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"Wir wollen keine quasi regulatorische Funktion übernehmen"

Moritz Kraemer von der Ratingagentur Standard & Poor's sagt, dass die sogenannte Macht seiner Branche auch von der Politik gewollt sei. Diese habe die Agenturen in die Regulierung der Banken "fest verdrahtet". Die Arbeit der Branche bestehe in der Analyse von Kreditrisiken.

Moritz Kraemer im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 16.01.2012
    Tobias Armbrüster: Ratingagenturen haben in Europa schon seit einiger Zeit keine besonders gute Presse mehr, sie gelten als undurchsichtige Einrichtungen, in denen nur wenige Angestellte über das Wohl und Wehe von riesigen Unternehmen oder, wie im aktuellen Fall, über ganze Volkswirtschaften entscheiden. Besonders geballt kommt die Kritik seit dem vergangenen Freitag. Standard & Poor's, eine der drei großen Ratingagenturen, hat Frankreich sein Tripple-A-Rating entzogen, acht weitere Länder wurden ebenfalls herabgestuft. Viele Politiker warnen jetzt erneut vor dem Einfluss dieser Agenturen. - Am Telefon ist Moritz Kraemer, er leitet bei Standard & Poor's in Frankfurt die Abteilung für Länderratings, er war also mitverantwortlich für diese Entscheidung. Schönen guten Morgen, Herr Kraemer.

    Moritz Kraemer: Schönen guten Morgen.

    Armbrüster: Herr Kraemer, hat Standard & Poor's der Eurozone den Krieg erklärt?

    Kraemer: Natürlich nicht. Wenn Sie die Frage stellen, können Sie sich die Antwort auch schon denken. Was wir tun? Wir erfüllen unsere Rolle. Unsere Rolle besteht darin, Kreditrisiken zu analysieren und für Investoren zu benennen, damit diese Meinung, die wir veröffentlichen, in ihre Entscheidung mit einbeziehen können. Es handelt sich hier nicht um politische Einflussnahme, wir haben keine politische Agenda, unterstützen auch weder den einen noch den anderen Kurs, weder die eine noch die andere Partei. Unsere Aufgabe ist es, Kreditrisiken zu analysieren und unsere Meinung zu veröffentlichen.

    Armbrüster: Aber wieso kommt dieser Bericht und diese Herabstufung ausgerechnet jetzt, wo sich in der Eurozone eine Fiskalunion abzeichnet und wo gerade Länder wie Italien zum Beispiel gerade richtig anfangen, Ernst zu machen mit dem Schuldenabbau?

    Kraemer: Ja, das ist tatsächlich eine sehr interessante Frage, und wir haben in unseren Presseerklärungen durchaus auch die erhöhten Anstrengungen Italiens gewürdigt. Der Hintergrund der Herabstufung unter anderem auch Italiens liegt aber in einer mehr gesamteuropäischen Ebene. Wir sind eben der Ansicht, etwas konträr zu dem, was Sie gerade angedeutet haben in der Frage, dass der große Durchbruch bei der Lösung und beim Management des derzeitigen Schuldenproblems keineswegs gelungen ist.

    Armbrüster: Nämlich was haben die Politiker falsch gemacht Ihrer Meinung nach?

    Kraemer: Ein Kernproblem liegt nach wie vor nach unserem Dafürhalten darin, dass die Politiker die Krise originär als eine Budgetkrise oder eine öffentliche Schuldenkrise analysieren, und dementsprechend sind auch die Lösungen, die im Dezember entworfen wurden, konzipiert worden. Wir glauben allerdings, dass ein großer Teil der Krise in den auseinanderlaufenden Ungleichgewichten im außenwirtschaftlichen Bereich, aber auch in der Wettbewerbsfähigkeit der Staaten zu suchen ist. Das können Sie ganz leicht sich vor Augen führen. Wenn Sie mal sich anschauen, was zum Beispiel das durchschnittliche Haushalts- oder Budgetdefizit der Bundesrepublik war in der vergangenen Dekade und vergleichen das mit dem Defizit von Spanien oder Irland, werden Sie sehen, dass Deutschland wesentlich schlechter da gestanden hat. Trotzdem sind es die beiden anderen Staaten, die zurzeit in der Krise stecken, und nicht Deutschland.

