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Wirbel in der Ostsee
Eine Messkampagne nimmt die Verfolgung auf

Sie tauchen unvermittelt auf, um einige Stunden später wieder zu verschwinden, erstrecken sich über wenige Kilometer und zirkulieren überraschend schnell um ihre eigene Achse. Erst vor wenigen Jahren wurden diese Wirbel zufällig entdeckt. Jetzt nimmt eine spektakuläre Messkampagne in der Ostsee die Verfolgung auf.

Von Frank Grotelüschen | 03.07.2016
    Eine Ozeanwirbel-Animation
    Eine Ozeanwirbel-Animation (Helmholtz-Zentrum Geesthacht)
    Hörtipp: Wirbel in der Ostsee - Sendung am 3.7.2016
    Kaum mehr als zehn dieser Meereswirbel wurden bislang auf frischer Tat ertappt. Dabei schaufeln sie vermutlich beträchtliche Mengen an Nährstoffen und Mikroorganismen an die Oberfläche. Könnte es sein, dass die Wirbel durch ihren Rühreffekt enorm zur Plankton-Produktion auf unserem Planeten beitragen – und damit zur globalen Sauerstoffproduktion?
    Viel versprechen sich die Wissenschaftler von der großangelegten Messaktion, der bislang größten ihrer Art. Forschungsflugzeuge fliegen das Meer ab und suchen das Wasser mit Wärmebildkameras ab. Ist ein Kandidat gefunden, schwärmt eine Flotte von Schiffen, Schnellbooten und Tauchrobotern aus und rastert den "Tornado im Ozean" mit diversen Sensoren ab. Über allem soll ein Zeppelin thronen, der Luftaufnahmen macht und die Messkampagne von oben koordiniert. Damit hoffen die Experten zentrale Fragen zu beantworten: Welche Rolle spielen die Wirbel für die globale Meereszirkulation? In welchem Maße tragen sie dazu bei, dass Nährstoffe an die Oberfläche gelangen und womöglich Algenblüten initiieren? Und locken die Wirbel sogar Fische an?
    Untersucht haben die Helmholtz-Forscher die Wirbel auch aus der Luft mit einem Zeppelin, wie das folgende Video zeigt:

    Das Manuskript:
    "Ludwig Prandtl. Hervorragend für Messaufgaben geeignet."
    "Eine Kombination aus erstklassigem Motorflugzeug mit reinrassigem Segelflugzeug."
    "Hier sitzen wir auf unserem Schnellboot Eddy."
    "Und das hier ist der Zeppelin, mit dem wir die Wirbel aufspüren und die Messungen von oben dirigieren können."
    Schiff, Flugzeug, Schnellboot, Zeppelin. Eine Forschungsarmada für eine einzigartige Expedition Die Mission: unerforschte Meereswirbel aufspüren und so präzise vermessen wie nie zuvor. Das Ziel: verstehen, wie die Zahnräder des Uhrwerks Ozean ineinandergreifen.
    Wirbel in der Ostsee. Eine Messkampagne nimmt die Verfolgung auf. Eine Sendung von Frank Grotelüschen.
    DLF-Autor Frank Grotelüschen vor dem Zeppelin der Expedition Uhrwerk Ozean
    DLF-Autor Frank Grotelüschen vor dem Zeppelin der Expedition Uhrwerk Ozean (Deutschlandradio / Burkard Baschek)
    "The rough plan for today is that we have couple of waypoints.”
    Montag, 20. Juni 2016, morgens um sieben, der Flugplatz von Peenemünde auf Usedom. Expeditionsleiter Burkard Baschek hat sein Team einberufen. Er gibt letzte Instruktionen.
    "The first one is that the Stemme will do a search pattern.”
    Als Erstes soll die Stemme abheben, ein Motorsegler, und mit Wärmebildkameras nach auffälligen Mustern auf der Ostsee suchen – nach Wasserwirbeln, von deren Existenz bis vor Kurzem niemand etwas ahnte, sowie nach markanten Fronten, an denen warmes und kaltes Wasser aufeinandertreffen.
    Haben die Piloten etwas gefunden, sollen sie es per Funk an den Zeppelin melden.
