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"Wir werden auch nach 2014 die Afghanen nicht im Stich lassen können"

Afghanistan sei kein Rückzugsraum mehr für den internationalen Terrorismus, sagt der SPD-Politiker Rainer Arnold zehn Jahre nach Beginn des Afghanistan-Krieges. Zudem gebe es Fortschritte beim zivilen Aufbau. Allerdings werde man diesen Prozesse auch noch lange nach dem Abzug der Truppen unterstützen müssen.

Rainer Arnold im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 07.10.2011
    Tobias Armbrüster: Stefan Ueberbach berichtete, und mitgehört hat Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Schönen guten Morgen!

    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Arnold, vor zehn Jahren hat also der Krieg in Afghanistan begonnen. Was hat die Internationale Koalition in diesem Krieg, in diesem Jahrzehnt erreicht?

    Arnold: Das Hauptziel ist in der Tat erreicht worden, das Hauptziel war ja, Afghanistan darf kein Rückzugsraum für internationale Terroristen sein, es war ja vor dem Krieg ein Land, in dem Terroristen zu Tausenden ausgebildet wurden, die uns bedroht haben. Das zweite Ziel ist: Afghanistan darf kein völlig zerfallener Staat werden, weil die ganze Region daraus dann destabilisiert wird, und ich mag mir gar nicht ausmalen, was das vor allen Dingen für Pakistan bedeuten würde, und es gibt in Afghanistan trotz den schwierigen Situationen auch Fortschritte im zivilen Aufbau. Ganz oben steht da die Politik im Bereich der Bildung, im Bereich des Gesundheitswesens hat sich eine ganze Menge zum Positiven für die Menschen verändert.

    Armbrüster: Das klingt, Herr Arnold, sehr positiv. Kritiker sagen, das Land ist nach wie vor extrem instabil, und wenn die internationalen Truppen in einigen Jahren abgezogen sind, dann würden dort die Taliban erneut die Macht übernehmen. Können Sie das ausschließen?

    Arnold: Ausschließen wird man das sicherlich nicht können, aber wir müssen aufpassen, dass nicht das Ziel, der Abzug im Jahr 2014, oben ansteht, sondern das Ziel ist, Afghanistan stabil zu halten. Und das Jahr 2014 und diese Nennung des Abzugsjahres führt dazu, dass man endlich entschlossener an die Aufgaben herangeht, sowohl die Staatengemeinschaft als auch die Afghanen selbst haben viel zu lange gewartet, nicht entschlossen gehandelt, und deshalb ist die Nennung des Datums wichtig, aber gleichzeitig muss mit der Nennung des Datums verbunden sein, wir werden auch nach dem Jahr 2014 die Afghanen nicht im Stich lassen können, wir werden ihnen helfen müssen im Bereich der Polizei und der militärischen Organisationen, werden sie beraten müssen - vielleicht brauchen sie auch Logistik -, und wir werden noch über Generationen weg den zivilen Aufbau in Afghanistan unterstützen müssen.

    Armbrüster: Aber führt nicht gerade, Herr Arnold, diese konkrete Nennung des Abzugsjahres 2014 zu mehr Instabilität, weil jeder Talibankämpfer, jeder Rebell und jeder Terrorist wahrscheinlich weiß auch: Ab 2014 ist Afghanistan wieder frei?

    Arnold: Die Aufständischen haben so oder so gewusst, dass der Westen dies nicht ewig durchhält. Sie verfolgen ja auch unsere Debatten in den europäischen Ländern. Und deshalb ist diese Nennung der Jahreszahl eher ein Druckmittel, zu wissen: Jetzt muss man an die Sache dann mit großem Engagement rangehen. Und jeder weiß auch, die Auseinandersetzung in Afghanistan zwischen denen, die ein fortschrittliches Land wollen nach ihren eigenen Maßstäben - nicht nach westlichen Maßstäben, das ist auch klar -, und denen, die den Fortschritt bekämpfen - darum geht es den Aufständischen ja im Kern -, diese Auseinandersetzung ist am Ende nicht militärisch zu entscheiden, sondern diese Gesellschaft braucht auch einen Versöhnungsprozess, und sie müssen miteinander reden. Die kennen sich übrigens auch: Viele der Aufständischen und der jetzt aktiven Regierenden haben eine lange gemeinsame Biografie, und es muss ein Ausgleich in dieser Gesellschaft gesucht werden.

