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"Wir sind ein wichtiger Korrekturfaktor in der Politik"

Trotz sinkender Umfragewerte ist Gregor Gysi optimistisch, was den Zustand seiner Partei angeht. Im Hinblick auf die Affäre Wulff beklagt er, dass der Bundespräsident "jetzt abhängig von Frau Merkel" sei. Wenn Wulff seine Souveränität nicht zurückgewinne, müsse er die Konsequenzen ziehen, so der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken.

Gregor Gysi im Gespräch mit Gerhard Schröder | 22.01.2012
    Gerhard Schröder: Herr Gysi, 2011 war für Die Linke ein schlechtes Jahr – mit Niederlagen bei Landtagswahlen, sinkenden Umfragewerten und auch internen Querelen und Streit um das Führungspersonal. Wie wollen Sie diesen Abwärtstrend stoppen?

    Gregor Gysi: Also, es stimmt. Wir hatten bessere Jahre als das Jahr 2011, zu viel Selbstbeschäftigung, Sie haben das alles erwähnt. Aber ich glaube, das haben jetzt alle begriffen, und deshalb bin ich ziemlich optimistisch. In diesem Jahr wählen wir eine neue Parteiführung, dann kommt auch diesbezüglich Ruhe in die Partei hinein. Außerdem machen wir ja völlig korrekte Analysen für die Euro-Krise, wir sind die einzige Partei, die wirklich eine aktive Friedenspolitik macht, strikt gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist. Wir sind die einzige Partei, die immer wieder aufruft zur sozialen Gerechtigkeit, übrigens auch im Wirtschaftsinteresse unseres Landes, weil wir die Kaufkraft wieder stärken müssen, die Binnenwirtschaft stärken müssen. Deshalb finden auch viele, dass das ein bischen ungerecht ist. Aber ich sage dann immer: Ja, wir sind auch selber schuld, wir hatten zu viel Selbstbeschäftigung, und die müssen wir überwinden.

    Schröder: Aber jetzt haben Sie gerade doch diese Personaldebatte, mit der endlich Schluss sein soll, die haben Sie doch gerade neu befeuert, indem Sie Ihre Spitzenkandidatur für 2013 angemeldet haben. Und jetzt geht`s wieder los, jetzt wird wieder übers Personal gesprochen.

    Gysi: Nein, nein, nein. Wissen Sie, die Frage einer Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl 2013, die war ja nicht strittig. Ich bekam immer bloß mehr Fragen, ob ich es noch mache, weil viele wieder dachten, so ein sinkendes Schiff verlässt man ja auch gerne. Und da wollte ich signalisieren: Das mache ich nicht, ich verlasse das nicht, keine Sorge, ich stehe zur Verfügung. Das hatte auch gar keine Unruhe in der Partei gegeben. Sie wissen ja, Unruhe gibt es in der Frage der Parteivorsitzenden und etc., aber nicht, was Spitzenkandidaturen für die Bundestagswahl 2013 betrifft.

    Schröder: Oskar Lafontaine, wenn ich das einschieben darf, Oskar Lafontaine hat in dem Zusammenhang von "Eigentorschützen" gesprochen, die ständig über Personalfragen quatschen.

    Gysi: Ja, aber eigentlich meint er natürlich im Kern auch die Frage mehr der Parteivorsitzenden, und zweitens wollte er in dem Zusammenhang noch nicht benannt werden, während ich ihm gesagt habe, ich würde das gerne mit ihm machen. Das ist ja auch meine Einstellung. Aber das ist alles nicht so dramatisch. Nein, was wir jetzt wirklich nicht brauchen, und das scheint sich ja tatsächlich zu beruhigen, ist eine Debatte um den Parteivorstand und die Parteivorsitzenden. Im Juni werden wir das neu wählen. Und wenn wir da uns einen Monat vorher dann intensiv mit beschäftigen, reicht das aus. Wir müssen jetzt nicht monatelang darüber diskutieren.

    Schröder: Aber der öffentliche Eindruck, der bleibt doch: Da ist eine führungslose Partei, die nur von Gysi und Lafontaine geführt werden kann. Sonst ist niemand in Sicht, der das machen kann.

