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Wirkstoff Ivermectin
"Dieses Medikament wird auch weiterhin gebraucht"

Zwei Wissenschaftler erhalten den Medizin-Nobelpreis für Forschungen am Wirkstoff Ivermectin, der parasitäre Fadenwürmer unschädlich macht. Das Pharmaunternehmen MSD verteilt entsprechende Medikamente kostenfrei in Entwicklungsländern. Aber auch hierzulande wurde das Präparat erst kürzlich noch benötigt, sagte Dr. Kristian Löbner, medizinischer Direktor des Unternehmens, im DLF.

Kristian Löbner im Gespräch mit Lennart Pyritz | 05.10.2015
    Lennart Pyritz: Dr. Kristian Löbner ist medizinischer Direktor und Mitglied der Geschäftsführung beim Pharmazie-Unternehmen MSD. Das Unternehmen produziert und vertreibt das Medikament Mectizan, das auf den Wirkstoff Avermectin bzw. Ivermectin zurückgeht, den die Nobelpreisträger Campbell und Omura gefunden haben. Ich habe ihn kurz vor der Sendung telefonisch erreicht und gefragt, ob der Nobelpreis für diese Entdeckung gerechtfertigt ist...
    Kristian Löbner: Die Entdeckung war auf alle Fälle sehr wichtig, um parasitäre Erkrankungen zu bekämpfen. Das war das erste Medikament, mit dem man wirklich die parasitären Erkrankungen, die unter anderem zur Flussblindheit führen, die unter anderem zu der Elefantiasis - also einer anderen lymphatischen Erkrankung - führen, bekämpfen konnte. Und es ist bis heute State oft the Art des Ganzen. Was aber besonders wichtig ist: Diese Medikamente wurden im langfristigsten Spendenprogramm, was je gelaufen ist, kostenlos an Millionen Menschen verteilt. Ich denke, der Nobelpreis ist nicht nur für die Substanz gegeben worden, sondern auch für die Tatsache, dass seit mittlerweile über 25 Jahren dieses Medikament an Patienten verteilt wird, dass über eine Milliarde Behandlungen damit im Rahmen dieses Spendenprogramms durchgeführt worden sind - und damit über 40.000 Erblindungen im Jahr vermieden werden können.
    Pyritz: Lassen sie uns das noch ein bisschen genauer aufrollen. Vielleicht können Sie in ein paar Stationen nachzeichnen, wie dieser Wirkstoff sozusagen aus dem Labor dann in den weltweiten Einsatz gekommen ist.
    Löbner: Die Entdeckung war eigentlich ganz spannend. Das Medikament ist in Erdproben aus Japan entdeckt worden. Relativ häufig entwickeln Mikroben in der Erde oder andere Lebewesen Stoffe, um ihre ökologische Nische zu verteidigen. So entwickeln beispielsweise Bakterien in der Erde - oder andere Mikroorganismen in der Erde - Stoffe unter anderem gegen diese Fadenwürmer, die die beiden genannten Erkrankungen auslösen. Man hat dann gesehen: Dieses Medikament wirkt gegen das Nervensystem von Parasiten: von Fadenwürmern, aber auch von kleinen Spinnentierchen, Milben, die unter anderem die Scabies - im Volksmund auch Krätze genannt - auslösen. Das Ganze wurde dann in größeren klinischen Studien getestet und schließlich dann zugelassen als Medikament, in verschiedenen Ländern der Welt.
    Tabletten im Wert von über fünf Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt
    Pyritz: Sie haben jetzt eben schon erwähnt, dass es kostenfrei ausgegeben wurde. Warum und wie wurde das organisiert?
    Löbner: Das Medikament wurde zuerst kommerziell vermarktet. Und irgendwann haben wir als MSD gesagt: Wir haben jetzt etwas in der Hand, um Millionen Menschen vor Blindheit und schweren Erkrankungen zu bewahren. Und wir haben uns gesagt, wir geben hier nicht nur Geld, sondern wird geben das, was wir am besten können - ein Medikament und unser medizinisches Know-how. Es wurden dann 45 Millionen US-Dollar an Direktunterstützung zur Verfügung gestellt und Tabletten im Wert von über fünf Milliarden Dollar. Ganz wichtig ist: Es wurde auch Geld zur Verfügung gestellt, um die Patienten zu behandeln, um das Medikament auszugeben. Wir arbeiten hier auch viel mit caritativen Organisationen - ganz besonders in dem Fall mit der Christoffel-Blindenmission - in Deutschland zusammen, damit die Medikamente auch die Patienten erreichen, die es am nötigsten brauchen.
    Pyritz: Welche Bedeutung hat das Medikament heute noch in der Behandlung dieser Parasiten übertragenden Krankheiten?
    Löbner: Wir sind einen großen Schritt weiter gekommen. In drei Ländern in Lateinamerika ist die Erkrankung mittlerweile ausgerottet. In Afrika rechnen wir damit, das bis 2020 diese Erkrankung ausgerottet werden kann. Aber es sind immer noch über 18 Millionen Patienten mit diesen Erkrankungen infiziert und über 120 Millionen haben immer noch das Risiko, sich zu infizieren. Das heißt, dieses Medikament wird auch weiterhin gebraucht. Und wir haben uns sogar letztens auch hier in Deutschland sehr viel mit diesem Medikament beschäftigt. Im Rahmen der Flüchtlingskrise kam es in Massenunterkünften und während der Flucht auch zu Ausbrüchen der Scabies, also der Krätze. Und wir sind von den Behörden der Länder angefragt worden, dieses Medikament zur Verfügung zu stellen, und konnten dieses sogar über eine Sondergenehmigung des Bundesgesundheitsministeriums nach Deutschland importieren. Das heißt, das Medikament wird nach wie vor gebrauch und ist das Medikament für die Behandlung dieser parasitären Erkrankungen.
    " ... sehr, sehr gut erprobt"
    Pyritz: Wird das Medikament noch weiter entwickelt, oder ist das wirklich 'State of the Art' und wird in der Form verwendet, wie es schon seit Jahren eingesetzt wird?
    Löbner: Es laufen eine ganze Menge Studien zu diesem Medikament - meistens über akademische Institutionen. Ich denke, für die Indikation, für die man es jetzt einsetzt, ist es sehr, sehr gut erprobt - und in einer riesengroßen Praxis kennt man sich damit sehr, sehr gut aus.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.