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"Wir sind gegen einen politisch festgesetzten einheitlichen Mindestlohn"

Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Daniel Bahr rechnet auf dem bevorstehenden Sonderparteitag seiner Partei mit einer großen Mehrheit für weitere Lohnuntergrenzen. Branchen- und Regionen-spezifisch seien diese sinnvoll, sagt der Bundesgesundheitsminister - und widerspricht damit FDP-Vizechef Volker Zastrow.

Daniel Bahr im Gespräch mit Christine Heuer | 03.05.2013
    Christine Heuer: Lange nichts Dramatisches gehört aus der FDP. Der Vorsitzende Philipp Rösler ist im Amt, und nicht einmal mehr Dirk Niebel versucht, daran etwas zu ändern. Rainer Brüderle führt als Gesicht und Kopf der Partei den Wahlkampf an, und vor dem Wahlparteitag, der an diesem Wochenende in Nürnberg stattfindet, muss man schon ein bisschen suchen, um strittige Themen zu finden. Daniel Bahr ist Bundesgesundheitsminister und er ist Mitglied im FDP-Präsidium. Guten Morgen, Herr Bahr!

    Daniel Bahr: Schönen guten Morgen, Frau Heuer!

    Heuer: Die schweren Zeiten, schien es, scheint es, sind erst mal vorbei für die FDP, trotzdem liegen Sie in einer ganz frischen Umfrage unter fünf Prozent. Kann der FDP nichts mehr helfen?

    Bahr: Doch, aber es zeigt sich ja bei den letzten drei Landtagswahlen, dass sich erst bei der Wahl wirklich die Zustimmung zur FDP dann entscheidet. Insofern bin ich auch jetzt nicht nervös. Natürlich wünsche ich mir schönere Umfragewerte, aber es ist noch eine lange Wegstrecke bis zur Bundestagswahl. Ich erkenne nur, dass im Moment die Alternativen deutlicher werden und die Bürgerinnen und Bürger sehen, was passiert, wenn Rot-Grün beispielsweise die Regierung übernimmt. Dann drohen eher Steuererhöhungen. Und wir können dem jetzt inhaltlich mit unserem Wahlprogramm etwas entgegensetzen: dass wir auf Haushaltskonsolidierung setzen, dass wir auf Leistungsgerechtigkeit setzen, auf Bürgerrechte und vor allem auf Geldwertstabilität, eine Politik gegen Inflation. Deswegen glaube ich, dass wir eine gute Chance haben, bei der Bundestagswahl auch wieder Vertrauen zu bekommen.

    Heuer: Aber Steuersenkungen, Herr Bahr, versprechen Sie dieses Mal nicht mehr?

    Bahr: Doch. Wir haben ja auch in dieser Legislaturperiode trotz der schwersten Wirtschaftskrise Steuererleichterung erreicht. Nicht, wie wir uns das gewünscht hätten, das war in dieser Lage gar nicht machbar, aber wir haben bewiesen, dass man selbst in dieser schwierigen Zeit beides hinkriegen kann: eine Entlastung der Familien, eine Entlastung des Mittelstandes und gleichzeitig einen ausgeglichenen Haushalt, insofern brauchen wir keine Nachhilfe von Rot-Grün in der Finanzpolitik. Und die Unterschiede werden ja deutlich. Wenn Sie sich anschauen, wie die Steuererhöhungen bei Rot-Grün mit 30, 40 Milliarden Euro auf die Bürger zukommen und man glaubt, dass man, wenn man hier in Deutschland die Steuern erhöht und gleichzeitig das Schuldenmachen in Europa erleichtert, glaube ich, werden die Finanzen immer unsicherer, und die Leute werden sich zu Recht fragen, ob ihre Spareinlagen noch sicher sind. Ob Inflation nicht die Folge ist. Ich glaube, dem haben wir was Gutes entgegenzusetzen. Das macht ja auch Wahlkampf aus, dass die Leute wirklich erkennen, in welche Richtung geht es bei welcher Partei, und da sehe ich eine gute Chance der FDP, wieder das Vertrauen zu bekommen.

    Heuer: Herr Bahr, komisch ist nur, dass in der Umfrage, die ich erwähnt habe, das ist der Deutschlandtrend von Infratest dimap, die Grünen mit dem Versprechen von drastischen Steuererhöhungen ein Prozent zugelegt haben, und Sie haben verloren.

