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"Wir wollen das Rentenniveau sichern"

In der SPD bestehe inzwischen eine "sehr, sehr große Einigkeit", das derzeitige Rentenniveau von rund 50 Prozent zu halten, sagt Sascha Vogt. Mit dem Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes liege auch bereits ein Finanzierungsmodell vor, so der Juso-Chef. Bei der Lösung dieser Frage müssten alle Seiten in der Partei aufeinander zugehen. Dazu gehöre auch Peer Steinbrück.

Sascha Vogt im Gespräch mit Silvia Engels | 29.10.2012
    Silvia Engels: In der SPD ist der Streit um die Linie bei der Rente nicht gelöst. Soll man vom einst beschlossenen Konzept der Rente mit 67 abrücken? Der linke Flügel fordert das vehement. Kanzlerkandidat Steinbrück und Fraktionschef Steinmeier halten daran fest. Heute berät darüber eine Arbeitsgruppe der SPD, Ende November soll dann entschieden werden. Einer der Gegner der Rente mit 67 ist der Chef der Jungsozialisten, Sascha Vogt. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Vogt!

    Sascha Vogt: Einen schönen guten Morgen.

    Engels: In der "FAZ Sonntagszeitung" wurde gestern der frühere SPD-Chef Franz Müntefering zitiert. Er war ja in der Großen Koalition maßgeblich mitverantwortlich für die Rente mit 67 und er sagte, ich bin stolz darauf, wie viel wir erreicht haben. Warum sind Sie es nicht?

    Vogt: Weil ich glaube, dass die Rente mit 67 an zwei Punkten sehr ungerecht ist. Zum einen gibt es nicht genügend Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere Menschen, zum anderen gibt es viele Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht bis 67 arbeiten können, und für diese beiden Personengruppen ist es dann eine Rentenkürzung. Aber auf beide Punkte hat die SPD inzwischen auch eine Antwort und die Frage der Rente mit 67 ist ja eigentlich bereits seit dem letzten Bundesparteitag für uns geklärt. Wir wollen eben sie erst dann einführen, wenn es genügend Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, und wir wollen flexible Übergänge schaffen.

    Engels: Aber eine Rückkehr zur Rente mit 65 sei nicht bezahlbar. Das sagt ja nicht nur Herr Müntefering, sondern das sagen auch viele Experten. Haben Sie darauf schon eine Antwort?

    Vogt: Es gibt niemanden in der SPD, oder nur ganz wenige Leute, die jetzt eine Rückkehr zur Rente mit 65 fordern. Wir haben uns auf dem letzten Bundesparteitag darauf geeinigt, eben genau diese beiden Ergänzungen zur Rente mit 67 vorzunehmen, sie eben erst dann einzuführen, wenn es genügend Beschäftigungsmöglichkeiten gibt – da sind auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gefragt – und zum anderen über Verbesserungen bei der sogenannten Erwerbsminderungsrente eine Brücke für diejenigen zu bauen, die mit Ende 50, Anfang 60 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können. Das alles ist finanzierbar und dementsprechend mache ich mir da gar keine Sorgen.

    Engels: Auch nicht um die jungen Beitragszahler, die dann möglicherweise doch höhere Rentenbeiträge zahlen müssten? Das können Sie als Chef der Jungsozialisten ja eigentlich nicht fordern.

    Vogt: Ich glaube, wir sollten auch den jungen Menschen reinen Wein einschenken. Der demografische Wandel wird so oder so Geld kosten. Das was Schwarz-Gelb möchte, ist eine weitere Privatisierung der Rente. Das müssen die Beschäftigten alleine tragen. Wir sind für eine Stärkung der paritätisch finanzierten gesetzlichen Rentenversicherung, wo auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihren Beitrag leisten müssen. Und ich glaube, es ist auch ein Gebot der Solidarität, dass zum Beispiel Leute, die mit Ende 50 gesundheitlich nicht mehr können, dann auch in den Ruhestand gehen können und einen schönen Lebensabend verbringen können.

    Engels: Das heißt, die Jusos bei Ihnen freuen sich schon darauf, höhere Beiträge zu zahlen?

    Vogt: Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat ein Finanzierungskonzept vorgelegt, wo wir zumindest für die nächsten 20 Jahre das Steigen der Beiträge in gewissen Grenzen halten können, indem man zum Beispiel darauf verzichtet, im kommenden Jahr den Rentenversicherungsbeitrag erst mal zu senken, und dann schrittweise auf die 22 Prozent anzuheben, die ohnehin gesetzlich schon vorgesehen sind im Jahr 2030. Ich glaube, mit diesem Vorschlag wird niemand übermäßig belastet.

    Engels: Derzeit ist die SPD ja noch nicht ganz einig, in welche Richtung genau ein neues Rentenkonzept ausgehen soll. Es gibt nun einen Kompromiss aus Nordrhein-Westfalen vom Wochenende. Dort hat der Landesparteirat sinngemäß beschlossen, wir lassen das Rentengesetz erst einmal unverändert, setzen aber auf gesetzlichen Mindestlohn und entscheiden dann 2020 über eine Gesetzesänderung, was das Rentenniveau angeht. Sind Sie dabei?

