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"Wir sind Guttenberg"

Ohne das Internet wäre Karl-Theodor zu Guttenberg vermutlich noch Verteidigungsminister. Engagierte Netz-Aktivisten haben in kurzer Zeit bewiesen, dass seine Doktorarbeit in großem Umfang ein Plagiat ist. Aber seine Unterstützer nutzen das Internet ebenfalls: Sie sind wollen ihren KT zurück.

Von Dorothea Jung | 03.03.2011
    Am vergangenen Samstag in Berlin: Auf dem Potsdamer Platz protestieren etwa 400 Menschen gegen Karl-Theodor zu Guttenberg. Die Demonstranten halten Schuhe in die Luft, um dem Verteidigungsminister die fehlenden Fußnoten in seiner Doktorarbeit vorzuhalten. Ihr Motto: "Gutt-Bye - dem Lügenbaron den Schuh zeigen". Auf ihren Plakaten steht: "Betrug ist keine Fußnote", "Zurück ins Märchenschloss" oder: "Betrüger müssen zurücktreten".

    Innerhalb von zwei Tagen war diese Aktion auf die Beine gestellt worden. Per Aufruf im Internet - weitergetragen über SMS und Twitter. Die kleine Demonstration ist ein typisches Beispiel für politische Mobilisierung im digitalen Zeitalter. Vor allem die Guttenbergs Fans rekrutieren ihre Anhänger über das Netz. Seit Mitte Februar haben fast 400.000 Menschen die Facebook-Seite "Gegen die Jagd auf Karl Theodor zu Guttenberg" angeklickt. Ziel der Seite ist die Charakterisierung Guttenbergs als Opfer eines politischen Kesseltreibens. Haupttenor der Kommentare:

    Dies ist ganz klar eine Hetzjagd! Weil es der Opposition nicht schmeckt, dass Guttenberg beliebt ist und seine Arbeit offen und ehrlich macht.

    Inzwischen versammeln sich, ebenfalls im Netzwerk von Facebook, weitere Unterstützer unter der Losung: "Wir wollen Guttenberg zurück". Bis elf Uhr heute Vormittag waren es bereits mehr als eine halbe Million. Das heißt - wenn man die Nacht mitrechnet -: Seit dem Rücktritt des Verteidigungsministers haben sich stündlich 10.000 Menschen dafür ausgesprochen, dass er im Amt bleiben soll. Christoph Bautz wundert das wenig. Der Politikwissenschaftler ist Geschäftsführer von Campact, einem gemeinnützigen Unternehmen, das via Internet politische Kampagnen organisiert.

    "Über das Internet entstehen Potenziale, Menschen in ganz kurzer Zeit und kostengünstig auf politische Entscheidungen hin zu mobilisieren für eine bestimmte Forderung und um zu sagen: Hier kann man sich einmischen und für politische Veränderungen streiten."

    Neu sei jedoch, dass sich jetzt auch Konservative über das Internet zu politischen Aktionen verabreden - bislang sei dies eher eine Methode von Graswurzelbewegungen, Netzspezialisten und emanzipatorischen Gruppen gewesen. Das Internet sei eben inzwischen in allen politischen Lagern angekommen, sagt Markus Beckedahl. Der Blogger hat sich auf Netzpolitik spezialisiert und berät den Deutschen Bundestag in der Enquetekommission "Internet und digitale Gesellschaft". Beckedahl interessiert vor allem, ob aus dem Facebook-Engagement politisches Handeln wird:

    "Das Unterstützen eines Politikers per Mausklick ist das Eine, aber die Mobilisierung von vielen Menschen, etwas Zusätzliches zu machen - was ja Teil von Kampagnen ist - das ist eine ganz andere Herausforderung. Und die Frage ist: Wie bewertet man es, dass man 300.000 Unterstützer für eine Fan-Page bei Facebook gewinnt, im Gegensatz zu vielen anderen Aktionen, wo man es zusätzlich noch schafft, die Menschen auf die Straße zu bekommen."

    Das könnte sich bereits am kommenden Samstag zeigen: Fans des einstigen Verteidigungsministers rufen bundesweit zur Pro-Guttenberg-Demo auf. Unterstützt wird der Aufruf auch von einzelnen Mitgliedern der Jungen Union. Denn im Gegensatz zur Mutterpartei, die sich nach eigenen Angaben auf Facebook zu diesem Thema nicht äußern will, nutzt die Junge Union die Pro-Guttenberg-Kampagne auch parteipolitisch. "Die hohe Unterstützerzahl in dem sozialen Netzwerk ist kein Zufall", bekennt der Berliner Rechtsanwalt Timur Husein aus Berlin. Der 30-Jährige ist Beisitzer im Bundesvorstand der Jungen Union. "Wir waren aktiv daran beteiligt", sagt er.

    "Diese Seiten sind so groß, weil die Junge Union Deutschland dafür auch wirbt, in Facebook-Seiten, in E-Mail-Verteilern, per SMS und per Telefon; aber wir wissen auch, dass viele Menschen gegenüber Parteien sehr distanziert sind, sodass wir nicht direkt für uns akquirieren, sondern das machen wir eben auf subtile Weise."

    Eine legitime Methode der Netzpolitik, meint Internetexperte Markus Beckedahl. Man könne zwar davon ausgehen, dass nicht alle, die zur Unterstützer-Gemeinde gerechnet werden, tatsächlich Guttenberg-Fans sind, weil die Seite so eingestellt sei, dass man seine Kommentare nur einbringen kann, wenn man vorher den auf Facebook üblichen Button "Gefällt mir" angeklickt hat - aber den häufig ausgesprochenen Verdacht, dass die Netzwerkstimmen gekauft seien, hält er nicht für zwingend.

    "Facebook hat mittlerweile in Deutschland eine kritische Masse erreicht, um relativ schnell 300.000 Menschen für eine Fanpage mobilisieren zu können."

    Könnte man diese Fans nicht nur für Guttenberg, sondern auch ganz generell für die Unionsparteien gewinnen? Es wäre technisch zwar möglich, sagt Beckedahl. aber viel zu aufwendig, die zahlreichen User der Seite zu identifizieren und ganz gezielt anzuschreiben. Und Timur Husein fände das auch politisch ungeschickt. "Zu offensichtlich, zu anbiedernd," befindet der junge Unionspolitiker. Statt dessen befürwortet die Junge Union den indirekten Weg. Ihre Mitglieder posten auf den Facebook-Seiten planvoll und systematisch Kommentare mit christdemokratischen Inhalten sowie Partei-Termine und Links.

    "Wer sich dafür interessiert, der sieht ja ab und zu ein Post von uns und dann denke ich, wird das mehr Erfolg haben als hier so Werbe-Posts zu machen nach dem Motto, komm zu uns, gib mir deine E-Mail-Adresse, deine Telefon-Nummer - das wäre kontraproduktiv."
    Das Facebook-Engagement für Guttenberg wird sich also nicht umstandslos in Wählerstimmen für die Union ummünzen lassen. Jedenfalls kann das niemand verlässlich voraussagen. Sicher ist aber, dass die zahlreichen Nutzer gelernt haben, sich themenbezogen hinter konservative Inhalte zu stellen. Und sie können sich als machtvolle Bewegung präsentieren.

    Heute Nachmittag um Viertel vor vier hatten 514.743 Menschen die Facebook-Seite "Wir wollen Guttenberg zurück" angeklickt.