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"Wir wollen keine Billigautos bauen"

Die diesjährige Internationale Automobilausstellung steht stärker denn je im Zeichen der alternativen Antriebsmodelle. Auch Daimler ist da mit einigen Modellen ganz auf der Höhe der Zeit. Dennoch baut der Autohersteller noch immer besonders PS-starke Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Daimler-Chef Dieter Zetzsche sieht darin keinen Widerspruch.

Dieter Zetsche im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 20.09.2009
    Jörg Münchenberg: Herr Zetsche, zunächst einmal: Die IAA, die diesjährige Internationale Automobilausstellung, ist nach 2007 erneut eine "grüne IAA", so heißt es zumindest. Kein Hersteller kann es sich eigentlich mehr leisten, hier ohne ein Auto mit Elektroantrieb herzukommen oder mit einem anderen alternativen Antrieb. Inwieweit aber ist die Branche tatsächlich auf diesen neuen Weg richtig eingeschwenkt, also hat diese Revolution – denn um nichts Geringeres geht es hier ja – auch wirklich verinnerlicht?

    Dieter Zetsche: Ich kann sicherlich mit Fug und Recht über Daimler, nicht notwendigerweise über alle meine Kollegen sprechen. Bei uns ist es ganz eindeutig so, dass sowohl von der Geschäftsleitung her, aber auch in ganz massiver Art und Weise von unserer gesamten Entwicklungsmannschaft her es klar ist: Wir stehen am Anfang dieser Transition oder dieses Paradigmenwechsels. Das ist der Beginn des Aufbruchs zu einer emissionsfreien individuellen Mobilität mit einer langen Phase des Übergangs von Technologien, aber letztendlich mit dem Ergebnis von emissionsfreien, CO2-freien Verfahren. Und heute bedeutet es in erster Linie Aufwendungen und Belastungen unserer derzeitigen Ergebnisse, morgen heißt es "noch dabei sein im Wettbewerb oder nicht". Und da wir bei Daimler die ganze Entwicklung vor 123 Jahren eingeläutet haben, sehen wir uns auch ganz eindeutig in der Pflicht und nehmen die gerne an, dass wir auch dieses zweite Mal das Automobil führend erfinden wollen.

    Münchenberg: Trotzdem ist es ja auch hier auf der Messe deutlich zu sehen: Das sind Autos eigentlich für übermorgen, die kann man noch gar nicht kaufen, bis auf wenige Ausnahmen jetzt mal abgesehen – also insofern doch auch ein bisschen Schaulaufen?

    Zetsche: Wir sind allesamt sicherlich kommunikativ in einem gewissen Dilemma. Auf der einen Seite ist es überwiegend – es gibt bei uns Ausnahmen, auf die können wir vielleicht später eingehen – richtig, dass diese Fahrzeuge mit alternativen Antrieben heute nicht im Verkaufsraum zu finden sind und deshalb die Präsentation dieser Fahrzeuge sogar das Risiko beinhaltet, dass der Kunde sagen könnte: "Na, wenn es morgen ein solches Auto gibt, dann warte ich noch den Tag und verzichte auf den Kauf des heutigen Autos". Das kann nicht in unserem Interesse sein. Auf der anderen Seite, wenn Sie daraus den Schluss ziehen und sagen: Dann lass uns doch nur über unser heutigen Programm sprechen, stehen Sie – und auch zu recht – sofort in dem Ruf, die Zeichen der Zeit zu verkennen, sich nicht auf morgen vorzubereiten und offensichtlich eine Firma zu einer Marke zu repräsentieren, mit der Sie sich besser als Kunde nicht assoziieren. Und dann verlieren Sie den Kunden aus diesem Grunde. Insofern müssen Sie hier die richtige Balance finden. Einerseits klar zu zeigen, was für tolle Fortschritte Sie mit Ihrer aktuellen Modellpalette, die käuflich ist, bereits gemacht haben, und das können wir sehr gut belegen. Und andererseits aber auch dem Kunden das Vertrauen geben, dass er bei Ihrer Marke sehr gut aufgehoben ist auch in der Zukunft, weil wir heute an den Lösungen von morgen erfolgreich arbeiten.

