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"Wir wollen den Eltern nicht mit dem Strafrecht drohen"

Für Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beschneidung von Jungen grundsätzlich "in Ordnung". Allerdings hätten aus seiner Sicht die Beteiligung und ein Vetorecht des Kindes stärker berücksichtigt werden müssen.

Heinz Hilgers im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 26.09.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Ein Urteil des Landgerichts Köln hatte im Mai dieses Jahres erheblichen Wirbel ausgelöst. Die Richter kamen zu dem Schluss, eine Beschneidung von Jungen, die nicht medizinisch notwendig ist, stellt eine strafbare Körperverletzung dar, auch wenn sie religiös motiviert ist. Jüdische und muslimische Verbände protestierten heftigst, sogar vom Ende des jüdischen Lebens in Deutschland war die Rede. Der Deutsche Bundestag hat vor der Sommerpause die Bundesregierung aufgefordert, ein Gesetz vorzubereiten, das die Beschneidung straffrei stellt, und das Bundesjustizministerium hat jetzt ein entsprechendes Eckpunktepapier vorgelegt.

    Am Telefon begrüße ich den Präsidenten des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, der sich in der Vergangenheit immer gegen die Beschneidung von Jungen im Säuglingsalter beispielsweise ausgesprochen hat. Schönen guten Tag, Herr Hilgers.

    Heinz Hilgers: Ja ich grüße Sie, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Hilgers, das Eckpunktepapier des Justizministeriums liegt jetzt vor. Demnach ist eine Beschneidung weiterhin Körperverletzung, aber nicht rechtswidrig und damit nicht strafbar, wenn sie das Kindeswohl nicht gefährdet. Sind Sie damit zufrieden?

    Hilgers: Ja, bedingt. Also zunächst einmal ist es ja so, dass der Kinderschutzbund für das Recht auf körperliche Unversehrtheit eines jeden Kindes eintritt und natürlich auch für das Recht eines Kindes auf Beteiligung, auf Partizipation, darauf, gehört zu werden und gefragt zu werden.

    Heckmann: Das ist bei Säuglingen natürlich schwer möglich.

    Hilgers: Das ist richtig. Deswegen ist es ja so, dass zunächst auch Vater und Mutter oder Mutter und Vater im besten Interesse des Kindes handeln sollen, und das ist auch eine Entscheidung, die sie treffen müssen. Aber wir sind auch dagegen, dass Staatsanwalt und auch das Familiengericht in solchen Fällen in die Familie eingreift, denn zunächst einmal haben auch jüdische Eltern und auch muslimische Eltern und Kinder eine liebevolle Beziehung zueinander und eine tragfähige Beziehung und eine Bindung und mit einem Einsatz der Staatsanwaltschaft und auch mit einem Entzug des Sorgerechtes würde diese Bindung zerstört und den Kindern ein Entwicklungsschaden zugefügt, der dringend vermieden werden muss, und deswegen sind wir nicht dafür, dass Eltern, die sich für eine solche Beschneidung entscheiden, die dann fachgerecht durchgeführt wird, bestraft werden.

    Heckmann: Wird denn dann das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit mit diesem Gesetz ausreichend berücksichtigt?

    Hilgers: Was uns nicht gefällt ist, dass der 1626 BGB, der mal ganz kurz in dem Eckpunktepapier erwähnt ist, …

    Heckmann: Das müssen Sie kurz erklären.

    Hilgers: Ja. Das ist die Pflicht der Eltern, auch ihr Kind zu beteiligen und seine Meinung angemessen zu berücksichtigen. - …, dass der sozusagen nicht weiter ausgeführt wird und dass er auch nicht überprüft wird vom Arzt, und das, denke ich, wäre dringend notwendig. Ein Arzt muss einen sechsjährigen Jungen aufklären darüber, was jetzt mit ihm geschieht, wie bei jeder anderen Operation auch - das gehört zu den Regeln der ärztlichen Kunst – und muss ihn auch über die Folgen aufklären, und wenn das Kind dann Nein sagt, dann heißt das auch Nein und dann ist das ein Veto.

    Heckmann: Aber im mosaischen Glauben, Herr Hilgers, ist es ja so, im jüdischen Glauben ist es ja so, dass Jungen im Säuglingsalter am achten Tag, glaube ich, beschnitten werden sollen - so wird es zumindest interpretiert und auch praktiziert -, und das wäre ja in Zukunft weiterhin möglich.

