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"Wir wollen eine Zukunft in diesem Staat"

An einer umstrittenen Entscheidung des bulgarischen Verfassungsgerichts entzünden sich landesweit Studentenproteste. Studierende besetzen mehrere Universitäten. Sie wollen nicht, dass der windige Medienmogul Deljan Peevski Geheimdienstchef wird.

Von Stephan Ozsváth | 29.10.2013
    "Wir, die Studenten der Sofioter Universität, erklären eine fristlose und effektive Besetzung.

    Bravo! Besetzung! Besetzung!

    Die Besetzung des Hauptgebäudes hat folgende Ziele: Unverzüglichen Rücktritt des 42. Parlaments ... Unverzüglich! … möglichst schnelle vorgezogene Parlamentswahlen …

    Wahlen! Wahlen!

    … das ist unser endgültiges Misstrauensvotum gegenüber den Regierungspraktiken in Bulgarien, die jede Legitimität verloren haben.

    Bravo! Bravo!"

    Unter Bravo-Rufen erklären etwa 200 Studenten der Sofioter Universität Heiliger Kliment Christovsky die altehrwürdige Lehranstalt für besetzt. Mit Ketten versperren sie den Eingang zur ältesten Hochschule des Balkanlandes. Sie fordern: Den Rücktritt der Regierung, vorgezogene Parlamentswahlen. Sie sprechen den regierenden Sozialisten und Mitgliedern der Türkenpartei das Misstrauen aus.

    "Bravo!"

    Das war am Wochenende. Mittlerweile haben sich weitere Studenten den Protesten angeschlossen: Die Neue Bulgarische Universität und die Schauspiel-Akademie – ebenfalls in der Hauptstadt Sofia. Und in der Provinz die Hochschulen in Veliko Tarnovo und in Plovdiv. Auch sie sind mittlerweile von Studierenden besetzt.

    "Wir Studenten sind der Meinung, dass wir das Recht haben, in einem normalen Staat zu leben, in einem Staat, der für uns - die Jungen - da ist. Wir wollen eine Zukunft in diesem Staat.”"

    Sagt dieser Student. Entzündet hatten sich die Studentenproteste an einer umstrittenen Entscheidung des bulgarischen Verfassungsgerichts. Das ließ den windigen Medienmogul Peevski wieder auf seinen Abgeordnetensessel. An ihm hatten sich die Bürgerproteste vor vier Monaten entzündet, weil er Geheimdienstchef werden sollte. Er gilt als Inbegriff der mafiösen Verflechtung von Politik und Business. Als der Präsident des Verfassungsgerichts nun am vergangenen Mittwoch eine Vorlesung halten wollte, regte sich der Unmut der Studenten.
    Dieser Hochschüler sagt:

    ""Ich will auch studieren, bin aber hier, denn ich finde, dass dies eine sehr wichtige Vorlesung ist. Denn es ist eine über die Bildung von Staatsbürgern in der Praxis. Denn die Studenten sollen aktiv sein. Sie bringen den Wechsel. Von ihnen erwartet man, dass sie ein Korrektiv sind."

    Etwa 100 Dozenten erklärten sich in einer Unterschriftenaktion solidarisch mit den Besetzern. Auf der Internetseite der Uni Sofia war zu lesen: "Wir stehen hinter dem Protest der Studenten gegen die fehlende Moral in der bulgarischen Politik". Auch der Staatspräsident, Rossen Plewneliew, unterstützte den Protest der Hochschüler. Die gescholtene Regierung kündigte einen Dialog an. Bildungsministerin Anelia Klissarova appellierte an die Studenten:

    "Die Studenten sind junge gebildete Menschen. Sie sollen ihre bürgerliche Meinung äußern. Man darf aber nicht die Rechte der Menschen mit einer anderen Meinung verletzen. Das ist die
    Demokratie. Und die Universität ist überparteilich. Man darf in den Universitäten keine Politik machen."

    Der Akademische Rat der Sofioter Universität rief unterdessen die regierungskritischen Studenten auf, die Besetzung der größten Hochschule des Landes zu beenden und eine "andere Protestform" zu finden. Ganz anders dagegen Saprijan Kozludzhov, Rektor der Universität Plovdiv. Er riet den Studenten indirekt zu Massenprotesten.

    "Die Hochschulen können kein Territorium für bürgerliche Aufsässigkeit sein, egal wie und gegen wen. Die Besetzungen werden zu nichts führen. Aber wenn die Studenten überzeugt sind, dass sie Recht haben, können sie viel erreichen. Denn, wenn die Studenten auf die Straße gehen, wird es furchtbar. Nicht wenn ein paar Hundert auf die Straße gehen, sondern wenn sie massenweise auf die Straße gehen und wenn sie von der Sache überzeugt sind, für die sie kämpfen. Wenn sie ein Ziel haben und von seiner Richtigkeit überzeugt sind, wenn sie
    massenweise auf die Straße gehen, werden sie auf alle Fälle Erfolg haben."

    Die Bevölkerung selbst ist gespalten. Regierungsanhänger forderten den Rücktritt des Staatspräsidenten, weil er sich hinter die Studenten gestellt hatte. Und diese Bulgarin ist skeptisch, was die Erfolgsaussichten des Protests angeht.

    "Ich unterstütze sie im Großen und Ganzen, aber ich glaube, es ist eine verlorene Sache. Keiner wird sie hören, es ist sinnlos..."

    Mehr Proteste, weitermachen, fordert dagegen dieser Mann:

    "Sie haben das Recht zu protestieren. Wenn sich mehr Menschen beteiligen, werden sie etwas erreichen, denke ich."