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"Wir müssten die Zuwanderung etwa verdreifachen"

Die Hürden für ausländische Fachkräfte in Deutschland, etwa die Mindestanforderungen ans Einkommen, seien noch immer zu hoch, sagt Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Die Politik agiere hier zu vorsichtig.

Herbert Brücker im Gespräch mit Jörg Biesler | 07.12.2011
    Jörg Biesler: Die Bundesregierung will die Hürden für die Zuwanderung abbauen, jedenfalls für Arbeitnehmer, die hier von der Wirtschaft dringend gesucht werden. Beitrag in Campus zur Bluecard für Fachkräfte (MP3-Audio) Wir haben es gerade gehört: Die Einkommensgrenzen sinken, gerade in Mangelberufen bei den Ingenieuren. Es bleibt die Frage, wie viel das bringen wird an Zuwanderung. Professor Herbert Brücker ist Arbeitsmarktforscher beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Herr Brücker, die Zahlen, wie viele Arbeitnehmer in den unterschiedlichen Berufen gebraucht werden, die schwanken stark, je nachdem, wen man fragt. 6,5 Millionen sollen fehlen bis 2025, hat das Bundesarbeitsministerium ermittelt. Wie viele Fachkräfte fehlen nach Ihrer Schätzung und wie groß wäre der Anteil, der durch Zuwanderung überhaupt aufgefangen werden könnte?

    Herbert Brücker: Ja, da muss man zwei Dinge unterscheiden. Es ist so, dass durch den demografischen Wandel in der Tat das Erwerbspersonenpotenzial, also die Menschen, die Arbeit suchen und arbeiten, um etwa 6,5 Millionen Personen zurückgehen wird, wenn wir überhaupt keine Zuwanderung hätten und wenn die inländischen Potenziale nicht genutzt werden würden, das heißt die Frauenerwerbstätigkeit auf einem gleichbleibend niedrigen Niveau bleiben würde. Es ist so, dass wir immer Zuwanderung haben werden, auch die Frauenerwerbstätigkeit wird zunehmen, sodass man also das nicht so statisch sehen kann. Aber sicher ist, dass wir mehrere Millionen Fachkräfte bräuchten, um das Erwerbspersonenpotenzial auf einem ähnlichen Niveau zu halten wie wir es gegenwärtig haben. Das wird uns nicht völlig gelingen, aber je mehr Fachkräfte wir haben, umso leichter ist es, die Sozialversicherungssysteme zu finanzieren.

    Biesler: Dann bleibt die Frage, wie man möglichst viele Zuwanderer dafür interessiert, in Deutschland zu arbeiten. Ein Thema sind die Einkommensgrenzen: 66.000 Euro musste jeder bislang verdienen, der dauerhaft nach Deutschland kommen wollte, künftig sollen es 48.000 sein, bei den Ingenieuren reichen 33.000. Sind das realistische Einstiegsgehälter für junge Leute?

    Brücker: Nein, sind es nicht. Man muss natürlich sehen, es gibt noch andere Kanäle für die Zuwanderung, die etwas leichter sind, aber man muss immer wissen bei Zuwanderung: Die Menschen, die kommen, sind sehr jung, die stehen am Anfang ihres Erwerbslebens. Ein Hochschulabsolvent in Deutschland verdient im Durchschnitt nach dem Studium 35.000, 36.000 Euro. Vier oder fünf Jahre später sind es etwa 40.000 Euro, das heißt, er wird 66.000 Euro auf keinen Fall erreichen innerhalb der ersten fünf Jahre, und auch 48.000 Euro nur in einem sehr unwahrscheinlichen Fall. Das heißt, die meisten jungen Akademiker - von anderen Fachkräften beispielsweise, Krankenschwestern und so weiter rede ich gar nicht - werden unterhalb dieser Gehaltsschwelle liegen, sodass ich davon ausgehe, dass dieses Instrument nicht sehr stark genutzt werden wird.

    Biesler: Das heißt, dass es nicht die notwendige Zahl von Zuwanderern geben wird, die erreicht werden müsste. Ohnehin haben Sie gesagt ist es schwierig, aber mit diesen Einkommensgrenzen sozusagen wird es zusätzlich eigentlich unnötig schwierig?