    Armbrüster: Herr Kraemer, viele Politiker sagen jetzt, guckt euch hier die Ratingagenturen an, auch in ihrem aktuellen Bericht. Sie sprechen viel über die Notenpresse oder vielmehr über die Zentralbank, über die Politik, die eine Zentralbank machen könnte. Sollten wir es vielleicht in Europa mit dem Schuldenabbau nicht allzu genau nehmen und stattdessen besser die Notenpresse anwerfen?

    Kraemer: Es steht uns hier nicht an, wir sind dazu auch gar nicht legitimiert, demokratisch oder anderweitig, hier der Politik Empfehlungen zu geben. Wir haben uns ...

    Armbrüster: Aber Sie weisen ja in Ihrem Bericht ausdrücklich darauf hin, dass das eine schöne Sache ist, wenn die EZB massiv Papiere aufkauft.

    Kraemer: Ich glaube nicht, dass wir das so geschrieben haben. Was wir allerdings durchaus für richtig halten ist, dass es in der derzeitigen Situation, wenn man eben eine Diagnose der Krise hat, wie wir sie nun angestellt haben, ganz wichtig ist, dass hier vertrauensbildende Maßnahmen geschaffen werden. Das alleinige Anwerfen der Notenpresse ist natürlich Unsinn, das kann überhaupt kein Problem lösen. Ich glaube, da ist sich jeder einig. Tatsächlich ist es aber so, dass die Schuldenbremsen und ähnliche Initiativen, die jetzt in Brüssel im Dezember vereinbart wurden, natürlich nur sehr langfristig greifen können und nach unserer Auffassung die Marktsituation sich so darstellt, dass kurzfristig durchaus auch flankierende Maßnahmen hilfreich wären. Die EZB spielt eine Rolle und ich würde auch durchaus hervorheben wollen, dass die Maßnahmen, die die EZB im Dezember getroffen hat, nämlich den Banken langfristiges Funding zur Verfügung zu stellen, sehr hilfreich waren. Allerdings kann die EZB natürlich - und da ist den Aussagen der EZB-Zentralratsmitglieder durchaus zuzustimmen -, hier ist eine Lösung durch die EZB allein natürlich nicht zu schaffen. Das ist die Aufgabe der Politik.

    Armbrüster: Herr Kraemer, was wir sehen, ist vor allem, dass Ihre Agentur, Standard & Poor's, mit den USA und auch mit Großbritannien sehr viel nachsichtiger umgeht als mit der Eurozone, obwohl diese beiden Länder, USA und Großbritannien, auch nicht gerade finanzpolitisch gut dastehen. Woran liegt das, diese Nachsicht?

    Kraemer: Diese Nachsicht existiert ja gar nicht. Ich möchte nur in Erinnerung rufen, dass wir bereits im August vergangenen Jahres die Vereinigten Staaten herabgestuft haben, auch mit einem negativen Ausblick versehen. Damals war tatsächlich die Hauptantwort oder Kritik, die wir zu hören bekamen, wie kann das denn sein, dass die Vereinigten Staaten ein niedrigeres Rating haben als beispielsweise Frankreich, was ja über keine geldpolitische Flexibilität verfügt und Ähnliches.

    Armbrüster: Aber dieser Schritt kam ja damals sehr, sehr zögerlich.

    Kraemer: Was meinen Sie mit zögerlich? Ich denke, der kam relativ entschieden und robust und auch entgegen sehr großer politischer Opposition und Widerstand aus der amerikanischen Seite. Wir sind da völlig unabhängig, wir sind da weder der einen noch der anderen Seite irgendwie besonders verbandelt. Also ich denke, hier müssen wir wirklich einfach die Fakten betrachten und die Vereinigten Staaten haben ihr Triple A letztes Jahr verloren, Frankreich hat es dieses Jahr verloren.