    Münchenberg: Dann kommen wir trotzdem noch mal zurück in die Gegenwart, die ist ja auch sehr spannend. Wir führen dieses Interview hier auf der Messe in den Räumen von AMG, der "Edelschmiede" sozusagen von Mercedes-Benz, die auch ganz gerne noch mal das letzte PS aus den Motoren rauskitzelt. Auch der neue Flügeltürer ist ja mit PS reichlich ausgestattet. Wie passt das zusammen mit der grünen Welle, die hier auf der Messe auch offenkundig gefahren wird?

    Zetsche: Wir verschreiben uns, wie am Anfang gesagt, absolut dem Ziel, dem Verbrauch unserer Fahrzeugflotte signifikant zu reduzieren und letztendlich bei null Emissionen und keine Abhängigkeit vom Erdöl mehr anzukommen. Wir verschreiben uns nicht einer Ideologie, die Spaß am Autofahren für sich genommen als politisch unkorrekt erklären würde. Wir glauben, es ist mehr als legitim, Spaß am Auto zu haben, auch Spaß am Autofahren. Dann ist es absolut richtig, die Begeisterung für das Automobil auch mit einzelnen Highlights weiter zu fördern und aktiv zu halten. Und dieser Flügeltürer von uns ist natürlich der absolute Traum für jeden, der Spaß an Autos hat. Und das tun wir bewusst, und das nutzt der ganzen Branche und das nutzt auch den vielen, vielen Menschen, die eben Spaß haben am Automobil. Und steht in keiner Weise in Widerspruch zu dem Ziel, in Summe unsere Kraftstoffverbräuche zu reduzieren, bis hin zu dem Punkt, dass wir ja ganz konkret auch daran sind, dieses selbe Fahrzeug mit Elektroantrieb in der zweiten Stufe auch anbieten zu können.

    Münchenberg: In fünf Jahren ungefähr, wenn ich richtig gerechnet habe.

    Zetsche: In vier Jahren.

    Münchenberg: In vier Jahren. Trotzdem noch mal: Ein Premiumhersteller wie Daimler lebt ja vom Image, von der Faszination auch für die Marke, denn nur so lassen sich auch die hohen Preise ein Stück weiter rechtfertigen. Gibt es aber nicht trotzdem einen Widerspruch, wenn man beobachtet: Es gibt einen neuen Trend, der geht dann mehr in Richtung Bescheidenheit, mehr Sparsamkeit, mehr Klimaschutz. Kann das nicht auch für das Image der Marke gefährlich werden?

    Zetsche: Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass auch in der Zukunft ein nennenswerter Teil der Kundschaft Interesse hat an besonders sicheren, besonders komfortablen, auch geräumigen Fahrzeugen – Eigenschaften, die Sie mit einem sehr kompakten, sehr kleinen Fahrzeug nicht darstellen können.

    Münchenberg: Ich will nur mal trotzdem eine Zahl entgegensetzen: Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers hat eine Erhebung gemacht, und darin heißt es, 15 Prozent der Oberklasse-Kunden die wollen demnächst umsteigen auf ein kleineres Fahrzeug. Also von der S auf die E, von der E dann auf die C-Klasse. Dann hieße das ja, das Auto wird weniger als Kult sondern mehr als gewöhnliches Fortbewegungsmittel. Müssten da nicht bei Daimler die Alarmglocken klingen, wenn man solche Umfrageergebnisse hört?