    Gysi: Na, das ist ja auch übertrieben. Der Parteivorstand fasst schon wichtige Beschlüsse ecetera. Aber ich sage ja nicht, dass wir nicht noch gestärkt werden können, darüber machen wir uns ja auch Gedanken. Aber wissen Sie, das ist immer so, wenn bestimmte Leute gehen, einen Ersatz zu finden. Ich nehme mal ganz andere Parteien, ganz andere Beispiele. Das war doch, wenn ich mich recht entsinne, nach Willy Brandt auch nicht so einfach. Aber gerade, weil es so ist, müssen wir lernen, souverän zu sein. Wir haben eine demokratisch gewählte Führung, zu der muss man auch stehen. Und ab Juni haben wir eine neue.

    Schröder: Dietmar Bartsch, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, war mal Ihr Vertrauter und hat jetzt auch die Kandidatur angemeldet für den Parteivorsitz. Er gilt aber als Intimfeind von Oskar Lafontaine. Kann man mit diesem Makel die Linkspartei führen?

    Gysi: Also erstens haben wir immer noch ein gutes Verhältnis, zweitens reden die beiden jetzt miteinander und relativ häufig, sodass ich davon ausgehe, dass die auch ein deutlich besseres Verhältnis haben. Und drittens kann natürlich bei uns kandidieren, wer möchte.

    Schröder: Ist es vorstellbar, dass Oskar Lafontaine eine Spitzenposition annimmt, die nicht der Parteivorsitz ist?

    Gysi: Ich werde jetzt nicht über einzelne Personalfragen sprechen, weil das jetzt gar nicht geht. Das wäre nun wirklich zur Unzeit, dann würde ich den Fehler begehen, den Sie mir vorhin gerade vorgeworfen haben. Das mache ich nicht.

    Schröder: Aber die Sehnsucht in der Partei nach einer Rückkehr ist groß?

    Gysi: Ja natürlich. Wir wählen ja auch im Juni neu und wir werden das auch rechtzeitig entscheiden. Aber ich werde mich jetzt nicht mit irgendwelchen Namen und Vorstellungen daran beteiligen. Da bitte ich um Ihr Verständnis.

    Schröder: Oskar Lafontaine wird derzeit ja auch noch im Saarland gebraucht.

    Gysi: Das ist wirklich wichtig, ja.

    Schröder: Dort wird demnächst neu gewählt, vielleicht Ende März, was für Die Linke eine neue Option eröffnet, nachdem alles auf eine große Koalition hinauszulaufen schien. Jetzt wird neu gewählt. Ist da die rot-rote Karte wieder eine Option?

    Gysi: Das hängt von verschiedenen Umständen ab. Die erste Frage ist, ob die FDP wieder in den Landtag einzieht. Es sieht nicht so aus. Wozu sollte sie auch wieder einziehen, nur um sich dort zu streiten. Die Grünen halte ich dort, also zumindest den Sprecher, für ziemlich korrupt. Ich glaube, dass die ziemlich erledigt sind, möglicherweise ziehen auch die Grünen nicht ein. Dann haben wir, was natürlich für die alten Bundesländer schon eine gewisse Sensation wäre, ein Drei-Parteien-Parlament, und zwar bestehend aus Union, SPD und Linke. Ich meine, das hat es ja in den alten Bundesländern noch nicht gegeben. Und da ich davon ausgehe, dass mit Sicherheit keine Partei die absolute Mehrheit erringt, steht dann wahrscheinlich die SPD wieder vor der spannenden Frage.

    Schröder: Bislang hat sie die eindeutig beantwortet: Sie geht lieber mit der Union.

    Gysi: Die SPD muss für sich entscheiden, wo will sie eigentlich hin. Sie hatte jetzt ja schon zwölf Eheschließungen mit der CDU, will sie die nun für immer heiraten, die können sich auch vereinigen. Oder will sie sagen: Nein, wir gehören doch irgendwie zum linken Block dieser Gesellschaft, und deshalb fassen wir es ins Auge – wenn es denn möglich ist –, mit den Linken zusammen zu gehen, bevor wir mit der Union zusammengehen. Dann beantwortet sie die Frage – sie haben völlig recht – immer umgekehrt, ob ich Thüringen nehme, Sachsen-Anhalt nehme, Mecklenburg Vorpommern nehme oder welche Beispiele auch immer.

    Schröder: Aber auch die Linkspartei muss eine Frage beantworten, nämlich wie kompromissfähig ist sie, welche Kröten zu schlucken ist sie bereit? Das Saarland ist nicht das finanzstärkste Land und muss sparen. Da werden viele Vorstellungen der Linken nicht durchsetzbar sein. Also, wie viele?
    Gysi: Da ich aus Berlin komme, kenne ich mich, was finanzschwache Länder betrifft, gut aus.

