Freitag, 29. März 2024

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"Wir sind Berichterstatter"

Der ARD-Vorsitzende Fritz Raff geht davon aus, dass die Tour de France in gewohnter Weise auf ARD und ZDF übertragen wird. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten hätten im vergangenen Jahr sehr deutliche Forderungen an den Veranstalter und an die Rennställe gestellt. Die Kontrollmöglichkeiten der ARD seien jedoch "ausgesprochen bescheiden". Zugleich wandte Raff sich gegen den Vorwurf, die Sendeanstalten seien mitschuldig an der Doping-Misere.

Moderation: Elke Durak | 23.05.2007
    Elke Durak: Sie haben es vielleicht gehört: ein dritter ehemaliger Radprofi hat gestanden, gedopt zu haben, Dietrich Thurau, allerdings schon in den 70er Jahren. Bert Dietz und Christian Henn gehören zu den jüngsten und brisanteren Fällen. Sie haben zugegeben, mit Epo gedopt zu haben, als sie für das Team Telekom gefahren sind bei der Tour de France. War also diese Tour all die Jahre doch ein Pharma-Rennen unter tatkräftiger, aber so denke ich mal unwissentlicher Mithilfe von ARD und ZDF, die Hauptberichterstatter sind? - Ich will darüber sprechen mit dem ARD-Vorsitzenden und Intendanten des Saarländischen Rundfunks Fritz Raff. Guten Morgen Herr Raff!

    Fritz Raff: Guten Morgen!

    Durak: Ist die Tour de France ihr Geld noch Wert?

    Raff: Sie war es bisher eigentlich zumindest in unseren Augen, aber die Faszination des Radsports hat natürlich durch das, was wir in jüngster Zeit jetzt erfahren haben, doch gewaltig gelitten.

    Durak: ARD und ZDF verantworten knapp 50 Prozent der TV-Berichterstattung über die Tour de France. Andere Länder hängen davon ab. Können sie überhaupt absteigen vom Fernsehsattel?

    Raff: Natürlich könnten wir absteigen. Wir sind ja jederzeit frei in unserer Entscheidung und es gibt auch bei uns immer wieder Diskussionen, sind denn die Vorgänge, die jetzt zu Tage getreten sind, nicht dazu geeignet, die großflächigen Übertragungen in Frage zu stellen. Von daher sind wir in dieser Entscheidung völlig frei.

    Durak: Was muss geschehen, dass sie aufhören, über die Tour zu berichten?

    Raff: Zunächst muss man sehen was geschehen ist, damit wir noch dabei bleiben. Wir haben ja nach den Vorgängen im vergangenen Jahr sehr deutliche Forderungen einerseits an den Veranstalter gestellt und andererseits auch an die Rennställe. Es ist ja in den letzten Monaten einiges an Maßnahmen eingeleitet worden. Es ist auch ein gemeinsames Papier der Rennställe verabschiedet worden, welche Maßnahmen ergriffen werden, wenn ein Doping-Sünder entdeckt wird. Von daher ist einiges in Bewegung gekommen, und zwar aufgrund von Drohungen von ARD und ZDF und auch aufgrund der Berichterstattung von ARD und ZDF über Doping-Vorfälle.

    Durak: Und wann steigen sie aus? Wann müssen ARD und ZDF aussteigen?

    Raff: Das kann man so allgemein nicht formulieren. Das ist ein Prozess, den wir jetzt genau beobachten müssen, ob wir in diesem Jahr dabei bleiben können oder nicht. Im Moment sind wir der Auffassung, aufgrund dessen, was eingeleitet wurde, was an glaubwürdigen Maßnahmen eingeleitet wurde, kann man in diesem Jahr noch mal von großflächigen Übertragungen ausgehen. Aber wir müssen auch nochmals bewerten, was jetzt alles auf den Tisch kommt.

    Durak: Welche Kontrollmöglichkeiten hat die ARD, um sicherzugehen, nicht Wasserträger für Kriminelle und Betrüger zu sein?

    Raff: Diese Kontrollmöglichkeiten sind ausgesprochen bescheiden. Sie wissen ja, dass wir auch in anderen Sportarten Doping-Fälle haben. Nach jeden Olympischen Spielen ist bisher der eine oder andere Sportler auch disqualifiziert worden, sind Medaillen aberkannt worden. Man sollte uns hier nicht in eine Mittäterschaftsrolle drängen wollen. Das geht nicht! Wir sind die Chronisten, wir sind Berichterstatter und wir haben eines glaube ich durchaus geleistet: wir haben durch investigativen Journalismus, durch gute Berichterstattung einen Boden bereitet, der letztendlich es Herrn Dietz und anderen ermöglicht, sich jetzt doch in einer Form zu outen und eine Diskussion anzustoßen, die so vor Jahren wohl noch nicht möglich war.