    Zetsche: Also, zum einen wurde schon oft der Fehler gemacht, eine Momentaufnahme als Trend zu verstehen und mit dem Lineal in die Zukunft dann als Prognose verkaufen zu wollen. Zum anderen versteht man die Welt auch nicht, wenn man sie beispielsweise nur in Frankfurt oder in Deutschland oder in Europa betrachtet. Wir sehen das entscheidende Wachstum in der Automobilindustrie in den sogenannten Bric-Staaten, das heißt zuvorderst in China, das bereits jetzt der größte Markt vor den USA geworden ist, in Indien, in Südamerika, in anderen Gegenden der Welt. Dort finden genau die gleichen Entwicklungen statt, wie wir sie hier in Europa gekannt haben. Auch dort wollen sich Menschen durch ihr Fahrzeug auch ausdrücken und auch unterscheiden. Wir haben inzwischen den größten S-Klasse-Markt weltweit in China – in absoluten Stück-Zahlen. Und dort sind unglaubliche Potenziale vorhanden, die wir zukünftig nutzen werden. Der Unterschied ist nur, dass wir diesen Kunden jetzt sehr schnell, bereits heute, mit dem S-Klasse-Hybrid extrem verbrauchsgünstige Fahrzeuge anbieten können, was in der entsprechenden Entwicklung in Europa damals so noch nicht möglich war.

    Münchenberg: Fakt ist aber trotzdem: Daimler hat Milliardenverluste geschrieben, 2,4 Milliarden im letzten Halbjahr allein. Wie sehen Sie die nahe und auch die mittlere Zukunft? Was kommt auf den Konzern zu?

    Zetsche: Zunächst noch mal: Mit Blick auf die mittlere und längere Zukunft – entsprechend Ihrer vorherigen Frage: Wie in anderen Konsumgüterindustrien auch, haben wir seit langer Zeit einen Trend, der nach allem, was ich sehe, sich fortsetzen wird. Dass der Markt sich spaltet - auf der einen Seite in einen sogenannten Kommodotie-Teil, in dem der Preis das A und O ist und Marke und Eigenschaften des Produkts weniger relevant. Und auf der anderen Seite in den Premiumteil. Das ist das Segment, in dem der Kunde in allererster Linie Wert legt auf die Marke, auf die Unterscheidung des Produktes, die Eigenschaften des Produktes. Insofern bin ich, um jetzt auf Ihre aktuelle Frage einzugehen, zutiefst davon überzeugt, dass wir mit Durchschreiten der aktuellen Krise erstens eine frühere und steilere Erholung der Premiumsegmente erleben werden als des Volumenmarktes insgesamt. Und zweitens, dass auch mit Herausschreiten aus dieser Krise wieder wie vor der Krise die Erfolgschancen für erfolgreiches Wirtschaften im Premiumsegment deutlich größer sind als im Volumensegment und wir damit mit der besten Premiummarke Mercedes hervorragend positioniert sind.

    Münchenberg: Daimler hat, wenn ich das richtig gelesen habe, in 2008 knapp 1,3 Millionen Fahrzeuge verkauft. In den nächsten fünf bis zehn Jahren, das ist ja doch ein recht langer Zeitraum, sollen es dann bis zu 1,5 Millionen werden. Das klingt ja nicht so schrecklich ambitioniert!

    Zetsche: Vielleicht darf ich das etwas modifizieren. Ich hatte in einem Interview die Frage gestellt bekommen, ob ich mir vorstellen könnte, dass wir in zehn Jahren mehr als 1,5 Millionen Autos verkaufen könnten. Da habe ich "ja" gesagt. Daraus ist die Aussage entstanden, die Sie gerade gemacht haben. Unsere eigenen Pläne setzen das Durchschreiten dieser Marke von 1,5 Millionen in sehr viel nähere Sicht als dieser von Ihnen genannte Zeitraum. Und insofern haben wir ambitionierte Wachstumspläne, und die sind auch realistisch und hinterlegt.

