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Wirtschaftsethiker erwartet neue Spekulationsblase

Die US-Regierung hat die Gehälter bei Managern von sieben dem Staat unterstellten Konzernen um mehr als die Hälfte gekürzt. Ein grundlegender Wandel sei aus den Maßnahmen jedoch nicht zu entnehmen, meint der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann.

Gerd Breker im Gespräch mit Ulrich Thielemann | 23.10.2009
    Gerd Breker: Die US-Regierung kürzt die Gehälter bei Managern von sieben dem Staat unterstellten Konzernen um mehr als die Hälfte. Der Großteil der Löhne solle zudem in lang laufenden Firmenaktien ausbezahlt werden, so der Sonderbeauftragte zur Überprüfung von Managergehältern Kenneth Feinberg. Die Bar-Gehälter der 25 bestverdienenden Manager bei den betroffenen Banken würden im Vergleich zum vergangenen Jahr um mehr als 90 Prozent gekürzt. Die hohen Löhne und Boni bei den Finanzinstituten und Autobauern, die am staatlichen Geldtropf hängen, hatten in den USA einen Sturm der Entrüstung ausgelöst und dies hatte Folgen.

    Am Telefon bin ich nun verbunden mit Ulrich Thielemann, er ist Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen in der Schweiz. Guten Tag, Herr Thielemann.

    Ulrich Thielemann: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Herr Thielemann, Gehälterkürzungen im Land der Freien, das allein ist schon etwas Besonderes. Aber zeigt US-Präsident Obama damit die Richtung an, wohin das gehen kann mit Managergehältern und mit deren Bonizahlungen?

    Thielemann: Ja, aber wenn, dann auch nur eher kosmetisch, würde ich sagen. Ein grundlegender Wandel ist eher nicht daraus zu entnehmen, würde ich meinen. Das sind doch eher geringe Kürzungen, und das eben nur für die Institute, die eben vom Staat gestützt sind. Natürlich war das skandalös, was da passiert, aber es müsste eigentlich viel weiter gehen.

    Breker: Allerdings ist es schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. 90 Prozent der Barmittel weniger als im vergangenen Jahr, das klingt doch ordentlich.

    Thielemann: Ja, aber nach wie vor ... Man geht ja heute, die Strategie geht ja dahin: Die Boni dürfen weiter sein, sie müssen aber irgendwie langfristig sein. Was heißt denn das? - Man muss sich einfach mal fragen: Woher kommen eigentlich diese gigantischen Gewinne, von denen dann die Investmentbanker große Anteile erhalten? Woher kommen die? Wer erwirtschaftet die eigentlich?

    Das Problem ist ja, dass die Realwirtschaft dazu nicht in der Lage ist und auch nicht in der Lage sein soll, würde ich meinen. Und was hat man daraus gemacht? Man hat eine gigantische Blase, eine Illusion erzeugt, und das kann man ziemlich lange machen. Und ich vermute - oder was soll das denn bitte sonst sein -, dass im Moment erneut an einer solchen Blase gearbeitet wird, und früher oder später wird das Kind wieder in den Brunnen fallen. Und das Hauptmittel oder eines der Hauptmittel des Kapitals, diese Blasen zu erzeugen, ist sozusagen die Karotte des Bonus und ist das Versprechen, von den gigantischen Scheingewinnen vielleicht auch nur bekommt ihr große Anteile ab. Das ist der Deal zwischen den Kapitaldienstleistern. Die stehen dem Kapital zu Diensten. Die Zeche zahlt dann der "Lender of last resort", das heißt der Steuerzahler.

    Breker: Sie haben es angedeutet, Herr Thielemann: Wenn man sich die Beträge anschaut, die die Banken zurücklegen für die Bonuszahlungen, also etwa J. P. Morgan, las ich dieser Tage, über 17 Milliarden Dollar, das sprengt jede Vorstellungskraft überhaupt. Mehr als so manch ein afrikanischer Staat zum Beispiel als Gesamthaushalt hat, wird da zurückgestellt, um den Managern Bonuszahlungen zu geben. Wie kann so etwas überhaupt gerechtfertigt sein?

    Thielemann: Man kann ja mal fragen: Ist das Wertschöpfung oder ist das Abschöpfung oder eben Blasenkapitalbildung? Ich würde sagen, es ist kaum der erste Teil, kaum Wertschöpfung. Woher soll die bitte kommen? Und vor allen Dingen, auch das wäre natürlich fragwürdig: Die volkswirtschaftlichen Wertschöpfungen weltweit sind in den letzten Jahren sehr massiv zum Kapital gegangen und insofern ist es auch eher Abschöpfung, oder eben Blasenkapitalbildung gigantischen Ausmaßes.

