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Wirksam zur Aidsbehandlung und -prävention

Medizin. - Zum Ende jeden Jahres kürt die Wissenschaftszeitschrift "Science" die zehn wichtigsten Entdeckungen. In diesem Jahr führt die Studie HPTN 052 das Feld an: Hinter dem kryptischen Kürzel steckt die Entdeckung, dass antiretrovirale Medikamente, die zur Behandlung einer Aids-Infektion genommen werden, eine Weiterverbreitung des Virus zu nahezu 100 Prozent unterbinden. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide erläutert die Bedeutung der Entdeckung im Gespräch mit Monika Seynsche.

Martin Winkelheide im Gespräch mit Monika Seynsche | 23.12.2011
    Seynsche: Herr Winkelheide, warum ist das für "Science" ein Durchbruch des Jahres?

    Winkelheide: Die These an sich, dass Aidsmedikamente helfen eine neue Infektion zu verhindern, die ist ja nicht neu. Aber es hat immer Skeptiker gegeben und jetzt liegt sozusagen der erste streng wissenschaftliche Beweis vor, wenn HIV-Infizierte Aidsmedikamente nehmen, dann sind ihre Partner nicht zu 100, aber zu 96 Prozent sicher davor, sich mit HIV anzustecken. Und damit zählt das Medikament plötzlich als Präventionsinstrument zu den effektivsten, die es überhaupt gibt. Und das ist auch schon zu merken, der Einfluss der Studie ist sehr groß auf die Aidsprogramme, die zur Zeit schon laufen.

    Seynsche: Es ist aber erst eine einzelne Studio. Wie kommt es, dass von so einer einzelnen Studie eine solche Signalwirkung ausgeht?

    Winkelheide: Weil die Ergebnisse so unglaublich klar sind. Also die Geschichte der Studie ist ein bisschen verzwickt. Sie wurde 2007 schon gestartet in neun Ländern, sollte ursprünglich bis 2015 dauernd. Und sie war so angelegt, dass in die Studie Paare eingeschlossen worden sind, heterosexuelle Paare, bei denen ein Partner HIV-positiv war und der andere Partner HIV-negativ, also noch nicht infiziert war. Und die eine Hälfte der HIV-Positiven bekam Medikamente und die andere erst, wenn die Schäden am Immunsystem groß waren, und damit also der Ausbruch der Immunschwächekrankheit Aids drohte. Dieses Jahr im Frühjahr ist eine Zwischenauswertung gemacht worden, die Studie ist begutachtet worden. Und die Gutachter haben gesagt: 'Stopp! Wenn Ihr die Studie so weiterführt, dann wäre das unethisch.' Und sie haben gesagt: 'Die Ergebnisse bitte so schnell wie möglich veröffentlichen, weil die Ergebnisse so deutlich sind.' Um das zu sagen: es haben 1763 Paare teilgenommen, in der Medikamentengruppe hat es nur eine Übertragung gegeben von HIV. In der anderen Gruppe 27 neue HIV Infektionen. Also glasklares wissenschaftliches Ergebnis.

    Seynsche: Und was sind jetzt die praktischen Schlüsse aus dieser Studie?

    Winkelheide: Man könnte ja sagen: 'Aidsmedikamente für alle Infizierten.' Theoretisch zumindest. Und wenn es gelingen würde, alle Infizierten zu testen und zu behandeln, und die Behandlung auch tatsächlich funktioniert, könnte die Pandemie tatsächlich erst gebremst und dann, sage ich mal, innerhalb von 50 Jahren gestoppt werden. Das ist eine schöne Vision, aber sie ist leider unrealistisch, weil es eben ganz viele praktische Probleme gibt.

    Seynsche: Warum sind Sie so skeptisch?

    Winkelheide: Zur Zeit bekommt ja nun jeder zweite Infizierte, der Medikamente bräuchte, tatsächlich auch eine Therapie tatsächlich sind das eben fast sieben Millionen Menschen, aber eben 2,7, also knapp 3 Millionen Menschen stecken sich jedes Jahr neu an. Das heißt, Medikamentenprogramme müsste man extrem erweitern, man bräuchte sehr viel Geld und vor allen Dingen auch die entsprechende Infrastruktur. Und da man Aidsmedikamente ja nicht für ein paar Wochen, sondern theoretisch lebenslang nehmen muss, ist kaum vorstellbar, angesichts der Wirtschaftskrise, dass die Anstrengungen wirklich verdoppelt würden. Das ist, glaube ich, eine der höchsten Hürden, die zu nehmen ist. Auf der anderen Seite: Man müsste Infizierte sehr früh entdecken, viel früher als es heute passiert. Und man müsste flächendeckende Tests machen, in einigen Ländern hat es Versuche dazu geben, sie sind gescheitert, das große Problem ist auch, dass die Tests nicht empfindlich genug sind, das Zeitfenster, in dem sie anschlagen, ist einfach zu groß, um frühe Infektion zu entdecken. Dafür müsste man sehr viel teurere Tests nehmen. Auch das ist unrealistisch, das Problem ist halt die Nebenwirkungen der Medikamente, die Belastung für Infizierte. Und das sind eben große praktische Probleme, die so nicht lösbar erscheinen.

    Seynsche: Was wäre denn ihrer Ansicht nach eine realistische Umsetzung dieser Studie?

    Winkelheide: Wenn man sagen würde: Medikamente sind ein wichtiges Mittel der Prävention, aber man muss eben Prioritäten setzen, also vor allem die Menschen finden, informieren und auch nah Behandlung anbieten, bei denen das Risiko sehr hoch ist, also zum Beispiel Sexarbeiter, Schwangere, Menschen die mehrere Sexpartner haben, und vor allen Dingen, das wichtigste ist glaube ich, die anderen vorbeuge Schritte nicht vernachlässigen, also Kondome oder Beschneidung von Männern. Attraktiv bleibt der Medikamentenansatz trotzdem. Also nach dem Motto, jetzt investieren, später sparen, weil sich dann möglicherweise weniger Menschen neu anstecken.