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"Wir werden jetzt dafür sorgen, dass es wieder Handlungsfähigkeit gibt"

Wenn die FDP über die Koalition mit der CDU sagt, diese sei "abgearbeitet", dann gibt es "keine Handlungsfähigkeit mehr", stellt Axel Schäfer von der NRW-Landesgruppe im Bundestag fest. Eine rot-grüne Minderheitsregierung könne "faktisch alles erreichen".

18.06.2010
    Christoph Heinemann: Nach der Entscheidung für eine rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen hat die Vorsitzende der Linkspartei, Lötzsch, SPD und Grünen die Unterstützung ihrer Partei bei zukünftigen Abstimmungen im Landtag signalisiert. Es gebe zum Beispiel in der Bildungspolitik große Schnittmengen, sagte Frau Lötzsch dem "Hamburger Abendblatt".
    Erst ja, dann nein und dann doch wieder ja. Wie lässt sich Hannelore Krafts Sinneswandel erklären, hat mein Kollege Tobias Armbrüster Axel Schäfer gefragt, den Vorsitzenden der nordrhein-westfälischen Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion?

    Axel Schäfer: Am Montag hat Hannelore Kraft gesagt, "derzeit", das heißt in der derzeitigen Situation noch nicht, und es hat sich schon einiges geändert in den letzten Tagen und ich glaube, das ist jetzt der richtige Schritt, dass sie sich zur Wahl stellt.

    Tobias Armbrüster: Was hat sich denn geändert? Ist der Druck so groß geworden aus der Bundes-SPD?

    Schäfer: Nein. Die FDP hat ja erklärt, dass die Koalition in Düsseldorf, Schwarz-Gelb, dass deren Dinge abgearbeitet seien und dass die FDP sich jetzt entsprechend anders orientiert, und das heißt doch ins Deutsche übersetzt, es gibt dort keine Handlungsfähigkeit mehr bei einer Regierung, die sich auf 80 Abgeordnete von 181 stützt, und wir haben das genauso aufgenommen und gesagt, wir werden jetzt dafür sorgen, dass es wieder Handlungsfähigkeit gibt.

    Armbrüster: Heißt das, Frau Kraft will nur deshalb jetzt eine Regierung bilden, weil Pinkwart und Rüttgers in Düsseldorf nicht mehr wollen?

    Schäfer: Ja! Das eine ist, sie wollen nicht mehr, und auf der anderen Seite ist, dass man immer in Wahlen geht, um sich auch in Regierungen wählen zu lassen, und die Voraussetzungen dafür, glaube ich, sind jetzt gegeben, nachdem alle Gespräche geführt (mit allen Parteien) und nachdem sich gezeigt hat, dass es mit Schwarz-Gelb eben nicht weitergeht.

    Armbrüster: Aber das heißt jetzt nicht, dass Frau Kraft die bessere Politik machen will, sondern sie sieht sich sozusagen als eine Not-, Übergangslösung?

    Schäfer: Nein! Wir haben ja eine klare Abfolge gehabt. Wir haben uns erst darüber unterhalten, was man an Politik in Nordrhein-Westfalen ändern muss, wie gesagt in Gesprächen mit der Linkspartei, sehr lange mit der CDU, dann auch in zwei Sitzungen mit der FDP, und wir ziehen jetzt die personellen Konsequenzen, das heißt, wir streben eine Regierung aus Sozialdemokraten und Grünen an.

    Armbrüster: Was kann man denn mit einer Minderheitsregierung eigentlich erreichen?

    Schäfer: Man kann faktisch alles erreichen, weil, es gibt eine Mehrheit, eine relative Mehrheit, also 90 von 181 Abgeordneten, und das bedeutet, dass auf der anderen Seite ja nicht 91 Abgeordnete sozusagen Antikoalition bilden, oder glaubt man im Ernst, dass FDP, CDU und Linkspartei einen Block bilden und zu allen Fragen einheitlich votieren.

    Armbrüster: Bei CDU und FDP können sich das, glaube ich, sehr viele Leute vorstellen, bei der Linkspartei weniger. Heißt das möglicherweise, dass das Ganze hier ein inoffizielles rot-rot-grünes Bündnis wird?

    Schäfer: Nein! Wir haben ja bewusst gesagt, wir streben an eine Regierung Rot-Grün, die im Landtag für Mehrheiten wirbt.

