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Wirrwarr um Auslands-Semester

Von den Bachelor-Studenten gehen nur wenige während ihres Studiums ins Ausland. Durch die verkürzte Studienzeit sind die betreffenden Zahlen der Bachelor-Studenten nicht mit denen der Diplom-, Magisterstudierenden vergleichbar, sagt Wolfgang Isserstedt vom Hochschul-Informations-System.

Wolfgang Isserstedt im Gespräch mit Manfred Götzke | 19.01.2011
    Manfred Götzke: Bologna-Reform und Auslandssemester – das verträgt sich überhaupt nicht, haben wir bei "Campus und Karriere" immer mal wieder berichtet. Umso überraschender war für uns die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, die vor ein paar Tagen veröffentlicht wurde. Da steht nämlich drin: Im Vergleich zum Jahr 2000 sind 2008 doppelt so viele Studis ins Ausland gegangen. Schaut man sich die Zahlen dann aber mal genauer an, dann wird klar: Von den Bachelor-Studenten schaffen es nur sehr wenige über die Grenze, sieben Prozent nämlich, denn die Leute, die 2008 für die Studie befragt wurden, haben größtenteils noch nach dem alten System studiert.

    Und von den Diplom- und Magisterstudierenden ist fast ein Viertel einmal im Ausland gewesen. Alles also ein bisschen kompliziert, und deswegen will ich jetzt mal mit dem Mann sprechen, der die Studie für das Studentenwerk erstellt hat, mit Wolfgang Isserstedt vom Hochschul-Informations-System nämlich. Herr Isserstedt, was ist denn jetzt Fakt? Ist der Bachelor der Auslandssemester-Killer oder nicht?

    Wolfgang Isserstedt: Nein, ich halte es schlicht und einfach für unzulässig, das so miteinander zu vergleichen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Studierenden, die im Sommersemester 2009 befragt wurden und damals im Bachelorstudium waren, erst seit gut zwei Jahren im Studium sind, die Diplom-, Magisterstudierenden hingegen seit knapp fünf Jahren, ist eben die Chance für ein Auslandsstudium bei den Bachelorn eben deutlich geringer. Hinzu kommt schlicht und einfach, dass auch nach den bisherigen Ergebnissen Studierende aus Diplom- und Magisterstudiengängen selten in den ersten sechs Semestern Auslandserfahrungen gemacht haben, und das wäre ja eigentlich der Vergleich mit den Bachelorstudierenden, sondern erst in späteren Semestern ins Ausland gegangen sind.

    Götzke: Das heißt, man kann dazu überhaupt noch gar nichts sagen, ob der Bachelor das Auslandsstudium eher fördert oder ob er es verhindert?

    Isserstedt: So ähnlich würde ich es auch sagen. Man muss einfach abwarten: Wie entwickelt sich das? Also wir haben quasi jetzt eine erste Messung auf einigermaßen zuverlässigen Zahlen gemacht, und würden die in drei Jahren mit der nächsten Sozialerhebung wieder machen, und dann kann man feststellen: Wie entwickelt sich das? Und wenn man mit Diplom vergleichen will, dann würde ich also wirklich empfehlen zu sagen, dann muss man sich den Masterabsolventen anschauen: Wie viele von denen waren denn dann im Ausland? Das ist eine vergleichbare Größe dann.

    Götzke: Und davon gibt es einfach noch viel zu wenige im Moment?

    Isserstedt: Davon gibt es ... Wir befragen aktuelle Studierende, und die Masterstudierenden sind einfach noch zu wenig, um solche Anteilswerte zu berechnen.

    Götzke: Andererseits war doch bei dem Bildungsstreik vonseiten der Studierenden genau das immer kritisiert worden, mit dem Bachelor sei es viel schwieriger, ins Ausland zu gehen. Haben die Studierenden alle gelogen?