    Schröder: Und da hat die Linke auch sehr gelitten.

    Gysi: Ja, wir haben ja auch Fehler begangen in Berlin. Aber wir haben auch dazugelernt. Und vor allen Dingen: Die jetzige Koalition macht – vereinfacht – folgendes: Alles, was sie beibehält, ist vernünftig, und alles, was sie ändert, geht in die falsche Richtung. Und das werden auch die Berlinerinnen und Berliner noch merken, was es zum Beispiel bedeutet, dass der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor abgeschafft wird und vieles andere mehr.

    Schröder: Zurück ins Saarland. Zu welchen Opfern sind da die Linken bereit?

    Gysi: Also erstens: Wer in eine Koalition geht, muss immer auch zu Kompromissen bereit sein. Zweitens: Er darf aber seine Wesenszüge nicht aufgeben. Wenn er seine Wesenszüge aufgibt, wird er für die Wählerinnen und Wähler unkenntlich und kann nur verlieren. Ich denke mal folgendes, wie ich auch Oskar Lafontaine kenne. Wir werden sagen: keinen Stellenabbau, wir werden sagen, dass die Schuldenbremse falsch ist. Wir werden sagen, wir brauchen auch mehr Mittel für Bildung und Kultur. Ich nehme die Kultur immer mit rein – weiß ich nicht. Gut, das muss man auch durchsetzen. Wenn man das nicht durchsetzt, dann sagen die Leute: Ja, wozu ist denn die Linke da in der Regierung? Also sie muss ja ihr Programm partiell durchsetzen.

    Schröder: Aber die Schuldenbremse, Pardon Herr Gysi, die Schuldenbremse ist im Grundgesetz fixiert.

    Gysi: Nicht die vom Grundgesetz. Ich rede jetzt über die vom Land. Das kann man ja unterschiedlich handhaben. Darf ich dazu noch ein Beispiel nennen, weil es mir wichtig ist: Mal angenommen, wir würden jetzt ernsthaft verhandeln um eine Bundesregierung. Und wir sagen, unverzüglich muss die Bundeswehr abgezogen werden aus Afghanistan. Und jetzt sagt die SPD, das ginge aus diesen und jenen Gründen nicht, wir können damit erst in zwei Jahren beginnen. Da sage ich, das geht nicht usw. Und dann einigen wir uns, wir beginnen erst in einem halben Jahr, also ein halbes Jahr später als ich will. Das ist schon ein Kompromiss, der mir sehr schwer fiele, aber das müssen wir machen, weil wir den Abzug überhaupt erreichen. Das heißt: Die Länge der Schritte, die Fristen – da sind überall Kompromisse möglich, nur die Richtung muss stimmen.

    Schröder: Wäre das auch ein Signal, ein Jahr oder eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl für Berlin, dass die Linkspartei regierungsfähig ist, koalitionsfähig?

    Gysi: Das wäre ein wichtiges Signal und ein wichtiges Zeichen. Aber ich sage auch: Es ginge in die falsche Richtung, wenn wir dabei unsere Prinzipien aufgeben. Das ist der Punkt, deshalb kann ich davon nicht weg. Wir müssen auf der einen Seite zu unseren Prinzipien stehen, andererseits natürlich auch kompromissfähig sein, sonst geht's ja gar nicht. Der andere hat ja andere Vorstellungen, das ist auch wieder klar. Und wenn man da das Verhältnis findet, dass man sagt: Ja, so geht's, das ist machbar, dann wäre das natürlich ein wichtiges Signal für die Bundestagswahl, ganz klar.

    Schröder: Ein wichtiges Signal, Herr Gysi, auch nach innen, weil die Frage "Mitregieren oder lieber Fundamental-Opposition betreiben" – das ist ja auch eine Frage, die innerhalb der Linkspartei nicht entschieden ist. Wenn man das Parteiprogramm anschaut, da sind Haltelinien formuliert, die recht fest sind, die einer Zusammenarbeit auch mit der SPD im Wege stehen können.