    Unten werden drei Forschungsschiffe auf Anweisung warten. Sobald der Zeppelin das Zielgebiet identifiziert hat, muss es schnell gehen: Bevor die Wirbel wieder verschwinden, sollen die Schiffe ausrücken und ihr Messgerät zu Wasser lassen – lange Schleppketten gespickt mit Sensoren. Das Wetter spielt endlich mit, blauer Himmel, kaum Wolken. Alles klar? Die Crew nickt.
    Ein Zeppelin im Einsatz für die Meeresforschung
    Drei Jahre hat Baschek auf diesen Moment hingearbeitet. Drei Jahre, in denen er am Helmholtz-Zentrum Geesthacht ein vielköpfiges Team von Spezialisten zusammengestellt hat, aus Deutschland, Polen und den USA. Jahre, in denen er neue Messtechnik entwickelt und einen kühnen Plan gefasst hat: Erstmals in der Meeresforschung soll ein exotisches Luftgefährt zum Einsatz kommen – ein Zeppelin.
    "Ich glaube, wir sind so gut vorbereitet wie’s irgendwie geht."
    Am Abend zuvor sitzt Burkard Baschek auf der Terrasse des Hotels, wo alle Expeditionsteilnehmer untergekommen sind. Er wirkt entspannt, auch wenn im Vorfeld längst nicht alles geklappt hat. Eigentlich hätte die Messkampagne schon gestern starten sollen, doch das Wetter war zu schlecht. Und heute ist bei einer Testfahrt mit einem der Forschungsschiffe ein kleines Malheur passiert.
    "Wir haben leider ein Instrument verloren. Aber dort haben wir eine gute Lösung. Wir gehen gut vorbereitet in die Messungen hinein."
    Expeditionsleiter Prof. Dr. Burkard Baschek, Institutsleiter im Institut für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht
    Expeditionsleiter Prof. Dr. Burkard Baschek, Institutsleiter im Institut für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht (Helmholtz-Zentrum Geesthacht / Fischer)
    Baschek und seine Leute suchen nach speziellen Meereswirbeln, von denen man vermutet, dass sie das Räderwerk des Ozeans am Laufen halten. Die Weltmeere sind in ständiger Unruhe: Gezeiten, Wind, Unterschiede in Temperatur und Salzgehalt – all das versetzt gewaltige Wassermassen in Bewegung. Dadurch entstehen die großen Meeresströmungen wie etwa der Golfstrom. Manche dieser Ströme werden durch die Erdrotation aus ihrer Bahn gelenkt – riesige Wirbel bilden sich, tausende von Kilometern groß. Von deren Flanken lösen sich kleinere Wirbel ab, bis zu 200 Kilometer groß, gut zu erkennen auf Satellitenbildern, über Monate stabil. An ihren Rändern scheinen sich weitere Wirbel abzulösen. Und über die, sagt Baschek, weiß man nicht viel.
    "Diese Wirbel von vielleicht 100 Metern bis wenigen Kilometern im Durchmesser, das sind die kleinen Wirbel, die wir suchen. Die sind in der Meereskunde bislang praktisch übersehen worden, weil sie durch das Raster der Satelliten fallen. Die meisten Satelliten haben eine Auflösung von typischerweise einem Quadratkilometer. Damit sind Wirbel von einem halben Kilometer Größe nicht zu erkennen. Deshalb waren sie lange Zeit nicht zu beobachten."
    Computersimulationen kamen den Wirbeln auf die Spur
    Die Wirbel sind flüchtig. Sie entstehen aus dem Nichts, um ein paar Stunden später wieder zu verschwinden. Wie viele es von ihnen gibt, wie häufig sie sind, war lange unklar – also ignorierte sie die Meeresforschung schlicht. Vor zehn Jahren aber machten Computersimulationen einen entscheidenden Sprung. Erstmals konnten sie die Strömungen im Ozean realistisch nachbilden. Und prompt lieferten sie eine neue Spur:
    "Man war erstaunt, diese Masse an kleinen Wirbeln zu finden. Erst mit diesen Computermodellen wurde klar, dass diese Wirbel wirklich im gesamten Weltozean in großer Zahl vorhanden sind und wohl doch eine große Rolle spielen können in der Summe, in der sie auftreten."
