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Wirbel um Nobelpreis-Vorlesung
Hat Bob Dylan abgeschrieben?

Erst hat er den Nobelpreis für Literatur nicht persönlich entgegengenommen. Dann hat er kurz vor Ablauf der Frist eine Vorlesung gehalten, um doch noch das Preisgeld zu kriegen. Und jetzt sollen weite Teile seines Vortrages ein Plagiat sein. "Daran ist überhaupt nichts Schlimmes", meint DLF-Literaturkritiker Jan Drees.

Jan Drees im Gespräch mit Susanne Luerweg | 14.06.2017
    Bob Dylan im Weißen Haus in Washington DC
    Die US-amerikanische Folklegende Bob Dylan (picture alliance / dpa / Jim Lo Scalzo)
    Susanne Luerweg: Speziell die Stellen, in denen es um "Moby Dick" geht, soll der Musiker und Literaturnobelpreisträger Dylan aus dem Internet und einer Interpretationshilfe für Schüler abgeschrieben haben. Jan Drees, unser Kollege vom Büchermarkt, wie schätzen Sie das ein? Was ist da dran an den Anschuldigungen?
    Jan Drees: Die Redakteurin Andrea Pitzer vom Magazin "Slate" hat heute einen Text online gestellt und genau gezeigt, wo sich Bob Dylan bedient hat - und zwar tatsächlich bei einer Schülerhilfe, bei "Spark Notes" im Internet. Hat dort teilweise sogar falsche Zitate abgeschrieben. "Spark Notes" ist ein Anbieter, der die Werke der Weltliteratur und jene Werke, die behandelt werden im Curriculum der amerikanischen Schulen, in Kurzfassung bereitstellt. Daran hat sich also Bob Dylan bedient. Ob es aber ein Skandal ist, das ist eine ganz andere Frage, denn Bob Dylan ist ja dafür bekannt, dass er gerne plagiiert.
    Luerweg: Er soll ja auch Songtexte plagiiert haben. Hätte man damit vielleicht sogar rechnen müssen?
    Drees: Bob Dylan ist vom Nobelpreiskomitee im vergangenen Jahr ausgezeichnet worden für seine spezielle Aneignung und Weiterführung des Great American Songbooks. Aneignung bedeutet in dem Fall auch, dass er Dinge aus diesem Great American Songbook plagiiert und übernommen hat. Das ist nichts Neues, er hat sich ja auch bei Ovid bedient, er hat sich bei der "Odysee" bedient, das ist aber an sich erstmal gar kein Skandal. Es gab unzähliche Literaturnobelpreisträger, die sich an anderen Werken bedient haben. Es sind inzwischen unzählige Dissertationen erschienen über das Verhältnis von Thomas Manns Texten zu Arthur Schopenhauer. Gleichzeitig weiß man aber, dass er "Sein und Zeit" (von Martin Heidegger, Anm. d. Red.) nie gelesen hat, sondern sich auch hier nur informiert hat in einer Übersichtsschrift. Also daran ist überhaupt nichts Schlimmes. Und zugleich ist ja Bob Dylan eben für seine besonders gute Kunst des Plagiierens ausgezeichnet worden.
    Luerweg: Das heißt, dass er jetzt Teile seiner Rede plagiiert haben soll, würden Sie gar nicht so kritisieren, sondern sagen: gut, ist halt so.
    "Das ist eine besonders ironische Volte"
    Drees: Ich würde es als künstlerische Collage einordnen wollen. So viele Jahre nach "Palimpseste" von Gérard Genette, wo wir wissen, dass ohnehin jeder Text, der geschrieben wird, basiert auf allen anderen Texten, die vorher geschrieben worden sind. Es also überhaupt gar nichts Neues geben kann, sondern immer nur Variationen und neue Texte, die sich über die alten Texte drüberschreiben, die dann möglicherweise wie bei einem Palimpsest früher einfach noch durchschimmern durch die andern Texte. Da können wir nicht tatsächlich sagen, der hat plagiiert, nur weil er seine Kunst zusammengesetzt hat aus verschiedensten Zitaten. Dass er das natürlich bei "Spark Notes" gemacht hat, einer Schülerhilfe, ist eine besonders ironische Volte, weil Bob Dylan hier dann noch einmal zeigt, wie er zum Literaturnobelpreis steht, also zu dem ganzen Pomp, der dazu gehört.
    Man hatte ja durchaus den Eindruck, als Bob Dylan ausgezeichnet wurde, dass das Literaturnobelpreiskomitee zum ersten Mal seit Winston Churchill - der den Preis auch bekommen hat, damals für seine Tagebücher - sie endlich mal wieder jemanden auszeichnen wollten, der bekannter ist als sie selbst. Der bekannter ist als der Literaturnobelpreis, und dann hat sich Bob Dylan überhaupt nicht beirren oder beeindrucken lassen.
    Luerweg: Würden Sie mir dennoch zustimmen, wenn ich sage, dass das den Literaturnobelpreis beschädigt?
    Drees: Das könnte ihn beschädigen, wenn man sagen würde, es können nur bestimmte Texte ausgezeichnet werden, in denen beispielsweise keine Zitate vorhanden sind. Das steht aber nicht in den Statuten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.