    Gysi: Natürlich ist das auch ein Signal an unsere Partei. Ich glaube, der Streit geht mehr um die Bedingung als um die Frage an sich. Denn eines ist doch auch klar: Ich habe immer so ein schönes Beispiel, und dann müssen mir immer alle recht geben. Ich sage also: Nehmen wir mal ein Parlament, drei Parteien ziehen nur ein, keiner hat die Mehrheit, eine Partei davon sind wir. Und die SPD sagt zu uns: Wir möchten gerne mit Euch koalieren, weil Ihr uns politisch näher steht als die Union. Und dann sagen wir: Nein, weil wir ja rein bleiben wollen, sauber bleiben wollen, keine Kompromisse machen wollen – und schicken sie zur Union. Dann sage ich immer: Wie viele Wahlen machen wir das, bis wir draußen sind? Das sehen doch alle so, das wissen doch auch alle. Also geht es letztlich um das, was man vereinbart und um das, was dabei herauskommt.

    Schröder: Rot-rot, Herr Gysi, ist die eine Frage, rot-rot-grün noch eine andere.

    Gysi: Das stimmt.

    Schröder: Macht das die Option schwierig?

    Gysi: Ja, natürlich. Erstens: Drei Partner sind immer schwerer als zwei Partner. Weil das ja immer noch eine weitere Kompromissschiene ist, die dort läuft. Und dann müssen Sie die Veränderung der Grünen sehen. Die Grünen waren eine ungeheuer emanzipatorische Partei in Deutschland, und die haben die ökologische Frage in den Mittelpunkt gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen gestellt, wo die ökologische Frage auch hingehört. Ich sag es noch einmal: Die Wählerinnen und Wähler der Grünen verdienen besser als die Wählerinnen und Wähler der FDP. Das muss man erst mal hinkriegen.

    Schröder: Im Gegensatz zur Linkspartei.

    Gysi: Und die soziale Frage, das wollte ich sagen, beschäftigt sie nie so sehr wie uns, da wir immer sagen: Wir müssen im Zusammenhang mit ökologischen Wandlungen auch die soziale Frage beantworten.

    Schröder: Das Interview der Woche mit Gregor Gysi, dem Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei. Herr Gysi, die Grünen, die werden derzeit in Umfragen bei 15 Prozent taxiert, die Linkspartei bei sechs bis sieben Prozent. Das heißt, Sie haben seit der Bundestagswahl 2009 fast die Hälfte Ihrer Anhänger verloren, was ja auch erstaunlich ist angesichts der Rahmenbedingungen. Wir haben eine tiefe Banken- und Wirtschaftskrise, die ja auch viele Leute zweifeln lässt an den Grundwerten des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Das müsste ja eigentlich eine Sternstunde sein für eine – sagen wir – radikale linke Partei wie die Linkspartei. Stattdessen laufen Ihnen die Anhänger weg. Was läuft da falsch? Das kann nicht nur am Personal liegen, liegt es auch an den Inhalten?

    Gysi: Also, da kommen mehrere Dinge zusammen. Ich habe ja gesagt, wir hatten im letzten Jahr zu viel Selbstbeschäftigung, das war das eine. Das Zweite ist aber auch: In Krisen klammert man sich immer eher an das, was man hat, als an Experimente. Und bundespolitisch sind wir ja noch ein Experiment, wir waren ja noch nie in der Bundesregierung, das ist ja noch was Neues. Das Nächste ist, dass die Krise bei den meisten noch nicht im Wohnzimmer angekommen ist, die ist noch zu abstrakt.

    Schröder: Denen geht's noch zu gut?

    Gysi: Nein, nicht zu gut, sondern wir wissen noch nicht, was es bedeutet, welche Veränderungen bevorstehen. Jetzt hat Frau Merkel in ihrer Neujahrsbotschaft gesagt, die Bevölkerung muss sich irgendwie auf harte Zeiten einstellen. Das liegt eben an der verheerend falschen Politik des Spardiktates. Was wir jetzt in Europa machen, ist das, was die Agenda 2010 in Deutschland bedeutete – bloß hoch drei, also noch mal verdreifacht oder vervierfacht. Das ist der völlig falsche Weg. Aber es wird so noch nicht gespürt, das kommt auch noch hinzu. Und letztlich muss man eben auch sehen, dass jetzt in der Gesellschaft eine kapitalismuskritische Stimmung herrscht, wie es sie nach 1949 in der alten Bundesrepublik eigentlich noch nie gegeben hat. Das ist wirklich neu, die Situation, da haben Sie völlig recht. Aber jetzt werden sie ja alle kapitalistenkritisch, das ist ja auch komisch – also vielleicht mit Ausnahme der FDP. Alle kriegen solche Töne Das heißt, sie schreiben ja jetzt auch Dinge einfach von uns ab, und dann sagen sich natürlich viele: Ja gut, wenn das die SPD auch macht oder wenn es die Union macht – zum Beispiel.