    Manche Fachleute reagierten skeptisch. In Computersimulationen fließen Näherungen und Annahmen ein, womöglich also lagen die Rechnermodelle daneben. Was fehlte, war ein Beweis, ein kleiner Wirbel in flagranti.
    "Das ist uns 2009 als erste überhaupt gelungen, dass wir einen dieser kleinen, schönen Spiralwirbel vor der Küste Kaliforniens gefunden haben."
    Baschek arbeitete damals als Professor in den USA. 2012 kehrte er nach Deutschland zurück, ans Helmholtz-Zentrum Geesthacht. Seitdem verfolgt er zielstrebig seine Vision: eine Expedition, die die Wirbel detailliert vermisst und grundlegende Fragen klärt: Sind sie tatsächlich so wichtig für das Geschehen im Ozean? Inwieweit prägen sie das globale Klima? Und wie wirken sich die Wirbel auf Flora und Fauna aus, auf Nährstofftransport und Algenblüte?
    "Das Besondere an unserer Messkampagne ist, dass wir erheblich feiner auflösen, als dass sonst der Fall ist. Wir sind im Bereich von einem Meter Auflösung. Damit liegen wir zwei Größenordnungen besser als die Kollegen, die im 100-Meter-Bereich auflösen."
    Zehn Tage soll die Messkampagne in der Ostsee dauern, Projektname Uhrwerk Ozean. In dieser Zeit wollen Baschek und seine Leute möglichst viele Wirbel aufspüren und vermessen.
    "Eine Garantie haben wir nicht. Es ist schwer zu beziffern, wie viel Chancen wir haben, aber wir sind zuversichtlich."
    Der Motorsegler Stemme
    Der Motorsegler Stemme (Deutschlandradio/ Frank Grotelüschen)
    Montagmorgen, der erste Tag der Expedition. Am Motorsegler Stemme schraubt Pilot Martin Theis an einem tropfenförmigen Gebilde unter der linken Tragfläche.
    "Da sehen wir die Kamera. Die macht hochauflösende Wärmebilder von dem, was sich unterm Flugzeug befindet. Dazu haben wir neben dem Piloten noch einen weiteren Operator im Flugzeug, der nur dafür zuständig ist, die Kamera zu bedienen und die Bilder auszuwerten."
    Aus bis zu fünf Kilometern Höhe misst die Kamera Temperaturunterschiede auf der Meeresoberfläche. Da ein Wirbel in seinem Zentrum kälter ist als an den Rändern, sollte er sich von der Höhe aus gut erkennen lassen.
    "Wir sind die Vorhut von dem Ganzen. Wir können mit dem Motorsegler von oben einen großen Bereich abdecken und die Wirbel als allererste entdecken. Und geben die Koordinaten anschließend an die weitere Wissenschaftscrew durch."
    Peter Dahmann von der Fachhochschule Aachen leitet das Motorsegler-Team. Der Plan für heute:
    "Wir vermuten diese Wirbel südöstlich von Bornholm. Das Feld, das wir anfliegen werden, hat ungefähr 25 mal 25 Kilometer Fläche. Wir werden das abscannen in Streifen. Dann haben wir ein lückenloses Bild von der Wärmeoberfläche des Meeres."
    Dann schnappt sich Dahmann einen Lappen und reibt eine der Tragflächen trocken.
    "Wir haben von der Nacht noch etwas Tau auf den Flächen. Und den machen wir jetzt ab, damit wir optimale Flugleistungen haben."
    Jetzt startet die Stemme. Die Mission beginnt.
    Zeppelin überm offenen Meer
    Nicht weit entfernt schwebt der Zeppelin an seinem Mast, wie ein ungeduldiges Tier zieht und zerrt er an den Befestigungsleinen. 75 Meter misst die Hülle, die Kabine hat die Ausmaße eines Kleinbusses. Vorn das Cockpit für die beiden Piloten. Die geben gerade die Sicherheitsbelehrung: hier das Rettungsboot, da die Schwimmwesten. Dann wirft das Luftschiff seine drei Propeller an und hebt sachte ab.
