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"Wir sind am Anfang einer neuen sicherheitspolitischen Ära"

Der Cyberkrieg sei Teil der Strategie der gezielten Schläge von US-Präsident Barack Obama, sagt der Politologe Karl Kaiser. Diese Strategie erlaube eine Reduzierung der riesigen klassischen Rüstungsgüter und koste zugleich weniger oder keine amerikanischen Menschenleben.

Karl Kaiser im Gespräch mit Michael Köhler | 02.06.2012
    Michael Köhler: Deutsche Tageszeitungen berichten heute auf ersten Seiten groß im Politikteil, aber auch im Feuilleton ausführlich über ein Enthüllungsbuch, das nächste Woche erscheint und vom Washingtoner Büroleiter der "New York Times" stammt, David Sanger. Danach wurde der Angriff aufs iranische Atomprogramm mit den Stuxnet-Viren vom US-Präsidenten veranlasst, und darüber habe ich mit dem ehemaligen Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, dem Politologen Karl Kaiser von der Harvard University im neuenglischen Cambridge, gesprochen und ihn gefragt: Ist der Cyberkrieg, also die Entwicklung von Schad-Software, die neue Verteidigungsdoktrin seit Checks and Balances Abschreckung ausgedient hat?

    Karl Kaiser: Ja wir sind am Anfang einer neuen sicherheitspolitischen Ära. Es war ja schon seit längerer Zeit klar, dass man mit der alten Abschreckungsstrategie bei Terroristen nicht gewinnen kann, die nicht um ihr Leben fürchten. Das ist jetzt die erste Antwort, dass man gezielt mit Drohnen gegen Terroristen auf anderen Gebieten vorgeht. Das ist der eine Teil.
    Die Ankündigung von Obama, dass er diese Strategie nun eingesetzt hat, zweimal jetzt gegen Iran, zeigt, dass das Zögern jetzt verschwunden ist. Man hat nun sich entschlossen, offen zu sagen, was man kann. Die Experten sagten bisher immer, munkelten, die USA können mehr als wir wissen, und sie können sehr viel. Es ist eine Art Abnutzungsstrategie gegenüber feindlich gesonnenen Staaten, ohne einen wirklichen Krieg zu erklären.

    Köhler: Ja ich glaube, das ist das eigentlich Interessante daran, nämlich es finden keine Invasionen und Bombennächte mehr statt, also auch keine weinenden Mütter vor dem Weißen Haus. Das heißt, die Veröffentlichung nutzt eher noch dem Ansehen des amerikanischen Präsidenten?

    Kaiser: Ja. Für die innenpolitische Stellung Obamas ist dies natürlich ein Gewinn, denn er kann nachweisen, dass er große Erfolge hat mit seiner Strategie der gezielten Schläge, der Drohnenschläge, des Einsatzes von Spezialkommandos und jetzt auch der Maßnahmen gegen einen sehr unpopulären Staat Iran. Das wird ihm innenpolitisch helfen.
    Aber die langfristigen Folgen sind natürlich auch zu bedenken, denn in Wirklichkeit ist dies der Anfang einer Reduktion des klassischen, auf große militärische Potenziale gestützten Ansatzes. Dazu braucht man nicht mehr die riesigen klassischen Rüstungsgüter. Das ist jetzt die Frage, und im Grunde ist dies auch ein Signal an den Kongress, der ja jetzt erneut vor dem Problem steht, dass er eine Verlängerung und eine Vergrößerung des nationalen Defizits genehmigen soll und gleichzeitig auch das Budget des Verteidigungsministeriums senken soll. Also man muss dies auch im Zusammenhang mit den großen Entscheidungen über die Ausgabe des amerikanischen Bruttosozialprodukts, also die Finanzen sehen.

    Köhler: Wir sehen also: Ein US-amerikanischer Präsident, der sich wissenschaftlich-technischen Innovationen gegenüber offen zeigt, wenn sie in sein politisches Kalkül passen – das ist die eine Seite. Das Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vermutet heute, die Veröffentlichung führe zu einer Art Selbststilisierung des Präsidenten als Philosophenkönig des digitalen Zeitalters, weil da ist die Rede davon, dass er Augustin und Thomas von Aquin lese, also der Ostküstenintellektuelle, der kühle Zweifler. Was bewirkt so etwas, wenn man das veröffentlicht? Trägt ihm das Wähler zu, öffentliche Aufmerksamkeit, zieht das die Intellektuellen auf seine Seite?

    Kaiser: Die Intellektuellen werden sicherlich jetzt einen Anlass haben, die Persönlichkeit Obamas in einem neuen Lichte zu sehen. Er hat – ich erinnere an die Rede, die er bei der Verleihung des Friedensnobelpreises hielt – immer darüber nachgedacht, wie Gewalt moralisch zu rechtfertigen ist, und ich glaube, er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Zeitalter des Einsatzes der gewaltigen und der weit überlegenen amerikanischen klassischen Militärmacht zu Ende geht, dass Demokratien dies auch nicht mehr ertragen können, innenpolitisch, und dass man an diese Stelle den Umgang mit den neuen Technologien setzt, die eben keine amerikanischen Menschenleben kosten, auch die Menschenleben auf Feindesseite minimieren - es geht vor allen Dingen um Terroristen -, und das ist schon ein Paradigmenwechsel von großer Bedeutung.

    Köhler: ... , dass so was wie Abu Graib oder so auch nicht noch mal möglich ist. – Buch und Berichterstattung – damit letzte Frage – sichern seine Wiederwahl, mutmaßt das Feuilleton der "FAZ". Stimmen Sie zu?

    Kaiser: Ich würde dem zustimmen. Dies wird ihm helfen, denn es ist immer das Problem der Demokraten gewesen, von Republikanern angeklagt zu werden, in den Fragen der Sicherheit nicht genügend die Interessen Amerikas zu vertreten. Dies ist ein neuer Ansatz, mit dem er zeigt, dass er die sicherheitspolitischen Interessen des Landes wahrnimmt, und das wird ihm helfen.

    Köhler: Der Philosophenkönig im Weißen Haus – Obama und der Cyberwar. Karl Kaiser, Politologe in Harvard, war das zu diesem Thema.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.