    Münchenberg: Im Interview der Woche heute Dieter Zetsche, Chef von Daimler. Herr Zetsche, der Konzern hat den Mitarbeitern sehr viel abverlangt im Krisenjahr 2009. Die anstehende Tariferhöhung wurde ausgesetzt, es gab Lohnkürzungen. Wie ist die Stimmung im Konzern?

    Zetsche: Selbstverständlich ist in der großen Mehrzahl der Industrieunternehmen die Weltwirtschaftskrise massiv auch als schwierige Situation in den Unternehmen zu spüren gewesen. Das gilt auch für Daimler. Auch unsere Märkte sind mit den gesamten Automobilmärkten deutlich zurück gegangen. Wir haben Anpassungsnotwendigkeiten gehabt. Wir haben einen deutlichen Rückgang der Profitabilität gehabt. Dass das keinen Mitarbeiter erfreut und auch die Geschäftsleitung nicht, ist mehr als normal. Und dass die Maßnahmen, die man dann erarbeiten muss, um sich an diese geänderte Situation anzupassen, insbesondere so weit sie mit Personalkosten zusammenhängen, nicht alle nur populär sein können, ist auch mehr als normal. Insofern werden Sie sicherlich in allen Unternehmen in einer solchen Phase zunächst einmal einen Einbruch in der Stimmungslage feststellen. Die Frage ist jetzt, wie gut und wie schnell es gelingt, gemeinsam wieder an einem Strang zu ziehen, das gemeinsame Ziel des Gesundens des Unternehmens mit voller Kraft zu fördern, um letztlich dann natürlich auch als Mitarbeiter davon wieder profitieren zu können. Und da glaube ich, dass wir uns auf einem guten Weg befinden. Wir sind nicht stimmungsmäßig da, wo wir vor einem Jahr waren, als wir der profitabelste Automobilhersteller der Welt waren. Das ist auch natürlich, weil sich der Mitarbeiter natürlich auch immer gerne mit dem Erfolg seines Unternehmens identifiziert. Aber wir sind auf einem guten Weg. Und wenn die massiven Wettbewerbsverzerrungen, die durch die Abwrackprämien in den letzten Monaten entstanden sind, hinter uns liegen, dann werden wir auch wieder sehen, dass wir im Quervergleich uns auf sehr gutem Weg befinden.

    Münchenberg: Wie groß ist der Druck auf den Vorstandsvorsitzenden?

    Zetsche: Ich habe es vorhin gesagt. Selbstverständlich erfreut es keinen Mitarbeiter im Unternehmen, wenn die Randbedingungen so viel schwieriger werden, auch nicht den Vorstandsvorsitzenden. Das heißt, dass die Verantwortung wächst und dass die notwendigen Anstrengungen, das Unternehmen wieder zum Erfolg zurück zu führen, natürlich größer sind. Aber das ist Teil der Aufgabe. Und da kann es auch sein, dass man nicht jeden Tag gleich gut drauf ist. Aber in Summe bin ich dafür in diese Aufgabe eingesetzt, um auch in schwierigen Zeiten das Schiff auf Kurs in die richtige Richtung mit dem gemeinsamen Team, was exzellent bei uns ist, zu halten. Und deshalb verspüre ich daraus auch keinen besonders großen oder inakzeptablen Druck.

    Münchenberg: Nun werfen ja manche Kritiker Daimler vor, auch Ihnen persönlich sogar, es fehlte eine klare Linie. Wofür steht die Konzernpolitik, wenn Sie das kurz umreißen müssten?