    Bald verschwindet Usedom aus dem Blickfeld, der Zeppelin schwebt über der offenen See. Die Piloten steuern Kurs Nordost, Richtung Bornholm.
    "Derzeitig sind wir so 400 Meter über Grund. Wolkenfreier Himmel, wir haben 40 nautische Meilen Sicht."
    Im Cockpit des Zeppelins während der Helmholtz-Mission
    Im Cockpit des Zeppelins während der Helmholtz-Mission (Deutschlandradio / Frank Grotelüschen)
    Fritz Günther ist Pilot bei der Deutschen Zeppelin-Reederei. Den ganzen Tag über Wasser unterwegs zu sein, sei auch für einen erfahrenen Piloten die Ausnahme, sagt er.
    "Ich wage, zu behaupten, ein Luftschiff ordentlich zu starten, und zu landen, da gehört schon sehr, sehr viel Gefühl dazu. Das ist noch ein richtiges Handwerk, eine richtige Kunst. Denn wir müssen uns vorstellen: Wir haben eine seitliche Windangriffsfläche, die größer ist als die Segelfläche der Gorch Fock."
    Für diese Expedition scheint der Zeppelin ideal: Anders als ein Flugzeug kann er stundenlang über einem Wirbel schweben und ihn in aller Ruhe vermessen. Und im Vergleich zum Hubschrauber bietet er mehr Platz und muss nicht nach ein paar Stunden zum Tanken zurück an Land.
    Anderthalb Stunden dauert die Reise ins Zielgebiet. Fernerkundungsexperte Rüdiger Röttgers, einer der vier Wissenschaftler an Bord, zeigt auf ein Kernstück der Messtechnik – die Hyperspektralkamera. Durch eine Luke im Kabinenboden blickt sie nach unten auf die Ostsee und erfasst präzise deren Farbe.
    "Wir sehen die Wasserinhaltsstoffe. Das sind Algen oder Schwebstoffe oder gelöste Stoffe. Wir sehen im Prinzip alle Materialien, die das Licht absorbieren im Wasser. Und dazu gehören eben die Mikroalgen, die wir am meisten untersuchen wollen."
    Neben der Spektralkamera ist ein zweites Gerät montiert. Dafür zuständig: Techniker Wolfgang Cordes.
    "Das ist eine Wärmebildkamera. Wir können sehr feine Temperaturunterschiede erkennen. Also kann man mit sehr hoher Zuverlässigkeit sagen, dass man 0,1 Grad sicherlich perfekt auflösen kann."
    Zeppelin dient als Schaltzentrale der Mission
    Der Plan: Hat der vorausfliegende Motorsegler einen Wirbel entdeckt, hält der Zeppelin darauf zu und vermisst diesen Wirbel mit seinen Kameras. Gleichzeitig dient der Riese als Schaltzentrale. Von hier aus koordiniert Burkard Baschek die Aktion – unten die drei Forschungsschiffe, oben den Motorsegler.
    Plötzlich herrscht Aufregung, per Funk kommen schlechte Nachrichten. Nervös läuft Baschek in der Kabine hin und her.
    "Die Stemme, unser Motorsegler, hat ein Problem mit Instrumenten. Die sind jetzt gerade wieder zurückgekehrt zum Flughafen, um das zu reparieren."
    Die Kamera funktioniert nicht. Der Grund: unerwartete Spannungsschwankungen im Bordnetz. Für heute ist der Zeppelin auf sich allein gestellt.
    "Wir werden jetzt mit dem Zeppelin die Suche nach den Wirbeln übernehmen und hoffen, dass wir in den nächsten ein bis zwei Stunden was gefunden haben. Plan B, aber das sind die Sachen, auf die man sich einstellen muss."
    Baschek nimmt ein Fernglas und sucht die Meeresoberfläche ab.
    "Man kann Glück haben. Bei günstigem Sonnenstand kann es mitunter sein, dass man die Wirbel erkennt. Deswegen halten wir die Augen offen."
    Bornholm kommt in Sicht – Äcker, Wiesen und Wäldern, die Küste gespickt mit Ferienhäuschen. Auf der Ostsee zeichnen sich die Silhouetten der drei Forschungsschiffe ab.
