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Wirtschaftsbeziehungen
Mecklenburg-Vorpommern hält Russland die Stange

Als große Ausnahme in Europa bleiben Politik und Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern trotz Ukraine-Krise russlandfreundlich. Denn das Bundesland ist von der Sanktionspolitik der EU und Russlands stark betroffen. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) reist deswegen heute mit einer 70-köpfigen Wirtschaftsdelegation nach St. Petersburg.

Von Silke Hasselmann | 23.06.2015
    Dunkle Wolken ziehen am 09.06.2015 über die Schiffbauhalle der Nordic Yards Werft in Wismar (Mecklenburg-Vorpommern), vor der zwei eisbrechende Rettungs- und Bergungsschiffe in Ausrüstungskai liegen.
    Schiffbauhalle der Nordic Yards Werft in Wismar: Drei der großen Werften in Mecklenburg-Vorpommern sind in russischer Hand. (dpa/picture alliance/Jens Büttner)
    Ob auf dem Landweg oder per Schiff: Die kürzesten Wege von St. Petersburg nach Deutschland führen über Mecklenburg-Vorpommern und umgekehrt. Auch deshalb seien Russland im Allgemeinen und die Leningrader Region im Besonderen wichtige Handelspartner für Mecklenburg-Vorpommern, sagt Ministerpräsident Erwin Sellering:
    "Aber leider sind im 1. Quartal die Ausfuhren eingebrochen um fast 50 Prozent. Jetzt machen sich doch sehr stark die Sanktionen bemerkbar, vor allem im landwirtschaftlichen Bereich. Aber auch sonst, weil sich das Klima insgesamt verschlechtert."
    Denn umgekehrt hat die russische Regierung unter anderem die Einfuhr von Molkereiprodukten, Obst und Gemüse aus dem EU-Raum untersagt. Davon besonders hart betroffen: kleine und mittlere Unternehmen aus Mecklenburg-Vorpommern. Und nicht nur das, so der Schweriner Regierungschef mit Blick auf den einzigen nennenswerten Industriezweig im Land - den Schiffbau:
    "Drei der großen Werften sind in russischer Hand und wir haben das immer verbunden mit der Hoffnung, dass wir anknüpfen können an das alte Verhältnis zu Russland. Die gesamte Fischereiflotte ist quasi in Stralsund gebaut worden. Deshalb ist das ein guter Kontakt, aber das ist im Moment bei den Verhältnissen zwischen Russland und Deutschland sehr problematisch. Und deshalb ist es für mich wichtig, dass wir in baldiger Zeit zurückkehren zu einem vernünftigen Verhältnis zu Russland. Dann wollen wir natürlich die Wirtschaftskontakte wieder aufnehmen."
    Maschinenbau-Zulieferer leiden unter Dual-Use-Regel
    Nicht immer sind Politiker dabei nötig oder auch nur hilfreich. Bei Russland erfahrungsgemäß aber schon, denn dort funktioniert ein Großteil der Wirtschaft noch immer erheblich staatlich gelenkt. Auch deshalb hatte Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) vorigen Herbst trotz massiver Kritik in Deutschland den traditionellen "Russlandtag der Wirtschaft" durchgezogen und persönlich besucht. Nun zeigt er sich in St. Petersburg mit zwei Ministern und rund 60 Unternehmensvertretern. Dabei auch: Stefanie Scharrenbach, bei der Industrie- und Handelskammer zu Schwerin zuständig für internationale Standortpolitik. Sie kennt ein weiteres Problem, denn etliche Maschinenbau-Zulieferer leiden seit der Ukraine-Krise unter der neuen Dual-Use-Regel. Die besagt, dass vorerst nichts mehr nach Russland geliefert werden darf, was sich sowohl zivil wie auch militärisch verwenden ließe. Das bringt viel Bürokratie und die Angst, dass die russischen Partner abspringen:
    "Und auch wenn wir immer sagen, dass wir die politische Situation von der wirtschaftlichen trennen, ist es natürlich schon so: Wenn man Zweifel hat, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass man Abstand von dem Geschäft nimmt, als dass man sich darauf einlässt. Und das ist sehr bedauerlich für die Unternehmen."
    Sellering: Europa ist auf Gas aus Russland angewiesen
    Auch deshalb will Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef Erwin Sellering nun auf den "Tagen der Deutschen Wirtschaft in der Leningrader Region" für ein grundsätzlich einladendes Klima sorgen. Jüngster Anlass: die überraschende Entscheidung der Energiekonzerne Shell, Eon und Gazprom, die bisherige "Nordstream"-Erdgastrasse von Russland durch die Ostsee nach Westeuropa zu ergänzen:
    "Ich kann ganz deutlich sagen: Wenn es zwei weitere Stränge gäbe, wäre mir sehr daran gelegen, dass die ebenfalls in Mecklenburg-Vorpommern anlanden. Ich halte es für gut, dass wir auf diese Weise engen Kontakt insgesamt zu Russland haben. Ganz Europa ist zur Zeit angewiesen auf Gaslieferungen aus Russland und ich glaube, es ist politisch nicht falsch, wenn Nationen so miteinander wirtschaftlich in Kontakt stehen, dass man sich gegenseitig braucht. Ich glaube, es hilft auch, dass man die Konflikte nicht zu sehr eskalieren lässt."