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"Wir sind hier deutlich weiter"

Der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Alois Glück, hat zu einem verstärkten Dialog zwischen Christen und Muslimen aufgerufen. So wie Teile der einheimischen Bevölkerung Überfremdung und Identitätsverlust fürchteten, hätten auch die Zuwanderer Angst, ihre eigene kulturelle Identität aufgeben zu müssen.

Alois Glück im Gespräch mit Friedbert Meurer | 01.12.2009
    Friedbert Meurer: Über 57 Prozent der Eidgenossen haben am Sonntag dafür gestimmt, dass keine Minarette mehr im Land gebaut werden dürfen. Das soll sogar Verfassungsrang erhalten. Die Schweizer Regierung ist entsetzt und fürchtet um das Image des Landes. Eine Erklärung für das Abstimmungsvotum bietet diese Schweizerin an:

    O-Ton: "Ich glaube, dass das Resultat schon viel mit einer diffusen Angst vor dem anderen, vor dem fremden zu tun hat. Es wurde ja auch im Wahlkampf alles durcheinandergebracht, Islam gleich Genitalverstümmelung, Islam gleich Zwangsheirat. Man hat nicht sachlich diskutiert."

    Meurer: Das spektakuläre Ergebnis des Referendums in der Schweiz. Was bedeutet das Referendum für die Debatte hier in Deutschland? – Am Telefon begrüße ich Alois Glück, frisch gewählter Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Guten Morgen, Herr Glück.

    Alois Glück: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Würde ein solches Referendum in Deutschland genauso ausgehen wie in der Schweiz?

    Glück: Nein, das sehe ich nicht. Ich glaube, wir sind hier deutlich weiter. Das zeigt sich aufs Ganze gesehen ja auch mit der Realität des Moscheenbaus in Deutschland. Natürlich gibt es immer wieder auch Konflikte. Diese Konflikte entzünden sich in erster Linie dort, wo sehr große Moscheen gebaut werden, wo sich daran auch der lokale Konflikt entzieht. Aber in der weit überwiegenden Zahl der Orte ist Moscheebau als solches ein Ausdruck der Religionsfreiheit und der Freiheit in unserem Lande. Natürlich gibt es insgesamt auch Ängste, Unsicherheiten. Möglicherweise ist da in der Schweiz eine emotionale Gemengelage gezüchtet worden, geschürt worden, die natürlich ungeheuer schädlich ist für das Zusammenleben der Menschen.

    Meurer: Die aber irgendetwas aufgreift, was vorhanden ist. Thilo Sarrazin sagt jetzt in einem neuen Interview, dieses Ergebnis zeigt die Kluft zwischen Gesellschaft und Politik. Muss man die wahrnehmen, diese Kluft?

    Glück: Das halte ich für keine richtige und realistische Einschätzung. Auf der anderen Seite: Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es hier eigentlich bei allen Beteiligten Ängste gibt: In der einheimischen Bevölkerung die Angst vor Überfremdung, vor Identitätsverlust; ähnliche Ängste haben die Zuwanderer, dass sie gewissermaßen gezwungen würden, ihre eigene Identität und kulturelle Identität völlig aufzugeben. Die Antwort kann nur sein, dass wir uns intensiver als bislang mit den kulturellen Dimensionen dieser Entwicklungen auseinandersetzen. Es wird bei uns primär immer sozialtechnisch diskutiert, oder eben die Arbeitskräfte, es wird nur diskutiert, wenn es irgendwelche negativen Ereignisse gibt.

    Meurer: Und wie sollten wir jetzt diskutieren?

    Glück: Einmal, dass wir natürlich hier eine Realität haben für das Zusammenleben. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass, wie übrigens der Religionsmonitor, also die Untersuchung von Bertelsmann zeigt, aber auch die Untersuchung, die im Zusammenhang mit der Islam-Konferenz in Auftrag gegeben wurde, die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland unsere Werte bejaht.

    Wir haben natürlich auch ein verzerrtes Bild in der Öffentlichkeit: einmal, weil durch die Negativereignisse der Radikalen, wo man natürlich außerordentlich wachsam sein muss, generalisiert wird und weil die Islam-Verbände, in denen maximal 20 Prozent der Muslime in Deutschland organisiert sind, in ihrer Argumentation, in ihren Positionen nicht repräsentativ sind für die Mehrheit der Muslime.

    Meurer: Würden Sie es als Katholik, Herr Glück, akzeptieren, wenn Minarette höher gebaut werden als der Kirchturm nebenan?

