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"Wir wollen das Problem an der Grenze lösen"

Manfred Weber (CSU), Vize-Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, bekräftigt eine Lösung für die aktuelle Flüchtlingswelle an der griechisch-türkischen Grenze zu suchen. Er spricht sich für den Einsatz von Frontex-Beamten aus. Der CSU-Politiker hebt hervor, dass es EU-Recht sei, zu entscheiden, wer einreisen dürfe.

Manfred Weber im Gespräch mit Oliver Heckmann | 27.10.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon begrüße ich Manfred Weber von der CSU, er ist der stellvertretende Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Guten Morgen, Herr Weber!

    Manfred Weber: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Weber, der UN-Berichterstatter für Folter, Manfred Nowak, spricht von katastrophalen Haftbedingungen für die Flüchtlinge in den Lagern. Sie sind zum Bersten gefüllt, es fehlen Ärzte, Dolmetscher, Sozialarbeiter. Dennoch werden weiterhin Flüchtlinge nach Griechenland abgeschoben aus anderen EU-Mitgliedsländern. Muss vor diesem Hintergrund diese Praxis nicht eingestellt werden, vorerst zumindest?

    Weber: Wir haben in der Europäischen Union entschieden, dass der Staat, das Land, in dem ein Flüchtling, ein Asylbewerber zunächst ankommt, für das Verfahren zuständig ist und auch für die Abwicklung des Verfahrens. Dieses Grundprinzip ist in den Dublin-II-Verordnungen, so heißen die, fixiert und ich glaube, wir würden einen Fehler machen, wenn wir das Grundprinzip in Frage stellen, nur weil lokal an einem konkreten Grenzpunkt, in dem Fall an der griechisch-türkischen Grenze, Probleme auftreten. Was vielmehr gefordert ist, ist das, was wir jetzt machen als Europäer, nämlich an diesem Brennpunkt konkret zu helfen. Dafür haben wir Frontex und …

    Heckmann: Entschuldigung, dass ich da einhake. Wir kommen gleich auch noch mal zu Frontex. – Aber es geht ja offenbar nicht nur um Probleme an diesem einen Punkt, direkt an der Grenze, sondern um die Situation in den Flüchtlingslagern allgemein in Griechenland.

    Weber: Ja. Griechenland ist heute unser Problempunkt, und wenn Sie sich erinnern, die letzten zwei, drei Jahre haben wir sehr stark Malta und Zypern, Italien diskutiert, Lampedusa und andere Inseln im Mittelmeer. Dort ist es gelungen, mit Frontex-Einsatz, auch mit dem Gespräch mit den Herkunftsländern, dass dort die Menschen dieses tödliche Experiment nicht mehr unternehmen, übers Mittelmeer zu versuchen, nach Europa zu kommen. Die Flüchtlingswellen, das sagen auch die Experten, haben sich jetzt verlagert an die Landgrenzen. Das ist zunächst mal ein Erfolg, weil an der Landgrenze diese schrecklichen Bilder, die wir im Mittelmeer hatten, Gott sei Dank nicht mehr der Fall sind. Jetzt haben wir andere Probleme und die müssen wir jetzt lösen. Aber es sind gemeinsame Probleme und deswegen dürfen wir die Griechen da auch nicht hängen lassen.

    Heckmann: Die Entsendung von Frontex-Beamten könnte ein weiterer Schritt sein, die Festung Europas auszubauen. Doch dass Abschottung keine nachhaltige Lösung ist, Sie haben es gerade eben schon selber angedeutet, das hat die Vergangenheit erwiesen, oder?

    Weber: Wenn wir einen Blick auf die Rechtslage werfen, dann gibt es keine Festung Europa. Europa definiert in vielen, vielen einzelnen Punkten, dass wir Menschenrechte einhalten wollen, die Rechte von Familien, die Rechte von Frauen, von Kindern. Wir haben separate Regelungen für unbegleitete Kinder, unbegleitete Minderjährige. Wir haben klar geregelt, dass Flüchtlinge nicht in Gefängnissen untergebracht werden dürfen, weil es keine Verbrecher sind. Und wir haben auch klar geregelt auf europäischer Ebene, dass nur individuell abgeschoben werden kann, nicht Massenabschiebungen möglich sind. Das ist die Rechtslage. Wenn aber im Einzelfall was anderes passieren sollte, was natürlich immer sein kann …

    Heckmann: Zum Beispiel in Griechenland.

    Weber: …, dann ist die Kommission gefordert als Hüterin der Verträge, das, was vereinbart worden ist zu prüfen, auch zu sanktionieren, wenn das nicht vollzogen wird. Aber von der Rechtslage her ist Europa ein Raum des Rechts und ist offen für die Menschen, die Hilfe brauchen. Das Problem ist aber natürlich, dass auch viele kommen, die keinen klassischen Flüchtlingsstatus haben, die eben nicht politisch verfolgt sind, oder aus humanitären Gründen hier aufgenommen werden müssen, sondern die halt kommen, weil sie Wirtschaftsflüchtlinge sind. Dann muss auch Europa das Recht haben, an der Grenze zu sagen, du darfst rein, weil wir dir helfen wollen, weil du Flüchtling bist, weil du Hilfe brauchst, und du darfst aber auch nicht rein, weil wir eben Zuwanderungsrecht haben, das umgesetzt werden muss in der Europäischen Union.