    "Die Ludwig Prandtl ist dort hinten zu sehen. Etwa einen halben Kilometer dahinter ist dann Eddy, unser Schnellboot. Und noch mal drei bis vier Kilometer weiter hinten kann man einen bisschen größeren Fleck sehen. Das ist die Mann Borgese."
    Das Schnellboot Eddy - flexibel und schnell
    Früher am Morgen waren die drei Schiffe von Bornholm aus gestartet, hier liegen sie im Hafen.
    "7,30 Meter, und hat 250 PS. Je nach Wellen und Wetterlagen kommen wir auf 25 bis 26 Knoten."
    Am Steuer von Eddy, dem Schnellboot, sitzt Schiffsführer Bernd Peters. Im Hafen muss er langsam machen, es gilt ein Tempolimit.
    "Jetzt fahren wir noch sechs Knoten, fünf dürfen wir. Und hier draußen kann ich nun ein bisschen beschleunigen."
    Kaum hat er das Hafenbecken hinter sich gelassen, legt Peters den Gashebel um. Eddy startet durch.
    "Jetzt 25 Knoten. Man merkt schon: Bei dem Seegang ist das schon am Ende."
    25 Knoten, das sind 46 Kilometer pro Stunde.
    "Man hört das Schlagen des Bootes in den Wellen. Das ist eine echte ozeanographische Erfahrung, die wir hier gerade sammeln", sagt Peters’ Kollege Volker Dzaak.
    Zwar ist das Bootsinnere durch ein Verdeck geschützt. Trotzdem spritzt einiges an Gischt an Bord.
    "Wenn man mehrere Stunden auf See ist mit so einem Boot, ist man relativ salzverkrustet. Das bleibt nicht aus."
    Bernd Peters ist vom Gas gegangen, nun dümpelt Eddy vor sich hin. Peters zeigt die Messgeräte, die das Schnellboot an Bord hat. Ein kleines Arsenal.
    "Auf Eddy haben wir ein Strömungsmessgerät. Dann haben wir eine Ferry-Box. Die nimmt ständig Wasserproben, und da kann man Daten sehen wie Chlorophyll, Salzgehalt, Temperatur."
    Die Daten laufen in der winzigen Kajüte im Bug zusammen. Computer, Elektronik, drei Bildschirme und ein kleiner Sessel drängen sich auf engstem Raum. Bis zu zehn Stunden dauern die Tage auf See – ein Knochenjob für Peters und seine Leute.
    "Man muss während der Fahrt alle Muskeln anspannen, um sich festzuhalten. Und meine Crew muss immer Tabletten nehmen, damit sie nicht seekrank wird."
    Größere Forschungsschiffe haben zwar deutlich mehr Technik an Bord. Dafür aber besitzt Eddy ein anderes Plus:
    "Wir sind flexibler und schneller."
    Beobachtet der Zeppelin einen Wirbel aus der Luft, kann Schnellboot Eddy einen Sprint einlegen und das Phänomen als erstes vermessen – wichtig, wenn sich der Wirbel rasch wieder auflösen sollte.
    Forschungsschiff Ludwig Prandtl
    Deutlich geräumiger geht es auf der Ludwig Prandtl zu, das Forschungsschiff ist mehr als 30 Meter lang. Ingenieurin Martina Heineke zeigt auf eines der wichtigsten Werkzeuge an Bord – die Schleppkette.
    Das Forschungsschiff Ludwig Prandtl
    Das Forschungsschiff Ludwig Prandtl (Deutschlandradio/ Frank Grotelüschen)
    "Die Schleppkette wird dazu benutzt, in verschiedenen Tiefen Sauerstoff, Chlorophyll, Temperatur und Leitfähigkeit zu messen."
    120 Meter ist die Schleppkette lang. Eine raffinierte Technik lässt sie, gezogen von der Ludwig Prandtl, schräg im Meer hängen. Dadurch deckt sie verschiedene Tiefen ab, bis zu 40 Meter. Heineke zeigt auf einen Eimer mit einem gelben Knäuel.
