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"Wir wollen diese Hartz-IV-Reform in dieser Form nicht"

Heute wird die umstrittene Fünf-Euro-mehr-Regelung für Hartz-IV-Empfänger wohl mit der Regierungsmehrheit abgesegnet. Im Bundesrat bräuchte die Regierung dagegen die Stimme der saarländischen Grünen. Hubert Ulrich entgegnet: Ohne Nachbesserung keine Zustimmung.

03.12.2010
    Dirk Müller: Das Fünf-Euro-Gesetz, das so viele Vorwürfe, Anfeindungen und so viele Kampfansagen in der Politik ausgelöst hat, kommt heute unter den Hammer im Bundestag: die umstrittene Neuregelung zu Hartz IV. Fünf Euro mehr, so das Angebot der Koalition, das ist aber nur eine Nuance bei den neuen Regelsätzen, vom finanzierten Internet-Anschluss über das gestrichene Glas Bier bis hin zu den Gutscheinen für Turnverein und Schwimmbad. Aber was kommt nach dem Bundestag? Damit ist das Gesetz nämlich noch nicht Gesetz, denn die Länderkammer muss auch noch zustimmen, und da waren sich Sozialdemokraten, Grüne und Linke bislang sicher, dass dies eben nicht klappt, wegen der eigenen Mehrheit im Bundesrat. Aber seit den Ereignissen in Hamburg fehlen Union und FDP nur noch eine Stimme, um Hartz IV doch noch durchzusetzen, und diese fehlende Stimme könnte aus dem Saarland kommen, von den jamaikanischen Grünen.
    Bei uns am Telefon ist nun der grüne Landes- und Fraktionschef im Saarland, Hubert Ulrich. Guten Morgen!

    Hubert Ulrich: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Ulrich, sind Sie etwa käuflich?

    Ulrich: Nein, das sind wir nicht und Herr Oppermann betreibt hier einfach ein durchschaubares Spiel. Er versucht, eben die Grünen mit seiner Argumentation bundesweit zu diskreditieren. Er würde besser mal in die eigenen Reihen schauen und acht Tage zurückgehen in die Abstimmung vom Bundesrat, als es um die Atomfrage ging. Dort hat nämlich die SPD gepatzt bei den Atomlaufzeitverlängerungen, indem SPD-geführte Länder einfach nicht da waren und somit der CDU zu einer Mehrheit verholfen haben. Das ist ein echter Skandal und damit sollte sich der Herr Oppermann mal befassen.

    Müller: Also die Sozialdemokraten sind schon gar nicht mehr die Freunde der Grünen?

    Ulrich: Doch. Um Gottes willen! Auf Bundesebene haben wir ja eine Chance mittlerweile nach den Umfragen, eine rot-grüne Mehrheit wieder hinzukriegen. Insofern gibt es da durchaus eine Nähe zu den Sozialdemokraten. Aber an dieser Stelle versucht Herr Oppermann, eben die Grünen bundesweit zu diffamieren und insbesondere die saarländischen Grünen.

    Müller: Wir haben eben Thomas Oppermann ja im O-Ton gehört. Er hat gesagt, die Grünen, die sind in der Lage, das Ganze zu vermasseln. Wollen Sie ein Vermasseler sein?

