Freitag, 19. April 2024

Archiv

Wirtschaft in den Niederlanden
"Die Mehrheit will keinen Nexit"

Der wirtschaftliche Aufwärtstrend in den Niederlanden mache sich noch nicht bei allen Leuten bemerkbar, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Kees van Paridon im DLF. Er glaube aber nicht, dass die Mehrheit der Niederländer den Nexit wolle. Sie wüssten, dass ihr Land auf internationale Wirtschaftsbeziehungen angewiesen sei.

Kees van Paridon im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 15.03.2017
    Niederländische Flaggen in Den Haag
    Zwischen 2000 und 2009 habe es nicht genügend Reformen in den Niederlanden gegeben, so der Wirtschaftswissenschaftler Kees van Paridon. Daher sei es schwierig gewesen, neues Wachstum zu bekommen. Die Folge waren harte Einsparungen für viele. (dpa / picture alliance / Daniel Reinhardt)
    Sina Fröhndrich: Das europäische Wahljahr hat begonnen – bis zum Abend können die Niederländer über ihr neues Parlament entscheiden. Die wesentliche Frage ist: Wie wird der Rechtspopulist Geert Wilders abschneiden? Und welche Folgen hat das für Europa und vielleicht sogar den Euro? Wir ordnen das ein mit dem niederländischen Wirtschaftswissenschaftler Kees van Paridon, er lehrt an der Erasmus-Universität Rotterdam. Meine Frage an ihn – welche wirtschaftliche Rolle spielen die Niederlande innerhalb der EU?
    Kees van Paridon: Ein kleines Land, aber auch ein reiches Land mit einer sehr hervorragenden Infrastruktur, inmitten von Deutschland, Frankreich und England, und wie man so schön sagt, das Zugangstor zu Europa. Dadurch ist die Niederlande vielleicht eine Drehscheibe, die für viele andere Länder um uns herum sehr wichtig ist.
    Fröhndrich: Wenn Sie jetzt sagen, ein reiches Land, wenn man sagt, den Niederlanden und den Niederländern geht es wirtschaftlich gut, warum hat dann der Rechtspopulist Geert Wilders trotzdem so einen großen Zuspruch?
    "Harte Einsparungen, die viele Leute bemerkt haben"
    van Paridon: Es geht wieder gut. Es ging gut Ende der 90er-Jahre und mit der Finanzkrise von 2008 wurde die Lage doch etwas schwieriger. Es hat nicht genügend Reformen gegeben in der Zeit zwischen 2000 und 2009 und dann war es wirklich schwierig, um wieder neues Wachstum zu bekommen. Das hat zu harten Einsparungen geführt, die viele Leute bemerkt haben.
    In den letzten drei, vier Jahren geht es wirklich wieder besser: ein relativ gutes Wachstum, viele neue Arbeitsplätze, die Arbeitslosigkeit geht nach unten. Aber für diejenigen, die zum Beispiel abhängig sind von Sozialversicherung, die haben das eigentlich noch nicht gut gespürt. Für diese Leute ist es noch immer eine etwas schwierige Lage.
    Fröhndrich: Welches Wahlergebnis heute Abend würde der niederländischen Wirtschaft denn am meisten schaden?
    van Paridon: Die Erwartung ist, dass die Rechtspopulisten mit Wilders dabei vielleicht etwas weniger als 20 Prozent erreichen sollten. Das Problematische ist vielleicht, dass es auch keine größere Partei mehr gibt, und das bedeutet, dass für eine Regierung man drei, vier, vielleicht fünf Parteien nötig hat, um eine Regierung mit einer Mehrheit zu formieren. Das kann etwas länger dauern und ist vielleicht nicht so schön für die Wirtschaftsentwicklung auf längere Zeit.
    Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft verloren
    Fröhndrich: Und welche Auswirkungen sehen Sie vielleicht auch für die Eurozone? Da wurde ja auch mal ein Nexit diskutiert, auch im Wahlkampf. Sehen Sie diese Gefahr?
    van Paridon: Nein, nein. Es wird auch in den Niederlanden wie in Deutschland diskutiert über die Zukunft des Euro. Vielleicht sind bestimmte Änderungen notwendig, aber das ist was anderes dann. Aus dem Euro, aus der EU, ein Nexit – nein. Ich denke, dass die übergroße Mehrheit der Niederländer das nicht wollen. Die meisten Niederländer verstehen, dass wir durch diese internationalen Wirtschaftsbeziehungen auch einen Teil unseres Einkommens verdienen. Wir können nicht ohne.
    Fröhndrich: Das heißt, protektionistische Tendenzen, Schutz eigener Arbeitsplätze, Schutz der eigenen Wirtschaft, das spielt in den Niederlanden eher eine untergeordnete Rolle. Oder findet man das schon?
    van Paridon: Es spielt eine Rolle. Auch hier natürlich hat man bemerkt, dass die Mitgliedschaft der osteuropäischen Länder dazu geführt hat, dass auch bei uns viele Leute aus Polen und Rumänien und Bulgarien hier arbeiten. Aber man bemerkt auch, dass es viele Konstruktionen gibt, wobei die Leute ein Einkommen bekommen, wie das in ihrem eigenen Land üblich ist, aber für die Niederlande relativ niedrig. Und das bedeutet, dass Leute zum Beispiel in der Bauwirtschaft ihren Arbeitsplatz verloren haben für Leute aus Polen zum Beispiel. Und ich denke, dass in dieser Richtung die neue Regierung mit Vorschlägen kommen sollte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.