    Armbrüster: Aber es ist doch bereits klar, Herr Schäfer, dass sie wahrscheinlich sehr viel Unterstützung vor allem von der Linkspartei bekommen werden.

    Schäfer: Wenn wir uns die Sondierungsgespräche anschauen mit allen drei Parteien, so haben wir festgestellt, dass die FDP sich doch in einer Reihe von Positionen bewegt hat, und ich möchte überhaupt nicht ausschließen, dass die FDP auch in Punkten zusammen mit dem stimmt, was Rot und Grün vorschlagen.

    Armbrüster: Hoffen dann die Menschen in der Landes-SPD in Nordrhein-Westfalen darauf, dass es möglicherweise im Laufe des Jahres dann doch zu einer Ampel-Koalition kommt?

    Schäfer: Ich will das überhaupt nicht ausschließen. Wir haben ja bewusst im Wahlkampf schon den Begriff geprägt, wir wollen keine Ausschließeritis, das heißt eine Offenheit für Gespräche zu Sachfragen, und die Zukunft ist immer ein Stück offen und deshalb werden wir das auch an dieser Stelle nicht ausschließen.

    Armbrüster: Wenn es nun tatsächlich in Düsseldorf zu dieser Regierungsbildung kommt, dann hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr im Bundesrat, die schwarz-gelbe Koalition in Berlin. Wie will die SPD diese Situation ausnutzen?

    Schäfer: Wir werden unsere Positionen, die in erster Linie für das Land wichtig sind, und natürlich unsere Positionen, die sozialdemokratische und grüne Politik ausmachen, die werden wir im Bundesrat einbringen. Das heißt, ein Durchregieren von Frau Merkel und Herrn Westerwelle hier im Bundestag und getragen vom Bundesrat wird es eben nicht mehr geben.

    Armbrüster: Heißt das, die SPD wird zum Dauerblockierer?

    Schäfer: Nein. Ich habe ja extra gesagt, wir wollen Politik gestalten, das heißt nicht zum Dauerblockierer, sondern wir werden schauen, was die Interessen des Landes Nordrhein-Westfalen sind, und wir werden auch schauen, wo man auf Bundesebene Einfluss nehmen kann. Das war bisher, seit es den Bundestag und den Bundesrat als zwei Verfassungsorgane gibt, also seit 1949, immer der Fall. Es war manchmal schwierig, es war in Einzelfällen auch dramatisch, aber es hat insgesamt in unserer Demokratie funktioniert.

    Armbrüster: Aber Vorhaben wie zum Beispiel die Verlängerung der AKW-Laufzeiten, oder die Kopfpauschale im Gesundheitswesen, die braucht die schwarz-gelbe Koalition wahrscheinlich gar nicht mehr als Gesetzesvorhaben einzubringen, oder?

    Schäfer: Das glaube ich auch. Verlängerung Atomlaufzeiten kommt überhaupt nicht infrage, dafür gibt es ja auch klare Regelungen, die schon die Vor-Vorgängerregierung auf Bundesebene, also mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer, getroffen haben. Das waren Regelungen, an die sich auch Frau Merkel bisher gehalten hat. Und wenn diese Vereinbarung, die ja auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens basiert, sowohl der Bürgerinnen und Bürger, aber auch der Energiewirtschaft, wenn der jetzt aufgekündigt wird, dann werden wir natürlich dieses Aufkündigen nicht mitmachen, werden das verhindern.

    Armbrüster: Da werden aber wahrscheinlich einige vor allen Dingen in der Union aufatmen, weil sie solche umstrittenen Projekte gar nicht mehr einbringen müssen?

    Schäfer: Das kann sein. Wir haben ja bei dem Bildungsgipfel, dem sogenannten, letzte Woche erlebt, dass plötzlich alle CDU-Ministerpräsidenten und CSU-Ministerpräsidenten auf die SPD-Linie eingeschwenkt sind. Also Sie sehen: Im Bundesrat ist das nicht ganz so einfach, dass man sagt, das orientiert sich nur an Parteifarben. Es geht um Länderinteressen und es geht auch schon ein bisschen differenzierter zu, als das manchmal so scheint.

    Heinemann: Axel Schäfer, der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion. Die Fragen stellte mein Kollege Tobias Armbrüster.

    <u>Zum Thema "Regierungsbildung in NRW" auf dradio.de:</u>

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