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"Wir wollen nur leben"

Der Krieg in Angola ist seit drei Jahren vorbei. In der Hauptstadt Luanda geht es vor allem mit der aufwendigen Renovierung von Ministerien voran, nicht aber mit der Müllentsorgung in den Slums. Kontakte zum Präsidentenpalast oder viel Schmiergeld müssen Unternehmen einbringen, wenn sie etwas werden wollen. Die Menschen hoffen dennoch auf einen breiten wirtschaftlichen Aufschwung und auf dauerhaften Frieden.

Von Jule Reimer | 04.10.2005
    "Wenn hier einer krank wird, ist das nicht einfach, denn die nächste Krankenstation ist weit weg. Und Medikamente sind teuer. Wenn man ein Rezept erhält, kann das keiner bezahlen."

    Chitunda, ein Dorf in der angolanischen Provinz Kwanza Sul: Vor dem frisch getünchten Schulhäuschen haben sich rund 30 Männer versammelt. Der von der Regierungspartei MPLA eingesetzte Dorfchef João Mario beschreibt die Schwierigkeiten, mit denen die Bewohner kämpfen. Seit knapp drei Jahren sind die Flüchtlinge auf das Land ihrer Ahnen zurückgekehrt. Frauen und Kinder, alte Männer, die Ex-Soldaten der Regierung und ihre früheren Gegner, die Ex-Rebellen der UNITA. Die ehemaligen Kämpfer sind enttäuscht:

    "Als wir demobilisiert wurden, versprach uns die Regierung eine Handwerksausrüstung, finanzielle Unterstützung und dazu denen, die aufs Land zurückgingen, einen Ochsenwagen, Saatgut und Dünger. Ein paar Leute haben auch etwas erhalten, aber die Mehrheit bekam bis jetzt nichts."

    Domingos Sardinha kämpfte auf der Seite der UNITA, der União Nacional para a Independência Total de Angola. Wie viele Männer aus Chitunda. Aber viele waren auch auf der Seite der MPLA, der Befreiungsbewegung Movimento Popular para Libertção de Angola. Doch jetzt sind die Dorfbewohner fest entschlossen, sich nicht mehr auseinander dividieren zu lassen. Trotz der Toten und der tiefen Wunden, die der Krieg hinterlassen hat, sind persönliche Anschuldigungen tabu.

    Schuld ist der Krieg, lautet die Formel, die João Mario und die anderen Männer fast beschwörend wiederholen und die den einzelnen freispricht. Auch die Beschuldigungen der jeweils anderen Partei, Auslöser des Krieges zu sein, ließen seit einigen Monaten nach. Ex-UNITA-Kämpfer Domingos Sardinha erklärt sich das so:

    "Wenn sich wie jetzt die hohen Politiker die Hand reichen, dann beeindruckt das die einfachen Leute und erleichtert die Versöhnung."


    Bornito de Sousa ist einer dieser hohen Politiker. Er lebt zehn mühsame Autostunden von Chitunda entfernt, in Angolas Hauptstadt Luanda. Der Fraktionschef der MPLA im angolanischen Parlament bekräftigt das gute Verhältnis zum früheren Feind:

    "
    Heute können Sie sich überall in Angola bei Tag und bei Nacht bewegen. Die Beziehungen zwischen den politischen Kräften, die sich früher bekämpften, sind brüderlich und Auseinandersetzungen werden heute im demokratischen Rahmen, also innerhalb der Regierung und im Parlament ausgetragen. Also es herrscht totale politische Stabilität."

    Tatsächlich sind die früheren Rebellen heute mit vier Ministern und diversen Vizeministern an der Regierung beteiligt. Die UNITA-Abgeordneten bewegen sich ganz selbstverständlich mit ihren Dienstwagen in der Hauptstadt und vertreten ihre Positionen im Parlament. Dennoch klagt der UNITA-Abgeordnete Abel Chivukuvuku:

    "Bei zweitrangigen Themen wird die UNITA gefragt, aber wenn es um wirklich wichtige Fragen geht, nicht. In Fällen, wo wir einen Kompromiss für unerlässlich halten, werden wir nicht beteiligt."