    Zetsche: Die Marke Mercedes hat von Anbeginn für das Beste im Automobilbau gestanden. Das ist unsere primäre Maxime, auch in der Zukunft. Das Beste misst sich an unterschiedlichen Maßstäben im Laufe der Zeit, und hier sind jetzt natürlich die Umweltverträglichkeit der Produkte ein wesentlich stärkerer Maßstab, als in der Vergangenheit. Entsprechend verändern wir unser Produktportfolio, entsprechend arbeiten wir an den Technologien, die dafür erforderlich sind, um genau diesem Anspruch auch in der Zukunft gerecht zu werden. Dass die beste Marke und die besten Automobile Mercedes-Benz-Automobile sind. Wir wollen uns darauf beschränken. Wir wollen nicht die Volumenmärkte der Welt adressieren, auch keine Billigautos bauen. Und dafür steht Mercedes, die Marke des Unternehmens. Wir haben entsprechende Ziele natürlich mit unseren Nutzfahrzeugen, mit unseren Transportern und andere Aktivitäten. Aber Sie haben sicherlich primär nach PKW gefragt.

    Münchenberg: Sie haben gesagt, Sie blicken vorsichtig optimistisch in die Zukunft. Jetzt sind ja noch Beschäftigte in Kurzarbeit. Das heißt aber, es wird bei Daimler, bei Mercedes, keine Entlassungen geben? Sie kennen die negativen Prognosen, dass der Druck 2010 noch einmal wachsen könnte. Trotzdem glauben Sie, Daimler wird relativ glimpflich diese Krise überstehen?

    Zetsche: Also, wir haben uns massiv angepasst. Wir haben mehr als vier Milliarden Kosten in diesem Jahr uns zunächst zum Ziel gesetzt, die wir inzwischen übertreffen werden an Einsparungsmaßnahmen. Wir sind deswegen in der Lage, mit den sehr viel schlechteren Märkten umzugehen. Wir werden jedes Quartal bessere Ergebnisse schreiben. Wir werden in der zweiten Jahreshälfte mit Mercedes Pkw positive Zahlen schreiben. Und unter der Annahme, die mehr und mehr gerechtfertigt erscheint, dass wir den Beginn einer langsamen aber stetigen Erholung der Weltwirtschaft und damit auch der Automobilmärkte erleben derzeit, haben wir heute keine Pläne für solche deutlichen Personalmaßnahmen, wie Sie sie gerade angesprochen haben.

    Münchenberg: Es gibt Spekulationen, da heißt es, 25.000 Mitarbeiter seien zu viele auf den Lohnlisten. Das ist alles nur Spekulation und unwahr?

    Zetsche: Es gibt beliebig viele Spekulationen. Wir beschäftigen uns in erster Linie mit den Fakten. Ein Fakt ist beispielsweise, dass wir heute etwa 16.000 Mitarbeiter weniger bei Daimler haben als am Anfang des Jahres, weltweit gesehen. Und dass wir insofern natürlich auf kontinuierlichem, natürlichem Weg auch eine Anpassung vorgenommen haben. Aber wir haben keine aktiven Maßnahmen in Planung, wie ich gerade schon vorher gesagt habe.

    Münchenberg: Sie haben vorhin erwähnt, man konzentriert sich jetzt vor allem auf die Bric-Staaten. Also China ist ein ganz wichtiger Markt, auch andere. Was heißt das für die Arbeitsplätze in Deutschland? Könnte da nicht auch eine Verschiebung mittel- bis langfristig stattfinden?

    Zetsche: Wenn Sie wollen, ist das ein Thema, das uns seit 126 Jahren begleitet. Wir verkaufen heute noch etwa 20 Prozent unserer Produktion in Deutschland, den Rest im Export weltweit. Da kommen immer weitere Märkte hinzu, andere Märkte gewinnen an Bedeutung. Dieser Prozess wird weiter gehen. Und da wurde von Anbeginn die Sorge geäußert, dass auch Produktionsstandorte, die dieser zusätzlichen internationalen Nachfrage nachkommen, eine Gefährdung der Arbeitsplätze in Deutschland mit sich bringen könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Alle Themen wie Entwicklung, wie Aggregate, die sie hier produzieren und zum Beispiel auch für unsere M-Klasse in den USA, die wir dort fertigen, beistellen, erzeugen zusätzliche Arbeit in Deutschland. Wir haben heute rund 160.000 unserer 260.000 Mitarbeiter in Deutschland beschäftigt, obwohl wir nur 20 Prozent unseres Umsatzes in diesem Land machen und haben damit ein Verhältnis wie praktisch kein anderer industrieller großer Marktteilnehmer in Deutschland. Wir brauchen uns dort überhaupt nicht zu verstecken und es gibt auch keinen Grund, hier größere Sorge vor der Zukunft zu haben.