    Und das Spiel funktioniert ja darauf, wir brauchen ein für den Normalbetrieb der Marktwirtschaft irgendwie funktionierendes Finanzsystem und darauf kapitalisiert man letztlich. Und ich würde die These wagen, das tun ja auch andere, die im System drinstecken und dort als Aufsichtspersonen drinstecken, heute sehr anders denken als vorher, nämlich dass es jetzt doch offenkundig wieder darum geht, früher oder später, das kann vielleicht drei, vier Jahre, fünf Jahre dauern, dass dann die Banken gerettet werden müssen und die Akteure haben sich natürlich lange [schon] auf die Bahamas abgesetzt.

    Breker: Herr Thielemann, der Staat, also der Steuerzahler, der muss, haben wir gelernt in dieser Finanzkrise, der muss systemische Banken retten. Das bringt etwa den britischen Notenbankchef Mervyn King dazu, für die Zerschlagung von Großbanken einzutreten, denn sie drohen, den Staat zu erpressen, und der Staat kann nichts machen, außer ihnen zu helfen, wenn es denn kritisch wird.

    Thielemann: Ja. Ich würde sagen, ohne die Details wirklich beurteilen zu können, die Stoßrichtung ist insofern richtig: Macht ihr doch euer Spekulationsspiel, aber lasst uns damit in Ruhe. Das ist, glaube ich, die Stoßrichtung. Okay, das wäre eine Option. Nur bin ich einigermaßen skeptisch, ob das wirklich funktioniert.

    Man könnte ja eigentlich sagen, die Spekulationsspiele, die da gespielt werden, damit haben wir, die Bürger, die da nicht mitspielen, eigentlich gar nichts zu tun. Und wer ins Kasino geht, der muss wissen, was er tut. Das ist ja eigentlich ein Nullsummenspiel zwischen denen, die sich da wechselseitig abzocken. Wenn wir dann die Banken nicht mehr retten müssen, ist das eigentlich gut. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das wirklich funktioniert.

    Breker: Das wäre einfach so die Trennung von Investmentbankgeschäften zu den übrigen, also Bausparkredite, Girokonten und so. Das wäre ja denkbar, dass man das per Gesetz - in den USA war es bis 1999 so - beschließt.

    Thielemann: Ja, genau. Das ist zumindest die Idee dabei. Die Spekulationsgeschäfte könnt ihr machen, aber das trennen wir sozusagen von der Realwirtschaft und der realwirtschaftlichen Versorgung mit Krediten. Das ist die Idee, um die dann nicht mehr retten zu müssen. Wenn die dann fallen, dann haben die Eigentümer der Banken eben Pech gehabt und ihr Kapital verloren.

    Breker: Wenn wir uns anschauen, was die Banken derzeit tun, wie sie agieren: Die Geschäfte laufen prächtig, sie verdienen sehr viel Geld, aber sie dienen nicht der Wirtschaft.

    Thielemann: Ja, wobei "sie dienen der Wirtschaft": Das Wirtschaften ist immer konfliktär. Deshalb würde ich sagen, das Dienen der Wirtschaft, das gibt es so gar nicht. Es ist die Frage allenfalls, wie sehr trägt das Kapital zur ökonomischen Radikalisierung bei, die wir in den letzten Jahren ja beobachtet haben? Und ich würde sagen, das Kapital trägt dazu sehr weitgehend bei. Auch ohne diese Krise ist es ja nun so, dass dort ziemliche Probleme auf uns zugekommen sind. Und ich würde die mit dem Stichwort der neuen Radikalität im Management fassen, und auch das hängt mit Bonuszahlungen und finanziellen Anreizen zusammen, die eben dem Management gegeben wurde, übrigens ganz im Interesse des Kapitals, sodass das Kapital eben sozusagen den letzten Rest noch rausquetschen konnte, Kostensenkungen auf Kosten eben der Mitarbeiter und auch vieles andere.

    Das ist eben eine hoch problematische Entwicklung. Letztlich würde ich sagen geht es darum, wenn man so will, die Marktwirtschaft weniger kapitalistisch zu gestalten. Das darf man ruhig so sagen, meine ich. Und ein Schlüssel dabei sind die variablen Vergütungen, nicht nur bei den Banken, sondern auch bei den übrigen Unternehmen, sozusagen der Zugriff. Man kann überlegen und man sollte überlegen, dringend überlegen, dass der Zugriff des Kapitals auf die Unternehmen - auch die Banken, aber nicht nur - gelockert werden sollte. Und das kann man am besten tun, indem man die Anteile variabler Vergütungen begrenzt. Das geht nur ordnungspolitisch, das geht nur global.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen in der Schweiz, Ulrich Thielemann. Herr Thielemann, danke für dieses Gespräch.

    Thielemann: Schönen Dank auch!