    Zum Beispiel beim Wahlgesetz. Dort hat sich die MPLA den Einfluss auf die Besetzung der nationalen Wahlkommission gesichert. Noch ist allerdings gar nicht klar, wann Wahlen stattfinden. Staatspräsident Eduardo dos Santos hat den Termin schon mehrfach verschoben - zurzeit ist von Ende 2006 die Rede. Für viele Angolaner ist das Wort "Wahlen" mit einem nationalen Trauma verknüpft. Als sie 1992 nach 17 Jahren Bürgerkrieg erstmals zu den Urnen gehen durften, beharrte Rebellenchef Jonas Savimbi auf Wahlbetrug, nachdem er den ersten Wahlgang knapp verloren hatte. Der zuvor deklarierte Friedenswille beider Parteien ging schnell in gegenseitigen Anschuldigungen unter. Der Krieg zwischen MPLA und UNITA brach erneut aus und wurde von beiden Seiten brutaler denn je geführt. Im Dorf Chitunda hat der alte Adelino Candongo die Folgen der missglückten Wahl nur allzu gut vor Augen:

    "Wir Dorfältesten wollen keinen Krieg mehr. Aber wir sorgen uns, dass nach einem Wechsel die neue Regierung vielleicht nicht gut regiert und dass wir noch Schlimmeres erleben als bisher, noch mehr Verfolgung. Wir haben Angst, obwohl wir eigentlich eine neue Regierung wollen."

    Im Kalten Krieg ließ sich UNITA-Führer Savimbi vom Westen und dem rassistischen Südafrika gegen die sozialistische Regierungspartei MPLA unterstützen, die wiederum Waffen, Soldaten und Militärberater aus Russland und Kuba bezog. Doch mit dem Fall des Eisernen Vorhangs änderten sich die Zeiten und die MPLA bekannte sich fortan zu Demokratie und Marktwirtschaft. Jonas Savimbi dagegen verlor nach und nach alle Unterstützer, weil er erneut auf Krieg setzte. Als er im Februar 2002 im ostangolanischen Busch von Regierungssoldaten erschossen wurde, war die UNITA militärisch und finanziell stark geschwächt. Bei den nachfolgenden Friedensverhandlungen diktierte die MPLA die Bedingungen. In den 90er Jahren dagegen war Savimbi noch der Posten des Vizepräsidenten sowie die Beteiligung an fünf Diamantminen angeboten worden, was er ausschlug. Abel Chivukuvuku möchte seinem politischen Ziehvater dennoch keine schweren strategischen Fehler ankreiden:

    "Krieg war immer schlecht für Angola, unabhängig von den Gründen. Aber die Verantwortung liegt auf beiden Seiten, die unfähig waren, sich gegenseitig verlässliche Garantien zu geben, und über lange Zeit versuchten die Spitzenleute beider Seiten nur, sich gegenseitig zu verdrängen. Dafür tragen beide Seiten Verantwortung, und das war falsch für das Land."

    Der charismatische Abel Chivukuvuku gilt als der Kronprinz der UNITA, ist aber mit Ende 40 fast noch zu jung für eine Präsidentschaftskandidatur. Als 1992 in der aufgeladenen Nachwahlatmosphäre bewaffnete MPLA-Anhänger in Luanda in Pogromstimmung auf UNITA-Vertreter losgingen, überlebte Chivukuvuku die Angriffe schwer verletzt. Er kehrte danach niemals wieder zurück zu dem kämpfenden Savimbi, dem er früher eng verbunden war. Anders als mancher Savimbi-Kritiker aus der eigenen Partei wirkte er jedoch niemals so, als ob ihn die MPLA gekauft hätte.

    "Dass ich seit 1992 hier in Luanda geblieben und nicht zurück in den Busch gegangen bin, zeigt, dass ich eine Verhandlungslösung für machbar hielt. Aber ich denke, Doktor Savimbi war bewusst, dass ihn die MPLA auch als Vizepräsident niemals respektiert hätte. Wahrscheinlich wäre er gedemütigt worden, und deshalb entschied er sich, zu sterben. Denn das war seine Entscheidung und keine Folge des Krieges. "

    Eine Entscheidung für einen Krieg, der Tausenden von Angolanern erneut das Leben kostete.

    Angola é nossa, Angola gehört uns! skandieren trotzig die Portugiesen, als die ersten afrikanischen Staaten Ende der 50er Jahre ihre Unabhängigkeit erlangen. Kaffee, Sisal, Öl und Diamanten: Angola ist reich – so eine Kolonie gibt man nicht einfach auf. Im Dorf Chitunda bildet sich die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts ab. Der 72-jährige Adelino Candongo erinnert sich nur zu gut an die Zwangsarbeit unter den Portugiesen:

    "Als ich alt genug war, wurde ich auf die Kaffeeplantagen gebracht und musste dort arbeiten."