    Bahr: Aber zulasten der SPD, wie wir ja sehen. Da sind offenbar kommunizierende Röhren. Ob es wirklich die Steuererhöhungen sind, oder ob es nicht der schwache Auftritt der SPD-Führung ist – das will ich jetzt auch nicht auseinanderanalysieren, sondern mir geht es doch darum, was bei der Wahl im Herbst ist. Und das zeigen uns doch die Erfahrungen der letzten beiden Jahre. Umfragen sind das eine, offenbar ist aber entscheidend, was am Wahltag ist. Und da hat die FDP viele Umfragen gestraft. Das heißt nicht, dass wir uns zurücklehnen müssen, überhaupt nicht, das wird noch ein anstrengender Monat, Monate sein bis zur Bundestagswahl, aber die Chance ist da, und ich glaube, es tut der FDP im Moment sehr gut, dass sie endlich aufgehört hat, sich mit sich selbst zu beschäftigen, sondern dass wir eine Führungsspitze haben, die auf eine Team-Lösung setzt und uns jetzt um die Inhalte kümmern. Ich glaube, so können wir auch unsere Wählerinnen und Wähler wieder überzeugen.

    Heuer: Zu den Inhalten, die Sie in Nürnberg auf dem Parteitag beraten wollen, gehört eine Mindestlohnvereinbarung für Deutschland. Die FDP ist nicht mehr ganz so vehement gegen Mindestlöhne. Wollen Sie die Wahlen gewinnen, indem Sie die nächste sozialdemokratische Partei werden?

    Bahr: Nein, denn der Unterschied ist ja eindeutig. Wir sind gegen einen politisch festgesetzten einheitlichen Mindestlohn. Denn der würde jede Wahl immer wieder neu diskutiert und würde einen Wettbewerb der Parteien bedeuten, wer den Höheren verspricht, und vor allen Dingen würde er Arbeitsplätze gefährden. Ein einheitlicher Mindestlohn würde vielleicht in München keine Auswirkung haben, wo wir sehr, sehr hohe Löhne haben, aber würde in Greifswald Arbeitsplätze gefährden, und deswegen ist es falsch. Was wir brauchen, ist, nach Branchen in Regionen passgenaue Lösungen. Und im Übrigen war die FDP da schon viel weiter. Ich habe als Gesundheitsminister einen Pflegemindestlohn umgesetzt und durchgesetzt. Da war keiner in der FDP der Meinung, dass das falsch sei, dass wir nicht in der Pflege auch eine Lohnuntergrenze als Schutz brauchen.

    Heuer: Aber jetzt finden manche Freidemokraten das schon falsch, was sie in Sachen Mindestlohn planen, was die Parteispitze plant. Zum Beispiel Holger Zastrow aus Sachsen, der nennt die Mindestlohnidee, wie sie an diesem Parteitag beraten wird, wörtlich ein "Arbeitsplatzvernichtungsprogramm für Ostdeutschland".

    Bahr: Deswegen freue ich mich auf den Parteitag, und deswegen bin ich in der FDP, weil bei uns nicht einfach per Erpressung und per Vorstandsbeschluss eine inhaltliche Frage geklärt wird, sondern wir diskutieren. Ich glaube, dass der Parteitag mit großer Mehrheit die Idee der Lohnuntergrenzen beschließen wird. Das haben wir auch in Nordrhein-Westfalen, da war auch kontrovers diskutiert worden, am Ende mit großer Mehrheit beschlossen. Das macht eine lebendige und liberale Partei ja auch aus, dass wir darüber streiten. Ich teile das Argument von Holger Zastrow nicht, weil ich gesehen habe, in der Pflege als Beispiel, wo ich jetzt nun auch fachzuständig bin, sind nicht die Arbeitsplätze gefährdet worden, sondern es war nötig, eine solche Untergrenze einzuziehen. Das sollte nicht politisch gemacht werden, und das sollte nicht ganz deutschlandweit mit einem Einheitsmindestlohn geschehen, sondern branchenspezifisch. Vorrang müssen die Tarifverträge haben, völlig richtig. Tarifpartner haben die Aufgabe und finden die passgenauen Lösungen, aber dort, wo es eben Tarifverträge allein nicht leisten, muss es die Möglichkeit geben, auch Lohnuntergrenzen einzuziehen. Da bin ich anderer Meinung als Herr Zastrow. Und ich sehe eine große Chance, dass die Partei sich dem auch anschließt, denn mit Leistungsgerechtigkeit haben Geschäftsmodelle nichts zu tun, wo der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer sagt, wenn dir der Lohn nicht reicht, geh doch zum Amt und stock auf. Das ist gegen die soziale Marktwirtschaft, das belastet die Solidargemeinschaft, und deswegen können auch Liberale solche Geschäftsmodelle nicht akzeptieren.

