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"Wir werden eine optimale Versorgung haben in Deutschland"

Der Wettlauf um Impfstoffe hinsichtlich der Schweinegrippe hat offensichtlich begonnen - Deutschland hat wohl 50 Millionen Impfdosen bestellt. Jörg Hacker, Präsident des Robert-Koch-Institut in Berlin, begrüßt dies, sagt aber auch: "Man muss sicherstellen, dass vor allen Dingen die Länder, die jetzt weniger Ressourcen haben, eine Grundversorgung ebenfalls bekommen."

Jörg Hacker im Gespräch mit Bettina Klein | 15.07.2009
    Bettina Klein: Dass die Schweinegrippe mitnichten verschwunden ist, nur weil sie nicht mehr in den Schlagzeilen so häufig auftaucht, daran wurden wir gestern eindrücklich erinnert, als Einzelheiten zur geplanten Impfstrategie bekannt gegeben wurden. Die Ländergesundheitsminister haben sich auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt: Die Zahl von 50 Millionen zu bestellenden Impfdosen machte die Runde. Was dies nun in der Praxis bedeuten wird, darüber möchte ich jetzt sprechen mit Professor Jörg Hacker, er ist Präsident des Robert-Koch-Institutes in Berlin. Guten Morgen, Herr Hacker!

    Jörg Hacker: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Was bringt eigentlich die Bestellung von 50 Millionen Dosen Impfstoff, den es ja noch gar nicht gibt?

    Hacker: Ja, wir gehen davon aus, dass es den Impfstoff im Herbst geben wird, insofern ist es wichtig, schon jetzt Vorsorge zu treffen. Der Impfstoff selbst wird hergestellt werden auf der Basis von Viren, die momentan angezüchtet werden, die als Saatviren getestet werden und die den Firmen zwischenzeitlich zur Verfügung gestellt wurden, sodass wir davon ausgehen, dass wir den Impfstoff im Herbst dann auch haben können und auch einsetzen werden können.

    Klein: Weshalb haben wir ihn im Moment noch nicht, woran hapert es?

    Hacker: Na ja, das Geschehen im Hinblick auf die neue Grippe ist ja relativ frisch. Wir haben Ende April die ersten Fälle gehabt in Deutschland, dann Anfang Mai, und es dauert einfach eine gewisse Zeit, um die Viren kennenzulernen, um sie im Labor anzuzüchten, um auch die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen in den Firmen, um den Impfstoff herstellen zu können. Wir sind mit allen diesen Dingen relativ schnell, wenn man das vergleicht mit anderen Herstellungsverfahren, und wir sind optimistisch, dass im Herbst der Impfstoff dann zur Verfügung stehen wird.

    Klein: Und um das noch mal zu erklären: Die Länder bestellen diesen Impfstoff bei Pharmafirmen, und das ist möglich, auch wenn er noch gar nicht da ist?

    Hacker: Ja, das ist augenscheinlich so. Es gibt Verträge zwischen den Ländern und großen Pharmafirmen, und diese Bestellungen können entsprechend ausgelöst werden auf der Basis dieser Verträge, die bereits existieren. Und diese Pharmafirmen beginnen dann, den Impfstoff zu produzieren und herzustellen. Es ist ja ein globales Problem, was nicht nur Deutschland betrifft, auch andere Länder sind natürlich daran interessiert, diesen Impfstoff zu haben und diesen Impfstoff dann im Herbst verimpfen zu können.

    Klein: Noch ist nicht ganz sicher, welche Gruppen geimpft werden sollen. Also diese Dosen reichen wohl für ein Drittel der Bevölkerung. Was sagen Sie, wer muss in jedem Fall geimpft werden?

    Hacker: Na ja, wir sehen das im Moment auf der Basis der Daten, die vorliegen. Wir lernen natürlich täglich hinzu, was diese neue Grippe angeht. Es ist sicherlich wichtig, Personen zu impfen, die im medizinischen Dienst eingesetzt werden. Momentan sieht es so aus, wenn man vor allen Dingen die Daten aus den USA hier zurate zieht, dass Personen mit Vorerkrankungen doch stärkere Verläufe zeigen können, es wird auch berichtet im Hinblick auf Schwangere. In Deutschland haben wir bisher ja relativ wenig Fälle, 763 hatten wir gestern, und im Wesentlichen milde Verläufe. Es gibt aber Länder, wenn wir an England denken, wenn wir an die USA denken, wo wir über 10.000 Fälle haben, und dort werden dann auch schwerere Verläufe berichtet. Und das sind die Erfahrungen, die momentan vorliegen im Hinblick auf diese Bevölkerungsgruppen, die ich eben genannt habe.

    Klein: Ist es denn sinnvoll festzulegen, dass eben bestimmte Gruppe weniger gefährdet sind? Wäre es nicht sicherer zu sagen, alle müssen sich impfen lassen, oder bestehen eben dabei auch Risiken, sodass man eben andere Teile der Bevölkerung schützen möchte?