    Im Frühjahr 1961 beginnen die Befreiungskämpfer der MPLA und der in Nordangola verankerten FNLA unter ihrem Führer Holden Roberto ihren Guerillakrieg gegen die Portugiesen. 1966 gründet Savimbi seine eigene Befreiungsbewegung, die UNITA. Als junge Offiziere 1974 mit der Nelkenrevolution die Macht in Portugal übernehmen, ist der Traum von der kolonialen Weltmacht absehbar ausgeträumt. Ein Jahr später ziehen die Portugiesen völlig überstürzt aus Angola ab. Wer den heutigen Zustand Angolas kritisiere, der müsse auch sehen, wie die MPLA das Land übernommen habe, verteidigt die Abgeordnete Teresa Cohen ihre Partei:

    "Vergessen Sie bei allen Vorwürfen nicht, dass wir gar nicht in Bildung investieren konnten. Wir wurden unabhängig, hatten keine Lehrer und befanden uns im Krieg. 1975 gab es sieben schwarze Ärzte in Angola, heute sind wir zwischen drei- und vierhundert."

    Gegen den Willen der anderen Parteien verkündet MPLA-Chef Agostinho Neto am 11. November 1975 die Unabhängigkeit:

    "Im Namen des angolanischen Volkes proklamiert das Zentralkomitee der MPLA vor Afrika und der ganzen Welt die Unabhängigkeit Angolas."

    Die Erklärung wird zum Auftakt für den Bürgerkrieg. Auch das Dorf Chitunda geriet zwischen die Fronten. Während die FNLA im Norden Angolas gegen die MPLA kämpfte, rückte die UNITA unterstützt von Truppen des südafrikanischen Apartheidsregime im Süden vor. Der alte Candongo floh in die Kreisstadt Seles, die die junge MPLA-Regierung hielt. Die Familie von Maria Paulino, die damals gerade geboren war, kämpfte mehrheitlich auf Seiten der UNITA.

    "Hier in Chitunda haben alle viel gelitten. Mein Vater starb im Krieg, meine Brüder, so viele sind gestorben."

    João Mario, der heutige Dorfchef, schloss sich der MPLA an:

    "Als die Unabhängigkeit kam, habe ich die Schule abgebrochen, denn ich war ja schon alt genug für die Armee. Ich kämpfte erst in Huambo, dann wurde ich nach Kwanza Sul zurückversetzt. 1986 erlitt ich dann eine Verletzung am Bein und ab 1987 war ich Zivilist. "

    Joao Mario lebte wie der alte Candongo als Flüchtling in der Kreisstadt Seles. Nach dem Friedensschluss von 2002 kehrten sie gemeinsam zurück nach Chitunda - mit Unterstützung der Deutschen Welthungerhilfe. Die hat Saatgut an die Bauern verteilt und den Dorfbewohnern geholfen, ihre kleine Schule wieder aufzubauen. Das Leben in Chitunda ist hart. Die Bauern leben in strohgedeckten Hütten aus Lehmziegeln. Zwar sind die Böden ideal für die Landwirtschaft, aber die Infrastruktur ist zerstört. Immerhin: der nächste Gesundheitsposten liegt im Nachbardorf Amboiva, rund zehn Kilometer müssen die Dorfbewohner zu Fuß zurücklegen – das ist für angolanische Verhältnisse recht nah. Wieder aufgebaut wurde er von der Deutschen Welthungerhilfe. Die regierende MPLA lasse die Landbevölkerung im Stich, kritisiert Justino Pinto de Andrade, Direktor der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Katholischen Universität von Luanda:

    "Die Menschen auf dem Land haben nichts. Was sie anpflanzen, reicht gerade zum Überleben. Und ein Großteil lebt von der Hilfe internationaler Organisationen. "

    Pinto de Andrade klagt vor allem seinen Präsidenten an. José Eduardo dos Santos regiert Angola unangefochten seit 1979. Unter ihm hat Angola zwar den Übergang vom Sozialismus zur Marktwirtschaft, von der Einparteienherrschaft zur parlamentarischen Demokratie vollzogen. Doch manches steht nur auf dem Papier. Zwischen 1997 und 2001 verschwanden nach Angaben des IWF jährlich über eine Milliarde US-Dollar an Öl-Einnahmen in dunklen Kanälen, irgendwo im Bermuda-Dreieck zwischen Präsidentenpalast, der staatlichen Ölfirma Sonangol und der Zentralbank. Vermutlich floss das Geld in den Kauf von Waffen. Nun ist der Krieg drei Jahre vorbei, aber in Luanda geht es vor allem mit der aufwendigen Renovierung von Ministerien voran, nicht aber mit der Müllentsorgung in den Slums. Der Staat ist weiterhin der größte Arbeitgeber. Ohne Kontakte zum Präsidentenpalast oder viel Schmiergeld, so heißt es auf Luandas Industrie- und Handelsmesse FILDA hinter vorgehaltener Hand, könne man als Unternehmer in Angola nichts werden. Dabei bräuchte das Land nichts dringender als einen breiten wirtschaftlichen Aufschwung, vor allem der Industrie und der Landwirtschaft. Miguel Bastos de Almeida ist der Sprecher des Finanzministers:

    "Im öffentlichen Sektor gibt es viel zu viele Angestellte. Ideal wäre, wenn ein Teil von ihnen in der Privatwirtschaft einen Job finden würde. Aber der Privatsektor funktioniert nicht – vom Einzelhandel mal abgesehen. In der Erdölförderung finden bestenfalls einige Ungelernte einen Job und für qualifizierte Arbeiten engagieren die Konzerne Ausländer. Und das Diamantengeschäft läuft erst jetzt mit dem Frieden wieder an."

    Bornito de Sousa, Fraktionschef der MPLA im Parlament, weist darauf hin, dass die Vorwürfe über die fehlenden Ölmilliarden noch aus Kriegszeiten stammten und sich seither einiges geändert habe:

    "Ich sage nicht, dass es keine Korruption mehr gibt. Aber es hat sich doch einiges getan, um sie zu bekämpfen. Zum Beispiel wurde der Rechnungshof geschaffen, ein Ombudsmann für die Justiz eingesetzt und ein Gesetz über die Ausschreibung und Vergabe öffentlicher Aufträge erarbeitet, also, da sind schon eine Reihe von Schritten getan worden."

    Ob Staatspräsident Eduardo dos Santos bei der nächsten Wahl kandidiert, ist offen. Er sei der einigende Faktor innerhalb der MPLA, sagen die einen, jeder andere Kandidat würde Flügelkämpfe auslösen. Der Ökonom Justino Pinto de Andrade glaubt dagegen, dass dos Santos eine demokratische Entwicklung Angolas behindere:

    "Angola mit oder ohne Eduardo dos Santos ist ein riesiger Unterschied. Dos Santos verfügt über sehr viel Macht. Er hat ein so großes Netz von Beziehungen, Abhängigkeiten und Einfluss geknüpft, dass selbst seine Berater aus der MPLA nicht die Kraft haben, seine Position zu verändern. In Angola sagt nicht die Regierungspartei, wo es lang geht, sondern der Staatspräsident."

    Auch die UNITA hat noch keinen Kandidaten bestimmt. Der derzeitige Parteichef Isaias Samakuva ist zu sehr Diplomat, weniger Politiker, ein Kompromisskandidat für eine Übergangszeit. Doch abgesehen davon, dass die Kassen für einen breit geführten Wahlkampf ziemlich leer sind, herrschen im Landesinnern nicht die gleichen Freiheiten wie in der Hauptstadt, stellt der Präsident der Angolanischen Anwaltskammer, Raul Araújo fest:

    "Angola bewegt sich in drei Geschwindigkeiten. Luanda hat einen eigenen Rhythmus, hier herrscht offene Demokratie und hier wird für die Menschenrechte gestritten. In anderen größeren Städten gibt es eine gewisse Öffnung und im Rest des Landes existiert Demokratie so gut wie nicht. "

    Doch zuerst muss sich Staatspräsident Eduardo dos Santos überhaupt für einen Wahltermin entscheiden. Dafür müssten bestimmte Bedingungen erfüllt sein, meint Abel Chivukuvuku:

    "Allein der Wille des Volkes und der Parteimitglieder genügen nicht, um die Möglichkeit eines Wechsels zu eröffnen. Wir müssen eine Einigung über die Zukunft erzielen, das heißt, Präsident dos Santos muss Garantien erhalten, dass niemand wegen Veruntreuung von Geld oder politischer Verbrechen verfolgt wird. Es gibt im Übrigen wahrscheinlich auch UNITA-Generäle, die sich vor der Zukunft fürchten. Das ist normal. Deshalb brauchen wir ein Abkommen, das auf diese Ängste eingeht und in dem klipp und klar steht, dass wir die Zukunft nicht für die Vergangenheit gefährden wollen."

    Menschenrechtsgruppen raten ebenfalls von einer Aufarbeitung der Vergangenheit zum jetzigen Zeitpunkt ab – zu groß ist die Angst, der Bürgerkrieg könnte wieder aufflammen. Auch in Chitunda soll keiner Rechenschaft ablegen, sagt Maria Paulino, die Männer des Dorfes hätten einander tatsächlich verziehen, gleichgültig ob sie für die MPLA oder die UNITA kämpften:

    "Denn die Toten sind tot. Und die Männer wollen leben, einfach nur mit unseren Kindern leben."