Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


"Wir wollen unsere Syrer schützen"

Es gebe keinen anderen Weg mehr als den Eingriff der internationalen Gemeinschaft in Syrien, sagt Sadiqu Al-Mousllie, Mitglied des oppositionellen syrischen Nationalrats. Baschar al-Assad lebe jenseits der Realität. Wie seine Truppen agieren, könne nicht mehr geduldet werden.

Sadiqu Al-Mousllie im Gespräch mit Sandra Schulz | 16.07.2012
    Sandra Schulz: Während die UN-Beobachter den Angriff auf die syrische Ortschaft Tremseh untersuchen, haben sich die Gefechte zwischen Regierungstruppen und Aufständischen in Damaskus offenbar zugespitzt. Neue Kämpfe werden gemeldet. Das ist seit Monaten Stand der Dinge. Auf die Frage nach Frieden in Syrien können wir nur Fragezeichen setzen, und das wollen oder müssen wir auch heute Morgen wieder tun. Am Telefon begrüße ich Sadiqu Al-Mousllie, Exil-Syrer in Braunschweig und Mitglied des oppositionellen syrischen Nationalrats. Guten Morgen!

    Sadiqu Al-Mousllie: Guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Die Forderungen aus der syrischen Opposition nach einer Militärintervention werden jetzt immer lauter. Glauben Sie, dass sich der Frieden in Syrien kriegerisch erzwingen lässt?

    Al-Mousllie: Natürlich sind wir auch im syrischen Nationalrat nicht unbedingt willig, solche Mittel einzusetzen und auch gar nicht mit Gewalt da zu agieren. Sie haben aber selbst gesehen, dass wir seit Monaten, dass die Syrer seit Monaten auf die Straßen gehen, friedlich gegangen sind bis sieben, acht Monate nach der Revolution, nachdem der Aufstand angefangen hat, und trotzdem wurde auf die Leute geschossen. Wir wollen unsere Syrer schützen, wir wollen die Zivilisten schützen, denn das Regime, wie es aussieht, nimmt überhaupt keine Rücksicht auf Frau, Mann, Kind, überhaupt nicht, und deswegen muss auch die internationale Gemeinschaft agieren, denn es gibt keinen anderen Weg mehr.

    Schulz: Aber die Verteidigungspolitiker haben immer wieder darauf hingewiesen, dass gerade die Gefahr ziviler Opfer, also von Frauen und Kindern, von Unbeteiligten, dass die bei einem Eingreifen unvertretbar hoch sei. Warum sehen Sie das anders?

    Al-Mousllie: Vielleicht geht es hier darum, um die Art und Weise, wie man interveniert, und ich sehe hier die Intervention nicht unbedingt durch einen Großangriff, der auf syrischen Gebieten passiert, sondern wir sind eigentlich der Meinung, auch als Syrer, dass man zuerst auf jeden Fall versuchen sollte, politisch im Weltsicherheitsrat eine Resolution zu erzwingen nach dem Artikel sieben, und auf jeden Fall parallel dazu sollte man die Opposition auf dem Boden der Tatsachen in Syrien, sprich die Freie Syrische Armee, transparent und zentralisiert dann auch bewaffnen. Das würde auch den Syrern helfen, sich selbst zu verteidigen, und damit kann man sehr viel tun für die Syrer.

    Schulz: Aber damit stellt sich doch noch mal die Frage: Ist noch mehr Waffen, ist noch mehr Militär, ist das der Weg für Frieden für Syrien?

    Al-Mousllie: Es ist nicht der Weg zum Frieden normalerweise. Man möchte, aber man ist hier in einer Situation, wo die Gegenseite auf jeden Fall die Waffen benutzt und die Waffen bekommt von Russland, von Iran. Die werden mit den neuesten Waffen unterstützt, und das alles gegen Zivilisten, die auf die Straße gegangen sind. Baschar al-Assad selbst hat in seiner vorletzten Rede zugegeben, dass die ersten sechs Monate des Aufstandes absolut friedlich waren, und trotzdem wurde auf die Leute geschossen. Also da stellt sich dann die Frage, wieso schieße ich dann auf mein Volk. Das ist ein Mann, der jenseits der Realität lebt, und auch seine Truppen agieren demnach, und Sie sehen dann auch die Massaker, die jetzt passiert sind in Al-Hola, in Al-Kobeir, Al-Haffa und jetzt Tremseh. Also das sind auch natürlich Praktiken, die man nicht mehr dulden kann.

    Schulz: Gleichzeitig setzt der Westen natürlich immer noch auf die diplomatische Lösung, obwohl die Hoffnungen in den vergangenen Monaten stark gesunken sind. Heute wird der Sondervermittler Kofi Annan in Moskau erwartet. Russland sperrt sich ja dagegen, seinen Kurs aufzugeben. Welche Hoffnungen verbinden Sie mit diesem Besuch?

