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"Wir sind noch lange nicht bei einer Großen Koalition"

Die nordrhein-westfälische SPD-Chefin Hannelore Kraft hat vor den geplanten Sondierungsgesprächen mit der CDU Bedenken gegen eine mögliche Große Koalition geäußert. Sie bezweifele, dass die CDU einen Politikwechsel mittrage.

Hannelore Kraft im Gespräch mit Sandra Schulz | 21.05.2010
    Sandra Schulz: Schon das Bild sprach Bände bei der improvisierten Pressekonferenz gestern in Düsseldorf, nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen in Nordrhein-Westfalen zwischen SPD, Grünen und der Partei Die Linke. Im Vordergrund die Spitzenkandidatinnen Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann von den Grünen, im Hintergrund mit verschränkten Armen Politiker der Partei Die Linke. Schon nach der ersten Sondierungsrunde, schon nach rund fünfstündigen Gesprächen sind die rot-rot-grünen Gedankenspiele in Düsseldorf passé. – Am Telefon begrüße ich jetzt die nordrhein-westfälische SPD-Chefin Hannelore Kraft. Guten Morgen!

    Hannelore Kraft: Schönen guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Auch an Sie noch mal die Frage: warum ging das gestern alles so schnell?

    Kraft: Schnell? – Wir haben fünfeinhalb Stunden miteinander diskutiert, wir haben das sehr ernsthaft getan, wir sind auch wirklich ergebnisoffen in die Gespräche hineingegangen, aber ich war stellenweise einfach nur entsetzt – und das ging nicht nur mir so, sondern beiden Delegationen, von Grünen und SPD – über das, was uns dort an Positionen entgegengeschlagen ist, angefangen von der Frage Demokratiefestigkeit der Linken bis hin zu dem Punkt, wie steht es eigentlich mit der Regierungs- und Koalitionsfähigkeit. Ich muss einfach sagen, das was ich vorher an Einschätzungen hatte, hat sich in dem Gespräch leider aus meiner Sicht bestätigt.

    Schulz: Können Sie das konkretisieren? Was hat Sie da so entsetzt?

    Kraft: Na ja, es ging in dem Geschichtsteil, sage ich mal, bei dem Versuch, eine gemeinsame Basis zu finden, da haben wir wirklich Relativierung, Geschichtsklitterung erfahren. Da wurde versucht, Formelkompromisse uns anzubieten. Das ist mit uns nicht zu machen. Die DDR ist und bleibt ein Unrechtsstaat. Und dann auch andere Dinge, wie beispielsweise das Berufsverbot für KPD-Mitglieder in der Bundesrepublik sozusagen auf eine Stufe zu stellen, das war für mich eigentlich undenkbar schon.

    Aber es ging mehr auch im zweiten Teil dann um die Regierungs- und Koalitionsfähigkeit. Wir haben dort versucht zu sondieren, wie ist das eigentlich jetzt in dieser schwierigen Zeit, wie kriegt man da eine Konsolidierung des Haushaltes hin; da gab es erschreckende Unkenntnis über das, was an Möglichkeiten da ist, wie man das Ganze finanzieren könnte. Nur ein Beispiel: Es wurde dann gesagt, na ja, die Situation ist schwierig, aber dann müssten wir halt über den Bundesrat mit Initiativen dafür sorgen, dass es Steuererhöhungen gibt. Dass wir im Bundesrat mit dieser Entscheidung in Nordrhein-Westfalen vielleicht eine verhindernde Mehrheit haben, aber keine, die gestalten kann, das ist offensichtlich überhaupt nicht durchgedrungen bis zur Partei Die Linke.

    Schulz: Frau Kraft, noch mal zusammenfassend gefragt. Alles in allem: Ist Ihnen der Politikwechsel in Nordrhein-Westfalen dann doch nicht so wichtig?

    Kraft: Mir ist der Politikwechsel sehr wichtig, und deshalb ging es ja auch darum: Findet man für diesen Politikwechsel eine gemeinsame Basis, gibt es eine sichere Grundlage, kann man Vertrauen bilden. Und das war gestern erkennbar, das ist nicht möglich! Ich weiß nicht, wie die Partei Die Linke und die Fraktion sich weiterentwickeln werden, aber ich glaube, das ist schlicht und einfach zu früh. Das ist keine Position, auf der man eine Regierung in solch schwieriger Zeit in Nordrhein-Westfalen aufbauen kann.

    Schulz: Sie haben nach der Wahl ja gesagt, die SPD hätte den Auftrag zur Regierungsbildung. Wie wollen Sie dem denn jetzt nachkommen?

    Kraft: Wir haben nach der Wahl gesagt, wir werden mit allen Parteien Sondierungsgespräche führen. Wir hatten sie ja gemeinsam mit den Grünen dann der FDP angeboten, die sich ihrer demokratischen Verantwortung ja aus meiner Sicht leider entzogen hat. Wir haben sie der Linkspartei angeboten, die Gespräche sind jetzt gescheitert. Folgerichtig haben wir gestern Abend der CDU dann die Gespräche angeboten. Aber eins ist klar: In die Gespräche mit der CDU gehen wir sehr selbstbewusst und sagen, wir sind gewählt worden für einen Politikwechsel in Nordrhein-Westfalen, dafür, dass wir beste Bildung umsetzen für alle Kinder, längeres gemeinsames Lernen, dafür, dass wir die Studiengebühren abschaffen, dafür, dass die Kommunen wieder solide finanzielle Grundlagen erhalten und dass es wieder sozialer und gerechter zugeht auf dem Arbeitsmarkt. Das sind die entscheidenden Punkte.