    Ulrich: Nein, darum kann es ja nicht gehen. Die Haltung der Grünen im Saarland und damit auch die Haltung des Saarlandes ist eine Enthaltung, ist ein Nein im Bundesrat zu der vorgelegten Hartz-IV-Reform der Bundesregierung. Wir wollen diese Hartz-IV-Reform in dieser Form nicht, wir wollen da deutliche Nachbesserungen. Und die ganze Diskussion ist einfach nur entstanden, weil vor zwei Tagen die Journalisten bei mir angerufen haben und einfach gefragt haben, was wir denn tun, wenn es ein wie auch immer geartetes Angebot der Bundesregierung gibt. Ich habe gesagt, wenn ein solches Angebot kommt, werden wir das natürlich zunächst mal zur Kenntnis nehmen, werden darüber beraten, dann werden wir eine Entscheidung treffen, und dann käme es natürlich ganz entscheidend darauf an, was dieses Angebot natürlich enthält, und wir wollen da natürlich auch reden zum Beispiel über einen gesetzlichen Mindestlohn, den wir ja wollen. Da würden wir zum Beispiel auch reden darüber, wie die Sätze auszusehen haben, und so weiter und so fort, also Punkte, über die auch gesprochen werden wird, wenn das Gesetz abgelehnt wird im Bundesrat und dann in den Vermittlungsausschuss geht.

    Müller: Herr Ulrich, um da noch mal in der Reihenfolge zu bleiben. Sie werden hier zitiert mit der Antwort, also ich bin da durchaus gesprächsbereit. Jetzt haben das offenbar die Medien ganz falsch verstanden. Es ging also nicht darum, über völlig andere Dinge zu reden, sondern Sie sind gesprächsbereit, wenn sich bei Hartz IV was ändert.

    Ulrich: Ja, natürlich! Das spielt natürlich auch da eine große Rolle. Wie gesagt, so genau spezifiziert war die Frage nicht. Die Frage war einfach nur, wie wir uns als Grüne im Saarland verhalten würden, wenn die Bundesregierung ein Angebot macht, und da habe ich natürlich gesagt, was man nur sagen kann in diesem Fall: wir werden uns das anhören und werden in der Partei, in der Parteiführung darüber beraten und werden dann entscheiden. Und dann wie gesagt kommt es ganz entscheidend auf den Inhalt des Angebotes an. Wenn da entscheidende Verbesserungen drin sind, mit Blick auf das Hartz IV-Gesetz, sind wir natürlich gesprächsbereit, aber ich erwarte ein solches Angebot überhaupt nicht. Ich gehe nicht davon aus, dass die Bundesregierung dem Saarland ein solches Angebot machen wird.

    Müller: Also es gibt kein saarlandspezifisches Angebot, von dem Sie ausgegangen sind beziehungsweise von dem Sie gedacht haben, dass man das thematisieren könnte?

    Ulrich: Nein, das gibt es nicht.

    Müller: Und Sie bleiben konsequent bei der Haltung, das Saarland sagt nein?

    Ulrich: Das Saarland wird sich enthalten und es gibt bisher keinen Grund, von dieser Haltung abzuweichen.

    Müller: Das Saarland, um das noch mal klar zu machen, enthält sich, weil ja immer wenn eine Landeskoalition sich nicht einigen kann, gibt es Enthaltung. Aber das Saarland muss sich enthalten, weil die Grünen nein sagen?

    Ulrich: Richtig. Das ist der Stand der Dinge, das ist die Sachlage.

    Müller: Was könnte denn die Bundesregierung Ihnen anbieten, dass Sie vielleicht doch noch weich werden?

    Ulrich: Ich habe ja gerade gesagt, die müssten also in wichtigen Punkten innerhalb der Hartz IV-Gesetzgebung noch deutlich nachbessern und dann wären wir gesprächsbereit. Aber davon gehe ich nicht aus, weil das wird nachher alles Inhalt der Gespräche im Vermittlungsausschuss sein.

    Müller: Inwieweit ist das absurd, dass der Mindestlohn in diese Debatte, in diese Hartz IV-Debatte mit reinkommt?

    Ulrich: Das ist überhaupt nicht absurd, weil auch wir Grüne treten ja dafür ein, die Hartz IV-Sätze anzuheben, und wenn sie die Hartz IV-Sätze anheben, dann ist es umso wichtiger, einen Mindestlohn bundesweit einzuführen, um eben einen gewissen Abstand zu den unteren Lohngruppen zu wahren mit Blick auf die Hartz IV-Empfänger. Insofern muss der Mindestlohn Thema in dieser ganzen Debatte sein.