    "Das Gelbe hier ist die eigentliche Schleppleine. Und an der Schleppleine werden die Messinstrumente befestigt. "
    Die Messsonden sehen aus wie schlanke Thermoskannen. Zehn davon passen an die Leine, etwa alle zehn Meter eine. Stundenlang zieht sie die Prandtl während eines Messtags hinter sich her. Die Daten werden nicht live an Bord übermittelt, das wäre viel zu aufwändig.
    "Die werden gespeichert und müssen dann abends nach dem Messeinsatz ausgelesen und prozessiert werden."
    Mit dem Einlaufen in den Hafen ist der Arbeitstag also längst nicht vorbei.
    "Der Tag ist voll, so sieht’s aus."
    Oben an Deck der Prandtl steht Fahrtleiter Jochen Horstmann. Er zeigt auf die Radarantennen – künstliche Augen, die stur und akribisch die Meeresoberfläche abscannen.
    "Man kann den Seegang damit messen. Man kann damit auch flächendeckende Strömungen messen."
    Radaranlage, Schleppkette, dazu Unterwasserroboter und Sensoren für Algen und Nährstoffe. Zusammen mit den Spezialkameras von Zeppelin und Motorsegler bilden sie ein hochkomplexes Arrangement.
    "Das muss man sich wie ein großes Puzzle vorstellen. Da kommen die ganzen Bausteine zusammen: Zeppelinbild, Radarbild, Schleppketteninformationen – alles, was wir so haben. Wir versuchen damit, das Gesamtbild des Wirbels festzustellen, und zwar nicht nur an der Oberfläche, sondern auch in der Tiefe. Daraus hoffen wir, mehr über den Wirbel zu erfahren und ihn besser zu verstehen."
    "Wir haben jetzt Funkkontakt zur Ludwig Prandtl. Jetzt werden wir versuchen, auch die Internetverbindung aufzubauen, damit wir Daten teilen können."
    Zurück an Bord des Zeppelins. Nach wie vor sucht Burkard Baschek mit seinem Feldstecher die Ostsee ab. Plötzlich stutzt er.
    "Das könnte eventuell was sein. Sieht per Auge aus der Luft so aus, als ob sich da eine Frontlinie entwickelt hat, die für uns auch von großem Interesse ist. Fliegen wir rüber. Mal schauen, in drei Minuten sind wir drüber."
    Und tatsächlich: Auf dem Monitor der Infrarotkamera wechselt abrupt die Farbe. Bei Baschek und Röttgers steigt der Puls.
    "Blau - die kalte Temperatur, und Grün ist der wärmere Teil. Wir sind gerade über eine Temperaturfront rübergeflogen, die zwischen den beiden Seiten einen Unterschied von 0,6 Grad hat."
    Auf dem Bildschirm sind Daten der Infrarotkamera zu sehen
    Auf dem Bildschirm sind Daten der Infrarotkamera zu sehen (Deutschlandradio / Frank Grotelüschen)
    "Ein Bereich, wo sich die Wassermasse innerhalb von nur ein paar Metern stark ändert. Wenn man rausguckt: Man sieht das auch. Man sieht diese Schaumfronten, also diese Striche, die da unten entlanggehen. Eine ganz starke Front, ein starker Unterschied in der Temperatur, wenn man da durchfährt."
    Interessante Front entdeckt
    Eine kurze Beratung, dann steht fest: Diese Front ist interessant, die Crew wird sie detailliert vermessen. Baschek greift zum Funkgerät, die Schiffe sollen sich umgehend auf den Weg machen.
    "Prandtl, Ludwig Prandtl, hier ist Zeppelin."
    "Ludwig Prandtl hört."
    "Hier ist einiges an verschiedenen Fronten. In einer Meile könntet Ihr die Geräte ins Wasser lassen und nach Norden fahren."
    "Verstanden."
    Dennoch sind die Wissenschaftler nervös: Wird die Front lange genug halten?
    "Die Riesenwirbel sorgen vor allem für eine Horizontalbewegung. Aber sie bewegen nicht viel aus der Tiefe an die Oberfläche."
    Amala Mahadevan ist Meeresforscherin an der Woods Hole Oceanographic Institution in den USA. Sie will wissen: Wie werden Fauna und Flora durch Fronten geprägt, vor allem aber durch Wirbel? Gäbe es sie nicht – würde der Ozean überhaupt so vor Leben strotzen?