    Al-Mousllie: Wir geben nie die Hoffnung auf. Wir wollen natürlich auch, dass die Politiker das auf politischem Wege probieren und versuchen, aber bitte nicht auf Kosten der syrischen Bevölkerung. Das sind jetzt mittlerweile 16 Monate, wo man auch immer wieder nur geredet hat und geredet hat und Verurteilungen und Statements abgegeben hat, wofür wir auch dankbar sind als Syrer, aber irgendwann mal muss man handeln und wir sehen jetzt zurzeit keine andere Möglichkeit. Man hat gesehen, dass die Russen mit den Iranern versuchen, dann auch immer wieder in Gespräche zu kommen. Die wollen jetzt mittlerweile ein Teil der Lösung werden, anstatt ein Teil des Problems zu sein, weil sie gesehen haben, dass die Syrer nach 16 Monaten doch auf gar keinen Fall in ihre Häuser zurückgehen. Damit hat die ganze Welt wahrscheinlich auch nicht gerechnet. Nun ist es aber so, jetzt muss auch jeder überzeugt sein, dass die Syrer nicht mehr zurückgehen. Das Regime fällt, das Regime wird fallen, egal ob die internationale Gemeinschaft jetzt so agieren würde, wie wir uns erhoffen, oder nicht. Aber wir hoffen natürlich auf den Beistand der internationalen Gemeinschaft und der Weltgemeinschaft, weil wir auch ein Teil dieser Welt und der UN sind. Wir sind Mitglied in der UN und da muss die UN auch die Verantwortung tragen. Ob die Russen das mitmachen oder nicht, das ist eine andere Frage. Ich hoffe, dass sie das mitmachen. Wenn nicht, dann muss die Weltgemeinschaft einen anderen Weg finden, außerhalb des Weltsicherheitsrats zu agieren, wie es in anderen Ländern auch passiert ist in der Vergangenheit.

    Schulz: Der andere Weg, den Sie andeuten, das ist die Militärintervention, und die anderen Länder, über die Sie sprechen, das ist vermutlich Libyen. Jetzt weisen die Verteidigungspolitiker immer wieder darauf hin, dass Libyen und Syrien eben nicht vergleichbar seien, dass ein jahrelanger Bürgerkrieg drohe auch mit ausländischer Beteiligung. Was halten Sie diesen Argumenten entgegen?

    Al-Mousllie: Also Libyen ist natürlich etwas anderes als Syrien. Die Zusammensetzung auch Syriens ist anders. Aber ich sage auch den Menschen und den Experten, die so etwas sagen, dass Syrien auch ein Sonderfall hier ist. Das heißt, je länger wir warten, desto höher ist die Gefahr, dass dieser Bürgerkrieg dann doch auftritt. Ich spreche nicht von einem Bürgerkrieg, weil ich auch den Kontakt nach unten habe, und ich weiß ganz genau, dass die Syrer nicht in einem Bürgerkrieg leben, auch wenn manche, sage ich mal, Experten das so nennen. Die Syrer sind von vornherein rausgegangen und bis heute sagen sie, eins, eins, eins, das syrische Volk ist eins. Das Regime hat versucht, durch ein Massaker und nicht zuletzt auch in Tremseh in den Gebieten, wo auch mehrheitlich sunnitische Menschen leben, in einem Dorf, umgeben von anderen alevitischen oder schiitischen Dörfern, den Keil zwischen die verschiedenen Gesellschaftsgruppierungen zu treiben, aber das haben die Menschen verstanden und das haben die Syrer verstanden und sie haben diesen Versuch vereitelt.

    Schulz: Wir haben jetzt, das deutet sich bei Ihnen auch an, natürlich immer wieder das Problem, dass die 100-prozentige Klärung immer ganz schwierig ist, was tatsächlich vorgefallen ist. Es gibt auch diese Schwierigkeit, wer in der Opposition überhaupt Ansprechpartner ist, die Opposition selbst gilt ja auch als zersplittert. Wie könnten sie denn stärker an einem Strang ziehen?

    Al-Mousllie: Es gibt keine Opposition auf der Welt, die vereint ist. Sonst wären wir ja in einer Diktatur noch mal. Aber die Opposition ist sich einig, dass dieses Regime fallen muss, mit den Symbolen, inklusive Assad und seinen Leuten, seinen Gehilfen. Das ist eine klare Sache. Die Opposition ist sich einig, dass wir einen pluralistischen Staat haben wollen, dass wir einen freien zivilen Staat haben wollen, einen demokratischen Staat haben wollen. Das ist auch klar.

    Schulz: Aber lassen Sie mich da kurz einhaken. Es gibt ja auch Stimmen, die Assad gar nicht so kritisch sehen, auch in der Opposition.

    Al-Mousllie: Natürlich gibt es Menschen, die seit 40 Jahren mit Assad zu tun haben und die auch ihre Vorgaben haben und ihre Interessen haben. Aber die Mehrheit der Menschen auf der Straße, die Mehrheit der Menschen in Syrien sind gegen Assad. Wir können nicht von einer Revolution sprechen oder einem Aufstand sprechen, der 16 Monate dauert und nicht den Rückstand beziehungsweise den Hinterhalt oder die Unterstützung der Menschen hat. Ich kann natürlich auch sagen, dass es Syrer gibt, die auch für Assad sind, aber die werden immer weniger, und wenn wir das unbedingt in Prozentzahlen ausdrücken müssten, könnte man sagen, vielleicht 80 zu 20 Prozent. Aber ich meine auch sogar weniger.

    Schulz: Sadiqu Al-Mousllie, Mitglied des oppositionellen syrischen Nationalrats, heute im Interview hier im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen". Danke dafür.

    Al-Mousllie: Bitte schön.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.