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"Wir sind von Gaddafi nicht erpressbar"

Libyens Bruttoinlandsprodukt stamme zu 50 Prozent aus dem Öl- und Gasexport, sagt der deutsche EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Deshalb sei Machthaber Gaddafi von Europa abhängig und nicht umgekehrt. Zum europäischen Ölmarkt trage Libyen nur zwei Prozent bei.

Günther Oettinger im Gespräch mit Dirk Müller | 10.03.2011
    Dirk Müller: In Brüssel begrüße ich jetzt EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Guten Morgen!

    Günther Oettinger: Guten Morgen.

    Müller: Herr Oettinger, ist Ihnen schon schwindelig vom Kopfschütteln geworden?

    Oettinger: In der Tat ist da einiges in der Information der Kunden, der Verbraucher, der Autofahrer also, falsch gelaufen, und ich glaube, dass Energie- und Klimaschutzpolitik nur mit dem Verbraucher laufen kann, und deswegen: ich baue darauf, dass der zweite Anlauf gelingt und dass in Deutschland in den nächsten Wochen Klarheit für alle Beteiligten geschaffen wird und damit die Verunsicherung über die Frage, ob E10 dem Motor und dem Auto, das man fährt, schadet, oder ob es verträglich ist, beseitigt wird.

    Müller: Hat Brüssel und Berlin geschlafen?

    Oettinger: Ich will da jetzt überhaupt keine Vorhaltungen machen, aber die Lage in Brüssel ist klar. Es waren die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, die vor einigen Jahren beschlossen haben, dass 2020, das heißt in genau neun Jahren, in unserem gesamten Energiemix 20 Prozent erneuerbare Energien sein sollen. Und darauf aufbauend hat man dann die entsprechenden Sektoren festgelegt. Zum Beispiel wollen wir im Strombereich, das heißt in der Stromumwandlung, 33 Prozent erreichen; da sind wir auch auf gutem Weg mit Wasserkraft, Windkraft, Solarenergie, Biomasse und Geothermie. Und im Transportbereich haben wir uns auf zehn Prozent beschränkt. Das heißt, wir wollen in neun Jahren im gesamten Transportbereich, Schiffe, Flugzeuge, Überlandbusse, LKW und PKW, zehn Prozent erneuerbare Energien erreicht haben. Die E5 waren dabei ein Beitrag Deutschlands bisher und in der Gegenwart, und E10 kam dann für den Verbraucher letztendlich ohne genügend Information.

    Müller: Also würden Sie ganz klar sagen, es war genügend Zeit zur Vorbereitung, und es ist dann schiefgegangen, weil die Bundesregierung nicht richtig vorbereitet hat?

    Oettinger: Wir leben in einer Marktwirtschaft. Da geht es nicht primär und nicht allein um die Bundesregierung. Sicher auch. Es geht auch um uns in der Kommission. Aber es geht letztlich auch darum, dass die Mineralöl-Industrie, die ja dann auch wiederum die großen Tankstellenketten zueigen hat, und dass die Fahrzeugbauer viel zu wenig getan haben, um dem Autofahrer jede Unsicherheit an der Zapfsäule zu nehmen. Und wer unsicher ist, der geht auf Nummer sicher, und Super plus ist zwar ärgerlich teuer, aber ist sicher, und deswegen war diese Fehlentwicklung seit Januar zu beobachten.

    Müller: Aber die Politik, Herr Oettinger, macht ja die politischen Vorgaben, die die anderen dann umsetzen müssen. Das hat offenbar nicht geklappt?

    Oettinger: Die Vorgaben sind gleich richtig. Dass wir erneuerbare Energien vorantreiben das gilt für die Stromumwandlung, gilt aber auch für den Verkehr -, halte ich für richtig. Damit ist es unsere Aufgabe, auf die Nachhaltigkeit zu achten, dass eine indirekte Landumnutzung vermieden wird, darauf zu achten. Aber zehn Prozent im Transportbereich sind, glaube ich, richtig, zumal in anderen Weltregionen der Weg genauso beschritten wird und in Nachbarländern das ganze auch problemlos läuft. Wir haben nur in der konkreten Markteinführung für ein Produkt, für E10, längst nicht genügend Fakten auf dem Tisch gehabt, und der Verbraucher hat dann gesagt, im Augenblick ohne mich, ich halte mich raus.