    "Für die Biologie stellt sich eine zentrale Frage: Wie gelangen Nährstoffe nach oben, um dort vom pflanzlichen Plankton verwertet zu werden? Wir glauben, dass die kleinen Wirbel einen großen Anteil daran haben, Nährstoffe an die Oberfläche zu befördern."
    Einfluss auf das Leben im Meer
    Die Meereswirbel als Nährstoff-Fahrstuhl aus der Tiefe. Ein Mechanismus, der sich zwar bereits bei größeren Wirbeln gezeigt hat. Unklar aber ist die Situation bei den kleineren mit Durchmessern von einigen hundert Metern bis zu ein paar Kilometern. Da sie sich schneller drehen, könnten sie noch effektiver als Leben spendender Rührquirl fungieren.
    "Wie wirken sich diese Phänomene auf den Austausch zwischen unten und oben aus? Sind es vor allem die vielen kleinen Wirbel, die Unmengen an Nährstoffen an die Oberfläche befördern? Und sorgen sie umgekehrt dafür, dass Sauerstoff von oben in die Tiefe gelangt?"
    Einen Fingerzeig geben die Computersimulationen. Demnach haben die Wirbel einen enormen Einfluss auf das Leben – sie könnten auf unserem Planeten für die Hälfte des Mikroalgen-Wachstums verantwortlich sein. Diese Algen bilden die Grundlage für alle Nahrung im Meer – und sie produzieren global gesehen die Hälfte des Sauerstoffs in der Atmosphäre.
    "Wenn wir diese Prozesse besser verstehen, dürfte das Folgen haben für die Fischerei. Außerdem werden wir besser abschätzen können, wie sich der Klimawandel auf das Leben im Ozean auswirken wird, etwa wenn das Meereis immer weiter schmilzt."
    Um das zu klären, beteiligt sich Mahadevan an der Messkampagne. Ihr Team steuert ein Messinstrument bei, das in den Wirbeln die Konzentration eines zentralen Nährstoffs erfasst – Stickstoff.
    "Die Messungen aus der Luft geben Auskunft über das Geschehen an der Meeresoberfläche. Und die Messungen im Wasser verraten, was zur gleichen Zeit in der Tiefe passiert."
    An Bord des Zeppelins ist Burkard Baschek erleichtert: Die Front hat sich gehalten. Die Schiffe konnten sie mehrmals durchkreuzen.
    "Wir werden die Front jetzt noch ein paar Mal in Ost-West-Richtung überfliegen. Es sieht allerdings so aus, als ob sie langsam schwächer wird. Hast du Temperaturunterschiede?"
    "Halbes Grad Unterschied in 1,70 Meter Tiefe."
    "Okay, super, das ist sehr schön. Ihr solltet immer schön Kurs halten. Nord-Süd-Richtung, sooft wiederholen wie es geht im Moment."
    Pilot Fritz Günther macht gerade Pause und stopft sich schnell ein Brötchen in den Mund, seine Kollegin hat das Steuer übernommen. Der Job erfordert höchste Konzentration, schließlich muss der Zeppelin einen strikten Kurs einhalten, soll Bahnen fliegen, die sich perfekt an die anderen anschließen, wie beim Tapezieren.
    "Man muss schon aufpassen. Nach einer Dreiviertelstunde merkt man, dass man nicht mehr ganz so konzentriert ist. Wir wechseln alle Stunde, dass der eine sich ein bisschen erholen kann."
    "Gut, herzlichen Dank euch beiden."
    Um drei Uhr nachmittags haben die Forscher genug Daten im Kasten. Die Auswertung wird Rüdiger Röttgers und seine Leute monatelang beschäftigen.
    "Wir wollen am Ende gucken, ob diese Durchmischung in der Front irgendwas an den Wachstumsraten von den Algen ändert. Ob es, wenn sich zwei Wassermassen mischen, einen positiven Effekt auf die eine oder andere Wassermasse hat."
    Zweieinhalb Stunden dauert der Rückflug nach Peenemünde. Erst jetzt kann sich Expeditionsleiter Baschek ein wenig entspannen.