    Schröder: Dann wird die Linkspartei überflüssig.

    Gysi: Dann sagen die sich, dann brauchen wir die ja vielleicht nicht unbedingt. Das allerdings ist ein Irrtum, weil das eine ist immer, was verkündet wird, das andere ist das, was gemacht wird. Und ich glaube, eins braucht unsere Gesellschaft dringend, sie braucht Druck von links. Glauben Sie mir, wir sind ein wichtiger Korrekturfaktor in der Politik.

    Schröder: Das heißt, es ist eigentlich schlecht für sie, dass jetzt auch Angela Merkel eine Finanztransaktionssteuer für richtig hält und die in der Eurozone einführen will.

    Gysi: Nein, im Gegenteil. Ich bin doch in die Politik nicht wegen einer Prozentzahl gegangen, sondern um die Gesellschaft zu verändern. Nur habe ich diesbezüglich bei Frau Merkel den Eindruck eines Tricks, denn sie sagt ja, sie ist dafür, aber meine FDP ist dagegen. Und deshalb kann ich leider nichts machen. Das ist mir zu bequem. Wissen Sie, weil wenn sie was will, setzt sie das gegen die schwache FDP immer durch. Ich glaube, dass sie die FDP diesbezüglich ein bisschen missbraucht. Und die hat es gerne, missbraucht zu werden.

    Schröder: Auf der anderen Seite, die Eurokrise oder die Schuldenkrise wird man damit nicht lösen. Im Kern geht es ja darum – Sie haben es angesprochen – Deutschland geht es noch ziemlich gut. Anderen Ländern an der Peripherie, Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, die kommen nicht mehr mit, weil auch die Wirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Wie kann man dieses Problem lösen? Das wird man nicht mit höheren Steuern lösen können, sondern das ist ja ein Prozess, dass die wieder wettbewerbsfähig werden.

    Gysi: Nein. Ich glaube, wir müssen andere Wege gehen. Die Staaten sind viel zu abhängig von den großen privaten Banken. Wir brauchen eine öffentlich-rechtliche Bank in Europa – da kann man auch die Europäische Zentralbank nehmen – die direkt Kredite vergibt an diese Staaten, zinsgünstig, aber nicht mit einem Abbauprogramm, sondern – Stichwort Marschallplan – mit einem Aufbauprogramm. Dann fließen die Gelder auch zurück und dann kommen diese Länder aus der Krise. Was macht die Europäische Zentralbank? Die gibt den großen Privatbanken 500 Milliarden Euro als Weihnachtsgeschenk für ein Prozent Zinsen oder 1,25 Prozent Zinsen – das ist übrigens reine Gelddruckerei, ist ja klar, das hat man nicht gerade im Portemonnaie, diese 500 Milliarden Euro – und bittet die Banken, dafür wieder Staatsanleihen zu kaufen. Das können die machen, die können aber auch sagen, nö, wir machen damit etwas ganz anderes. Die üben nicht mal den geringsten Druck aus. Und wenn sie Staatsanleihen kaufen, dann wollen sie ja Zinsen haben so um die vier Prozent oder fünf Prozent. Dann wird darüber diskutiert. Das heißt, dann verdienen die zwischen ein Prozent und vier Prozent oder zwischen ein Prozent und fünf Prozent die ganze Differenz fürs Nichtstun, nur fürs Überweisen. Warum kann denn die Europäische Zentralbank das Geld nicht direkt an die Länder geben? Das wäre doch viel vernünftiger.

    Schröder: Weil das nicht ihre Aufgabe ist. Das darf sie sogar nicht.
    Gysi: Ja, dann muss man die Aufgabe verändern. In einer Krise muss man Aufgaben verändern.

    Schröder: Herr Gysi, demnächst wird der ständige Stabilisierungsmechanismus auf der Tagesordnung stehen, der den derzeitigen EFSF ablösen wird. Die bisherigen Rettungspakete hat die Linkspartei abgelehnt. Jetzt wird nach einem neuen, stärkeren Arm gesucht, der die Eurozone retten soll. Werden Sie auch das ablehnen?