    Müller: Jetzt haben ja selbst die Grünen gesagt, oder ausgerechnet die Grünen, der Biosprit E10 schadet eher. Könnte das stimmen?

    Oettinger: Also es waren ja die Grünen, die das ganze vorangetrieben haben. Ich erinnere mich gut, als die Grünen in Deutschland mit allem Nachdruck Biosprit unterstützt haben. Insofern sind wir hier, glaube ich, in einer gemeinsamen Verantwortung, und es hilft nichts jetzt, dass der eine sich rauszieht und den anderen im Grunde genommen hier irgendwo schlecht machen will. Nein, es gibt Biosprit, der ist hervorragend, und es gibt Biosprit, der in der Gesamtbilanz auch Nachteile hat. Und namentlich das Thema der indirekten Landnutzung müssen wir beachten. Ich sage ein Beispiel: Wenn in einem Land wie Indonesien oder Brasilien ein Acker oder ein Reisfeld, das bisher für Nahrungsmittel diente, genutzt wird, um Früchte zu pflanzen, die Biosprit ergeben, dann ist zunächst einmal noch die Bilanz neutral. Wenn aber dann Regenwald abgeholzt wird, um dort neu Pflanzen für die Nahrung zu ziehen, dann hätten wir eine Veränderung der gesamten Bilanz, die nachteilig ist. Deswegen ist es wichtig zu sagen, beim Biosprit sind derzeit über zwei Drittel aller Produktmengen aus Europa, und wir können und wir müssen in Europa, was wir auch tun, kontrollieren, dass eine indirekte Landumnutzung vermieden wird, und wir müssen mit Ländern wie Brasilien auch Abkommen hinbekommen und kontrollieren, dass auch dort eine indirekte Landnutzung vermieden wird. Dann wäre der Weg sowohl nachhaltig und die Abhängigkeit von Rohöl und damit von diesen Ländern, von denen wir Rohöl beziehen, etwas verringert.

    Müller: Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Oettinger, Sie haben diese ganzen Bedingungen ja jetzt zum Teil auch im Konjunktiv formuliert. Das heißt, wenn die Deutschen sich jetzt gegen diesen Biosprit erst einmal entscheiden, dann haben sie keinen Ökoverrat begangen?

    Oettinger: Von Verrat kann man gleich generell nicht sprechen. Ich baue darauf, dass wir einmal irgendwann Biosprit und Bioenergie der zweiten Generation haben, also aus Strohhalmen oder gar aus Abfall. Und dafür jetzt den Markt aufzubauen, ist meines Erachtens notwendig. E5 war akzeptiert. Wir kontrollieren innerhalb von Europa schon sehr gut und wir haben auch konkrete Erhebungen, was die Importländer wie Brasilien anlangt. Aber das System ist noch nicht perfekt, wir sind noch immer relativ neu im Markt und ich glaube, es kommt jetzt dem Verbraucher darauf an, dass er Klarheit hat, sein Motor verträgt E10 oder aber eben nicht.

    Müller: Genau. Aber das können Sie noch nicht garantieren, das kann auch die EU-Kommission bei den jetzigen Erkenntnissen noch nicht garantieren, dass es so ist?

    Oettinger: Diese Garantie kann und muss die Fahrzeugindustrie abgeben. Die Fahrzeugbauer kennen ihr Auto aus dem FF, die wissen genau, wo ist Kunststoff, welche Teile für die Leitung von Benzin sind anfällig und wo nicht, und es gibt ganz klare Möglichkeiten, entlang von Baujahr und Fahrzeugklasse jedem unzweideutig zu sagen, dein Wagen verträgt E10, völlig ungefährlich und billiger als Super plus, oder einem anderen zu sagen, du musst leider teurer kaufen, Super plus ist für dich der Ausweg.

