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"Wir waren wie die Staatssklaven"

In den 80er-Jahren reisten junge Mosambikaner voller Hoffnung als Gastarbeiter in die DDR. Sie dachten, sie würden bei der Rückkehr die unabhängige, sozialistische Elite Mosambiks werden. Doch es kam anders, das zeigt das Theaterstück "Identität – eine blutige Romanze" von Jens Vilela Neumann.

Von Dagmar Wittek | 26.10.2013
    "Schichtwechsel, Leute, es muss weitergehen…(deutsch)… trabajo, trabajo, trabajo."

    "Immer nur arbeiten, arbeiten, arbeiten – die hatten mir doch versprochen, dass ich hier studieren kann."

    So hatten sie es verstanden, damals in den 80er-Jahren, als sie frohen Mutes und voller Hoffnung in die DDR reisten. Sie dachten, sie würden nach dem Bürgerkrieg die gut ausgebildete Elite eines neuen, unabhängigen, sozialistischen Mosambiks werden. Stattdessen schufteten die meisten der rund 20.000 mosambikanischen Gastarbeiter nach Plan in sozialistischen Betrieben und Fabriken.

    Der 1979 geschlossene Deal zwischen den sozialistischen Bruderstaaten war einfach: Der DDR fehlten Arbeitskräfte durch die Abwanderung in die BRD, Mosambik brauchte nach der Unabhängigkeit von den Portugiesen Fachkräfte und musste zudem Schulden abbauen. Somit erhielten die Gastarbeiter 40 Prozent der Löhne auf die Hand und 60 Prozent gingen an den mosambikanischen Staat. Sie sollten – so war es den jungen Mosambikanern versprochen worden - nach der Rückkehr ausgezahlt werden, damit sie sich eine Zukunft in Mosambik aufbauen konnten.

    Das hatten die Gastarbeiter immer vor Augen, wenn sie in Güstrow, Dresden oder Karl-Marx-Stadt Trabis zusammenschraubten, Baumwolle spannen oder - kein bisschen in die DDR-Gesellschaft integriert - in ihren kleinen Wohnheimzimmerchen hockten. Zwar gab es Gastfamilien und sogenannte Adoptiveltern, und für viele war die Weihnachtseinladung ein Highlight der interkulturellen Begegnung, aber Beschimpfungen und Rassismus gehörten auch zum Alltag.

    "Geh mal zurück ins Land des Hungers, du bist doch ein Affe, ein Schokoladen-Affe. Gibt es bei euch eigentlich Häuser?"

    Das Multimedia-Theaterstück "Identität – eine blutige Romanze" des Berliner Regisseurs Jens Vilela Neumann vermischt fiktive Geschichten mit historischem Filmmaterial. Es greift Klischees und Vorurteile auf, die beide Seiten – Deutsche von Afrikanern, aber auch Afrikaner von Deutschen - häufig haben, kokettiert mit ihnen und spitzt sie bis zur Absurdität zu, sodass jeder über sie lachen kann.

    "Das Theater hat eben die Kraft, spielerisch mit diesen Dingen umzugehen, wir versuchen nicht sie zu vermeiden, sondern wir sprechen die Klischees an, aber wir zeigen auch, dass ein Klischee eben nur ein Klischee ist. Ich glaube, dass es doch witzig geworden ist, obwohl die Thematik ja eher politisch und historisch ist, also eher trocken, aber wir haben versucht, sie möglichst komisch darzustellen."

    Am Premierenabend war der Saal gefüllt mit Hunderten Madgermanes. Die meisten waren begeistert und dankbar, dass ihre Geschichten endlich Gehör finden.

    "Es hat mir sehr gefallen, es hat genau illustriert, was damals war und jetzt auch in Mosambik. Also das ist eine tolle Geschichte, denn es wurde doch klar, dass wir waren wie die Staatssklaven."
    "Es war großartig, auch wenn dies alles nun der Geschichte angehört, wir sind immer noch da und wir gehen seit 23 Jahren auf die Straße. Wir haben uns an unseren Teil des Vertrags gehalten, hoffentlich bringt das Stück die Regierung zum Nachdenken."

    Seit 23 Jahren demonstrieren die einstigen DDR-Gastarbeiter. Jeden Mittwoch ziehen sie in Deutschlandfahnen gehüllt stundenlang durch Maputos Innenstadt. Sie sprechen von staatlichem Betrug, Diebstahl, falschen Versprechungen und verlorener Jugend. Und: Sie verlangen von ihrer Regierung die Auszahlung ihrer in der DDR gezahlten Sozialbeiträge, sowie die 60 Prozent des einbehaltenen Lohnes. In der Vergangenheit schlugen Mosambiks Sicherheitskräfte die Demonstrationen gewaltsam nieder, inzwischen werden sie schlicht ignoriert.

    Insofern: Auch wenn Jens Vilela Neumanns Inszenierung nun ein Stück weit Genugtuung und Anerkennung bietet, für die Madgermanes geht der Kampf weiter.