    Gysi: Das Problem ist, dass sie eine Regelung finden, nach der eine bestimmte Struktur in Europa in der Lage ist, in die Landeshaushalte einzugreifen. Ich sage mal, zunächst für Deutschland ist das grundgesetzwidrig, denn es gibt nach unserem Grundgesetz die klare Hoheit des Bundestages über den Haushalt. Und wenn plötzlich ein europäisches Gremium sagt, nein, so viel Verschuldung dürft ihr nicht machen oder das dürft ihr nicht machen oder jenes dürft ihr nicht machen, und die können das wirksam durchsetzen, halte ich das für grundgesetzwidrig. Aber das nächste Problem ist, dass das doch nicht genügt. Das ist doch der falsche Weg.

    Schröder: Europa muss zusammenwachsen, heißt es.

    Gysi: Eben.

    Schröder: Wir brauchen eine Wirtschaftsregierung.

    Gysi: Was wir wirklich brauchen, das passiert dort nicht. Was wir brauchen ist eine abgestimmte Wirtschaftspolitik. Wir brauchen Untergrenzen bei Löhnen, die müssen wir vereinbaren. Wir brauchen ökologische Untergrenzen. Wir brauchen rechtliche Übereinstimmung und wir brauchen Steuergerechtigkeit. Und deshalb sage ich Ihnen noch einmal, die Frage, ob wir zum Beispiel uns auf bestimmte Steuern verständigen, ist ganz wichtig, weil wir ansonsten weiter einen Wettbewerb haben, welches Euroland hat die geringsten Steuern, damit die Investoren dort hin gehen. Das ist doch Schwachsinn, was wir auf dieser Strecke vereinbaren. Wer soziale Gerechtigkeit fordert, aber nicht bereit ist, Steuergerechtigkeit herzustellen, ist nicht ehrlich. Man kann soziale Gerechtigkeit nur finanzieren, wenn man Steuergerechtigkeit hat.

    Schröder: Ist es nicht auch eine Frage der Gerechtigkeit, dass derjenige, der Schulden macht, die auch zurückzahlen muss? Das heißt, das, was jetzt vereinbart wird, der Fiskalpakt, die Schulden zu begrenzen und im Zweifel dann auch automatische Strafen für Defizitsünder einführt, ist das nicht eine zwingende Logik auch einer Gerechtigkeit in einem Bündnis wie der EU?

    Gysi: Ich sage noch einmal: Wenn wir die Kredite für Italien, für Griechenland, für Spanien, für Portugal – übrigens kommt Irland als Problem jetzt wieder dazu, will ich nur mal andeuten – nicht so nutzen, dass dort die Wirtschaft aufgebaut wird, dass dort es mehr soziale Gerechtigkeit, eine höhere Kaufkraft gibt, dann fließen keine Steuern. Und wenn keine Steuern fließen, können die ihre Schulden nicht zurückbezahlen. Das ist ganz einfach. Der Kreislauf wird falsch gemacht. Die Merkel und der Sarkozy denken, wir zwingen die zum Sparen, dann geben die ja weniger Geld aus und wenn sie weniger Geld ausgeben, dann hilft ihnen das. Und ich sage, wenn die weniger Geld ausgeben, wenn die nicht investieren, weder in Bildung noch in Wirtschaft oder in was anderes, dann haben sie auch keine Steuereinnahmen. Wenn sie keine Steuereinnahmen haben, dann ist alles rückläufig. Schauen Sie sich doch die Zahlen in Griechenland an. Das ganze Geld, was dort hingegangen ist, hat nichts genutzt. Im Gegenteil, die Wirtschaftsleistungen sinken, die Steuereinnahmen sinken. Ja wovon sollen die denn etwas bezahlen? Aufbauen müssen wir die Länder.

    Schröder: Das Interview der Woche mit Gregor Gysi, dem Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei. Herr Gysi, die Linkspartei ist ja gerade mit Forderungen wie Mindestlohn oder auch Hartz IV, ein Satz von 500 Euro oder am besten ganz weg öffentlich aufgetreten. Welche Alleinstellungsmerkmale haben Sie überhaupt noch, wenn gerade die SPD, aber in zunehmendem Maße auch die Union Ihre Forderung übernimmt?

