Freitag, 19. April 2024

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"Wir müssen Zeichen setzen, dass wir zusammengehören"

Die Hamburger Bischöfen Maria Jepsen hat Bedenken gegenüber dem neuen Papst geäußert. Joseph Ratzinger habe Angst vor dem Zeitgeist und davor, dass Ortskirchen selbstständig werden. Sie wünsche sich hingegen, dass Kirche vor Ort gelebt werde und die Menschen ihre Verantwortung selber wahrnähmen, ohne dabei nur nach Rom zu schauen.

Moderation: Friedbert Meurer | 20.04.2005
    Friedbert Meurer: Der neue Papst kommt aus dem konservativen Lager der katholischen Kirche. Deswegen fallen die Reaktionen bei denen verhalten aus, die sich einen reformorientierten Papst gewünscht hätten. Das gilt für diejenigen, die außerhalb der katholischen Kirche stehen und wohl auch für die evangelische Kirche in Deutschland. Was bedeutet nun die Wahl von Papst Benedikt XVI für die Ökumene, also für das Miteinander der beiden großen christlichen Konfessionen? Am Telefon begrüße ich nun die evangelische Hamburger Bischöfin Maria Jepsen. Frau Jepsen, was haben Sie gedacht, als sie gestern gehört haben, wer der neue Papst geworden ist?

    Maria Jepsen: Ich musste erst mal tief durchatmen, weil ich gar nicht damit gerechnet hatte - ich war auch in einer Sitzung drin. Ich denke aber, dass es nicht ein Zeichen ist, dass jetzt die Ökumene zurückgeschraubt wird. Es wird ja ganz neu alles gewürfelt werden auch in der Zusammensetzung der Verantwortlichen im Vatikan, und ich kann mir vorstellen, dass wir andere Wege der Ökumene finden. Ich lasse mich überraschen und hoffe, dass wir gerade auch an der Basis sehr viel stärkere Ermutigungen erfahren, denn der Wunsch ist sehr groß und in Deutschland sogar noch stärker als anderswo, wobei es nicht nur um evangelisch-katholisch geht, sondern auch andere Kirchen wie die Orthodoxen zum Beispiel, wir alle müssen Zeichen setzen, dass wir zusammengehören in der Unterschiedlichkeit, die auch weiterhin bestehen wird, aber das kann eine versöhnte Vielfalt sein.

    Meurer: Waren Sie gestern erschrocken, dass jetzt die Reise in die falsche Richtung gehen könnte?

    Jepsen: Nein, ich glaube nicht, dass es die falsche Richtung ist. Es ist nicht die Richtung, die ich mir vorgestellt hatte, wobei ich ja als Evangelische davon gar nicht so betroffen bin. Wir haben von Kardinal Ratzinger oder Professor Ratzinger damals viele Anregungen gekriegt, und zwar im Vatikanum, und in der Weltverantwortung wird manches anders aussehen. Ich weiß ja auch, dass viele in der katholischen Kirche trotz aller Vorbehalte, die manchmal da sind, an der Ökumene festhalten und ihren eigenen Glauben leben. Dann sollten wir das auch nicht überbewerten. Es ist wichtig, dass wir eine Person haben, die an der Spitze ist, die die Leitlinien gibt, aber das Entscheidende ist für uns die Bibel, auch für katholische Christen, von der auch sie dann Ökumene mitbetreiben können.

    Meurer: Es gibt das berühmte, wenn nicht für einige berüchtigte Dokument vom Sommer 2000, "Dominus Jesus", in dem ja unter der Feder von dem damaligen Kardinal Ratzinger von der Vorherrschaft der Katholischen Kirche gesprochen worden ist.

    Jepsen: Ja, es sind viele schmerzhafte Äußerungen. "Dominus Jesus", da ist uns immer gesagt worden, wir sind gar nicht damit gemeint, denn Kirche ist nur katholisch, und wir sind als Evangelische unter anderem keine richtige Kirche oder eine Kirche neueren Typs. Das ist schmerzhaft, dass wir in den Ämtern nicht anerkannt werden. Aber wir haben auch das Selbstbewusstsein, dass wir sagen, wir stehen zur Tradition unseres Herrn Jesus Christus und der Bibel, und manchmal müssen wir als Menschen, als Konfessionen unterschiedliche Umwege gehen, um dann zusammenzukommen. Übrigens werden wir in der Weltchristenheit der Evangelischen uns unser Kirchesein nicht absprechen lassen, und da wird auch die katholische Kirche manches noch verändert sehen müssen, dass wir nicht minderen Rechtes Kirche sind oder gar keine Kirche sind.

    Meurer: Wie können die Umwege aussehen, auf denen man zusammenfindet?