    Münchenberg: Herr Zetsche, nun leidet die Branche an massiven Überkapazitäten. Man spekuliert so auf 30 Prozent. Der Trend ist eher steigend. Und ausgerechnet in so einer Situation springt die Bundesregierung Opel bei, gibt einen Milliardenkredit, stellt jetzt Bürgschaften in Milliardenhöhe in Aussicht. Auch wenn Opel natürlich in einer anderen Liga als Daimler spielt - ärgert Sie das?

    Zetsche: Wenn eine realistische Chance besteht, dass die Tätigkeit der Regierung eine Brücke bietet, um auf ein sicheres anderes Ufer zu gelangen und Opel damit eine langfristig sichere Zukunft ermöglicht, dann ist eine solche Maßnahme nachvollziehbar und auch sinnvoll. Wenn sie einen unvermeidbaren, langfristigen Misserfolg einer solchen Marke nur hinausschiebt und verzögert, und damit auch eine von Ihnen angesprochene Strukturanpassung verzögert, dann ist es sicherlich eine Maßnahme, die nicht im volkswirtschaftlichen und industriellen Interesse ist. Die Kunst ist nur, das eine vom anderen zu unterscheiden. Das ist außerordentlich schwierig. Da beneide ich die Politiker auch nicht darum. Und ich mache mich auch nicht anheischig, hier das letzte Urteil fällten zu können.

    Münchenberg: Dann sprechen wir noch mal den Zulieferer Magna an, der jetzt bei Opel einsteigen will. Andere große Automobilkonzerne, Volkswagen zum Beispiel, haben schon gesagt, sie wollen sich vielleicht umorientieren, weggehen von diesem Zulieferer. Weil man quasi einen potentiellen Konkurrenten nicht mit aufpäppeln will mit eigenem Know-how. Wie stellt sich das Problem aus Sicht von Daimler dar?

    Zetsche: Ich würde sagen, wir sind hier viel gelassener, es ist ja heute völlig normal, dass Fahrzeughersteller, die im Wettbewerb im Markt stehen, trotzdem in einzelnen Gebieten miteinander zusammenarbeiten. Es ist völlig normal, dass sie mit einer Bank auf der einen Seite Insiderwissen teilen, auf der anderen Seite von den Analysten der gleichen Bank beurteilt werden und dazwischen eine 'Chinese Wall' steht. Warum soll das mit einem Zulieferer nicht so funktionieren können? Insofern vertraue ich da auf die Zusagen von Magna, dass dieses zwei Tätigkeiten sind, auf der einen Seite die gemeinsame Arbeit zwischen Zulieferer und Hersteller und auf der anderen Seite das Engagement des Unternehmens beim Hersteller.

    Münchenberg: Im Interview der Woche heute Dieter Zetsche, der Vorstandsvorsitzende von Daimler. Herr Zetsche, noch mal zurück zur automobilen Zukunft. Daimler ist breit aufgestellt, Sie haben es gesagt: Die Brennstoffzelle, der E-Antrieb, die sparsamen Autos. Die Frage ist ja trotzdem: Wird der Kunde das alles kaufen? Das ist ja doch eine Investition in die Zukunft, von der eigentlich kein Hersteller ausgehen kann, dass die wirklich aufgeht?