    Gysi: Ja, es rückt dann natürlich einiges ein bisschen zusammen, da haben Sie Recht. Aber wir haben natürlich noch genügend Forderungen, die nur wir erheben. Erstens, wir brauchen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Aber ich sage auch, wir brauchen einen solchen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, dass man davon in Würde leben kann. Ich finde das Schlimmste Vollzeit beschäftigte Aufstockerinnen und Aufstocker. Wenn jemand hier einen Vollzeitjob hat, muss er so viel Lohn bekommen, dass er davon in Würde leben kann und nicht das Recht hat, zum Sozialamt zu rennen. Kurzum, zehn Euro brauchen wir.

    Schröder: Die Frage war gleichwohl, welche Forderung muss die Linkspartei in ihrem Profil stärken, um für die Öffentlichkeit, für die Wähler attraktiv zu werden. Offenbar das, was Sie bislang kommuniziert haben, reicht nicht aus.

    Gysi: Ja, ja, wir werden auch mehr kommunizieren müssen, das stimmt. Erstens, wir sind die Einzigen, die wirklich aktiv für den Frieden eintreten. Alle anderen glauben wirklich immer, mittels Krieg die Probleme der Menschheit lösen zu können. Das geht meines Erachtens völlig daneben. Zweitens, wir sind die Einzigen, die zum Beispiel eine Mindestrente fordern und ein Rentensystem vorschlagen, das die Rente ab 67 überflüssig macht und auch die bevorstehende Altersarmut überflüssig macht. Das wird ein ganz wichtiges Thema sein. Die heute Jüngeren werden später in Altersarmut enden, wenn wir die Struktur nicht ändern. Ich sage noch mal, alle müssen einzahlen, keine Beitragsbemessungsgrenzen, wer eine Million verdient, muss dann eben den Beitrag von einer Million bezahlen. Also, es ließe sich alles lösen. Da haben wir schon unsere Alleinstellungsmerkmale. Wir sind die Einzigen, die wirklich vehement fordern gleicher Lohn für gleiche Arbeit in Ost und West und gleiche Rente für gleiche Lebensleistung in Ost und West. Die Friedensfrage habe ich bereits erwähnt. Steuergerechtigkeit, wir sind die Einzigen, die wirklich eine Vermögenssteuer wollen, und zwar eine angemessene Vermögenssteuer. Also, ich finde, wir haben noch genug Dinge, die wir alleine fordern. Und es macht immer Druck auf die anderen.

    Schröder: Auf der anderen Seite muss sich die Linkspartei auch fragen, wie viel Sektierertum sie eigentlich vertragen kann.

    Gysi: Ach, das ist ja immer die Frage, was das ist.

    Schröder: Wenn ich zum Beispiel sehe, es gibt einen Aufruf, den sechs Bundestagsabgeordnete unterschrieben haben.

    Gysi: Ja, das haben wir alle auch eingesehen, dass das falsch ist.

    Schröder: Ja, da geht es aber – wenn ich das noch sagen darf – darum, dass den USA vorgeworfen wird, einen Krieg gegen Syrien und Iran vorzubereiten, die gleichzeitig gelobt werden für ihre eigenständige Politik und dass sie sich dem Diktat nicht unterordnen. Davon, dass diese Staaten Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen kein Wort und eine Distanzierung habe ich bislang von der Linkspartei bislang auch nur sehr halbherzig gehört.

    Gysi: Nein, nein, das stimmt nicht. Das war ein Aufruf gegen Krieg. Der ist ja von vielen unterschrieben worden und weil es ja auch völlig falsch wäre, gegen den Iran oder Syrien oder gegen beide Länder Krieg zu führen. Das stimmt. Aber was wir kritisiert haben ist das, was Sie auch sagen, dass eben die Distanz von diesen Ländern nicht genügend zum Ausdruck kam, schon gar nicht, wenn man von eigenständiger Politik spricht, was Sie ja zitiert haben. Das haben die auch eingesehen. Sie haben dann gesagt, aber es war ihnen so wichtig, zu unterschreiben, dass man unbedingt den Krieg verhindern muss. Das stimmt ja auch.

    Schröder: Und gleichzeitig für die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Syrien zum Beispiel plädieren?

    Gysi: Das stand aber nicht drin.

    Schröder: Das steht drin.