    Armbrüster: Was ist mit Großbritannien? Haben die den Vorteil, dass sie noch eine eigene Zentralbank haben?

    Kraemer: Das ist sicherlich ein Vorteil in einer Krisensituation. Das heißt, die geldpolitische Flexibilität des Vereinigten Königreichs, also Großbritanniens, ist natürlich eine deutlich ausgeprägtere. Wir würden aber auch durchaus in die Waagschale werfen, dass die derzeitige Koalitionsregierung in London ihr gesamtes politisches Kapital eigentlich hier der Budgetanpassung verschrieben hat. Wir beobachten das aber sehr genau und Sie werden sich vielleicht erinnern - wenn nicht, erinnere ich Sie jetzt daran -, dass wir Großbritannien ja auch auf negativem Ausblick hatten. Allerdings glauben wir, dass derzeit trotz der konjunkturellen Abschwächung der eiserne Wille, die Ziele zu erreichen, noch da ist. Sowie wir hier eine Veränderung sehen, würden wir das natürlich auch durch entsprechende Ratingaktionen begleiten, das ist gar keine Frage.

    Armbrüster: Herr Kraemer, wenn man Ihre Beurteilungen liest, dann denkt man sich, das sind eigentlich alles Dinge, die ich auch erfahren kann, wenn ich regelmäßig den Wirtschaftsteil einer großen deutschen Tageszeitung lese. Das ist alles eigentlich nichts Neues für Leute, die sich intensiv damit beschäftigen. Haben Sie den Eindruck, dass wir alle, Politiker und auch die Medien, Ihre Bewertungen überbewerten?

    Kraemer: Das Rating einer Ratingagentur wie von Standard & Poor's nach unserem Selbstverständnis ist eine Meinung, wie es viele Meinungen gibt, und die Idee ist ja auch nicht, dass Investoren jetzt entsprechenden Ratingaktionen folgend bestimmte Kauf- oder Verkaufsentscheidungen treffen. Der Einfluss ist aus zwei Gründen. Der erste Einfluss ist einfach die Erfahrung. Wir machen Ratings seit 150 Jahren in diesem Unternehmen, die Ratings haben funktioniert, da baut man eine gewisse Glaubwürdigkeit auf im Laufe der Zeit.

    Der zweite, vielleicht wichtigere Grund allerdings ist, dass die sogenannte Macht der Ratingagenturen daher rührt, dass die Politiker das so wollten, indem sie die Ratings fest verdrahtet haben in Regulierungen für Banken oder Investoren. Das sind tatsächlich Entscheidungen, die aus der Politik kommen, die nicht von den Ratingagenturen kommen, und zumindest, wenn ich für Standard & Poor's sprechen darf, haben wir uns da seit geraumer Zeit sehr unterstützend geäußert, dass diese harte Verdrahtung von Ratings in Regulierungen zurückgenommen wird, dass sie herausgenommen wird. Das ist auch der Wille der Politik.

    Armbrüster: Das heißt, wenn ich das mal so sagen darf, Sie wünschen sich, dass Sie künftig eine weniger gewichtige Rolle spielen?

    Kraemer: Wir wollen keine quasi regulatorische Funktion übernehmen, das ist unsere Aufgabe nicht. Wir sind zuversichtlich, dass unsere Marktrelevanz bestehen bleibt, ob jetzt die Ratings in der Regulierung stecken oder nicht, einfach aufgrund der Tatsache, weil wir einen langen Trackrecord haben, der zeigt, dass unsere Ratings ein guter vorlaufender Indikator für Ausfallwahrscheinlichkeiten sind. Auf diese Marktrelevanz verlassen wir uns.

    Armbrüster: Moritz Kraemer war das, der Leiter der Abteilung für Länderratings bei der Agentur Standard & Poor's. Besten Dank, Herr Kraemer, für das Gespräch.

    Kraemer: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.