    Vogt: Ich freue mich erst mal, dass anscheinend Bewegung in die Debatte kommt und dass anscheinend eine sehr, sehr große Einigkeit in der SPD darüber besteht, dass man das Rentenniveau sichern muss. Das sieht im übrigen auch der Beschluss des Landesverbands Nordrhein-Westfalen vor, ähnlich wie die SPD Berlin es beschlossen hat, wo auch drinsteht, wir wollen das Rentenniveau erst mal sichern. Nun wird es in den nächsten Tagen sicherlich noch im Hintergrund die eine oder andere Diskussion geben. Wir sind der Meinung, wir sollten das Rentenniveau bei den aktuellen rund 50 Prozent einfrieren. Wir entscheiden darüber Ende November auf einem kleinen Parteitag und bis dahin werden wir sehen, wie dann einzelne Maßnahmen zu bewerten sind.

    Engels: Der Knackpunkt scheint ja zu sein, wenn man diese 50,4 Prozent des jetzigen Rentenniveaus ungefähr festhalten will – das entspricht dann 50 Prozent des Durchschnittslohns -, dass dann die Frage ja ist, ob man dazu das Gesetz im Falle eines Wahlsieges ändert, oder ob man es erst mal so laufen lässt. Beharren Sie darauf, dass direkt nach einem Regierungswechsel hier wirklich das Rentengesetz geändert wird?

    Vogt: Ich halte das für eine technische Frage. Die entscheidendere Frage ist für mich erst mal, sind wir bereit, auch die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, und da möchte ich noch einmal auf den Finanzierungsvorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes hinweisen, den auch die NRW-SPD positiv aufgreift, in dem wir darauf verzichten, die Rentenversicherungsbeiträge zu senken und sie schrittweise in kleinen Schritten bis zum Jahr 2025 auf die genannten 22 Prozent zu erhöhen. Damit hätten wir genügend finanziellen Spielraum, um das Rentenniveau zu sichern, und ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Und wie man damit dann technisch im Gesetz oder außerhalb des Gesetzes umgeht, ist für mich dann erst mal eine nachrangige Frage.

    Engels: Das heißt, einem möglichen Kanzler Steinbrück würden Sie an diesem Punkt dann Beinfreiheit gewähren, weil er dann nicht direkt die Rentengesetze ändern müsste?

    Vogt: Das wird die Partei sicherlich jetzt erst mal entscheiden. Wir haben ja noch ein paar Diskussionen vor uns, bis zum kleinen Parteitag Ende November sind noch einige Wochen Zeit und in dieser Zeit werden wir uns das sicherlich auch noch mal genau anschauen, dass wir unser Ziel, das Rentenniveau zu sichern, auch wirklich erreichen können. Aber ich glaube, das ist dann eine fachpolitische Frage, die man im Hintergrund klären muss.

    Engels: Bleiben wir beim Stichwort Peer Steinbrück. Der Kanzlerkandidat der SPD hat gestern in der ARD gesagt, kein Mensch in der SPD strebe die 43 Prozent Rentenniveau im Jahr 2030 als Zielmarke an. Es gelte zu intervenieren, damit dieses Niveau nicht käme. Aber im Gesetz von Rot-Grün von 2002 steht doch explizit drin, dass das gesetzliche Rentenniveau auf 43 Prozent sinken kann, ohne dass gegengesteuert werden muss. Argumentiert Peer Steinbrück hier unkorrekt?

    Vogt: Nein, tut er nicht. Er sagt, die Politik muss intervenieren, und das steht so im Gesetz drin, wenn die 43 Prozent unterschritten werden, oder es droht, dass sie unterschritten werden.

    Engels: Aber bis dahin eben nicht!

    Vogt: Bis dahin eben nicht! Und wenn auch Peer Steinbrück es so sieht, dass niemand das Ziel hat, das Rentenniveau auf 43 Prozent senken zu lassen, begrüße ich das sehr. Dann zeigt sich eben, dass in den vergangenen Tagen wirklich erheblich Bewegung in die Debatte gekommen ist. Ich glaube, das ist für uns schon ein erster Schritt hin zu einer Verständigung innerhalb der Partei. Wir sind der Meinung, dass die Politik aber bereits intervenieren müsste, wenn wir die 50 Prozent-Marke reißen. Darum geht es: haben wir das Ziel, das Rentenniveau bei diesen rund 50 Prozent zu stabilisieren ja oder nein. Das muss jeder Beschluss der Partei deutlich machen, ohne das geht es nicht.

    Engels: Das heißt aber, Peer Steinbrück ist Ihnen, also dem linken Parteiflügel gegenüber, eingeknickt?

    Vogt: Ich würde nicht sagen, dass er eingeknickt ist, aber bislang hat Peer Steinbrück eine Äußerung von sich gegeben. Wir werden in den nächsten Wochen über das eine oder andere zu diskutieren haben, im Parteivorstand und auf dem kleinen Parteitag. Dazu wird sich auch Peer Steinbrück sicherlich positionieren. Und ich glaube, eine Lösung in der Frage werden wir nur bekommen, wenn sich alle Seiten aufeinander zubewegen. Das umfasst auch Peer Steinbrück.

    Engels: Sascha Vogt, er ist der Chef der Jungsozialisten. Wir sprachen mit ihm über den noch nicht ganz beigelegten Streit in der SPD über die Rente. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.

    Vogt: Ich danke auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.