    Heckmann: Aber diese Menschen suchen sich neue Wege?

    Weber: Die suchen sich neue Wege, aber die Lösung kann ja nicht sein, dass wir zukünftig keine Grenzsicherung mehr machen. Wir müssen an der Grenze – und das ist das Recht jedes Staates, an der Grenze zu definieren, du darfst rein und du darfst eben auch nicht rein. Dafür haben wir Zuwanderungsrecht. In Griechenland, bei uns in Deutschland wird sehr heftig diskutiert. Das heißt, wir haben Zuwanderungsrecht und das muss auch umgesetzt werden.

    Heckmann: Aber müsste nicht das Problem an der Wurzel, nämlich in den Herkunftsländern selbst angepackt werden?

    Weber: Absolut! Nur das ist eben auf einem Kontinent wie Afrika enorm schwer, oder denken Sie an den Irak/Iran-Bereich, wo es natürlich nicht von heute auf morgen gelingt, stabile Verhältnisse zu schaffen, die dann wirklich den Menschen eine Perspektive geben, wenn ich an die irakischen Christen zum Beispiel denke. Das heißt, das ist das erste Ziel. Wir müssen dort eine Heimathilfe und Perspektive aufbauen. Aber das lässt sich eben nicht kurzfristig lösen.

    Heckmann: Die Entsendung von Grenzbeamten, Herr Weber, ist das eigentlich ein Zeichen der europäischen Solidarität, oder zeigt das nicht vielmehr, dass die EU-Binnenländer wie Deutschland Politik auf Kosten der Mittelmeeranrainer machen, denn die Aufnahmeländer, die werden mehr oder weniger mit den Problemen alleine gelassen, die Flüchtlinge werden weiter abgeschoben, obwohl etwa "Pro Asyl" sagt, dass von geregelten Asylverfahren in Griechenland gar keine Rede sein kann?

    Weber: Zum einen ja, es ist richtig: Der deutsche Asylkompromiss in den 90er-Jahren wäre ohne Europarecht, ohne die grundlegende Entscheidung, dass man Flüchtlinge auch in die Erstländer zurückschieben kann, nicht möglich gewesen, auch das Senken der Zahlen in Deutschland. Wir profitieren also massiv von diesen Spielregeln. Aber wenn man einen Blick auf die Zahlen wirft, dann ist man zum Beispiel beim Jahr 2009, also letztes Jahr, schon verblüfft, dass wir in Deutschland 27.000 Verfahren hatten, über 27.000, und in Griechenland hatten wir 14.000. Das heißt, die Verhältnismäßigkeit ist jetzt nicht so, dass wir Deutschen gar keine Verfahren mehr hätten. Wir sind entlastet, massiv, ja, das ist richtig, aber wenn man heute einen Blick auf die Statistik wirft, dann stellt man fest, dass zum Beispiel Staaten wie Malta, Staaten wie Zypern, sehr kleine Staaten, deutlich mehr schultern müssen pro Einwohner sozusagen, als das Griechenland oder Deutschland macht. Deswegen ist es richtig, dabei zu bleiben, dass wir sagen, die Außengrenzensicherung Europas – und an der griechisch-türkischen Grenze wird auch die deutsche Grenze mit gesichert, wenn man es mal so sagen darf -, die Außengrenze Europas ist eine europäische Aufgabe und wir wollen das Problem an der Grenze lösen und nicht mit internen Verteilsystemen, dass wir sozusagen jetzt wieder irgendwelche Quoten aufnehmen sollten von denen, die dort anklopfen.

    Heckmann: Die Türkei verhandelt derzeit über einen Beitritt zur EU. Kann man von diesem Land mehr erwarten bei der Eindämmung der Flüchtlingsströme?

    Weber: Ja, man muss mehr erwarten! Die Türkei ist immerhin ein Beitrittskandidat zur Europäischen Union. Ich als CSU-Vertreter bin der Meinung, dass wir auch Grenzen bei einer Erweiterung diskutieren müssen. Aber heute hat die Türkei Beitrittsstatus und ich bin schon überrascht, dass sie derzeit keine Anstalten macht und keine Beiträge bringt, die gemeinsame Grenze zu sichern. Eine Grenze kann man ja immer von beiden Seiten her sichern und da haben die europäischen Spielregeln, die heute in Europa gelten, die Türkei für sich nicht akzeptiert und nicht ablehnt, obwohl sie Mitglied im Club werden will. Das gilt übrigens nicht nur für die Grenzsicherung, sondern auch für die Rückführung von abgelehnten Bewerbern. Wir schaffen es mit vielen Mittelmeeranrainern, ein Rückführungsabkommen zu schließen als Europäer, das heißt, die abgelehnten, dass die wieder nach Hause gehen. Mit der Türkei gelingt das nach wie vor nicht, und das, denke ich, zeigt keinen europäischen Geist, oder zu wenig europäischen Geist, der etwa in der Türkei vorhanden ist.

    Heckmann: Über die EU-Flüchtlingspolitik haben wir gesprochen mit Manfred Weber von der CSU. Er ist der stellvertretende Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Herr Weber, danke für Ihre Zeit!

    Weber: Ich bedanke mich.