    Brücker: Ja. Also wir hatten bei der Einkommensschwelle von 66.000 rund 160 erteilte Aufenthaltserlaubnisse im Jahre 2009, das sind die letzten vorliegenden Zahlen. Also man kann davon ausgehen, immer zwischen 100 und 200 Personen. Selbst wenn es dann 1000 Personen sind, ist das nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein. Man muss wissen: Wir haben jedes Jahr eine Zuwanderung von 600.000, 700.000 Personen nach Deutschland, die gleiche Zahl von Personen reist aus Deutschland wieder raus, das heißt, damit würde nur ein ganz, ganz geringer Beitrag zur Steuerung der Zuwanderung geleistet.

    Biesler: Nun ist ja die Einkommensgrenze das eine und die rechtlichen Rahmenbedingungen, das andere ist aber natürlich auch, wie das Land eigentlich im Ausland gesehen wird, also wie gern verschiedene Kulturen nach Deutschland einwandern wollen. Wir wissen, dass die Spanier im Augenblick ein gesteigertes Interesse daran haben, nach Deutschland zu kommen, in anderen Regionen der Welt sieht das aber ganz anders aus. Was könnte denn da passieren, dass die weichen Faktoren für Zuwanderer attraktiver, interessanter werden?

    Brücker: Ja, da müsste wahrscheinlich vieles passieren. Man darf vielleicht sagen, dass die harten Faktoren eigentlich gar nicht so ungünstig sind, also der deutsche Arbeitsmarkt entwickelt sich besser als in den meisten anderen europäischen Ländern, die Löhne sind inzwischen auch wieder höher als in den meisten anderen europäischen Ländern, das heißt, es gibt durchaus finanzielle Anreize, und man bekommt auch leichter einen Arbeitsplatz in Deutschland als anderswo. Auf der anderen Seite ist es so: In Deutschland haben wir Arbeitsmarktinstitutionen, die dazu führen, dass wenig Leute eingestellt werden und wenig Leute entlassen werden. Das ist schlecht für Migranten. Also in Großbritannien etwa ist der Umsatz im Arbeitsmarkt etwa doppelt oder dreifach so hoch wie in Deutschland. Und wenn mehr Leute eingestellt werden, ist es auch für Migranten sehr viel leichter, in den Arbeitsmarkt einzutreten. Dann haben wir in Deutschland die deutsche Sprache, die natürlich ein wichtiges Hindernis ist, die Leute sprechen, gerade die jungen Leute, viel eher Englisch als Deutsch, und wir müssten, sagen wir mal, auch generell die Kultur verändern, dass es normal wird, dass wir in Zusammenhängen arbeiten, die, ja, ich sage mal multikulturell sind, also wo Leute aus verschiedenen Nationen, die verschiedene Eigenschaften einbringen, dass die als völlig normal akzeptiert werden und in den Unternehmen arbeiten.

    Biesler: Das ist der Bereich der weicheren Faktoren, so eine Art Willkommenskultur würde ich das mal nennen. Wenn Sie jetzt alles zusammennehmen an Faktoren, die die Zuwanderung bestimmen, dann wird, wenn ich Ihre Prognose richtig verstehe, die Zuwanderung nicht ausreichen in den nächsten Jahren?

    Brücker: Ja, sie steigt jetzt durch die günstigen ökonomischen Rahmenbedingungen etwas, aber sie wird nicht ausreichen, um dem demografischen Wandel zu begegnen. Das heißt, es gibt noch sehr, sehr viel zu tun in Deutschland. Das heißt, wir müssten die Zuwanderung etwa verdreifachen gegenüber dem durchschnittlichen Niveau der vergangenen Dekade.

    Biesler: Warum tut sich die Bundesregierung damit so schwer?

    Brücker: Ja, Deutschland ist seit dem Ölpreisschock von 1973 geprägt von der Angst der Massenarbeitslosigkeit. Man hat Angst, dass jeder Zuwanderer, der in das Land kommt, einem Einheimischen, also einem Deutschen den Arbeitsplatz wegnimmt. Wir wissen aus der empirischen Forschung, dass das falsch ist: Zuwanderung ist weit gehend neutral für den Arbeitsmarkt. Wir sehen durchaus jetzt eine Bewegung in der Bundesregierung, also es gibt eine schrittweise Öffnung, aber die Politik ist im Moment noch zu vorsichtig, um den großen Herausforderungen wirklich zu begegnen.

    Biesler: Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu den Plänen der Bundesregierung, die Einwanderung leichter möglich zu machen für Arbeitnehmer. Vielen Dank!

    Brücker: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.