    Hacker: Na ja, man muss das Ganze auch vor dem Hintergrund der Verläufe sehen, die momentan zu beobachten sind. Wie gesagt, in Deutschland bisher milde Verläufe, die WHO selbst spricht von einer moderaten Epidemie, und da ist es durchaus nach den momentan vorliegenden Daten sinnvoll, jetzt hier bestimmte Gruppen in den Blick zu nehmen. Aber Sie haben völlig recht, man muss letztlich das Geschehen weiter beobachten und auch sehen, wie die Dynamik im Herbst dann sein wird. Im Herbst würde ja und im Winter auf der nördlichen Halbkugel die Grippesaison beginnen, deshalb ist es sehr wichtig und notwendig, das Geschehen auf der südlichen Halbkugel zu beobachten, wo wir jetzt ja doch eine gewisse Dynamik im Hinblick auf die neue Grippe sehen. Wenn wir an Südamerika denken, auch Australien, Neuseeland, alles das muss mit einbezogen werden. Aber es ist ja noch etwas Zeit, wir haben jetzt Mitte Juli, und ich denke, wir werden eine optimale Versorgung haben in Deutschland.

    Klein: Also kann gut auch sein, dass wir im Herbst so weit sind zu sagen, wir brauchen eine flächendeckende Impfung?

    Hacker: Soweit würde ich nicht gehen, aber man muss immer die Situation letztlich mit ins Kalkül ziehen. Und wir wissen nicht, wie sich die Situation im Herbst darstellen wird - das wäre ein Szenario -, aber wir werden das Ganze weiter beobachten. Auf jeden Fall ist es so, dass diese Impfstrategie ja Teil einer Gesamtstrategie ist. Es gibt Pandemiepläne, die entsprechend ausgelöst sind, Sie wissen, dass auch Medikamente eingelagert sind, dass es Vorkehrungen gibt im Hinblick auf den öffentlichen Gesundheitsdienst, ist ja jetzt auch schon so, dass Infizierte entsprechend isoliert werden, dass sie medizinisch betreut werden. Alles das muss gemeinsam in den Blick genommen werden.

    Klein: Die Weltgesundheitsorganisation warnte gestern schon vor einer Ungerechtigkeit, vor einer möglichen Ungerechtigkeit in der Verteilung der Impfstoffe, reiche Länder könnten Entwicklungsländer übervorteilen. Sehen Sie diese Gefahr auch?

    Hacker: Die Weltgesundheitsorganisation hat sich ja generell zur Frage der Impfung geäußert, hat übrigens auch bestimmte Gruppen definiert, gerade die, die jetzt in Deutschland auch angesprochen wurden, aber wir müssen sicherlich diese internationale Dimension im Auge haben. Und es ist wichtig, dass dieser Impfstoff global zur Verfügung steht. Die Weltgesundheitsorganisation hat ja vor allen Dingen die Tatsache im Blick, dass das Medizinpersonal weltweit geimpft werden sollte, und ich glaube, das können wir nur unterstützen von Deutschland aus.

    Klein: Sie können es unterstützen, aber sehen Sie die Gefahr auch, dass es eben möglich ist, dass es zu solchen Ungerechtigkeiten in der Verteilung kommen wird, der Impfstoffe?

    Hacker: Also man kann sich vorstellen, dass bestimmte Länder oder dass Länder unterschiedlich stark impfen, unterschiedlich stark bestellen. Deshalb ist es wichtig, dass wir, die Weltgesundheitsorganisation, aber auch die reichen Länder durchaus die gesamte Situation im Blick haben, hier solidarisch sind. Man muss sicherstellen, dass vor allen Dingen die Länder, die jetzt weniger Ressourcen haben, eine Grundversorgung ebenfalls bekommen, und die Weltgesundheitsorganisation spricht ja hier von zehn Prozent. Dieses Ziel müssen wir unbedingt mittragen und mit unterstützen.

    Klein: Abschließend noch kurz ein Wort bitte: Wie sehen Sie die Situation im Augenblick in Deutschland, wie hoch ist das Risiko, sich anzustecken gegenwärtig?

    Hacker: In Deutschland haben wir im Moment die Situation, dass wir täglich Zunahmen haben von Fällen. Wir haben in der letzten Woche bis zu 50 Fälle pro Tag Zunahmen gehabt, jetzt in den letzten Tagen 20 bis 30 Fälle. Es ist eine gewisse Dynamik da. Die meisten Fälle, jedenfalls in den letzten Tagen, waren wiederum Fälle, die mit Reisen assoziiert waren, dass also das Virus aus Ländern mitgebracht wurde, wo es scheinbar stärker sich ausbreitet. Es gibt aber auch durchaus kleinere Häufungen innerhalb Deutschlands, auch Übertragungen innerhalb Deutschlands. Wir müssen die Situation weiter beobachten und müssen das Notwendige tun. Es ist aber kein Grund, jetzt in Deutschland in Panik zu verfallen.

    Klein: Professor Jörg Hacker, Präsident des Robert-Koch-Institutes, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Hacker!

    Hacker: Danke schön!