    Heuer: Es gibt, Herr Bahr, freie Demokraten, die es inzwischen für nötig halten, ihre Parteispitze dazu aufzufordern, Haltung zu bewahren. Zum Beispiel ist die FDP jetzt plötzlich ja auch für weniger Straffreiheit bei selbst angezeigten Steuerdelikten. Schwimmen Sie mit dem Strom, um Wähler anzulocken?

    Bahr: Eine Partei macht es doch aus, dass sie auf neue Probleme auch immer wieder neue Antworten findet. Und ich glaube, dass wir nicht die fünfte sozialdemokratische Partei werden, dafür gibt es genügend Unterschiede. Wir werden beim Parteitag auch streitig darüber diskutieren, ob es eine Pflicht zur Altersvorsorge für Selbstständige geben muss. Bin ich strikt dagegen, weil ich glaube, das würde gerade kleine Selbstständige enorm belasten und vielleicht auch von dem Risiko der Selbstständigkeit abhalten.

    Heuer: Aber Herr Bahr, Entschuldigung, bei den großen Themen, die im Moment aktuell im Gespräch sind, da lenkt die FDP erstaunlich ein.

    Bahr: Nein, überhaupt nicht. Wir haben doch gekämpft für ein Abkommen mit der Schweiz. Das ist leider im Bundesrat gescheitert, deswegen sind wir bei einem wichtigen Thema nicht weitergekommen. Jetzt haben sich alle beschäftigt mit dem Fall Hoeneß, was ein Fall ist, der viele bewegt hat, und jetzt wird man überlegen, es gibt ja neue Bereitschaft, was ich begrüße, in der Schweiz, jetzt noch einmal einen Anlauf zu machen, das war vorher nicht erkennbar, die Schweiz hatte sich geweigert. Wenn wir ein Abkommen haben, dann ist das eine gute Lösung. Und wenn wir zu der Erkenntnis auch kommen, dass vielleicht große Fälle, um noch einmal einen stärkeren Druck auszuüben, nicht straffrei bleiben sollen, dann ist das auch vernünftig, dass wir da eine Lösung finden. Ich glaube, eine Partei wäre schlecht beraten, wenn sie nicht auf immer wieder neue Probleme auch versucht, neue Antworten zu finden, sondern stur zu bleiben. Ich glaube, eine Partei, die radikal und stur bleibt, nach Prinzipien arbeitet, die wird auch dem nicht gerecht, was die Bürger wollen, und die Bürger wollen, dass die FDP Probleme löst, dafür sind wir in der Regierung.

    Heuer: Herr Bahr, kurz zum Schluss. Sie haben in einem anderen Zusammenhang ihren Koalitionspartner, die CSU, einmal "Wildsau" genannt. Wiederholen Sie diesen Angriff mit Blick auf die Mitarbeiter-Affäre der CSU im bayerischen Landtag?

    Bahr: Das war damals ein Streit, den wir hatten um die Gesundheitspolitik, wo wir nicht vorankamen. Ich glaube, jetzt ist die CSU mit ihren Problemen alleine beschäftigt. Da schütteln viele den Kopf, wie lax CSU-Politiker mit Regeln umgegangen sind und wie wenig Sensibilität da war. Aber das beschäftigt die CSU selbst, deswegen sehen Sie, wir in der FDP hatten auch schwierige Phasen, jetzt haben andere Parteien mal ihre schwierigen Phasen. Ich finde, da ist es guter Rat, dass wir uns dort nicht einmischen.

    Heuer: Das FDP-Präsidiumsmitglied Daniel Bahr. Er ist natürlich auch Bundesgesundheitsminister und ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Bahr!

    Bahr: Vielen Dank, Frau Heuer!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.