    Müller: Herr Oettinger, wenn so viele Fragen - Sie haben es ja gerade auch geschildert - noch offen sind, dann ist ja die These, dass wir möglichst schnell zumindest von einem hohen Anteil der Ölproduktion beziehungsweise des Ölkaufs wegkommen müssen, noch utopisch.

    Oettinger: Es haben ja jetzt alle Beteiligten sich verbindlich mit ihrer Verpflichtung geeinigt, sowohl die Mineralöl-Industrie und damit die Tankstellenpächter, wie die Fahrzeugbauer, wie Verbände wie der ADAC, wie die Politik, und ich glaube, dass es in den nächsten Wochen, oder sagen wir bis zum Sommer gelingen wird, dass jeder Autofahrer Klarheit hat über sein Fahrzeug und ob er E10 kaufen kann, oder ob er E10 nicht kaufen kann. Und wenn er E10 kaufen kann und das ganze verträglich ist und dafür auch die Fahrzeugbauer hinstehen und dies garantieren, dann sollte er es auch tun, denn es ist deutlich billiger und Super plus hat eine deutlich höhere Kostenentwicklung an der Zapfsäule als E10.

    Müller: Reden wir, Herr Oettinger, aus aktuellem Anlass auch gerade über die Öllieferungen aus Libyen. Wie abhängig sind wir von diesen Öllieferungen?

    Oettinger: Libyen ist ein alter, ein langjähriger Lieferant von Öl und jetzt auch von Gas nach Europa, aber ist kein Großlieferant. Wenn Sie den gesamten europäischen Markt für Öl und damit auch für Benzin und Diesel nehmen, dann trägt Libyen gerade mal zu zwei Prozent unseres europäischen Ölmarktes durch Lieferungen bei. Das heißt, eines muss klar sein: Wir sind von Gaddafi nicht erpressbar.

    Müller: In Deutschland - Entschuldigung, Herr Oettinger, wenn ich Sie unterbrechen darf - haben wir jedenfalls die Zahl gefunden, dass das eher bei sieben, acht Prozent liegt. Das ist ja schon erheblich.

    Oettinger: Sie müssen sehen: Das Gas und das Öl kommt nach Italien, an die Schweiz als Nicht-EU-Land, aber Nachbarland, Frankreich, Deutschland. Dort wird es verbraucht. Aber Öl ist ein Weltmarkt, in dem wir in Dänemark oder in Polen nahezu null Prozent aus Libyen beziehen, aber der Markt offen ist. Und indem die OPEC-Staaten, aber auch Russland und andere sich ihrer Verpflichtung bewusst sind und die Ölproduktionsmengen steigern, bin ich mir sicher, es wird durch Libyen keinerlei Verknappung von Öl und damit auch von Diesel und Benzin im Markt entstehen. Ich war letzte Woche in Wien mit dem Generalsekretär der OPEC lange im Gespräch, der mir auch dies genau bestätigte. Namentlich Russland und Saudi-Arabien werden alles tun, dass Öl nicht in zu großen Mengen, aber in der Menge, die pro Tag benötigt wird, auch da ist. Und deswegen: Libyen hat mit Sicherheit keinen Anlass und Gaddafi hat keine Möglichkeit, uns irgendwie wegen seiner Lieferungen erpressbar zu machen. Im Gegenteil: Öl aus Libyen sind zwei Prozent im europäischen Markt, Gas aus Libyen unter zehn Prozent, auch dies ist ausdehnbar. Wir haben ja erhebliche Reserven. Wir haben ja für viele Monate Öl in unseren Öltanks in Europa eingelagert. Der Markt ist flexibel. Aber umgekehrt: Gaddafi lebt mit seinem Bruttoinlandsprodukt zu 50 Prozent von Öl- und Gasexport und dem Geld, und deswegen er ist bei dem Thema abhängig von uns und nicht wir von ihm.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Oettinger: Einen recht schönen Tag.