    Schulz: Frau Kraft, Sie haben ja weniger Stimmen bekommen als die CDU. Ihnen schwebt eine Regierungsbildung als Juniorpartner dann vor?

    Kraft: Nein! Wir haben – das möchte ich noch mal klar sagen -, die Wählerinnen und Wähler haben die Regierung von CDU und FDP in diesem Land abgewählt. Grüne und SPD haben eine deutliche Stimmenmehrheit erlangen können und das heißt, die Wählerinnen und Wähler wollen einen Politikwechsel. Jetzt geht es nicht darum, wer welche Posten und Pöstchen besetzt, sondern es geht um Inhalte. Die Frage, die jetzt in den Sondierungsgesprächen ansteht, ist: Ist die CDU bereit für diesen Politikwechsel, ist sie bereit, auch anzuerkennen, dass ihre Politik abgewählt worden ist.

    Schulz: Mit trotzdem, um das noch mal zu wiederholen, mehr Stimmen als die SPD ja erreicht hat. Die CDU hat jetzt schon signalisiert, dass sie nicht darauf verzichten will, den Ministerpräsidenten zu stellen. Haben Sie denn noch ein Druckmittel gegen die CDU in der Hand, von dem wir alle nichts ahnen?

    Kraft: Wir werden darüber jetzt nicht reden, sondern wir reden über politische Inhalte. Darum geht es uns und dafür sind wir gewählt worden.

    Schulz: Das wird doch ein heikler Punkt werden in den Koalitionsgesprächen. Wie wollen Sie durchsetzen, Ministerpräsidentin zu werden?

    Kraft: Wir müssen erst mal über die Hürde kommen, ob die CDU bereit ist, einen Politikwechsel mitzutragen. Ich habe daran große Zweifel, denn wir wollen diesen Politikwechsel, dafür sind wir gewählt worden.

    Schulz: Wäre es denn ein Kompromiss, dass die CDU zwar den Ministerpräsidenten stellt, der aber nicht Jürgen Rüttgers heißt?

    Kraft: Sie können mich jetzt noch fünfmal fragen um Personal und Pöstchen; darum geht es jetzt nicht und deshalb werde ich diese Fragen auch nicht beantworten.

    Schulz: Regierungsbildung funktioniert über Geben und Nehmen. Was bieten Sie der CDU an?

    Kraft: Ich glaube, wir sind in einer sehr starken Position, weil wir sehr deutlich machen können, dass wir für diesen Bereich des Politikwechsels eine Stimmenmehrheit bei Rot-Grün gehabt haben, eine deutliche Stimmenmehrheit, und darum geht es, den Wählerwillen hier auch in die Tat umzusetzen.

    Schulz: Jetzt habe ich aber nicht gehört, was Ihr Angebot ist.

    Kraft: Wir werden das miteinander besprechen, dafür führt man Sondierungsgespräche, die werde ich jetzt hier nicht öffentlich machen.

    Schulz: Wann werden Sie Neuwahlen vorschlagen?

    Kraft: Auch wir werden erst mal die Sondierungsgespräche zu Ende führen. Wir werden genauso offen und genauso gut vorbereitet in diese Gespräche hineingehen, wie wir das bisher getan haben, und dann wird man sehen, was danach an Entscheidungen zu treffen ist.

    Schulz: Können Sie das der SPD-Basis denn vermitteln, jetzt doch eine Große Koalition?

    Kraft: Noch mal: Wir sind noch lange nicht bei einer Großen Koalition, sondern wir führen hier Sondierungsgespräche mit allen Parteien, das hat der Parteivorstand auch so entschieden und diese Gespräche werden wir jetzt in aller Ruhe führen.

    Schulz: Jetzt noch mal der Blick zurück. Sie hatten sich ja dafür entschieden, erst in die Sondierungsgespräche einzutreten mit Rot-Rot-Grün, mit der Konsequenz, dass die FDP einer Ampel die Absage erteilt hat. War das vielleicht doch die falsche Reihenfolge?

    Kraft: Wir hatten zunächst mal angeboten, gemeinsam mit den Grünen, Gespräche der FDP. Die FDP hat diese Gespräche leider abgelehnt. Das bedauere ich sehr. Sie hat sich damit ihrer demokratischen Verantwortung entzogen, denn man muss unter Demokraten gesprächsbereit sein. Ich weiß nicht, was sich bei der FDP jetzt noch bewegt. Das werden wir abwarten.

    Schulz: Die nordrhein-westfälische SPD-Chefin Hannelore Kraft heute in den "Informationen am Morgen". Haben Sie vielen Dank.

    Kraft: Danke schön!