    Müller: Und woher, Herr Ulrich, nehmen Sie das Geld, um Hartz IV-Sätze anzuheben?

    Ulrich: Der Bundeshaushalt in seiner Gesamtheit gibt diese Summen durchaus her. Es ist eine Frage der Schwerpunktsetzung im Bundeshaushalt und da ist durchaus Luft. Das hat ja unsere Bundestagsfraktion auch entsprechend vorgerechnet.

    Müller: In welchem Bereich könnte das denn liegen? Das wissen nicht alle.

    Ulrich: Ja gut, die Zahlen hängen eben davon ab, auf welche Höhe sie gehen bei den Hartz IV-Sätzen. Das differiert eben. Das kommt darauf an, um wie viel Geld wir die Hartz IV-Sätze erhöhen wollen.

    Müller: Aber wenn die Grünen jetzt in die politische Verantwortung kommen, dann würden die Hartz IV-Sätze erhöht, es gibt zugleich einen Mindestlohn, also alles wird wieder teuerer?

    Ulrich: Ja, stopp! Der Mindestlohn bedeutet ja nicht, dass alles teuerer wird.

    Müller: Für die Unternehmen zumindest.

    Ulrich: Ja, gut, das ist ja nicht das Problem. Die Unternehmen verdienen im Moment sehr gut Geld, die Arbeitslosigkeit ist auf ein historisches Tief gesunken, also es wäre in Deutschland kein Problem, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, einen Mindestlohn einzuführen, der in vielen anderen europäischen Staaten ja Normalität ist. Also daran liegt es nicht. Die Verweigerungshaltung der Christdemokraten, aber auch der Freidemokraten an dieser Stelle ist kaum noch nachvollziehbar, ist kaum noch verständlich. Auch viele Wirtschaftsexperten sagen mittlerweile und auch Vertreter aus der Wirtschaft fordern mittlerweile einen gesetzlichen Mindestlohn, um hier eine gewisse Gerechtigkeit herzustellen. Es kann nicht sein, dass es immer noch Menschen in Deutschland gibt, die für 3,50 Euro und für 4 Euro oder für 5 Euro die Stunde arbeiten gehen. Das ist einfach nicht in Ordnung.

    Müller: Reden wir, Herr Ulrich, abschließend noch mal über Ihre Haltung. Da haben ja viele gesagt, er ist wieder mal nicht linientreu, der Hubert Ulrich, und meinen damit ja die Kompatibilität mit der grünen Bundespolitik. Diesmal bleiben Sie linientreu?

    Ulrich: Ja. Ich möchte mal gerne die anderen Beispiele wissen, wo wir im Saarland nicht linientreu waren. Ein solches Beispiel ist mir so nicht bekannt, da müssen Sie mir jetzt mal auf die Sprünge helfen.

    Müller: Viele sagen ja, Jamaika an sich reicht schon.

    Ulrich: Das ist natürlich barer Unsinn, weil gerade die Jamaika-Koalition im Saarland inhaltlich viele Punkte durchgesetzt hat, die sonst schwer durchsetzbar waren. Ich nenne Ihnen mal Beispiele: Wir haben die Studiengebühren abgeschafft im Saarland, im Saarland ist es so, dass selbst CDU und FDP auf Drängen der Grünen gegen die Atomlaufzeitverlängerung sind. Wir haben eine völlig andere Energiepolitik im Saarland durchgesetzt, ohne den Neubau von Kohle-Großkraftwerken. Wir machen eine andere Verkehrspolitik. Also wir haben ganz große Schritte nach vorne im Saarland gemacht, inhaltlich mit der Jamaika-Koalition. Das ist immer noch richtungsweisend auch für viele andere grüne Koalitionsverträge.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der grüne Landes- und Fraktionschef im Saarland, Hubert Ulrich. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Ulrich Ich bedanke mich auch, Herr Müller.