechtliche Kategorie. Russland beruft sich auf Souveränität, auf Nicht-Einmischung. Das sind alte Kategorien, die in der Welt des 21. Jahrhunderts, wo die Vereinten Nationen mehr als 40 scheiternde oder gescheiterte Staaten zählt, nicht mehr ausreicht. Wir müssen das Völkerrecht weiterentwickeln, sonst wird Russland international zunehmend an Einfluss, an konstruktiver Handlungsfähigkeit einbüßen.

    Barenberg: Sie haben, Herr Schockenhoff, an einem Papier gearbeitet, so kann man jedenfalls Meldungen der vergangenen Tage lesen und Berichte, an einem Papier über Russland zu Russland, das im Bundestag verabschiedet werden soll im November, wenn es die deutsch-russischen Regierungskonsultationen gibt, und es heißt über dieses Papier, dass Sie dort klare Worte gefunden haben für die Demokratiedefizite Russlands und auch Warnungen dort ausgesprochen sind, was eben die Modernisierungspartnerschaft angeht, dass da unterschiedliche Pfade eingeschlagen werden, unterschiedlich jedenfalls zu den Vorstellungen, die die Bundesregierung hat. Und dann wird berichtet, dass das Auswärtige Amt diese Erklärung, dieses Papier doch sehr stark abgemildert hat. Ist das Leisetreterei gegenüber dem Kreml?

    Schockenhoff: Nein, das stimmt so nicht. Es geht nicht um ein Papier, sondern es geht darum, dass die Koalitionsfraktionen an einem Antrag arbeiten zur Lage der Zivilgesellschaft in Russland, dass wir darin betonen, wie wichtig Russland für uns als Partner ist, dass wir als Partner und als befreundetes Land deshalb die innere Entwicklung in Russland verfolgen, dass wir eine ganze Reihe von repressiven Maßnahmen gegen die Zivilgesellschaft bedenklich finden. Und darüber hat es mit dem Auswärtigen Amt eine Debatte gegeben, eine Abstimmung gegeben, die sehr konstruktiv war. Die Meldungen, die in der Presse kamen, dass das Auswärtige Amt hier eine grundsätzlich andere Analyse vertrete, ist falsch. Wir haben uns um einzelne Formulierungen miteinander ausgetauscht, aber die Analyse, die die Koalitionsfraktionen teilen, stimmen mit der Analyse der Bundesregierung völlig überein. Die Frage ist, welche Handlungsmöglichkeiten wir haben. Es geht nicht darum, Russland an den Pranger zu stellen, aber die innere Entwicklung Russlands kann auch für uns nicht gleichgültig sein. Wir wollen ein starkes, ein demokratisches Russland, und im Moment gibt es eben nicht nur in dem Fall Syrien, mit dem wir angefangen haben, sondern auch in der inneren Entwicklung Russlands Tendenzen, von denen wir befürchten, dass sie Russland schwächen und die Modernisierungsfähigkeit Russlands eher gefährden. Und das muss man dann als Partner auch einander im angemessenen Ton sagen.

    Barenberg: Und eine härtere Gangart an den Tag legen gegenüber Moskau?

    Schockenhoff: Wir müssen um Moskau werben. Es geht nicht darum, eine Gegnerschaft mit Moskau zu konstruieren. Russland hat überhaupt keine andere Chance als die Öffnung nach Westen, als eine umfassende Modernisierung. Es gibt keine wirtschaftliche und technische Modernisierung, wenn nicht auch gesellschaftliche Erneuerung stattfindet, wenn man die Menschen und all ihre Fähigkeiten sich nicht entwickeln lässt. Dazu gehört auch Wettbewerb um die besten Ideen, demokratische Vielfalt, Pressefreiheit.

    Barenberg: Manche in der Opposition finden ja die Haltung Guido Westerwelles zu zögerlich, zu kleinmütig, ohne eigene Initiative. Wann war denn der Außenminister das letzte Mal in Moskau und hat darauf gedrängt, dass sich Russland bewegt in der Syrienfrage?

    Schockenhoff: Der Außenminister hat erst in der letzten Woche sehr deutlich auch die Sorgen der Bundesregierung über manche Tendenzen in der Auseinandersetzung Moskaus mit der Opposition in Russland geäußert. Er hat sehr deutlich auch nach der Aufbringung des Passagierflugzeuges im türkischen Luftraum, in dem Waffenlieferungen, russische Waffenlieferungen für Syrien transportiert wurden, getroffen. Er hat dort eine klare Position, die kein deutscher Alleingang ist, sondern innerhalb der Europäischen Union, innerhalb der internationalen Gemeinschaft abgestimmt ist und der Verantwortung Deutschlands entspricht.

    Barenberg: Herr Schockenhoff, Sie haben eben selbst gefragt, welche Handlungsmöglichkeiten es überhaupt derzeit gibt und Sie haben davor angedeutet, dass Sie sich eine Initiative außerhalb eines UN-Mandats vorstellen könnten, wenn ich das richtig verstanden habe. Was schwebt Ihnen da vor?

    Schockenhoff: Nein, ich habe den Vergleich des türkischen Premierministers Erdogan mit dem Balkan aufgegriffen. Wir dürfen nicht wieder zu lange warten und dann hinterher eine vergleichbare Situation haben, wo letztendlich die internationale Gemeinschaft, damals die rot-grüne Bundesregierung völlig zu Recht auch ohne ein Mandat des Sicherheitsrates der Schutzpflicht gegenüber der Bevölkerung nachgekommen ist. So weit darf es nicht kommen. Und wir hoffen, dass es vorher innerhalb der Vereinten Nationen ein klares Mandat gibt, einen Übergang ohne Assad – er kann nicht mehr Teil des Spieles sein – zu moderieren und dazu eine internationale Einigung zu erzielen. Der Plan von Kofi Annan ist gescheitert am russischen Veto und an China, aber die Situation ist inzwischen dramatischer, deswegen muss Russland, wenn es nach Assad im Spiel bleiben will, eine Lösung ohne Assad freimachen.

    Barenberg: Sollte, dies dann wirklich zum Schluss, Herr Schockenhoff, die Bundesregierung, sollte der Außenminister sich dafür einsetzen, dass es so etwas wie Schutzzonen für Flüchtlinge entlang beispielsweise der türkischen Grenze gibt, im Rahmen des UNO-Sicherheitsrates möglichst?

    Schockenhoff: Das muss in einem Entschluss des Sicherheitsrates festgelegt werden. Der Außenminister hat sich sehr klar geäußert, dass wir für den Schutz der Bevölkerung alles machen müssen, und die Linie, die er vertritt in der Syrienfrage, ist innerhalb der Koalition, auch innerhalb der Koalitionsfraktionen völlig unstrittig, sie ist richtig.

    Barenberg: Andreas Schockenhoff, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag. Ich bedanke mich für das Gespräch!

    Schockenhoff: Bitte schön, Herr Barenberg!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.