    Gysi: Aber wir mischen uns ein, und zwar indem wir die demokratische Opposition schon seit Jahren unterstützen. Und wissen Sie, das ist das, was mich an der westlichen Politik so ärgert. Das ist immer so zeitabhängig. Ich meine, es war doch die Regierung, die Waffen geliefert hat, zum Beispiel an Saudi Arabien, an Libyen, an alle diese Länder. Und ob da Diktatoren herrschten, hat hier niemand interessiert. Die anderen sind diesbezüglich extrem unglaubwürdig. Deshalb ist es auch nicht glaubwürdig, wenn sie uns diesbezüglich angreifen.

    Schröder: Und deswegen würden Sie sich nicht distanzieren von diesem Aufruf?

    Gysi: Doch, haben wir ja gemacht. Was ich akzeptiere – das habe ich Ihnen auch gesagt – ist, dass sie einen Aufruf gegen den Krieg unterschreiben, aber ich habe gesagt, wir müssen mehr darauf achten, dass nicht ein falscher Eindruck entstehen kann, wie er hier eben entstanden ist. Deshalb, wenn wir eine Erklärung verfassen, können Sie mir glauben, da steht auch wirklich was gegen die Regime drin. Die Regime taugen nichts.

    Schröder: Herr Gysi, zum Abschluss müssen wir über den Bundespräsidenten reden. Christian Wulff hat öffentlich auf 240 Seiten auf Fragen von Journalisten geantwortet. Ist für Sie damit der Kern der Affäre, nämlich die Kreditgeschäfte mit der BW-Bank um die Finanzierung seines Eigenheimes aufgeklärt?

    Gysi: Wissen Sie, es gibt ja mehrere Probleme in diesem Zusammenhang. Das eine Problem ist die Kreditfrage, weil ich ja weiß, wie da andere Ermittlungsverfahren laufen, wie da Strafverfahren laufen. Dann haben wir die Sache mit dem meines Erachtens völlig idiotischen Anruf beim Chefredakteur der BILD-Zeitung und der noch idiotischeren Idee, dem auf die Mailbox zu sprechen. Das ist ja nun überhaupt gar nicht mehr nachvollziehbar. Aber das meine ich alles nicht. Ich sage Ihnen, was mich stört und was wir im Augenblick überhaupt nicht repariert bekommen. Ich sage Ihnen, der Bundespräsident ist nicht mehr souverän.

    Schröder: Warum?

    Gysi: Er ist jetzt abhängig von Frau Merkel. Frau Merkel unterstützt ihn, damit auch die Union, halbherzig noch die FDP, obwohl es auch immer mehr kritische Stimmen in der Union gibt. Und wenn Frau Merkel sagen würde, er ist wirklich nicht mehr zu halten, dann ist er am Ende. Das weiß er. Dadurch wird er abhängig von Frau Merkel. Ich möchte aber einen Bundespräsident, der überparteilich ist, der souverän ist, der auch mal die Regierung kritisiert, oder der zum Beispiel ein Gesetz, das der Bundestag oder vielleicht auch der Bundesrat beschlossen hat, das offenkundig grundgesetzwidrig ist, nicht unterzeichnet. Das hat unser vorhergehender Bundespräsident Köhler drei- oder viermal gemacht.

    Schröder: Und das trauen Sie Herrn Wulff jetzt nicht mehr zu?

    Gysi: Zur Zeit nicht, nein. Das würde er sich nicht trauen, weil er weiß, dass Frau Merkel dann so sauer ist, dass die ganze Stimmung kippt. Und das können wir uns nicht leisten. Wir brauchen einen souveränen Bundespräsidenten. Also sage ich folgendes: Er muss seine Souveränität wiederherstellen, er muss der Bundespräsident werden, er muss auch Nein sagen können zu einem Gesetz. Die Kraft muss er haben. Hat er zur Zeit nicht. Wenn er die nicht zurückgewinnt, dann muss er die Konsequenzen ziehen.

    Schröder: Und zurücktreten?

    Gysi: Ja, wenn er sie nicht gewinnt.

    Schröder: Es gibt nun neue Vorwürfe auch gegen seinen ehemaligen Sprecher Olaf Glaeseker. Verändern die Ihre Einschätzung?

    Gysi: Tja, ich warte es mal ab. Es kann schon bedenklich werden. Der war ja jahrelang sein Sprecher. Er ist sehr schnell sehr zügig entlassen worden. Und deshalb sage ich: schonungslose Offenlegung einschließlich Selbstkritik. Und dann könnte es gehen. Aber die Kraft muss er finden. Und die muss er sehr schnell finden.

    Schröder: Herr Gysi, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Gysi: Bitte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.