    Glück: Ich würde sagen, genau an den Punkten entzündet sich oft die Diskussion und hier würde ich die islamische Gemeinde einfordern, dass es nicht um irgendein Prestigeobjekt geht und dass es natürlich auch darum geht, sich der einheimischen Kultur anzupassen. Es gibt ja auch neue Kulturzentren und Moscheen, wie zum Beispiel im oberbayerischen Penzberg, in denen die islamische Gemeinde bewusst angebunden hat in ihrem Baustil an den Ort, an seine industrielle Tradition, wo nicht mehr gebaut wurde in einem orientalischen Stil. Auch das ist möglicherweise eben ein kultureller Prozess der eigenen Entwicklung und natürlich muss man sich dann auch damit auseinandersetzen, wo die Grenzen sind.

    Meurer: Das heißt, Sie würden empfehlen, beim Moscheebau auf die Minarette zu verzichten?

    Glück: Nein. Ich sage jetzt nicht, dass man auf die Minarette verzichten muss. Die Freiheit muss gegeben sein. Man muss es im konkreten Fall vor Ort mit den jeweiligen rechtlichen Verfahren der Bebauung regeln. Aber ich meine, dass auch das Minarett nicht für jeden zwingend wahrscheinlich Ausdrucksform vom Islam ist. Aber viel wichtiger ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Islam, ich sage auch Auseinandersetzung. Das heißt aber auch, dass wir uns damit befassen. Wir würden es uns ja als Christen auch nicht gefallen lassen, wenn irgendwelche Extremerscheinungen bei den Christen sektenhafter Art beispielsweise, was es ja auch gibt, gleichgesetzt würden mit "die Katholiken", "die Protestanten".

    Meurer: Wo würden Sie die Höhe von Minaretten jetzt akzeptieren? In Köln sind die Bauträger dabei geblieben: Die Minarette werden 55 Meter hoch gebaut. Um keinen Meter kürzen?

    Glück: Ich werde mich nicht in einzelne lokale Dinge einmischen, das muss jeweils vor Ort entschieden werden. Aber natürlich ist auch von den Muslimen und islamischen Gemeinden zu erwarten und eigentlich einzufordern, dass auch sie ihren Beitrag leisten müssen im Aufeinanderzugehen.

    Meurer: In Deutschland, Herr Glück, klagen Anwohner ja auch immer wieder gegen das Läuten der Kirchturmglocken. Gibt es da ein gemeinsames Interesse vielleicht sogar von Christen und Muslimen in Deutschland?

    Glück: Es gibt ein gemeinsames Interesse dafür, dass die Religion einen gesicherten Freiraum haben muss. Die Frage des Glockenläutens wird auch lokal entschieden und viele Gemeinden haben aus Rücksicht auf Menschen, die beispielsweise heute in Schicht arbeiten, die nicht mehr den allgemeinen Lebensrhythmus von früher haben können, darauf verzichtet, oder läuten erst später, also jedenfalls nicht das Morgenläuten. Es geht in der Regel um das Morgenläuten.

    Auf der anderen Seite: Wir dürfen uns hier nicht bedingungslos zurückziehen in eine Allerweltkultur, in der die Wurzeln und die Prägungen unseres Landes, die aus der christlichen Tradition kommen, gewissermaßen versteckt werden. Das kann nicht die Position sein. Das ist auch nicht mehr die Kultur dieses Landes.

    Meurer: Es gab zuletzt ja auch eine viel beachtete Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, nämlich Kruzifixe in Italien – darauf bezog sich das – gehören nicht in staatliche Klassenzimmer. Haben es beide Religionen in Europa schwer?

    Glück: Generell gilt natürlich, dass in einer so säkularisierten Welt viele eben nicht mehr den Bezug haben für die Bedeutung von Religion, auch für den notwendigen Raum, den Religion braucht. Andererseits: Der Staat braucht diese Wertegemeinschaften, aber es liegt dann an uns, den Vertretern der jeweiligen Religion, bei uns konkret dann den Christen und den Katholiken, dies entsprechend deutlich zu machen, aber auch gegebenenfalls mit den Mitteln des Rechts darum zu kämpfen.

    Meurer: Wie sehr pochen Sie darauf, Herr Glück, dass auch in der Türkei Kirchtürme und christliche Kirchen gebaut werden dürfen?

    Glück: Natürlich kämpfen wir darum und das ist auch einer der wesentlichen Punkte, oder einer der Punkte, aber eben nicht ein unwesentlicher Punkt im Hinblick auf den Anspruch der Türkei, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Solange es nicht die Religionsfreiheit gibt in der Konsequenz auch, dass die christlichen Gemeinden sich dort entfalten können, kann die Türkei nicht in die Europäische Union kommen. Nur wir dürfen nicht gleichzeitig unsere Verfassung faktisch einschränken, unsere Maßstäbe für Freiheit und Religionsfreiheit, weil sie woanders noch nicht gewährt wird.

    Meurer: Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich, Herr Glück. Auf Wiederhören!

    Glück: Auf Wiederhören.