    Isserstedt: Die Frage ist doch schlicht und einfach die: Wenn auf mich ausgeübt wird, du sollst innerhalb von sechs Semestern auch mal ins Ausland gehen, und ich merke, dass also der Druck auf mich doch relativ groß ist, dass ich es nicht schaffe – das ist eine andere Perspektive, als wenn ich sage, meine Regelstudienzeit ist neun Semester, na ja, dann gehe ich eben im siebten oder achten mal. Ich würde nicht unterstellen wollen, dass die Studierenden da etwas Falsches behauptet haben, aber ich würde einfach davon ausgehen, man muss da einfach die Entwicklung abwarten, inwieweit man wirklich im Rahmen eines sechssemestrigen Studiums auch ins Ausland gehen kann oder eben nicht.

    Götzke: Und Ihre Prognose ist, das ist eher nicht möglich?

    Isserstedt: Wenn wir politisch es wollen, dass die Leute auch schon nach sechs Semestern im Ausland waren, dann muss man eben in den Studiengängen Fenster einbauen, die das ermöglichen. Und das ist eben noch nicht in jedem Studiengang möglich, so würde ich es sehen.

    Götzke: Eins wurde in der Studie auch noch klar: Aus reichen Familien, reicheren Familien gehen doppelt so viele ins Ausland wie aus ärmeren. Ist das Gastsemester den Bessergestellten vorbehalten?

    Isserstedt: Nein, das würde ich so nicht sehen. Also die Entwicklung ist die, dass aus finanziell schwächer gestellten Elternhäusern der Anteil auch wächst, der ins Ausland geht. Das sieht man also zum Beispiel auch daran, dass noch vor sechs Jahren ungefähr 23 Prozent mit BAföG im Ausland waren, und mittlerweile sind es, also 2009, 30 Prozent. Also ich will nicht verhehlen, dass nach wie vor die studienbezogenen Auslandsaufenthalte schon etwas auch mit sozialer Herkunft zu tun haben. Leute aus höheren sozialen Schichten gehen häufiger ins Ausland.

    Götzke: Sie haben sich in der Studie außerdem angeschaut, wie Gaststudierende hier in Deutschland klarkommen, und da war das Ergebnis: Sie kommen schlechter klar als noch vor der Bologna-Reform. Dabei sollte doch Bologna mehr Klarheit, mehr Einfachheit bringen.

    Isserstedt: Da hat sich überraschend schon 2006 und jetzt auch wieder der größte Teil der Ausländer gesagt: Das ist unsere größte Schwierigkeit, hier im deutschen Studiensystem uns zurechtzufinden. Das erstaunt schon ein wenig, dass man eigentlich meint, wenn wir internationalisieren, dass dann auch Leute aus dem Ausland hier besser zurechtkommen. Wenn Sie mich so persönlich fragen, würde ich sagen, dahinter steckt schlicht und einfach ein Bedürfnis nach mehr Studienberatung. Wenn Sie also zwischen den Zeilen lesen, was dann auch so an Anmerkungen von den Ausländern geschrieben wird, ist es doch sehr häufig, dass sie einfach mehr Studienberatung brauchen.

    Götzke: Wie beliebt ist Deutschland eigentlich bei den ausländischen Studierenden?

    Isserstedt: Wir haben gefragt: War das ursprünglich für Sie erste Wahl als Studienland oder nicht? 50 Prozent sagten, es war erste Wahl, also die Hälfte nicht, hatte eigentlich eher die Tendenz, in ein englischsprachiges Land zu gehen, sprich USA oder Großbritannien. Wenn Sie dann aber gucken, wie sich das so im Laufe des … in Deutschland entwickelt hat, stellen Sie fest, dass doch ein erheblich höherer Anteil dann später sagt, also ich würde durchaus Deutschland als Studienland empfehlen, wenn ich wieder zu Hause bin.

    Götzke: Vielen Dank, Wolfgang Isserstedt vom Hochschul-Informations-Zentrum hat erforscht, wie viele Studierende ins Ausland gehen. Ob der Bachelor nun das Auslandssemester erschwert, können die aktuellen Zahlen noch nicht sagen, da müssen wir noch drei Jahre warten.