    Jepsen: Also das weiß ich auch nicht. Ich denke, es wird in vielen Ortskirchen neu beraten werden, gerade in der Ortskirche in Deutschland wird man an der Ökumene dran sein. Es ist auch immer wieder so, dass bestimmte Bewegungen am Rande der Kirche oder auch außerhalb der Kirche etwas Neues etablieren. Wir haben es mit den Orden gehabt, die Kirche von unten, die Basis kann uns Anregungen geben, die uns einleuchten, so dass die verantwortlichen Stellen sagen, da sind Wege des Aufeinanderzugehens, der Anerkennung, die vielleicht noch nicht kirchenrechtlich da ist, aber einfach von der Praxis her manches erzwingt. Da setze ich sehr stark auf die Basis, dass sie uns in den leitenden Positionen ermutigt, auch Schritte zu tun, die bisher ungewöhnlich waren.

    Meurer: Von der Basis sind ja in der Vergangenheit schon einige Ideen gekommen, die dann aus Rom wieder konterkariert worden sind. Wie viel Spielraum, glauben Sie, wird die katholische Basis bekommen? Wie sehr wird der römische Zentralismus vielleicht nachlassen?

    Jepsen: Wir beobachten an der Basis in den letzten Jahren eine gewisse Ängstlichkeit hier und da, Zurücknahme von Möglichkeiten, die früher da gewesen sind. Ich denke, dass auch in Deutschland viele engagiert sind, aber sie wollen nicht ungehorsam sein. Sie werden sagen, bei konfessionsverbindenden Ehen und Familien brauchen wir die gemeinsame Feier, wir brauchen eine neue Form der Gottesdienste. Ich setze einfach darauf, dass die Menschen unbedingt auch in der katholischen Kirche dann bleiben wollen und da Wege finden, die dann in Ausnahmen doch möglich sind. Wenn ich an die evangelischen Kirchentage, die Katholikentage, die ökumenischen Kirchentage denke, da tut sich etwas Neues, und wir sollen auch nicht den Heiligen Geist so festhalten, sondern unseren eigenen Vorschriften auch Spielraum geben. Es mag auch sein, dass es in ganz andere Richtungen geht, aber ich bin sicher, dass auch der neue Papst Benedikt XVI. ein gutes Zeugnis christlichen Glaubens in die Welt hineinsetzen will und dann auch merkt, dass ihm die deutsche katholische Kirche sehr konstruktiv helfen kann. Jeder Mensch muss sich jeden Tag erneuern lassen, und das wird auch dem Papst deutlich sein. Insgesamt können wir mit viel Hoffnung reingehen, denn das ist das Einzige, was uns weiterhilft, nicht Resignation oder Enttäuschung.

    Meurer: Nun wird ja auch, Entschuldigung, Frau Jepsen, der evangelischen Kirche oder auch sogar Ihnen ganz besonders persönlich vorgeworfen, dass Sie sozusagen zu sehr neuerungsorientiert seien, dass Sie dem Zeitgeist huldigten. Gibt Ihnen das zu denken, wenn Sie sehen, wie viel Empathie und Begeisterung der verstorbene Papst und auch der neue Papst, beide konservative Kleriker, auslösen?

    Jepsen: Ja, das könnte man, glaube ich, genauso andersrum wieder sagen. Nein, also das ist auch sehr deutlich gesagt worden: Wir sind konservativ, indem wir das tradieren, was uns anvertraut ist, aber müssen es auch in unserer Zeit auslegen, und das ist in der katholischen Kirche an den Machtpositionen genauso. Wir können genau sagen, es sind andere Bewegungen, die zeitgeistlich sehr streng sind, dass sie in bestimmten Gesellschaften fundamentalistisch sind. Wir brauchen eine Interpretation, die ja auch von einem Konservativen vorgenommen wird, nur aus einem andere Interesse oft heraus. Ich halte es für dringend erforderlich und ich wehre mich dagegen und finde es eine Unterstellung, uns in der evangelischen Kirche oder auch mir zu sagen, wir sind zeitgeistlich. Wir versuchen, das Evangelium in dieser Zeit auszulegen. Ich denke, wenn wir prüfen, dann ist der Spielraum, wo wir uns unterscheiden, in dem Bereich sehr klein, weil 95 Prozent gemeinsam ist, aber die Akzente sind unterschiedlich. Wenn wir uns lösen von dem, was immer gewesen war, und die Zeit uminterpretieren, dann wird es abgelehnt, weil wir auch versuchen - und das ist mir auch wichtig -, Basis und jeden einzelnen als Christen ernst zu nehmen. Als Evangelische haben wir gelernt, jeder Mensch kriecht sozusagen aus der Taufe als Bischof oder als Papst, und wir haben die gleiche Position, die gleiche Verpflichtung im Glauben wie jeder geweihte Würdenträger, wie jeder Christ. Das müssen wir auch umsetzen und unsere Kirche mit anderen zusammen darum ringen, was christlicher Glaube ist. Dann haben wir die Ordnung für die Ämter. Da sind Unterschiede da. Wenn man sagen würde, es gibt nur die eine Richtung beim Heiligen Geist, dann würden wir sozusagen das ablehnen, uns dem verweigern, dass der Heilige Geist nur die eine Richtung hat. Ich will nicht sagen, dass wir den Heiligen Geist gefangen haben und fest haben, aber wir versuchen auch, uns von ihm bewegen zu lassen.

    Meurer: Herzlichen Dank für das Gespräch.