    Armbrüster: In Deutschland ist der Widerstand gegen diesen Krieg nach wie vor hoch, wir haben das gerade im Beitrag von Stefan Ueberbach gehört. Waren die Erwartungen am Anfang dieses Einsatzes zu hoch gesteckt?

    Arnold: Ich denke, viele haben sich das so einfach vorgestellt. Man hat inzwischen gesehen - der Irak hat das ja noch ganz, ganz deutlich bestätigt -, von außen kommend mit Hunderttausenden Soldaten, und zu glauben, dass man einen Aufbau einer Nation von außen betreiben kann, das ist ein Projekt, das eher gescheitert ist. Man würde dies heute so nicht mehr machen. Ich bin allerdings der Auffassung, es war richtig und notwendig, nach Afghanistan zu gehen. Die Staatengemeinschaft musste reagieren. Aber der Weg würde mit der heutigen Erkenntnis so nicht mehr gangbar sein.

    Armbrüster: Herr Arnold, der deutsche Einsatz wurde ja unter einem Kanzler Ihrer Partei entschieden, unter SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Hat Ihre Partei zu lange damit gezögert, das Wort Krieg in den Mund zu nehmen?

    Arnold: Nein, weil wir haben die Debatte immer auch völkerrechtlich diskutiert, und in Deutschland versteht man unter dem Krieg ja das zerstörte Dresden und eine Entgrenzung in jeder Hinsicht. Und deshalb muss man, glaube ich, vorsichtig sein. Wir gehen mit dem Wort nicht so um, wie im angloamerikanischen Sprachraum. Dort führt man Krieg gegen alles mögliche.

    Armbrüster: Sie würden es also nach wie vor nicht als Krieg bezeichnen?

    Arnold: Es ist ein nicht internationaler, bewaffneter Konflikt, und in diesem Land gibt es Situationen, in denen sich die Menschen und die Soldaten selbstverständlich vorkommen wie im Krieg, aber in diesem Land gibt es auch viele Räume, in denen Aufbau stattfindet und alles relativ stabil ist - nach dem Maßstäben eines armen Entwicklungslandes, nicht nach unseren Maßstäben. Und es ist ja auch so, der Eindruck, der Terror hat zugenommen, ist ja nur zum Teil richtig. Man hat in Afghanistan zu lange akzeptiert, dass die Terroristen ganze Täler besetzt halten, ganze Städte besetzt halten, also rechtsfreie Räume in Afghanistan da waren, und erst seit der London-Konferenz geht die Staatengemeinschaft entschieden gegen die Terroristen vor, versucht, sie dort zu verdrängen, und dies führt dann zu neuen Konflikten. In Wirklichkeit sind die Taliban auch geschwächt. Es gibt sie nicht, die großen Gefechte. Es gibt schlimme Attentate, es gibt Sprengstofffallen, es gibt Selbstmordattentäter, das ist alles ganz tragisch, aber die Taliban wurden dezimiert und geschwächt, und ein Hauptproblem liegt nicht nur in Afghanistan. Hauptproblem sind die rechtsfreien Räume im Norden Pakistans, die sind heute der Rückzugsraum für die Terroristen.

    Armbrüster: Herr Arnold, ganz kurz zum Schluss: Sind die Deutschen nach diesen zehn Jahren wieder eher bereit, in einen Krieg zu ziehen?

    Arnold: Ich denke, die Staatengemeinschaft wird sich einen Einsatz wie in Afghanistan nicht mehr so ohne Weiteres antun, die Einsätze werden anders aussehen. Wir sollten aber nicht vergessen, die Vereinten Nationen haben im Augenblick 16 Missionen in der Welt zur Stabilisierung von Ländern, und ich glaube, wir Deutschen sollten bereit sein, dort mit den Fähigkeiten, die teuer sind, die eben die Afrikaner noch nicht leisten können, zu helfen. Da geht es also weniger um Bodentruppen, da geht es eher um Lufttransporte, um Logistik, um Aufklärung und all die Dinge, und ich habe den Eindruck, die Hilfe für Länder, die vollkommen zerfallen sind, darum geht es da im Augenblick, nicht um Krieg zwischen Ländern. Die muss auch in Zukunft sein, und Deutschland sollte auch die Bereitschaft bewahren, nicht zuzuschauen, wenn es in der Welt Völkermord gibt und wenn man eingreifen kann. Leider kann man es ja nicht überall.

    Armbrüster: Heute vor zehn Jahren hat der Krieg in Afghanistan begonnen. Hier bei uns im Deutschlandfunk war das Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Besten Dank und einen schönen Tag noch!

    Arnold: Danke, auch, Herr Armbruster!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.