    Durak: Ich glaube da will Ihnen im Prinzip niemand am Zeuge flicken, Herr Raff. Aber es gibt natürlich eine Verantwortung der Journalisten und der Anstalten, der Hörfunk- und Fernsehanstalten gegenüber dem Sport, aber auch gegenüber den Zuschauern, die sauberen Sport sehen sollten und keinen anderen.

    Raff: Deshalb haben wir uns aktiv in diese Anti-Doping-Aktionen eingeschaltet und haben uns auch das sehr genau erläutern lassen, haben runde Tische gemacht, haben im Grunde genommen uns in eine Rolle begeben, die schon etwas mehr als die des Beobachters war, weil wir sagten wenn ihr hier nicht zu glaubhaften Maßnahmen kommt, dann müssen wir einfach im Sinne auch des Interesses unserer Zuschauer und unserer Verantwortung von solchen Übertragungen absehen. Ich denke, dass die Radsportställe erkannt haben, dass es fünf vor zwölf ist und dementsprechend auch die Dinge so eingeleitet haben. Was jetzt zu Tage getreten ist, das sind ja Vorgänge, die jetzt schon jahrelang her sind, die aber natürlich deutlich machen, dass dieses Netz viel, viel schlimmer war als es jemand vermuten konnte. Das macht schon betroffen und das macht auch noch mal nachdenklich und das wird auch nochmals bedeuten, dass die Grenzziehung auch bei uns nochmals neu erörtert werden muss.

    Durak: Wann?

    Raff: Wir werden ja in den nächsten Wochen letztendlich das alles zu bewerten haben, was jetzt zu Tage tritt, und werden dann entscheiden müssen, wie wir gemeinsam, ARD und ZDF, damit umgehen. Im Moment ist es so, dass diejenigen, die für sauberen Radsport kämpfen, von uns eine Chance erhalten. Wir sind zu dieser Auffassung in den letzten Monaten gekommen. Wir haben auch im Grunde genommen dahingehend letztendlich in Aussicht gestellt, dass wir in diesem Jahr die Übertragungen zum Beispiel von der Tour de France und der Deutschland-Tour wieder bringen werden. Aber wir werden aufgrund dieser Vorgänge, dieses Netzwerks, das jetzt zu Tage tritt, natürlich nochmals darüber beraten, ob das was uns an Maßnahmen vorgetragen wurde, ob das was uns bisher in Aussicht gestellt wurde im Anti-Doping-Kampf, ob das wirklich ausreicht, oder ob man noch mehr tun muss.

    Durak: Die Deutschland-Tour, die Sie erwähnt haben, läuft ja unmittelbar nach der Tour de France, also vom 8. bis 16. August. Habe ich jetzt richtig herausgehört, sozusagen zwischen Ihren Zeilen gehört, dass die Berichterstattung über die Deutschland-Tour in diesem Jahr noch längst nicht gesichert ist?

    Raff: Sie ist nach heutigem Stand gesichert, aber wir müssen natürlich sehen, dass das was jetzt alles zu Tage tritt nochmals den Radsport in einem Licht erscheinen lässt, dass eine Diskussion unausweichlich ist. Im Moment gehen wir aber davon aus, dass wir beide Radsportereignisse übertragen. Allerdings ich bleibe dabei, was ich auch im vergangenen Jahr gesagt habe. Jeder neue Vorfall, alles was zu Tage tritt, zwingt uns, uns nochmals unsere Vorgehensweise zu überprüfen und vor allem dahingehend zu überprüfen, ist das was jetzt an Maßnahmen eingeleitet worden ist ausreichend, ist das für uns genug Sicherheit, dass wir einen sauberen Sport letztendlich den Zuschauern präsentieren.

    Durak: Was hätten Sie also lieber: mehr Geständnisse oder Schweigen?

    Raff: Ich bin der Meinung jetzt müssten eigentlich die Geständnisse kommen. Der Radsport muss jetzt dafür sorgen, dass er seine Vergangenheit aufarbeitet, denn eines ist mir bewusst geworden, auch jetzt im Zusammenhang mit den letzten Vorgängen: Es nützt nichts, nur zukunftsorientierte Anti-Doping-Politik zu betreiben und Anti-Doping-Maßnahmen einzuleiten; es muss auch die Vergangenheit aufgearbeitet werden. Ohne diese Aufarbeitung der Vergangenheit wird es wohl kaum möglich sein, zu einem glaubwürdigen Radsport rundum wieder zu kommen. Zu viel was da in der Vergangenheit war, bleibt letztendlich als offene Frage auf dem Tisch liegen und das setzt Zweifel auch in Bestleistungen, die wir in Zukunft sehen.