    Zetsche: Ob der Kunde diese zukünftigen Produkte mit den zukünftigen Techniken kauft, hängt zum einen davon ab, ob es uns gelingt, diese Fahrzeuge so attraktiv zu machen wie die heutigen. Da bin ich außerordentlich zuversichtlich und setze auf die exzellente Kompetenz unserer Mitarbeiter, die sicherlich führend in der weltweiten Industrie sind, was eben die technische Intelligenz angeht. Da ist der schwäbische Tüftler nach wie vor ein gutes Bild. Die zweite Frage ist natürlich, ob und in welchem Umfang wir von dem Kunden dafür höhere Preise wegen höherer Kosten verlangen müssen. Und hier ist die Aufgabenstellung sicherlich viel herausfordernder. Es gibt auch einzelne Komponenten wie gerade die Batterie, in der auch bei größeren Stückzahlen Kostenreduzierungspotentiale begrenzt sind aufgrund des hohen Rohmaterialeinsatzes mit hohen Kosten. Hierauf müssen wir uns fokussieren, für diese neuen Technologien großserientaugliche Prozesse zu entwickeln, die dann in Summe die Kosten auch zu reduzieren. Um zuletzt nur noch einen Mehrpreis vom Kunden verlangen zu müssen, der für ihn durchaus dann wirtschaftlich sein kann mit Blick auf die Einsparungen, die er im Betrieb mit dem Fahrzeug hat. Dort sind wir noch nicht am Ziel. Da sind wir auf einem guten Weg, aber ganz klar noch nicht am Ziel. Und das wird am Ende darüber entscheiden, ob diese Produkte dann auch marktfähig sind weil bezahlbar.

    Münchenberg: Man könnte sich auch mit anderen zusammentun, weil diese Forschung und Entwicklung wahnsinnig aufwendig sind und sehr, sehr viel Geld kosten. Nun gibt es eine lose Kooperation mit BMW. Warum nicht mehr? Warum schafft man es nicht, hier mehr Kräfte zu bündeln, wovon beide Konzerne letztlich profitieren würden?

    Zetsche: Also, wir arbeiten heute gemeinsam mit General Motors, Chrysler, BMW und eben Daimler an der Hybridtechnologie. Den milden Hybrid haben wir bei Daimler stark voran getrieben, sind heute führend mit der Lithium-Ionen-Batterie als einziger Hersteller der Welt im Verkaufsraum, haben auch hier dann BMW hinzugezogen und diese Technologie geteilt. Insofern ist dort einiges unterwegs. Wir arbeiten auch in anderen Feldern zunehmend zusammen. Es sind nicht die spektakulären Dinge, die die Schlagzeilen erzeugen. Letztlich wollen wir Mittel einsparen durch Zusammenarbeit und über die größeren Stückzahlen Kosten der Teile reduzieren und nicht unsere Marken näher zusammen führen. Insofern ist es eigentlich, je mehr wir miteinander tun und je weniger wir darüber reden, um so besser. Und auf diesem Weg sind wir ganz gut unterwegs.

    Münchenberg: Trotzdem noch mal nachgehakt: Sitzen die Bremser eher bei BMW? Man hat den Eindruck, Daimler wäre da durchaus offener. Es gibt auch andere Kooperationen. In einem Cayenne brummt ja auch ein Volkswagenmotor, ohne dass die Kundschaft sich darüber aufregt.

    Zetsche: Ich glaube, es ist müßig, hier ein Schwarzer-Peter-Spiel zu betreiben. Wir verstehen uns gut zwischen beiden Häusern. Wir sind Wettbewerber im Markt und kämpfen um jeden Kunden. Aber wir verstehen beide, dass es trotzdem sinnvoll ist, in Einzelfeldern zusammen zu arbeiten. Da sind wir in einzelnen Themen gut voran gekommen, in anderen Themen weniger gut als ich – und ich glaube, wir - uns das gewünscht haben. Es mag unterschiedliche Ursachen haben, aber es macht keinen Sinn, das der einen oder der anderen Seite zuzuordnen.

    Münchenberg: Danke schön.