    "Der erste Eindruck ist, dass wir eine sehr interessante Front gesehen haben, die sich von der Insel Bornholm losgelöst hat. Wir haben einen Temperaturunterschied von knapp einem Grad beobachtet. Von daher bin ich hochzufrieden mit dem ersten Tag."
    Sieben Stunden lang Messungen
    Doch es soll noch besser kommen. Die Probleme mit dem Motorsegler sind gelöst, für den Rest der Kampagne agiert er wie geplant als Vorhut. Und zwei Tage später, am Mittwoch, gelingt Volker Dzaak und seinen Kollegen der erhoffte Durchbruch.
    "Da haben wir einen richtigen Wirbel gefunden."
    Durchmesser: drei Kilometer, mit Spiralarmen ähnlich wie bei einer Galaxie. Spektakulär das Bild der Infrarotkamera: Blau das Auge des Wirbels, hier ist das Wasser kalt. Weiter außen wechselt die Farbe von grün über gelb nach rot, um in den Spiralarmen immer weiter zu verschmieren. Sieben Stunden dauern die Messungen, dann sind die Daten im Kasten. Nur einen Tag später der nächste Erfolg: Wieder ein Wirbel, diesmal ein größeres Exemplar, Durchmesser 15 Kilometer.
    "Das war für uns eine interessante Aufgabe, weil sie in Kombination stand mit einer beginnenden Algenblüte. Das ist was Besonderes, wenn man auf der Oberfläche des Wassers eine beginnende Algenblüte wahrnehmen kann."
    Grünliche Bänder im blauen Meer, mit bloßem Auge vom Zeppelin aus zu sehen. Die Daten könnten darauf hindeuten, dass Sauerstoff vom Wirbel aus der Tiefe nach oben gequirlt wurde. Auch scheint es hier mehr Plankton zu geben. Anzeichen dafür, dass Wirbel als Brutstätten für Mikroalgen fungieren – und damit prominent mitmischen im Lebenszyklus der Weltmeere.
    "Die Datenauswertung wird zeigen, ob es tatsächlich so war. Da bin ich sehr gespannt, ob sich diese Hypothese bestätigt."
    Dann, übers Wochenende, herrscht schlechtes Wetter – zu schlecht, um auf die Ostsee rauszufahren. Erst am Montag können Burkard Baschek und sein Team wieder ausrücken. Es wird ein entscheidender Tag. Denn zu den Momentaufnahmen der ersten Woche kommt ein kompletter Film, die ganze Geschichte vom Werden und Vergehen.
    "Wir haben gesehen, wie ein Wirbel entstanden ist und konnten den über sechs bis sieben Stunden verfolgen und haben gesehen, wie er dann langsam wieder zerfallen ist. Wir haben an einem Objekt die gesamte Entwicklungsgeschichte mitgemacht! Deswegen ist das der Tag, der mir am besten gefallen hatte, weil man dafür eine ganze Menge Glück braucht."
    Jetzt ist Mittwoch, der erste Tag nach der Kampagne. Um drei Uhr nachts ist Baschek nach Hause gekommen – müde, aber hochzufrieden.
    "Es lief wie ein Uhrwerk. Nach den ganzen Jahren Vorbereitung ist es einfach schön, dass man sieht: Ja, wir finden die Wirbel, wir können sie sehr gut aufspüren. Auch das Zusammenspiel der Messplattformen hat hervorragend funktioniert."
    Die Datenausbeute: Dutzende von Terabyte, mehrere Festplatten sind gefüllt.
    "Wir können sagen, dass wir sehr vielversprechende Ergebnisse haben. Aber es wird viele Monate und Jahre dauern, bis wir alles ausgewertet haben und wissen, was wir wirklich gesehen haben."
    Womöglich werden Meeresbiologen verstehen, wie Plankton zu seinen Nährstoffen kommt. Und Klimaforscher neue Fakten in die Hände bekommen – harte Messdaten, mit denen sie ihre Modelle um ein weiteres Stück realitätsgetreuer machen können.
    "Da liegt nach wie vor eine der großen Unsicherheiten, die Modelle haben."
    Und wenn es nach Baschek geht, wird es nicht die letzte Expedition gewesen sein, bei der ein Zeppelin nach den flüchtigen Meereswirbeln sucht.