    Hilgers: Das wäre dann möglich und das wäre auch natürlich in den anderen Fällen möglich, weil ich glaube, dass auch in vielen muslimischen Familien es eine religiöse Erziehung gegeben hat, die dazu führt, dass auch die Kinder einwilligen und sich auf dieses Fest freuen mit den Eltern. Das ist jetzt nicht der Punkt. Der Punkt ist: Wenn sie ein Veto einlegen, dann sollte dieses Veto auch gelten. Wenn Sie jetzt ansprechen, dass das weiterhin möglich wäre, dann muss ich konstituieren: ja, das wäre möglich. Trotzdem wirbt der Kinderschutzbund mit großer Wertschätzung und gegenseitiger Achtung bei allen Eltern dafür, dieses durch einen anderen rituellen Vorgang zu ersetzen und die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder zu achten. Das ist eine werbende Haltung, die wir haben, aber wir wollen den Eltern nicht mit dem Strafrecht drohen.

    Heckmann: In dem Eckpunktepapier ist jetzt zu lesen, dass diese Beschneidung straffrei bleibt, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird und wenn es eine gebotene und wirkungsvolle Schmerzbehandlung gibt – wohl gemerkt eine Schmerzbehandlung. Eine Betäubung ist nicht vorgeschrieben. Was halten Sie von diesem Punkt?

    Hilgers: Die Urologische Gesellschaft in Deutschland sagt dazu, dass bei einem Säugling ausreicht eine anästhesierende Salbe und ein Zäpfchen. Das heißt, dass eine Betäubung bei einem Säugling noch nicht notwendig ist. Bei einem sechsjährigen …

    Heckmann: Da gibt es aber durchaus auch andere Einschätzungen, nämlich dass das Schmerzempfinden auch von Säuglingen extrem gut ausgebildet ist.

    Hilgers: Ja. Aber der Vorgang dauert etwa zehn Sekunden. Nach Aussagen der Urologen dauert er zehn Sekunden und in der Zeit würde wohl die Salbe die anästhesierende Wirkung mit Sicherheit behalten, auch noch darüber hinaus, sodass ein Schmerzempfinden nicht entsteht. Nun bin ich kein Mediziner und wir sind ja darauf angewiesen, was die Fachleute uns in unserem Lande dazu sagen. Die Deutsche Urologische Gesellschaft hat gegenüber dem Ministerium entsprechend Stellung genommen und das muss ich ja dann auch erst einmal so hinnehmen. Bei einem Sechsjährigen sind dann natürlich schon – das sind im Wesentlichen die türkischen muslimischen Jungen – weitere entweder örtliche Betäubungen, oder Narkosen notwendig.

    Heckmann: Jetzt hat es eine heftige Diskussion gegeben, Herr Hilgers, um das Recht auf Beschneidung in den letzten Wochen und Monaten. Da wurde die These in den Raum gestellt, dass die betroffenen Kinder traumatisiert würden durch die Beschneidung. Ist diese ganze Aufregung also ein bisschen übertrieben?

    Hilgers: Dafür gibt es keinen Beleg. Dazu hat sich auch geäußert der Verband der Deutschen Psychotherapeuten, und der sagt ganz klar, dass es keinen Beleg für eine solche Traumatisierung gebe. Aber es gibt natürlich Traumatisierungen in Einzelfällen. Auch ich habe ganz schreckliche Videos zugespielt bekommen und auch Briefe von Betroffenen, die mit Gewalt beschnitten worden sind als Sechs-, Sieben-, Achtjährige, wo sie dann von Familienmitgliedern festgehalten wurden und ein Onkel sozusagen in der Küche mit dem Rasiermesser die Beschneidung durchgeführt hat, und die sind natürlich traumatisiert. Aber das soll ja auch durch diese Regelung verboten und unter Strafe gestellt werden.

    Heckmann: Unterm Strich, wenn man jetzt einen Strich darunter zieht, ist die Regelung, sind die Eckpunkte, die jetzt vorgelegt wurden, aus Ihrer Sicht in Ordnung?

    Hilgers: Bis auf den Punkt Beteiligung des Kindes und Vetorecht des Kindes auch schon im Grundschulalter sind die Eckpunkte so in Ordnung. Wir als Kinderschutzbund werben trotzdem dafür, dass die Eltern in diesen und auch in allen anderen Fällen, von der Tätowierung bis zum Piercing und zum Ohrloch stechen, die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder achten, und wir werden in all unseren Beratungsgesprächen, in unseren Werbebroschüren, in unseren Kampagnen darauf hinweisen, dass wir die Eltern sehr herzlich drängen und bitten, das alles nicht zu tun, den Eingriff zu verschieben, oder aber ihn durch eine andere rituelle Handlung zu ersetzen.

    Heckmann: Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, war das hier live im Deutschlandfunk. Herr Hilgers, danke Ihnen für das Gespräch.

    Hilgers: Danke.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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