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"Wir müssen unsere Angst überwinden"

David Grossman, einer der wichtigsten israelischen Schriftsteller der Gegenwart, engagiert sich seit langem für eine Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern; mit seinen Romanen, Essays und mit der Unterstützung der Friedensbewegung. Seit gestern ist David Grossman auf einer großen Lesereise in Deutschland unterwegs.

Von Niels Beintker | 12.11.2009
    "Und trotzdem schaffen wir das nicht. Die israelische Regierung ist gewöhnlich viel extremer, als die Mehrheit der Menschen im Land. Und immer wieder schürt sie die Angst in der Bevölkerung, anstatt Hoffnung zu vermitteln und eine Vision für die Zukunft zu entwerfen. Die Situation ist unerträglich. Ein Land weiß genau, was es will, ist aber total gelähmt, sodass nichts geschieht."

    Lange schon hat David Grossman seiner Hoffnung auf ein Ende aller Kriege in Israel Ausdruck verliehen. Wieder und wieder ist er öffentlich eingetreten für die Überwindung von Hass und Gewalt. Neben Amos Oz gehörte er zu den ersten prominenten Fürsprechern eines eigenen Palästinenserstaates und immer wieder musste er harte Rückschläge erleben; zuletzt im Krieg Israels gegen die radikal-islamische Hamas im Gaza-Streifen. David Grossman spricht von einem "entgleitenden Frieden". Ein bezeichnendes Wort für die Aussichtslosigkeit aller Hoffnungen. Dennoch, sagt er, gibt es keine Alternative für Israelis und Palästinenser.

    "Ohne Frieden sind beide Völker verloren. Es wird immer neue Gewalt geben, immer größere Gewaltausbrüche. Das wiederum beflügelt den Fanatismus auf beiden Seiten - und erschwert die Suche nach einer Friedenslösung noch mehr. Ich weiß nicht, wie lange wir auf einen möglichen Rettungsschirm durch die Regierung von Barack Obama hoffen können. Und ich weiß auch nicht, wie lange es noch dauert, bis extreme und fanatische Islamisten in Ägypten die Politik gegenüber Israel bestimmen."

    Nun hat die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton gerade bei einem Besuch in Israel erklärt, ein Baustopp israelischer Siedlungen dürfe keine Vorbedingung für Friedensgespräche sein und damit die palästinensische Regierung und Machmud Abbas sehr verärgert. Das klingt wie ein Rückschlag für die Hoffnungen auf einen Wandel mit Hilfe des diesjährigen Friedensnobelpreisträgers Barak Obama. David Grossman entgegnet, gerade habe Israels Premierminister Benjamin Netanjahu erklärt, er wolle nun doch Verhandlungen mit den Palästinensern ohne jede Vorbedingung zustimmen.
    "Das ist eine neue Situation. Bis dahin hieß es immer, wir stellen keine Vorbedingungen, aber Jerusalem gehört uns und die Siedlungen im Westjordanland werden nicht geräumt. Jetzt aber soll es gar keine Vorbedingungen geben. Wenn ich ein Palästinenser wäre, würde ich diese Möglichkeit sofort aufgreifen. Ich würde Benjamin Netanjahu an sein Versprechen erinnern. Wir müssen endlich mit einem Dialog beginnen."

    Über den Schatten springen, sagt David Grossman, müssten beide Parteien in diesem Konflikt; Israelis und Palästinenser. Sein eigenes Land habe dabei die stärkere Position, wiederum wie Samson, dieser Kraftprotz aus dem Alten Testament. Es liegt nun aber auch am rechtskonservativen Likud-Block von Benjamin Netanjahu, den eigenen Ankündigungen auch wirklich Taten folgen zu lassen, urteilt David Grossman. Was aber können Künstler und Intellektuelle in einer derart festgefahrenen Situation beitragen? Was vermag die Literatur, David Grossmans Kunst?

    "Wenn die Literatur die Wirklichkeit verändern könnte, dann würden wir wahrscheinlich längst in einer anderen Wirklichkeit leben. Literatur kann die Menschen nur so verändern, wie das zum Beispiel die Erziehung vermag. Das ist ein langer Weg. Aber: die Literatur ist in der Lage, die ganze verfahrene Komplexität des Lebens in Israel zu zeigen. Sie kann die Menschlichkeit in einer unmenschlichen Situation behaupten. Und sie kann zeigen, dass wir immer über Menschen sprechen, auf beiden Seiten des Konflikts."

    David Grossmans jüngster Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht” wäre dafür ein gutes Beispiel. Er zeigt auf eine beklemmende Weise, wie schwierig es ist, einem über Jahrzehnte andauernden Kriegszustand zu entkommen, der Logik der fortwährenden Vergeltung zu entgehen. Gleichzeitig erzählt er von Menschen, die sich nicht mehr abfinden wollen mit der Dominanz von Gewalt und Tod. Noch haben Pessimismus und Resignation in Israel nicht die Oberhand gewonnen.